Dienstag, 24.9.2013. Eifel. Es ist etwas faul in der Bundesrepublik Deutschland. Sorgfältig wird das eigentliche Funktionieren des politischen Geschäftes verdeckt. Die treibenden Kräfte, Motive und Absprachen und damit die Hintergründe und ursächlichen Zusammenhänge der Politik bleiben den Bürgern verborgen.
Umso schockierender wirkt es, wenn durch Zufall doch einmal die Nebelwand aufreißt und dem Bürger den Blick freigibt auf einzelne Teile des Netzwerkes von Macht und Interesse.
So Hans Herbert von Arnim im Vorwort seines Buch „Das System“, Droemersche Verlagsanstalt 2001.
Wir erleben gerade live einen solchen Zufall, alle, die lesen können, können ihn jetzt studieren. 12 Jahre sind ins Land gegangen, seitdem Hans Herbert von Arnim sein Werk „Das System“ geschrieben hat – und seitdem ist nichts gegen das „System“ unternommen worden. Es wirkt weiter, wird täglich teurer, frisst sich durch die Geldbörsen des „Urnenpöbels“, der „nur noch ein Bankkonto ist, von dem man abbuchen kann“ (nach Lisa Fitz).
Es scheint wie ein großes Wunder, dass das Werk von Arnims nicht zu einem großen Kurswechsel in der Politik geführt hat. Dringend wäre eine wirksame geistig-moralische Wende notwendig, um den Staat und das Gemeinwohl aus den Klauen skrupelloser, krimineller Selbstbereicherer zu entreißen – doch stattdessen hat sich das System seitdem perfektioniert. Es wählt von sich aus sein effektivstes Personal (seine Gallionsfigur) nach professionellen Gesichtspunkten (ostdeutsch, weiblich, mütterlicher Typ), am Besten eine Person, die so konturlos ist, dass sie keinerlei Widerstand wecken kann.
Zudem ist seit 2001 der Zugriff auf die Medien stärker geworden: das System kann sich sicher sein, eine gewisse Dominanz bei der Gestaltung von politischer Wirklichkeit zu besitzen. So sind einfache Formeln in den Urnenpöbel zu drücken: „Deutschland geht es gut dank Merkel“.
Deutschland geht es nicht gut. Noch nie hatten wir so wenig Kinder, noch nie war die Verschuldung zu groß, noch nie die Chance, durch ehrliche Arbeit an Geld zu kommen, so gering. Aber das System schreibt seine Wahrheiten selbst – das wusste auch von Arnim. Ein Beispiel dafür finden wir im Bildblog. Es geht um eine Riesenlügengeschichte, die die FAZ in die Welt gesetzt hatte: angeblich verdienen Niedriglohnempfänger weniger als Hartz IV. Die Geschichte war natürlich eine Lüge, jeder Hauptschüler hätte dies erkennen können – doch das hinderte andere Medien nicht daran, die Lüge zu verbreiten: Spiegel, Bild, Welt, Münchener Merkur, Hamburger Abendblatt: alle schlossen sich dem verlogenden Feldzug gegen die „faulen Hartzer“ an und pflegten so ein Feindbild, dass der Politik gerade gefiel.
Hartz IV war – so gesehen – der entscheidende Schlag des Systems gegen seine Kritiker. Die Kritik des Hans Herbert von Arnim hätte sonst übel enden können, immerhin war durch die Affäre Kohl soviel Dreck an die Oberfläche gespült worden, dass man ohne zu zögern die ganze Regierung hätte einsperren können und wahrscheinlich keinen Unschuldigen getroffen hätte.
Die Affäre Kohl ist heutzutage kaum noch einem bekannt, einer der Protagonisten hat heute ein hohes Ministeramt inne – noch immer ist ungeklärt, wo die 100 000 Euro Bargeld geblieben sind, die der Lobbyist Karl Heinz Schreiber Wolfgang Schäuble hat zukommen lassen.
Wer das System kennt, der weiß, dass es dort keine politischen Gegner gibt – im Kampf gegen das Volk sind sie alle Verbündete. Immerhin geht es um viel Geld und die Vertuschung einiger häßlicher Wahrheiten:
Wenn repräsentative Demokratie Regierung durch das Volk und für das Volk bedeutet (Abraham Lincoln), stellt man rasch fest, dass es in der Praxis des vermeintlich freiheitlichsten Gemeinwesens, das je auf deutschem Boden bestand, um diese Grundsätze nicht gut bestellt ist. Staat und Politik sind insgesamt in einem Zustand, von dem nur noch Berufsoptimisten und Heuchler behaupten können, er sei aus dem Willen der Bürger hervorgegangen
(von Arnim, a.a.O., Seite 19).
Die Bürger jedoch haben jetzt andere Probleme, als sich um Demokratie und Politik zu kümmern: dank Hartz IV hat jeder Chef in Deutschland eine enorme Macht über jeden Angestellten erhalten – und die Macht der Gewerkschaften hat sich im entsprechenden Ausmaß reduziert. Jede unbezahlte Überstunde, jeder gekürzte Urlaub, jede geforderte illegale Handlung, jedes eingeschränkte oder fortgenommene Grundrecht im Arbeitsprozess wird stillschweigend hingenommen, weil die Drohung „Hartz IV“ über jedem Deutschen schwebt – und gnade ihm Gott, wenn er auch nur den Anschein erweckt, er hätte nicht wirklich alles gegeben, seinen Arbeitsplatz zu behalten: staatliche Gewalt schneidet ihn ganz schnell von allen lebensnotwendigen Versorgungslinien ab – ein Tod für jede Armee …. und erst recht für einsame Bürger.
So wird die Kritik am System zum Hobby einzelner Bürger, die es sich leisten können – andere dürften nicht im Traum daran denken, solche Worte zu äußern: der Arbeitgeber könnte mit Unmut reagieren, die Arbeitslosenverwalter die Meinungsäußerung als Arbeitsverweigerung deuten.
Natürlich wirkt dieses Druckmittel auch auf Journalisten, deren Hauptaufgabe es geworden ist, die Gallionsfigur des Systems schön zu schreiben: Kritik an Angela Merkel kann mittelbar schnell zum Vorstellungsgespräch beim örtlichen Jobcenter führen, die den Konflikt mit dem Arbeitgeber als Arbeitsverweigerung deuten können: die wird in Deutschland inzwischen mit dem Entzug des Lebensberechtigungsscheins bestraft. Hand in Hand mit einer verschärften Strafrechtslage bei „Mundraub“ können so Delinquenten in erhebliche Nöte gebracht werden – was jedem deutschen Arbeitnehmer bewusst ist.
Selbstverständlich kann man unter diesen Umständen erwarten, dass die zu Systemschreibern und inoffiziellen Pressesprechern degenerierten Schreiber kräftig an der gewünschten Wirklichkeitsdefinition mitarbeiten (und so auch die Hoffnung haben können, selbst mal Pressesprecher zu werden), weshalb am gestrigen Tag alle über den Sieg der Angela Merkel jubelten – nur uns war aufgefallen, dass sie eigentlich ja gar keine Mehrheit hat. Später schloss sich Jakob Augstein dieser Sicht der Dinge an (siehe Spiegel):
Am Wahlabend sonnte sich die Kanzlerin in ihrem Glanz: „Das haben wir toll gemacht!“, rief Angela Merkel lächelnd. Aber stimmt das? Absolut Angela? Merkel Superstar? Wäre Merkel Königin oder Präsidentin, sie könnte sich als Wahlsiegerin feiern. Aber so monarchisch ist die deutsche Kanzler-Demokratie dann doch nicht. Als Kanzlerin hat Merkel die Wahl verloren. Ihre Regierung ist abgewählt. Eine eigene Mehrheit hat sie nicht. Die Opposition hat gewonnen.
Nun – Herr Augstein ist Mitinhaber des Spiegel: er kann sich solche Worte leisten. Andere machen ihren Job – und zwar querbeet. Überall wird Königin Angela in den Himmel gelobt – dabei ist ihr Wahlergebnis eines der schlechtesten, das die CDU je in ihrer Geschichte eingefahren hat: die war nämlich schon mal auf über 50% (siehe BpB). 42 % sind von diesen Adenauerergebnissen weit entfernt – wenn man Mathe kann und keine Angst vor dem Jobcenter haben muss.
Die Zeit läßt deshalb auch keinen Journalisten über alternative Optionen schreiben, sondern den Schüler und Hospitanten Christoph Pramstaller:
42,7 zu 41,5 Prozent steht es für Rot-Rot-Grün gegenüber der Union. Da ist es an der Zeit, persönliche Eitelkeiten und programmatische Differenzen beiseitezulegen. Rot-Rot-Grün vereint viel mehr als sie trennt.
Die Merkel-forever Positionen werden dann vom stellvertretenden Chefredakteur und einem Politikredakteur übernommen: das System gibt die Wirklichkeiten vor, innerhalb derer man sich bewegen darf.
Dabei wird langsam klar: Merkel ist fort.
Man hatte nicht mit einer derart hohen Wahlbeteiligung gerechnet: so flog die FDP heraus und die AfD kam nicht hinein. Die Gegner der demokratischen Meinungsbildung (von Ken Jebsen bis zu den deutschnationalen Reichsfreunden) haben mit ihren Appellen versagt: Gott sein Dank.
Das Wetter war gut, die Laune auch – also machte der Urnenpöbel von dem allerletzten Recht Gebrauch, das ihm zur Einflussnahme auf die Macht blieb: er verhielt sich so, wie sich Sieger verhalten und nutzte selbst die geringsten aller Chancen – und zwar erfolgreich.
Zwar gäbe es eine stabile „bürgerliche“ Mehrheit (nimmt man AfD und FDP mit ihren 9,5% zu dem Ergebnis der CDU dazu), aber nicht im Parlament.
Hier hat die 5-%-Hürde (und die bloße Anzahl der Wähler) das Schlimmste verhindert – sonst hätten wir jetzt eine Partei im Bundestag, deren Mitglieder schon mal den börslichen Handel mit eigenen Organen als Alternative zur Sozialhilfe im Auge hatten (siehe Nachrichtenspiegel).
Die Verhinderung eines Nichtwählersturms hat jetzt das System ins Wanken gebracht – auch wenn alle dagegen anschreiben: Merkel hat keine Mehrheit mehr. Basta.
Sie hat auch keine Partner mehr: die Grünen werden den Teufel tun und der FDP in den Abgrund folgen – eine natürliche Reaktion der Wähler bei der Wahl 2017, sollte die Partei ihre Prinzipien verraten. Natürlich fordert das System – und seiner bezahlten Schreiber – die Fortsetzung des Systems, dessen Gravitationsmittelpunkt Angela Merkel ist. Immerhin hatte man zur Sicherung der Position Merkels schon mal Roland Koch auf den Posten des Chefs eines Megakonzerns geschoben – wofür er die gleiche Qualifikation hat wie ich: gar keine. Aber das System macht so etwas möglich – auch SPD-Politiker sind in den Genuss wunderbar gut bezahlter Pöstchen bekommen, die man durch bloße Arbeit oder hohe Qualifikation nie erreicht hätte. Da Gallionsfigur soll keine Konkurrenz haben – wie es sich für Königinnen gehört.
Die SPD hat erst recht keine Lust, sich auf den Kurs zur 10-%-Partei zu machen – obwohl dass immer noch mehr ist, als sie verdient haben. Wie aktuell zu hören ist, will Horst Seehofer auch nicht mit den Grünen sprechen (siehe Spiegel), womit alle Spekulationen über eine Kanzlerschaft von Angela Merkel hinfällig sind.
Das System hat sich selbst Schachmatt gesetzt, weil es die drittstärkste Kraft im Parlament noch nicht in sich integriert hat. Das System? Nein, der Wähler war es. Er hat das System ausgehebelt – eine Armee von kleinen Ameisen, die durch viele kleine Kreuze Verhältnisse geschaffen haben, die man ehedem anders genannt hätte: „Deutschland ist unregierbar!“ – so hätten die Schlagzeilen früher gelautet, als der Zugriff des Systems auf die Presse noch nicht so ausgeprägt war.
Man hatte einfach nicht mit einer solch hohen Wahlbeteiligung gerechnet – die Prognosen sahen ja auch anders aus. Wären weniger zur Wahl gegangen – die FDP wäre noch drin. AfD auch. So jedoch … wurde wieder mal bewiesen, dass wählen gehen doch etwas nützt.
Was nun kommen wird?
Neuwahlen – bis die FDP wieder drin ist. Es wird eben so lange gewählt, bis es passt. Dann passen auch endlich die Schlagzeilen zur politischen Wirklichkeit – wie die des Spiegel heute:
Euphorie? Nicht doch. Angela Merkel gibt sich nach dem Wahlsieg entspannt, aber nicht übermütig. Die möglichen Koalitionspartner will sie nicht durch inhaltliche Vorgaben abschrecken. Die neue Macht der Kanzlerin bekommen die anderen noch früh genug zu spüren.
Wäre das System nicht das System, würde nächste Woche Gregor Gysi als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Der Stinkefingersozi hat abgesagt (und wäre aufgrund dessen schon unwählbar) und die Grünen lösen sich gerade auf. Grund genug zu sagen: ok, wir machen was draus: wählen wir den Gysi. Kommt auch aus dem Osten, hat sogar schon mal gearbeitet – und ein wenig soziale Kosmetik würde dem Land gerade ganz gut tun … was ja auch die CDU meint.
Man sollte der Opposition mal sagen: „Wenn Dein starker Arm es will, stehen alle Räder still“ – und Merkel kann ihre „Macht“ dann auf der Oppositionsbank entfalten.
Wir haben aber „das System“. Es funktioniert momentan nur mit Merkel. Alle verdienen sich auf Kosten des Urnenpöbels eine goldene Nase: dass will man nicht in Gefahr bringen.
Denn Rot-Grün ist nach der dritten Niederlage hintereinander auf Bundesebene keine Perspektive mehr, für Rot-Rot-Grün ist die Zeit noch nicht reif.
So lesen wir in der Zeit (s.o.). Die Zeit für rot-rot-grün ist nach Ansicht der Systemschreiber erst dann gekommen, wenn auch die Linke als neuer Emporkömmling so ins System gebunden wurde wie seinerzeit die Grünen. Aktuell stellen sie noch eine Gefahr für das System da: sie beziehen keine Großspenden aus der Industrie.
Ein Grund, dass sie den Kanzler stellen sollten – und sie das System auf den Kopf stellen dürfen.
Vielleicht erfahren wir dann endlich, wo die Schreiberspende an Schäuble geblieben ist … und wer wirklich die unbekannte Geldquelle des Helmut Kohl war.
Und wenn das System mit Neuwahlen reagiert: prima. Ich wähle täglich gern – und würde mir wünschen, dass wir wieder eine Wahlbeteiligung von 90% bekommen – wie damals, als man noch einen Willy Brandt wählen konnte.