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Endzeit-Poesie 4.0: „Wer vom Ziel nicht weiß …“ – Über Sinn und Unsinn des Lebens

Labyrinth von Chartres (cc by Parkwaechter)

Viele Menschen fragen sich, warum sie immer unglücklicher werden, obwohl sie in ihrem Leben doch genau dem folgen, was ihnen von klein auf durch Werbung, Medien und Schule beigebracht wurde.

Man wagt einen solch ketzerischen Gedanken fast gar nicht zu denken, aber: Könnte es etwa sein, dass die wissenschaftlichen Experten, denen wir heute bedingungslos Folge leisten (von Noam Chomsky bezeichnet als „säkulare Priesterschaft der Machtelite“) trotz ihrer umwerfenden Intelligenzbestialität keine Ahnung vom Sinn des Lebens haben und uns deswegen einen Weg weisen, der immer mehr ins Unmenschliche führt? Nicht, dass sie uns absichtlich in den Grand Canyon führen wollten – wer so etwas behauptete, begibt sich in den Bereich von Verschwörungstheorien. Da uns diese streng verboten wurden, müssen wir also nach anderen Theorien suchen, um das Absurde, das uns heute von allen Seiten her angrinst und in den Würgegriff nimmt, erklärlich zu machen. Vielleicht ist es ja schlicht und ergreifend nur ein Defizit, an dem unsere akademische Jurisprudenz krankt … ein zwar fundamentales, aber eben nur ein Defizit.

Ein Defizit, das jedenfalls zu Zeiten von Aristoteles noch nicht toleriert wurde. Definierte doch Aristoteles einen unmoralischen Menschen als jemanden, der nicht nach Weisheit („sophia“) strebt, sondern bloß in „techne“ (pragmatischem Können) und „episteme“ (wissenschaftlicher Erkenntnis) steckenbleibt – und sich somit von „nous“ (der geistigen Existenz) abschneidet.

Dass das Streben nach Weisheit bzw. der Sinn des Lebens heute in Schule und Uni nicht gelehrt wird – obwohl wir als Land der Dichter und Denker diesbezüglich aus dem Vollen schöpfen könnten – mag aber auch den Grund haben, dass es für jeden Menschen einen individuellen Sinn und eine ganz spezielle Lebensberechtigung gibt, die nicht normierbar sind und daher für eine rein auf Verwertungslogik und Massenproduktion ausgerichtete Ökonomie nur störend wären. Konsequenterweise wird diese von Viktor Frankl als „spezifisch human“ bezeichnete noetische Dimension unseres Menschseins durch ein perfekt eingespieltes Räderwerk an Aus-Bildung und Unter-Haltung möglichst schon im frühkindlichen Stadium zugeschottert und zugeteert. Der Mensch folgt dann in seinem Leben einem weitgehend fremdbestimmten Lebensstil mit unzähligen Surrogaten und kommerziell erzeugten Illusionen (siehe auch: „Über Mercedes neue ‚Grow up‘-Kampagne und Chomskys Dressur zu Habsucht, Passivität und Unterwerfung“), die ihn jedoch sukzessive aushöhlen und schließlich leer zurücklassen. Nicht nur, dass der medial suggerierte Lifestyle mit dem  innersten Lebensanliegen des Menschen nichts zu tun hat – er ist diesem sogar diametral entgegengesetzt. Das heißt, der Abstand zum eigentlichen Anliegen nach „nous“ (von griech. nous=Sinn), das man als Mensch verwirklichen möchte, wird immer größer, je mehr man den Direktiven  der „Grow up“-Werbung folgt. Dementsprechend steigt auch der Grad an innerer Verzweiflung, von Frankl bezeichnet als „existenzielle Frustration“, sodass Depression laut WHO-Prognose schon demnächst  zur Volkskrankheit Nr. 1 avancieren wird (siehe Ärztezeitung).

Die zähe Teerschicht aufzustemmen und den Schotter abzuschaufeln, unter denen unsere ursprünglichen Lebensambitionen vergraben sind, ist keine Kleinigkeit und dauert mitunter viele Jahre. Kein Wunder also, dass sich viele Menschen diese Mühe erst gar nicht antun wollen und stattdessen lieber im Beat der ‚Grow up‘-Werbung in einem unterirdischen Lebensstil dahinvegetieren. Wer sich die Mühe zur Ergründung des Lebenssinns nicht machen will (Anm.: der zwar ein individueller ist, jedoch immer auch aufs Gesamte bzw. aufs Gemeinwohl hin orientiert ist, insofern praktisch gar nichts mit dem zu tun hat, was üblicherweise als „Selbstverwirklichung“ propagiert wird) , der gleicht allerdings Helmut Qualtingers „Wildem auf seiner Maschin‘ “, der auf die Frage, wohin er denn auf seinem Motorrad rase, antwortet: „I waaß zwar net, wohin i foahr … aber dafür bin i g‘schwinder durt! “

Der Dichter Christian Morgenstern schlägt daher eine ganz andere Orientierung vor. Seiner Ansicht nach ist im Leben alles für die Katz‘ und verläuft man sich nur in einem ausweglosen Labyrinth, wenn man „das Ziel“ (den Sinn des Lebens und der Menschwerdung) nicht kennt. Den „Weg“ des Menschen, von dem Dag Hammarskjöld meinte, dass man ihn keinesfalls verspielen dürfe (siehe „Weine, wenn du kannst …“), könne man demnach nur finden, wenn man von diesem Ziel weiß.

Wer vom Ziel nicht weiß (Christian Morgenstern)

Wer vom Ziel nicht weiß,
kann den Weg nicht haben,
wird im selben Kreis
all sein Leben traben;
kommt am Ende hin,
wo er hergerückt,
hat der Menge Sinn
nur noch mehr zerstückt.

Wer vom Ziel nichts kennt,
kann’s doch heut erfahren;
wenn es ihn nur brennt
nach dem Göttlich-Wahren;
wenn in Eitelkeit
er nicht ganz versunken
und vom Wein der Zeit
nicht bis oben trunken.

Denn zu fragen ist
nach den stillen Dingen,
und zu wagen ist,
will man Licht erringen;
wer nicht suchen kann,
wie nur je ein Freier,
bleibt im Trugesbann
siebenfacher Schleier.


(Biographie + weitere Gedichte Christian Morgensterns siehe oppisworld.de)


Allgemeines zur Kolumne „Endzeitpoesie 4.0 – Brennholz gegen Robotisierung und drohenden Erfrierungstod“:

Da in unserer aus den Fugen geratenden Welt vieles nicht mehr rational verstehbar und auch kaum noch ertragbar ist, brauchen wir dringend ein Gegengewicht aus dem Reich der Poesie … mit diesem geistigen Gegengift in den Adern wird vieles Unverständliche plötzlich wieder verständlich und Unerträgliches wieder ertragbar – oder noch besser: gestaltbar!

Denn die größte Lüge, die uns heute beigebracht wird, ist: dass der Einzelne ohnehin nichts tun kann. – Das genaue Gegenteil davon ist wahr: Es kommt auf jeden einzelnen an und das mehr als jemals zuvor. Und wie uns schon Dostojewskij erklärt hat, ist im Leben auch niemals etwas umsonst, selbst wenn eine Bemühung keinen sichtbaren Erfolg zeigt: „Alles ist wie ein Ozean, alles fließt und berührt sich; rührst du an ein Ende der Welt, so zuckt es am anderen.“

Gerade unsere geistlose Zeit braucht philosophische Gedanken wie eine Wüste das Wasser. Dieses Wasser – die Gedanken der großen Geister der Menschheit – gibt es schon lange. Aber die scheinbar alten – in Wirklichkeit ewig jungen – Gedanken bleiben nicht dieselben: Jeder, der sie aufgreift und verinnerlicht, färbt sie mit seiner individuellen Persönlichkeitsnote ein und bringt dadurch wieder ganz neue Farben in die Welt, die bisher noch nicht existiert haben. Und solche Farben braucht unsere grau gewordene Welt (siehe 1000 Gestalten.de) heute dringend – sie saugt sie auf wie ein trockener Schwamm das Wasser … damit wieder Neues, Kreatives, Menschliches entstehen kann.

In diesem Sinne wollen wir der pseudopragmatischen Alternativlosigkeit (siehe „Der Führer 4.0 – Er ist schon längst da“) die Gefolgschaft in den Grand Canyon verweigern und es lieber mit Ilija Trojanow halten: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. – Dann kann die scheinbare Endzeit zu einem neuen Anfang werden.

 

Endzeit-Poesie 4.0: „Weine, wenn Du kannst, doch klage nicht …“

e3_ Dag_Hammarskjold


Foto: Dag_Hammarskjold.jpg /UN/DPI derivative work: Bff

Trotz seines stillen Naturells gilt der UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld (siehe Biographie ) als einer der wohl legendärsten Politiker der Neuzeit. Schier unlösbaren internationalen Konflikten begegnete er stets mit einer auf dem heutigen politischen Parkett kaum noch vorstellbaren Empathie und Menschlichkeit, die er nicht einmal den scheinbar schlimmsten afrikanischen Despoten versagte. Die Menschen, die ihm am Verhandlungstisch gegenübersaßen, spürten dies. So kam es vor, dass afrikanische Herrscher einen umkämpften politischen Gefangenen, den die Welt schon verloren glaubte, am Geburtstag Hammarskjölds unerwartet freigaben – mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass sie diese Amnestie niemals aufgrund des westlichen politischen Druckes ausgesprochen hätten, sondern einzig aus Liebe und Wertschätzung zu Dag Hammarskjöld als Person.

Obwohl Hammarskjöld fast Tag und Nacht an seiner Friedensmission arbeitete, so behielt er selbst in Zeiten der aufreibendsten Konflikte seine Regel bei, sich zumindest eine Stunde am Tag vollkommen vom äußeren Treiben herauszunehmen und sich der innerlichen Betrachtung oder dem Studium geistig erbaulicher Literatur zu widmen. Mit der Kraft, die er daraus zu schöpfen wusste, vollbrachte er weitreichende weltpolitische Fortschritte, die sogar seine Gegner nicht für möglich gehalten hätten. Am Höhepunkt des Kalten Krieges gelang es ihm, die Vereinten Nationen neben den beiden Supermächten als dritte Kraft zu etablieren, die Sowjets wieder in die UN-Beschlussfassung einzubinden und die Suez-Krise zwischen Israel und Ägypten zu entschärfen. Dass es heute UN-Friedenstruppen, die sogenannten Blauhelme gibt, ist ebenfalls das Werk Hammarskjölds. Er glaubte an das Wunder der Vereinten Nationen und die Möglichkeit, Völker und Polaritäten durch übergeordnete Ideale zu versöhnen. Gegen Machenschaften der Geheimdienste, z.B. gegen von der CIA unterstütze Regierungsputsche in Südamerika verwehrte er sich mit aller Entschiedenheit. – Was würde Hammarskjöld wohl zu PolitikerInnen heutigen Zuschnitts sagen, die diese Geheimdienste als „unsere verlässlichen Freunde“ bezeichnen und selbst die halsbrecherischsten militärischen Konfrontationen achselzuckend abnicken?

Hammarskjöld wusste, dass die Bedrohung des nuklearen Zeitalters nur durch Kooperation auf Basis humanitärer Ideale und die Einrichtung einer nachhaltigen Friedensordnung abgewendet werden kann und widmete sich diesem Ziel mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft. Er war sich bewusst, dass er mit diesem Anliegen im diametralen Widerspruch zu den geostrategischen Plänen des militärisch-industriellen Komplexes arbeitete, vor dem uns bereits Eisenhower eindringlich gewarnt hat („Gott schütze dieses Land, wenn einmal jemand US-Präsident ist, der den militärisch-industriellen Komplex nicht so gut kennt wie ich.“ – siehe Abschiedsrede auf YouTube). Wer Hammarskjölds Tagebuch studiert, merkt, wie er den Tod als seinen ständigen Begleiter sieht und sich gewahr ist, dass jeder Tag sein letzter sein und er von der Bildfläche verschwinden könnte. Mit umso größerer Intensität trieb er seine Friedensarbeit voran, verzichtete bewusst auf Partnerschaft und Familie, um sich ganz seiner Aufgabe widmen zu können. In der Tat gilt seine sechsjährige Amtszeit heute als nicht mehr erreichte Hochblüte der UN und des internationalen Friedensprozesses, die allerdings schon kurz nach seinem unerwarteten Tod wieder jäh zurückgeworfen wurden.

Hammarskjöld starb am 17. September 1961 auf dem Höhepunkt der Kongokrise bei einem Flugzeugabsturz, dessen Umstände bis heute nicht geklärt sind. Im Zuge jüngster Recherchen (siehe Zeit) wurden starke Indizien zutage gefördert, dass Hammarskjöld einem Attentat westlicher Geheimdienste zum Opfer gefallen ist. Die zusammengetragenen Rechercheergebnisse waren immerhin so überzeugend, dass sich die UN-Vollversammlung am 29. Dezember 2014 für neue Untersuchungen aussprach.

Sein ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmtes Tagebuch inspiriert jedenfalls auch heute noch zahlreiche Menschen. UN-Generalsekretär Kofi Annan bekundete, dass er dann, wenn er in der internationalen Politik nicht mehr weiterwusste, sich an einen stillen Ort begab und sich innerlich fragte, wie wohl Dag Hammarskjöld jetzt an seiner Stelle handeln würde. Die im Tagebuch enthaltenen Verse sind von radikaler Ehrlichkeit, poetischer Kraft und philosophischer Tiefe, wie man sie sonst nur von Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“ kennt.

„Wie ermüdend, in der Rolle, die die unsere ist, zu einer Rolle gezwungen zu werden, die nicht die unsere ist: als den, der du im Innersten sein musst, um deine Aufgabe zu erfüllen, darfst du dich nicht zeigen – damit man dir gestattet, sie zu erfüllen.“

und einige Seiten weiter:

„Noch einige Jahre, und dann? Das Leben hat Wert nur durch seinen Inhalt – für andere. Mein Leben ohne Wert für andere ist schlimmer als der Tod.“

Zwei Monate vor seinem plötzlichen Tod verfasste Hammarskjöld das folgende Gedicht über den Weg und die individuelle Verantwortung des Menschen:

„Müde
und einsam.
Müde
bis der Verstand schmerzt.
Von den Klippen
rinnt Schmelzwasser.
Taub die Finger,
bebend die Knie.
Jetzt gilt es,
jetzt darfst du nicht loslassen.

Anderer Weg
hat Rastplätze
in der Sonne,
sich zu begegnen.
Aber dieser Weg
ist der Deine,
und es gilt jetzt,
jetzt darfst Du nicht versagen.

Weine,
wenn du kannst,
weine,
doch klage nicht.
Dich wählte der Weg –
und du sollst danken.“

(aus: Dag Hammarskjöld, „Zeichen am Weg – Das spirituelle Tagebuch des UN Generalsekretärs“, Pattloch Verlag 2001, S.176 f.)

Update 16.01.2019: Der Mord an Dag Hammarskjöld ist aufgeklärt – siehe KenFM und TheGuardian.

Allgemeines zur Kolumne „Endzeitpoesie 4.0 – Brennholz gegen Robotisierung und drohenden Erfrierungstod“:

Da in unserer aus den Fugen geratenden Welt vieles nicht mehr rational verstehbar und auch kaum noch ertragbar ist, brauchen wir dringend ein Gegengewicht aus dem Reich der Poesie … mit diesem geistigen Gegengift in den Adern wird vieles Unverständliche plötzlich wieder verständlich und Unerträgliches wieder ertragbar – oder noch besser: gestaltbar!

Denn die größte Lüge, die uns heute beigebracht wird, ist: dass der Einzelne ohnehin nichts tun kann. – Das genaue Gegenteil davon ist wahr: Es kommt auf jeden einzelnen an und das mehr als jemals zuvor. Und wie uns schon Dostojewskij erklärt hat, ist im Leben auch niemals etwas umsonst, selbst wenn eine Bemühung keinen sichtbaren Erfolg zeigt: „Alles ist wie ein Ozean, alles fließt und berührt sich; rührst du an ein Ende der Welt, so zuckt es am anderen.“

Gerade unsere geistlose Zeit braucht philosophische Gedanken wie eine Wüste das Wasser. Dieses Wasser – die Gedanken der großen Geister der Menschheit – gibt es schon lange. Aber die scheinbar alten – in Wirklichkeit ewig jungen – Gedanken bleiben nicht dieselben: Jeder, der sie aufgreift und verinnerlicht, färbt sie mit seiner individuellen Persönlichkeitsnote ein und bringt dadurch wieder ganz neue Farben in die Welt, die bisher noch nicht existiert haben. Und solche Farben braucht unsere grau gewordene Welt (siehe 1000 Gestalten.de) heute dringend – sie saugt sie auf wie ein trockener Schwamm das Wasser … damit wieder Neues, Kreatives, Menschliches entstehen kann.

In diesem Sinne wollen wir der pseudopragmatischen Alternativlosigkeit (siehe „Der Führer 4.0 – Er ist schon längst da“) die Gefolgschaft in den Grand Canyon verweigern und es lieber mit Ilija Trojanow halten: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. – Dann kann die scheinbare Endzeit zu einem neuen Anfang werden.

Am Rande bemerkt…

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Am Rande bemerkt...

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