Wieder einmal jährt sich also die Geburt desjenigen Kindes, dessen Name nicht erst dann, als ihn sich die CDU auf die Fahnen geschrieben hat, vollkommen durch den Dreck gezogen wurde. In einer Zeit, da die EU-Kommissionspräsidentin dazu aufruft, dass Europa wieder „die Sprache der Macht lernen muss“, kann man für ein Kind, das Frieden und Nächstenliebe bringen wollte und dafür dann „Opfer“ wurde (auf deutschen Schulhöfen heute angeblich das schlimmste Schimpfwort neben „Du Goethe!“) wohl nur noch Verachtung aufbringen. Da man sich für ein dermaßen nicht-machiavellistisches Kind einfach nur schämen muss, gucken viele auch betreten beiseite, wenn sein Geburtsfest wieder naht, möchten es gar nicht mehr beim Namen genannt wissen, der sie womöglich daran erinnert, dass man auch andere Argumente als Cashflow, Drohnen und Uranmunition ins Feld führen könnte.
Die Demontage von „Weihnachten“ ist daher in vollem Gange. Im Businessbereich braucht es heute schon einigen Mut, wenn man seinen Geschäftspartnern Druckkarten schickt, auf welchen anstatt des politisch korrekten „Season Greetings“ noch „Frohe Weihnachten“ steht. Als bloßes „Winterfest“ will man es auch im zivilen Leben abtun, wo Mann/Frau/Diverser an einer santaclausfarbenen Pissbude einen Glühwein kippt und dann Fünfe grad und 66 Geschlechter 60 sein lässt. „X-Mas“ lautet schon seit Jahren der klimaneutrale Begriff für dasjenige Fest, das man auch kurz vor Zusammenbruch der DDR nur noch als „Jahresendzeitfest“ bezeichnen durfte, die an diesem Fest an den Christbäumen baumelnden Engel nicht anders als „Endflügelpuppen“.
Was soll man also sagen an einem Tag, an dem die innere Sonne aufgehen sollte, aber ein Black Friday-Kommerzhöllenball am Firmament steht, der die Landstriche unserer marktkonformen Demokratie weitgehend verschattet und mit ohrenbetäubend-penetranter Musik den Weg in den Branntweinkeller zur X-Mas-Tequila-Party weist?
Welche Worte soll man finden, in einer Zeit, in der laut Frank Schirrmacher alle hehren Worte von Humanität, Freiheit etc. „mit Null multipliziert“ und „der Menschheit geraubt“ wurden? Schirrmacher meinte, die Menschheit müsse daher wieder „bei Null anfangen“ und alle diese Begriffe, die uns geraubt bzw. ihres Sinns entleert wurden, wieder ganz neu erarbeiten und mit Sinn erfüllen.
Auch mit der Geburt desjenigen Kindes, das wir heute feiern, wurden die Uhren unserer Zeitrechnung auf Null gestellt. In eine barbarische Zeit, in der in den römischen Arenen das Blut floss, sich Patrizier, und auf den hinteren Rängen der Plebs, am Zerreißen von Menschen durch wilde Tiere delektierten und anschließend in ihren Atrien Orgien bis zum Erbrechen feierten, indes gut gedrillte Legionäre rohstoffreiche Provinzen für den Imperator ausquetschten und auf Galeeren ums Leben gerudert wurde … in Zeiten also, die heute unter anderen, „smarten“ Vorzeichen wiedergekehrt sind, wurde dieses Kind geboren.
Eine epochale Wende, Frieden und Nächstenliebe erwartete man sich mit seinem Kommen. In den Überlieferungen der vorangehenden Hochkulturen von Persien, Babylonien, Ägypten und Griechenland war sein Kommen als große Hoffnung vorhergesagt, damals als Apoll, Osiris oder Aura Mahsd als noch auf der Sonne weilend angebetet, aber sich bereits für seinen Erdengang vorbereitend. Als es dann im Jahre Null so weit war, kamen Weise sogar von weit her aus dem Morgenland angereist, um dem Kind die Ehre zu erweisen – in einer Zeit, als man noch nicht schnell mal mit den Emirates nach Dubai fliegen konnte, sondern als die Wälder noch voller Räuber und wilder Tiere waren und man auf Reisen schnell einen Kopf kürzer war. Doch nicht nur die Weisen der damaligen Zeit, auch die Hirten vom Felde neigten vor dem neugeborenen Kind ihre alten Häupter. Man erzählt, dass der Stall, in dem es zur Welt kam, von Frieden und heiliger Ruhe umgeben war.
Von Frieden und heiliger Ruhe kann heute in Zeiten des transatlantisch-spätkapitalistischen Drohnen-Overkills kaum noch die Rede sein. Man kann heute nicht einmal von unheiliger Unruhe sprechen (die halb so schlimm wäre, da das Erleben einer solchen unheiligen Unruhe uns ja gleichzeitig zum Umdenken auffordern würde). Nein, es ist viel schlimmer, was heute herrscht: Eine unheilige Ruhe. Eine kaum erklärbare, nur leider alles andere als beruhigende Ruhe. Eine trügerische, von siecher Musik durchsetzte Stille, in der wir uns mit dem eigentlich Unerträglichen fast schon wie abgefunden haben. Unter dem süßlichen Gewimmere von „Last Christmas“ reicht uns der nackte Wahnsinn mit seiner Linken eine in Glitzerpapier verpackte XXL-SUV-Box und mit seiner Rechten einen Becher Blausäure, aus dem wir fröhlich trinken und uns zuprosten. So wie es uns der erste Imperativ aus der Nationalhymne des Guten und Gernen Lebens gebietet: „Solange noch ausgeschenkt wird, saufen wir weiter.“ Diese Ruhe, sie ist weder heilig und auch nicht süß, obwohl sie mit stechend süßem Brausepulver und Glutamaten kandiert ist. Es ist trotz aller grenzenloser Ausgelassenheit, Feuerwerke und Queer-Konfetti eher eine Art Friedhofsruhe und Leichengeruch, die man wahrnehmen kann, wenn man einmal für ein paar Atemzüge die Musik ausmacht.
Dennoch darf uns diese makabre Atmosphäre nicht zur Resignation führen. Ganz im Gegenteil, sie kann uns anspornen, gerade innerhalb dieser tödlich zu werden drohenden Bedingungen umso authentischer, heller und wärmer eine innere Lampe zu entzünden, mit der man dann schon den Weg selbst durch den größten Wahnsinn finden wird. In diesem Sinne: Nützen wir die etwas ruhigere Zeit des Jahres und auch das kommende Jahr dafür, um an den Geschehnissen nicht bitter, sondern reif zu werden. Dann wäre viel gewonnen. Und in Wirklichkeit ist auch genau das der Sinn der kulminierenden Übelstände und der kommenden Not: Wir sollen nicht an ihr verzweifeln, sondern sie überwinden und gerade durch die (zunächst innere) Aktivität, die hierzu notwendig ist, zu unserer echten Menschlichkeit finden. Ebenso, wie wir es uns heute abschminken müssen, in der Außenwelt Ruhe und Frieden zu erwarten. Auch wenn das jetzt alles andere als eine frohe Weihnachtsbotschaft ist, aber bei gebotenem Realismus braucht man kein Prophet zu sein, um vorhersagen zu können: Es werden Chaos und Unfrieden herrschen, gegen welche die heutigen Verhältnisse noch reinste Sozialromantik sind. Aber es gibt eine Qualität des Friedens und der Ruhe, die man in sich ausbilden kann und die auch inmitten allen Chaos und aller zukünftigen Kämpfe zu bestehen vermag. Gerade an diesen Schrecknissen wird sie sich bewähren. Dazu aber vielleicht ein andernmal mehr (vorab: diese Ruhe hat mit dem zu tun, was in unserer emotionsüberfluteten Welt noch Mangelware ist: echte, wahre und empathische Gedanken – nicht zu verwechseln mit intellektualistischen Gedanken, die trotz vordergründiger Brillanz ebenfalls zum Alteisen gehören).
So, eigentlich wollte ich es bei Frank Schirrmachers „Multiplikation mit Null“ bewenden lassen und damit nur zu einem Stück von Mike Oldfield einleiten, aber jetzt wollten sich doch noch einige Worte durch meine Gurgel ringen. Was Oldfield in Klänge fasst, kann zum heutigen Tag wesentlich mehr ausdrücken als viele Worte, die ja mittlerweile müßig sind. Und solange wir die mit Null multiplizierten Worte noch nicht wieder neu mit Sinn gefüllt haben, müssen wir eben andere Ausdrucksmöglichkeiten finden, um die Kruste zu sprengen, die sich in unserer neoliberal vergletscherten Zeit um viele von uns gebildet hat. Kunst ist eine solche Möglichkeit. Es gibt viele Künste, Musik ist nur eine davon, und jeder, der eine Kunst beherrscht, darf sich glücklich schätzen. Er hat damit eine Art Lebenselixier zur Hand, das ihn wie immun macht gegen alles heranflutende Gift und mit dem er auch Andere reanimieren kann, die bereits kurz vorm neoliberalen Erfrierungstod stehen.
In einer Zeit, in der das auf Lügen basierende Betriebssystem, das uns von Kindesbeinen an aufgespielt wurde und mit dem wir nun surfen, so gepolt ist, dass wir auf Wahrheit allergisch reagieren und der Illusion bereitwillig die Türen öffnen, obwohl sie uns alles nehmen wird, was uns wert ist, in solch einer Zeit kann man über das Mittel der Kunst viel mehr eröffnen als über gut gemeinte Worte, die meist nur einen Shitstorm zur Folge haben.
So wie etwa dieses Stück von Mike Oldfield, einem zeitgenössischen Klangvirtuosen, den manche Musikfreunde ganz ohne Ironie und nicht ganz ohne Grund in eine Reihe mit Mozart, Bach und Bartok stellen. Betrachtet man den Lebenslauf von Oldfield, auch dazu ein andernmal mehr, dann kann man feststellen, dass er mit seiner Kunst das vorhin Angedeutete durchaus verwirklicht hat: Selbst in den schlimmsten Stürmen des Lebens – Oldfield musste viele dramatische Schicksalsschläge hinnehmen und drohte von vielen Strudeln weggerissen zu werden (nicht nur von Ibiza-Synthiepop) – ist bei ihm nie ganz der Faden zur Inspiration gerissen, aus der er fortwährend schöpft. Immer wieder taucht er aus der Versenkung auf, aus dem „Nullpunkt“ mit überraschenden, ganz neu metamorphosierten Stücken. Wer hätte z.B. gedacht, dass er auf seine Tubular Bells mit „Top of the Morning“ (Tubular Bells III) noch eins draufsetzen und sein ehemaliges Meisterwerk in den Schatten stellen kann?
Zunächst aber zu „Angelique“ … zur Feier des Tages und für diejenigen, die einen Hauch von dem verspüren möchten, das nicht von dieser Welt ist.
In diesem Sinne: Allen Lesern und Mitarbeiten des Nachrichtenspiegel frohe Weihnachten, besinnliche Tage und für das kommende Jahr: eine innere Achse der Ruhe und Besonnenheit inmitten aller heranbrandenden Wogen. Es wird kein leichter Wellengang sein, der uns erwartet, aber wie ein bretonisches Sprichwort sagt: „Eine ruhige See hat noch keinen guten Steuermann hervorgebracht.“ Nützen wir also die uns entgegenschlagenden Wellen und Turbulenzen, um im Umgang mit ihnen sogar besondere Fähigkeiten zu entwickeln. Wer etwas von Segeln versteht, der weiß, dass man nur die Segel richtig zu setzen braucht, dann kann man auch schräg gegen den Wind segeln und der Gegenwind bringt einen zügig voran.
Und wer noch nichts vom Segeln versteht, der kann es in diesen Songs von Mike Oldfield lernen …
Allgemeines zur Kolumne „Endzeitpoesie 4.0 – Brennholz gegen Robotisierung und drohenden Erfrierungstod“:
Da in unserer aus den Fugen geratenden Welt vieles nicht mehr rational verstehbar und auch kaum noch ertragbar ist, brauchen wir dringend ein Gegengewicht aus dem Reich der Poesie … mit diesem geistigen Gegengift in den Adern wird vieles Unverständliche plötzlich wieder verständlich und Unerträgliches wieder ertragbar – oder noch besser: gestaltbar!
Denn die größte Lüge, die uns heute beigebracht wird, ist: dass der Einzelne ohnehin nichts tun kann. – Das genaue Gegenteil davon ist wahr: Es kommt auf jeden einzelnen an und das mehr als jemals zuvor. Und wie uns schon Dostojewskij erklärt hat, ist im Leben auch niemals etwas umsonst, selbst wenn eine Bemühung keinen sichtbaren Erfolg zeigt: „Alles ist wie ein Ozean, alles fließt und berührt sich; rührst du an ein Ende der Welt, so zuckt es am anderen.“
Gerade unsere geistlose Zeit braucht philosophische Gedanken wie eine Wüste das Wasser. Dieses Wasser – die Gedanken der großen Geister der Menschheit – gibt es schon lange. Aber die scheinbar alten – in Wirklichkeit ewig jungen – Gedanken bleiben nicht dieselben: Jeder, der sie aufgreift und verinnerlicht, färbt sie mit seiner individuellen Persönlichkeitsnote ein und bringt dadurch wieder ganz neue Farben in die Welt, die bisher noch nicht existiert haben. Und solche Farben braucht unsere grau gewordene Welt (siehe 1000 Gestalten.de) heute dringend – sie saugt sie auf wie ein trockener Schwamm das Wasser … damit wieder Neues, Kreatives, Menschliches entstehen kann.
In diesem Sinne wollen wir der pseudopragmatischen Alternativlosigkeit (siehe „Der Führer 4.0 – Er ist schon längst da“) die Gefolgschaft in den Grand Canyon verweigern und es lieber mit Ilija Trojanow halten: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. – Dann kann die scheinbare Endzeit zu einem neuen Anfang werden.
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(c) Parkwaechter 2015
Nachdem wir Fasching, Valentinstag und Oktoberfest hinter uns gebracht haben und nur wenige Atemzüge nach dem bedeutendsten Fest unseres mammonistischen Jahresfestkreises – Helloween, ist es nun so weit: auch „Weihnachten“ steht am Kalender.
Jene Zeit also, in welcher die Gewerkschaften darum kämpfen müssen, dass in den großen Shopping Malls nicht öfter als 30 mal pro Tag „Jingle Bells“ oder das unsägliche „Last Christmas“ von Wham durch die Lautsprecher geschickt wird, um so die Verkäufer vor abendlichem Drehschwindel und Schlaflosigkeit zu bewahren.
Jene Zeit, in der wir uns auf unsere „westlichen Werte“ besinnen, die wir sogar am Kunduz in Afghanistan und im Syrischen Hinterland verteidigen müssen.
Vor einiger Zeit habe ich mich mit einer Frau unterhalten, die in der DDR unter dem strengen Auge der Blockwarte und der Stasi aufgewachsen ist und dort von einem alternativlosen Schulsystem indoktriniert wurde. – Nein, nicht mit Angela Merkel, unter der die Alternativlosigkeit und die schnöde Blockwart-Mentalität heute wieder eine ungeahnte Renaissance erfahren hat und uns auch lückenlose Bürgerüberwachung wieder achselzuckend als das Normalste auf der Welt verkauft wird. Meine Gesprächspartnerin war keine Frau, die sich mit diesem alternativlosen System arrangiert und dort als Physikerin Karriere gemacht hat, sondern eine Künstlerin, die den technokratischen Wahnsinn schon als junge Frau durchschaut und daher unter Lebensgefahr die Seiten gewechselt hat. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass sie im „freien Westen“ nun wieder von ihrer dunklen Vergangenheit eingeholt werde.
Eine besonders groteske Episode weiß sie über die Weihnachtszeit zu erzählen. Kurz vor Zusammenbruch der DDR, als Überwachung, Willkür und Absolutheitsanspruch gegenüber dem „Pack“ bereits fast unerträglich geworden waren und die Systemfunktionäre und Blockwarte schon das ungute Gefühl in der Magengrube hatten, dass dieses „Pack“ sie demnächst abservieren wird, zog man nochmals alle Register, um das gemeine Volk im Zaum zu halten.
Bemerkenswert war, dass kurz vor besagtem Zusammenbruch des Systems mit regelrecht hysterischer Akribie versucht wurde, den Bürgern alles auszulöschen, was irgendwie eine Ahnung von einer Dimension hervorgerufen hätte, die über dem unseligen materialistisch-technokratischen Planwirtschafts-Alltag wartete. Worte wie Weih-Nachten waren daher an den Schulen, an denen meine Bekannte arbeitete, verboten – man musste sagen: Jahresendzeitfest. Auch durften keine Geschichten über das Christkind, nicht einmal über den Weihnachtsmann erzählt werden, sondern nur über den Jahresendzeitmann.
Vom Schuldirektor streng verboten war insbesondere das Wort Weihnachts-Engel. Da sich die Tradition, zu Weihnachten Engel zu basteln, trotzdem nicht ausrotten ließ, so galt die Vorschrift, dass man diese Bastelwaren jedenfalls unter keiner anderen Bezeichnung handeln durfte als unter „Endflügelpuppen“.
Meine Bekannte, die dies erzählte, kann heute keineswegs über diese grotesken Auswüchse der DDR Politik lachen. Sie erzählt, wenn sie heute so den politischen Diskurs beobachte, dann fühle sie sich frappant an die damalige Zeit erinnert, in der das alte System kurz vorm Zusammenbrechen war und daher nochmals alle Verbocktheit aufbot und alle retardierenden Kräfte aus dem Keller holte, um kritisches und alternatives Denken zu verhindern.
Diese retardierende Funktion übernehmen heute allerdings nicht mehr Stasi-Agenten im grauen Mantel wie damals, nein, die Drecksarbeit zur Sabotage zivilgesellschaftlichen und basisdemokratischen Engagements übernehmen heute Personen, die vom Förderband eines alternativlosen Schul- und Universitätssystems gelaufen sind, nachdem sie dort ethisch-moralisch kahlgeschoren und intellektuell zugespitzt, geteert, gefedert, geformt, genormt, verschweißt und elektronisch verkabelt wurden. Was sie nun tun, entspringt scheinbar ihrem eigenen Willen zum „Fortschritt“, ihnen bewusste „Verschwörung“ anlasten zu wollen, ginge daneben – was sie jedoch nicht minder gefährlich macht. Der Auftrag der vom Förderband gelaufenen Terminatoren: Endlich Schluss machen mit allem, was der reinen technokratisch-mechanistischen Effizienz, also dem Ideal des Borg-Kubus (siehe Wiki-Eintrag) widerspricht.
Denn ein solches technokratisches Ideal kann unmöglich verwirklich werden, solange die Menschen noch an diejenige tiefere Ebene des Daseins glauben, die Hermann Hesse als „Welt Mozarts“, Platon als „Reich der Ideen und lebendigen Urbilder“ oder Viktor Frankl als „noetische Ebene (von gr. nous=Sinn)“ angedeutet hatten und die auch von ausnahmslos allen anderen großen Poeten und Weisen aller bisherigen Zeitalter als Wurzel, Sinn und Ziel des Menschseins beschrieben wurde. Nur so nebenbei, jener Mann, der im heutigen X-Mas nur noch als „X“ vorkommt, aber dessen kompromisslose und wahrheitsfordernde Worte die Welt seinerzeit so erschüttert haben, dass man die Zeitrechnung seinetwegen auf Null gestellt hat, redete auch immer davon, dass „sein Reich nicht von dieser Welt“ sei. Was ihn auch dazu veranlasste, dass er die Geldwechsler mit der Peitsche aus dem Tempel jagte und die damaligen Blockwarte und etablierten Funktionäre der Macht, die Schriftgelehrten und Pharisäer, bei jeder Gelegenheit als Heuchler und als Schlangenzungen bezeichnete.
Von besagten Terminatoren, die vom Förderband des Szientismus gelaufen und ins Rennen um die Zukunft der Menschheit geschickt wurden, wird dazu nun eine radikale Antithese aufgestellt:
„Mensch und Welt sind nur geistlose Kohlenstoffzusammenballungen, ergo ist alles Wurst, ergo können Mensch und Umwelt nach reinen Effizienzkriterien ausgeschlachtet werden.“
Wer sich diesem Glaubensbekenntnis des nihilistischen Szientismus und Sachzwanges nicht beugt, wird mit Bulldozergewalt niedergewalzt, an den digitalen Pranger gestellt und medial verbrannt (siehe dazu einen der letzten Artikel des Eifelphilosophen: „Deutschland 2015: Das Ende der offenen Gesellschaft und der Bürgerkrieg gegen die Vernunft“).
Zurück aber zu Weihnachten. Eines der genialsten Weihnachtsgedichte, das mir in den letzten Jahren untergekommen ist, stammt von Steve Geshwister und heißt „Heilige Abende“
Kurz zur Rahmenhandlung:
Bei Schmidts gibts Heiligabend Gans
Bei Müllers Würstchen mit Püree
Frau Ott kocht Brüh‘ aus Ochsenschwanz
Die Mayer brät ein Rindsfilet (…)
Ein iPad für den kleinen Mayer
Ein Kindle für das Müllerkind
Für Oma Ott ein Nudelseiher
Wie schön, dass wir beisammen sind!
Man ist befriedigt, satt, so voll
Dass langsam Geist und Klarheit schwinden
Wär dieser Jesus nicht schon toll
Man müsste ihn erfinden!
Einzig Herr Müller verquert diese Endzeitfest-Idylle. Dreimal stößt er aus den Fluch: „Der Blitz beim Scheißen in euch fahre!“ – Aber lesen Sie selbst… (siehe Heilige Abende).
Heute ist Pfingsten, das Fest der Inspiration des menschlichen Geistes. Das hätte ich diesmal angesichts der durch die Luft schwirrenden Drohnen und geköpften Häupter fast vergessen.
Erinnert hat mich heute morgen ein regendurchnässtes, schrill-orangenes Litfassplakat neben der Straße mit der Aufschrift „PFINGSTFEST“. Es lädt den fernsehenden Dosenbierbürger ein zu dem, was das Wort bereits ahnen lässt: zu einem Umtrunk mit Blasmusik und Kranzwürsten, also zu einem Oktoberfest im Mai.
„DUCHLESS“ – „SEELENKALT“. So betitelte der russische Autor Sergej Minaev seinen Bestsellerroman, in dem er seiner Generation einen Spiegel vorhält und eine unbarmherzige Abrechnung mit dem kritiklos von Europa und dem Osten übernommenen amerikanischen Lebensstil vornimmt. Die Figuren seines Romans sind von blindem Konsum und Zynismus getrieben, versuchen der Sinnlosigkeit ihrer karrieristischen Existenz mit Exzess, Alkohol und Sex zu entkommen, bis sie vollkommen ausgehöhlt von einem schwarzen Loch abgesaugt werden.
DUCHLESS. Das ist ein Wortspiel, zusammengesetzt aus dem russischen „duch“ (=Seele, Geist) und dem englischen „-less“ (=fehlend, ermangelnd).
Nachdem wir Christmas bereits zu X-MAS bzw. zur X-MAS Party gemacht haben und Allerheiligen zum Höllenabend (Helloween), wäre „DUCHLESS“ doch ein perfekter Name, um auch dieses Jahresfest zu substituieren und Farbe zu bekennen. – Zu unserem mittlerweile zur dogmatischen Staatsreligion erhobenen Glaubensbekenntnis: Dem nihilistischen Szientismus.
Da uns dieses Glaubensbekenntnis schon von klein auf in Schule und Uni mit dem Löffel gefüttert wurde, kann jeder von uns den Text bereits auswendig, auch wenn mancher ihn nicht bewusst in Worte zu kleiden vermag:
„Mensch und Welt sind nur geistlose Kohlenstoffzusammenballungen, ergo ist alles Wurst, ergo können Mensch und Umwelt nach reinen Effizienzkriterien ausgeschlachtet werden. Amen.“
Die Priester dieser Staatsreligion, die streng wissenschaftlich akkreditierten Fachleute, denen wir heute bedingungslos gehorchen wie seinerzeit die Schweinebauern der unfehlbaren päpstlichen Autorität, werden im Anschluss der Festivität den Segen über uns aussprechen, nachdem der Höhepunkt des DUCHLESS-Festes zelebriert wurde: das rituelle Teeren, Federn und elektronische Verkabeln unserer Kinder, die wir heute am Opferaltar des Szientismus bereitwillig darbringen.
Die szientistischen Priester, die dieses Opfer verwalten bzw. mit sachzwänglicher Gewalt einfordern, wissen zwar insgeheim, dass ihr Weltbild in ca. 200 Jahren als der größte Schwachsinn der gesamten Menschheitskultur in die Geschichtsbücher eingehen wird, aber das hindert sie nicht, ihre Rolle voll und ganz zu erfüllen.
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Wer sich dem Zug der Lemminge in Richtung Grand Canyon nicht anschließen und das szientistische Glaubensbekenntnis des neoliberalen Zeitalters nicht mitsprechen will, sondern an einen Sinnzusammenhang des Daseins, an eine geistige Existenz des Menschen, ergo an eine Verantwortung des Einzelnen für die Zukunft glaubt – nun, der kann zur Feier des Tages eventuell dieses Gebet von Thomas D mitsummen:
In diesem Sinne: frohe Pfingsten vom Parkwächter!