Mittwoch, 29.8.2012. Eifel. Der kurze Sommer ist vorbei, das Thermometer zeigt sieben Grad. Kirschen gab es in diesem Jahr nicht, im näheren Umkreis haben die Kirschbäume schon vor Monaten angefangen, die Blätter abzuwerfen. Weil die Kirschen ausfielen, machten sich die Vögel über die Johannisbeeren her: keine einzige blieb für uns übrig. Natürlich ist das ein ganz normaler Sommer – jedenfalls scheinen die Medien den Auftrag bekommen zu haben, dies zu vermitteln. Im Rolling Stone gibt es aktuell einen Artikel, der das etwas anders sieht: die Temperaturrekorde fallen in den USA tausendfach. Die Folgen der Brände in den USA für die Ernährung der Welt sind noch gar nicht absehbar, ohne Mais sind viele unserer Produkte undenkbar (auch wenn das nicht gerne kommuniziert wird). Wir merken jeden Tag, das das Wetter verrückt spielt, das die Umwelt die Nase voll hat von uns Menschen – aber wir erfahren nicht viel darüber.
Man braucht wirklich nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, das es zum Thema „Umweltkatastrophe“ ein ähnliches Treffen im Kanzleramt gegeben hat wie zum Thema „Wirtschaftskrise“. Ach – schon vergessen? Am 8.10.2008 wurde unsere freie Presse zu Grabe getragen (siehe Freitag): die Kanzlerin bat die Chefredakteure der großen deutschen Medien zum Gespräch, um sie zu bitten, zurückhaltend über die Krise zu berichten – und die Damen und Herren folgten den Wünschen. Es ist so ziemlich die wichtigste Nachricht, die wir in den letzten zehn Jahren erhalten haben – und ich würde mir wünschen, das sie als Kopie an jeden Haushalt in Deutschland geht. Wer immer auch über „Verschwörungstheorien“ lacht, dem sollte angesichts dieses Treffens das Lachen im Halse stecken bleiben, handelt es sich hierbei im nichts Geringeres als eine Verschwörung von Regierung und Medien.
Gab es solche Treffen vielleicht auch zum Thema 11.9.2001? Zum Thema Irak und Afghanistan? Zum Thema Hartz IV?
Wir werden es nicht erfahren. Das einzige, was wir sicher wissen ist, das seit dem Tag die Möglichkeit besteht, das alle relevanten Nachrichten die wir erhalten von der Regierung gesteuert werden – als Belohnung gibt es dann fürs Ego ein Tänzchen mit der Kanzlerin auf dem Bundespresseball. Damit wäre die Zentralsteuerungshypothese (eine der großen Verschwörungshypothesen) mitten in Deutschland Realität geworden – alles im Dienste der Vernunft und der allgemeinen Abzocke bei Diäten, Arzthonoraren, Preisen und Bonuszahlungen.
Wer ist aber nun Schuld an der ganzen Misere?
Die Antwort auf die Frage ist einfach: DER VERBRAUCHER. Also wir alle. Das hören wir an allen Ecken und Enden, geben uns schuldbewusst und spülen deshalb noch schnell den Yoghurtbecher, bevor wir ihn in die Gelbe Tonne geben.
Jeder Kauf ist ein Produktionsauftrag – und deshalb trägt der Verbraucher selbst zu hundert Prozent die volle Verantwortung für den Untergang der Wirtschaft, der Umwelt und der Demokratie.
Das wirkt logisch und überzeugend.
Setzen wir uns dann aber mal ganz ruhig hin und denken nach, dann … werden wir etwas stutzig.
Wann haben wir eigentlich den Auftrag gegeben, Autobahnen zu bauen? Wann haben wir den Auftrag gegeben, Plastik zu erfinden? Wann gaben wir den Auftrag zur Entwicklung der Atombombe? Hätten wir wirklich den Individualverkehr gegen alle Vernunft so sehr ausgebaut wie heute, wenn wir von den Folgen gewusst oder Alternativen gehabt hätten? Hätten wir wirklich die antisoziale, isolierende und für maximalen Umweltschaden sorgende Einfamilienhauswohnkultur vorangetrieben, wenn man uns die Wahl gelassen hätte? Immerhin – in Zukunftsvisionen der sechziger Jahre gab es noch die Utopie vom Superhochhaus inmitten von wunderschönen naturbelassenen Parks, die über rein unterirdische Schienenwege versorgt wurden und ein Maximum an Lebensqualität bei einem Minimum an Umweltbelastung boten.
Wenn wir wirklich so allein verantwortlich sind für all den Konsum … wozu gibt es dann eigentlich Werbung? Wieso fließt soviel Geld, technisches Geschick und künstlerische Intelligenz in die Werbung, wo wir doch selbst bestimmen, was wir kaufen wollen?
Gehen wir weg von den großen Perspektiven und lieber hin zu den kleinen … den Kindern.
Schon mal gemerkt, wie intensiv die Fabrik um die Kleinsten wirbt, damit die ihren Massenmüll abnehmen? Ich habe aus diesen Gründen den Fernsehempfang komplett abgeschafft – und schauere zutiefst seit diesem Entzug, wenn ich mal wieder Kinderprogramm im Krankenhaus schauen darf: soviel geballte Manipulation mit Bildern, Klängen, Farben, Formen und Geschichten prallt da auf kleine, ungeformte Kinderhirne, die sich gerade mühselig in der Welt orientieren müssen, das man sich wundert, das das nicht verboten ist in einer Welt, die Videospiele verbieten will, weil sie für Amokläufe verantwortlich sein sollen.
Die Werbung ist auf jeden Fall verantwortlich für den Krieg auf den Schulhöfen, dort geht die Saat der Fabriken völlig auf, Abweichler werden mit psychischer und physischer Gewalt in Reih´ und Glied gebracht oder ins völlige soziale Abseits gedrängt, weil ihr Handy nicht trendy genug ist, sie es wagen, als „Takkolord“ am Lernort zu erscheinen oder die neusten Label nicht aufgenäht haben: alles gesteuert von der Werbung.
Die Bruttoinvestition in Werbung beträgt knapp 30 Milliarden Euro jährlich – in Deutschland. Ausgaben für die Grundsicherung (Hartz IV) betragen 33 Milliarden – man sieht: eine Verdoppelung des Regelsatzes wäre bei gleichzeitigem Abbau des Manipulationsetats der Fabriken möglich … und ich bin mir sicher, das dann auch die Ausgaben für unnützen Blödsinn enorm sinken.
Kehren wir aber zurück zum kleinen Mann auf dem Schulhof, der gerade hohes Ansehen genießt, weil er alles hat, was „in“ ist – inklusive Haargel. Der soziale Druck, der mit 30 Milliarden Euro erzeugt (und in vielen Berufen durch Arbeitsverträge flankiert wird), bleibt bestehen, wird durch die Personalbüros der Fabriken fortgesetzt und von einem Heer von Journalisten unterstützt: die Anzahl der modernen Blockwarte, die darauf achten, was man isst, trinkt, anzieht, wie und mit wem man wie schläft, wo man abends hingeht, was man in seiner Freizeit tut (man denke nur an den Leibesertüchtigungshype: „fit for job“) ist unermesslich groß – und mittendrin steht das kleine Individuum, das sich sehr seltsam fühlt … fast wie ein Indianer, der von einer fremden, überwältigenden Macht heimgesucht wird, die ihm sein ganzes Leben nimmt (siehe Eifelphilosoph im Freitag).
Das kleine Individuum kommt nicht auf die Welt mit dem Auftrag sie zu retten – es hat erstmal nur den Auftrag, sich in der Welt zurecht zu finden. Noch bevor er aber auch nur einen einzigen klaren, mündigen Gedanken denken kann, kommt er mit sechs Jahren schon in die Schule – und sieht sich auf den Schulhöfen mit unzivilisierten Zuständen konfrontiert, die denen des dreissigjährigen Krieges gleichen: unkontrollierbare Banden üben dort die Macht aus – gerne auch mit Gewalt. Der Pöbel regiert dort jenseits jeder bürgerlichen Gesetzgebung, jenseits jeder Vernunft oder Herzensgüte.
Danach kommt eine Arbeitswelt, die krank macht, uns per Leiharbeit zu ewiger Armut verurteilt und die notfalls auch per Hartz IV ausführen lässt. Im Alter dürfen wir dann – mühevoll mit Medikamenten am Leben erhalten – weiterhin Akkordarbeit leisten (siehe Spiegel) – wer in seinem Leben nicht genug zusammengerafft hat, dem droht im Alter Vernichtung durch Arbeit … schon immer der spezielle deutsche Weg im Umgang mit Armen, Alten und Schwachen.
Und diese Menschen sollen jetzt auch noch die Verantwortung für den Untergang der Menschheit übernehmen?
Sicher, sie konsumieren viel. Viel zu viel.
Aber warum tun sie das?
Zeigen wir ihnen täglich Bilder von dem Plastikmeer im Pazifik, das mittlerweile die Größe Westeuropas erreicht hat? Erwähnen wir täglich dreissig Mal, das inzwischen sechsmal soviel Plastik im Meer ist wie … Plankton? Wissen Sie, welches Plastik in ihre hormonellen Körperfunktionen eingreift … und wir schon soviel davon produziert haben, das wir sechsmal den Planeten damit umwickeln können? Selbst über diesen alltäglichen und lebensgefährlichen Stoff wissen wir nicht alles, weil die konkrete Zusammensetzung der jeweiligen Kunststoffe Betriebsgeheimnis der Fabrik ist – näheres hierzu siehe Plastik Planet.
Zeigt etwa die Regierung (die ja im Prinzip Ausdruck unseres gemeinsamen Willens sein sollte) die notwendige Entschlossenheit im Kampf gegen die Weltvernichter und verbietet konsequent Plastik, SUV´s und Flugverkehr auf deutschem Boden? Wie sollen wir dann glauben, das diese Klimageschichte wirklich tödlich ernst ist? Den tödlichen Ernst werden wir in den nächsten Jahren erleben, wenn eine Nahrungsmittelknappheit ungeahnten Ausmasses über die Menschheit hereinbricht und über Terrorpreise auch den deutschen Endverbraucher vernichtet.
Jedenfalls den, der sich dem allgemeinen Raffen und Rauben bisher aus ethischen Gründen entzogen hat.
Wenn wir wirklich dem Individuum die Möglichkeit geben wollen, Verantwortung zu übernehmen, dann müssen wir ihm auch die Souveränität übergeben, dies tun zu können – und das heißt: zivilisationskritische Bildung vom Kindergarten an bis hin ins hohe Alter.
Wenn die dann noch einen Plastikjoghurt bei Aldi kaufen, nach Malle zum saufen fliegen oder TV schauen anstatt wandern zu gehen: dann dürfen wir sie verdammen.
Vorher – sind sie so schuldig wie Schafe, die von Hunden gejagt und gelenkt werden.
Und alle die, die mit dem großen Finger auf den Verbraucher zeigen, sollten wissen, das sie vor allem eins sind: Blogwart der Fabrikkultur – den hohen Herren in den Konzernetagen, dort, wo Wissen, Geld, Macht und gesellschaftlicher Einfluss maximiert werden, ist das nur recht.
Was sie wirklich machen würden, wenn die Bürger sich als Konsumenten mal anders entscheiden, sehen wir am Beispiel Atomkraft. Die wollen wir seit dreissig Jahren abschaffen, wir wissen alle, das das Teufelszeug ist (sogar für die Kirche) – die Atomeier stehen aber immer noch herum. Und jetzt denken wir mal, wie die toben werden, wenn alle leben wie ich: kein Fernsehen, kein Urlaub, kein Handy – wir würden die heftigsten Werbungs- und Sozialkontrollaktionen der Bundesgeschichte erleben … und im Kampf gegen die Hippies haben wir das schon erlebt: da wurde dann ganz schnell der Yuppie als Gegenmodell aufgebaut und mit viel Geld durchgesetzt, was allen gelebten gesellschaftlichen Alternativen ein schnelles Ende bereitete.
Wir machen uns sehr viel vor, wenn wir von der Macht der Verbraucher träumen und ignorieren völlig die Macht der Gegenseite. Sicher, man kann Gewissensberuhigungsprodukte kaufen – aber damit hindert man die Fabriken nicht daran, nach den Kindern zu greifen, um eine neue Generation von Konsumzombies zu züchten, die erstmal vierzig Jahre stramm durchlaufen, bis das Alter sie zur Weisheit verführt – allerdings merken wir zu diesem Zeitpunkt auch, das wir mit vierzig in der modernen Leistungsgesellschaft langsam zur „unerwünschten“ Person geworden sind und froh sein müssen, nicht im nächsten Winter nackt im Schnee ausgesetzt zu werden (wiewohl das manchen Hartz-Opfern in der Tat geschieht).
Bis dahin jedoch … sind wir wie Indianer, die begeistert die Glasperlen der Räuber annehmen, ohne wirklich zu ahnen, was das heißt: „das Land verkaufen“.
Und wenn wir das dann merken, geht es uns ähnlich wie den Indianern: es ist zu spät – viel zu spät – das Ruder herumzureißen.
Gott sei dank gibt es aber diese Treffen zwischen Regierung und Medienbossen, in denen beschlossen wird, was wir wissen dürfen und was nicht. Das hält die Zahl der aufmerksamen Menschen dann noch zusätzlich gering.
Es sieht gar nicht gut aus mit Deutschland. Zum Beispiel mit den Medien. Unter der Ankündigung „Mittelmaß und Wahn: Wie das deutsche Fernsehen verödet“ widmete die Süddeutsche Zeitung eine ganze Seite über die „ödeste Gleichförmigkeit“ im TV. Beklagt wird das Fehlen von Kreativität in der Sender-Bürokratie. „So wenig Niveau war nie!“ konstatiert auch auf 320 Seiten ein Buch mit dem Titel „Die verblödete Republik. Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen“. Ob falsche Betroffenheit in Talkshows, prollige Vorbilder wie Mario Barth oder Dieter Bohlen, von Supernannys statt von ihren Eltern erzogene Kinder. Und Medien entscheiden immer öfter über Karrieren von Politiker und „Menschen des öffentlichen Lebens“, wie wir gerade jetzt erleben.
Max Weber formulierte in Bezug auf das Handeln drei Maximen und zwar Leidenschaft, Augenmaß und das Bewusstsein zur Verantwortung, wie folgt:
„Das Engagement für die Schwachen, gegen die Mächtigen; für die Kleinen, gegen die Großen; für die Unterdrückten, gegen die Unterdrücker; für die Minderheit, gegen die Mehrheit; für die Verfolgten, gegen die Verfolger.“
Die Theorie besagt, dass die Medien als Wächter im Staat und Hüter der Demokratie fungieren sollen. Die Verantwortung der Journalisten/ der Journalistin sollte im Wesentlichen darin bestehen, den Prinzipien der Vollständigkeit, Objektivität und Verständlichkeit in Bezug auf die Informationen treu zu bleiben. Werden diese Prinzipien nicht eingehalten besteht die Gefahr des Gefälligkeit – Journalismus oder sogar des willkürlichen Unterdrückens von Informationen.
Heinz Pürer in (Recht und Medien) führt hierzu aus:
„Die klassischen Massenmedien Zeitung, Zeitschrift,Radio und Fernsehen erfüllen in pluralistischen Systemen eine wichtige Aufgabe: Sie sind unverzichtbare Instrumente, um unabhängig von staatlichen Einflüssen und in vielfältiger Weise Öffentlichkeit über
bedeutende Vorgänge in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur herzustellen“.
Aber heute bleibt festzuhalten.
Medien sind machtvolle Wirtschaftskonzerne und agieren so, dass sie eher die Durchsetzung ihrer Machtinteressen und die Haltung ihrer Marktposition in den Vordergrund stellen, als die Durchsetzung demokratischer Vorstellungen.
Wenn wir uns heute die Medienlandschaft ansehen, dann muss man sich die Frage stellen, ob die Medien ( egal ob gedruckte Medienprodukte oder Rundfunk/Fernsehen) ihrer Rolle in der Gesellschaft überhaupt noch nachkommen. Das erscheint mir um so wichtiger, wenn man die Medienberichte im politischen und gesellschaftlichen Bereich genauer betrachten. Aber auch Inhalte und Gestaltungsformen vor allem von Fernsehsender lassen daran zweifeln, ob Medien ihre Aufgabe im Staat überhaupt noch nachkommen (können). Die journalistische Ethik fällt in unserer Zeit, immer mehr, dem Druck des ökonomischen Erfolges der Medien als Unternehmen zum Opfer. Deutlich sind Tendenzen der Skandalisierung, Verflachung von Inhalten der Medienprodukte sind zu beobachten, was der Demokratie nicht förderlich ist, sondern eher als abträglich bezeichnet werden muss, wenn nicht sogar verwerflich.
Es ist schon bemerkenswert, wenn Verantwortliche von Medien z.B. Gewalt beklagen und den Staat aufrufen dagegen was zu tun und im gleichen Medium Filme gezeigt werden, in dem gemordet, entführt,vergewaltigt und sonstige Gewaltdarstellungen gezeigt werden, fast rund um die Uhr. Gleiches gilt für die unzähligen Glücksspielsendungen und das hinweisen auf Suchtgefahr bei Glücksspielen, welche den Bürgerinnen und Bürgern im Alltag angeboten werden. Da findet man keinen nennenswerten Unterschied zwischen Privatsender und Öffentlich Rechtlichen Fernsehen, auch hier wird gemordet, gezockt, bereits im Vormittagsprogramm.
Das kann man vergleichen mit dem Beispiel, wenn man ein Schnitzel zu Mittag isst und dann den Metzger wegen Tiertötung anzeigt.
Den zynisch klingenden Ausdruck »Unterschichtenfernsehen« verdanken die Medien Harald Schmidt, dem erfolgreichsten Zyniker der Branche. Schmidt setzt den Begriff in seiner Sendung als Dauerpointe ein. Vorzugsweise in den Privatsendern spielt das „Unterschichtenfernsehen „ tägliche eine große Rolle. Arbeitslose spielen Arbeitslose, und Arbeitslose schauen ihnen zu. Menschen werden vorgeführt, erniedrigt auf einander gehetzt als wäre dies gesellschaftliche Normalität, was es nicht ist.
Auf Kritik reagieren die Macher solches Schrottfernsehens oft dünnhäutig. Ein RTL-Direktor zum Beispiel, äußerten sich, auf Anfrage von Zeit online, zum Begriff „Unterschichtenfernsehen“: .. „schon den Begriff empfinde ich als maßlos arrogant und soziologisch hetzerisch“ und „Unterschicht, allein das Wort sei menschenverachtend „, sagte eine Sprecherin von Sat.1. Und auch ein Chef des Senders Sat.1, hat grundsätzliche Probleme mit dem Thema. Er sagt: „Ein Fernsehmacher sollte sich vom Begriff des Unterschichtenfernsehens distanzieren. Es ist der herablassende Blick von oben herab, der noch nie hilfreich war.“
Hört sich gut an, aber die Praxis ist anders. Da kennen wohl einige Fernsehmacher ihre eigene Fernsehformate nicht. Es verwundert nicht, dass die schreibenden Medien sich gleicher diskriminierender Berichterstattung über die sogenannte „Unterschicht“ bedienen. Ich sehe es als nicht notwendig an, an dieser Stelle, Beispiele auszuführen, die üblich Verdächtigen dürften der Mehrheit der Leser bekannt sein. Worauf ich aber noch eingehen möchte, ist die Tatsache, dass Politikern und Vertretern der Wirtschaft sich diesen diskriminierenden Sprachschatz zu eigen gemacht haben. Dieser diskriminierende Sprachschatz wird in diversen Talkshows bei den Privatsendern, wie auch bei den Öffentlich Rechtlichen Sendern der Zuschauer gerne mitgeteilt. Unterschicht, Bildungsferne Unterschicht, soziale Entfremdung einzelner gesellschaftlicher Gruppen, ja auch der Begriff Wohlstandmüll (und vieles mehr), sind in Talkshows gefallen und fanden den Weg in die Wohnzimmer der Zuschauer.
Böse Zungen behaupten, dass niveaulose Medienberichte der Presse und Fernsehen der herrschenden Schicht, Politikern nur gelegen kommt, um das Volk künstlich dumm zu halten oder dumm gemacht werden soll. Wer anspruchslose und sinnfreie Medienberichte unkritisch betrachtet, nach dem Motto, mir doch egal, bei denen haben die betreffenden Medien ihr Ziel erreicht. Quote und Auflagen, rechtfertigt nicht, den Schrott der zu sehen oder zu lesen ist.
Pressefreiheit und Medienfreiheit darf nicht unkontrolliert bleiben. Der Verbraucher, also wir, sind die Wächter und Kontrolleure, stehen hier in der Verantwortung und bestimmen die Quoten und Auflagen.
Dazu noch einen Kommentar zum Thema Medien und Bildung von Georg Schramm.
Ein völlig uninteressanter Streit tobt gerade in den Kommentaren der großen Zeitungen. Da ist ein Spiegelredakteur Katholik geworden – oder war es vielleicht schon immer. Warum sollte das auch nicht möglich sein, dies ist ein freies Land – und gerade in religiösen Dingen sollte es keine Vorschriften geben. Wir brauchen doch wohl nicht wieder eine heilige Inquisition, die uns vorschreibt, was wir glauben dürfen und was nicht?
Erschreckend finde ich, das es diese Inquisition dann doch gibt, auch wenn sie noch keine erkennbaren Scheiterhaufen aufgehäuft hat. Noch erschreckender ist die Dummheit, die Intoleranz und Ignoranz, mit der argumentiert wird, wobei ich unter Dummheit hier verstehe, das man einerseits auf Wissen zum Thema dankend verzichtet, andererseits aber auch nicht gewillt oder fähig scheint, seinen Kopf zu gebrauchen.
Sicher ist Religion ein schwieriges Thema. Deshalb darf man sich aus der Diskussion ja auch heraushalten – das ist erlaubt. Man muss sich nicht zu Religion bekennen noch über sie urteilen. Wie will man das auch? Unsere naturwissenschaftliche Methodik befasst sich mit Dingen aus dem Bereich der Natur, Religion (und zunehmend auch die Physik) mit Dingen dahinter. Alle zitieren mit einer Träne im Augen nahezu täglich den „Kleinen Prinzen“: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“ – aber keiner will die Konsequenz daraus ziehen. Religiöse Wahrheiten sind offensichtlich keine Wahrheiten des Verstandes – wollten sie auch nie sein – sondern Wahrheiten des Herzens. Das sie also nicht in die Raster der Vernunft zu pressen sind, spricht in erster Linie gegen die Vernunft – oder zeigt halt ihre Grenzen auf, die schon erreicht sind, wenn wir über die Grundlagen der menschlichen Erkenntnis reden – aber nicht gegen das weite Feld von Religion.
Im Streit um Religion werden erwachsene Männer schnell wieder zu kleinen Kindern und jammern groß darüber, wie Gott nur den Untergang der Titanic oder der Estonia zulassen konnte. Mal unabhängig von der Tatsache, das Gott weder die Titanic gebaut noch sie vor den Eisberg gesteuert hat: wie groß wäre denn das Gejammer, wenn er dirigistisch in unser Leben eingreifen würde? Vielleicht tut er das sogar gelegentlich noch mal, eigentlich glaube ich aber nicht daran. Es würde nicht zum Geschäft gehören. Einerseits soll der Mensch frei sein, tun und lassen können was er will, andererseits ist im Verständnis der Religionen die Welt wie wir sie sehen nicht so wichtig – oder sogar teuflisch. Letzteres ist eine Erfahrung, die gerade Teldafaxkunden machen: der von der Regierung mit großer Lust deregulierte Strommarkt wird zu einer bösen Falle wie vorher schon der deregulierte Arbeitsmarkt oder der regulierte Finanzmarkt zu bösen Fallen für Menschen wurden.
Im Verständnis der Religionen ist der Mensch – huch – selbst verantwortlich für seine Kriege, seine Vernichtungslager, seine Atombomben, seine Arbeitsmarktreformen und seine Anlagestrategien. Was ist denn das für eine Einstellung, die völlige Freiheit für menschliches Handeln fordert, doch wenn es schief geht, übernatürliche Zauberkräfte als rettende Kavallerie einfordert? So denken Babys, wenn sie die Windel vollmachen – oder aber Banken, wenn ihre eigenen Zauberkunststücke – wie zu erwarten – schief gehen.
Das ist mehr als albern – funktioniert aber, wenn man Bank oder Baby ist, nur sind es Menschen, die dort zu Hilfe kommen. Babys sind für die Hilfe dankbar, Banken erhöhen aus Dank erstmal die Zinsen und ruinieren dann fröhlich weiter die Volkswirtschaften zum Zwecke der eigenen Bereicherung.
Man fragt sich, warum es eigentlich diesen Streit gibt. Man hätte ihn ignorieren können wie den Prozess um diesen Kachelmann. Doch ebenso wie der Kachelmannprozess lässt diese Auseinandersetzung tiefer blicken als es einem lieb ist.
Es geht hier um nichts anders als das Versagen sämtlicher gesellschaftlicher Ordnungssysteme, die den ehemaligen Kulturchef des Spiegels in die Religion getrieben haben – und das „moderne“ Menschen wie er Zuflucht in der katholischen Kirche suchen zeigt sehr deutlich die Zerrüttung unserer gesellschaftlichen Grundüberzeugungen.
Es wird gerade in diesen Zeiten fast täglich ersichtlich, wie sehr wir den Karren vor die Wand gefahren haben. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Presse nicht süffisant über das Erlahmen des bürgerlichen Widerstandes (und seine Sinnlosigkeit) schmunzelt oder sich über bürgerlichen Zorn echauffiert, der die Parlamente stürmt. Nach dem Ende des Kommunismus zerstört der Kapitalismus noch eben die bürgerliche Gesellschaft, bevor er zeigt, das er ebenfalls unfinanzierbar ist.
Es kommt zur Wunschträumen über neue kommunistische Umwälzungen und sozialfreundliche Umsturzversuche, die allesamt leugnen, das neben dem Kapitalismus auch der Kommunismus versagt hat und eine Neuauflage alter Ideologien nicht automatisch eine Antwort auf moderne Probleme gibt.
Übrig bleibt: die Religion.
So unangenehm diese Wahrheit auch ist: wenn wir so weiter marschieren, dann wird der Papst gewinnen. Nicht der Zen-Buddhist, der Schamane oder der protestantische Theologe, sondern der Papst, gewählt, um das zweitausend Jahre alte Schiff der katholischen Kirche in dunklen Zeiten durch die Unwetter zu steuern, die moderne Naturwissenschaften, die industrielle Kultur und der Konsumwahn entfacht haben.
Wer die Evangelien (die „frohen Botschaften“) mal selber liest, der wird sehen, das sie von der Weltsicht der von der Kirche massakrierten Katharer gar nicht mehr so weit entfernt sind: die Welt wird regiert vom Teufel, er steckt selbst im Detail. Und wer sich an das Schicksal der „reingläubigen“ Katharer erinnert, dem graut vor dem Sieg des Papstes: die friedliche christliche Botschaft ernst zu nehmen wird auch in kirchlichen Kreisen nicht gern gesehen.
Die Überzeugung, das die Religion als Solche Feind der Mächte dieser Welt geworden ist, scheinen viele Mächtige zu teilen – so wird der Krieg des Westens gegen den Islam auf einmal recht plausibel, umgekehrt versteht man, warum Moslems gerade die USA für den „großen Satan“ halten. Die US-Kultur prägt die Moderne wie keine andere Kultur, hat im Siegeszug nationale Kulturen jeder Art völlig verdrängt und wird – wie es momentan aussieht – die Weltwirtschaft in den größten Knall der Menschheitsgeschichte hineinführen, einen Knall, auf den sie sich seit Jahrzehnten gezielt militärisch vorbereitet.
Und was hat uns als Menschheit zerrüttet?
Unsere Verführbarkeit – wie schon in der Paradiesgeschichte. Dort waren es verbotene Äpfel, hier sind es Glitzerperlen der Konsumkultur. Wir sind da nicht besser dran als die „Indianer“ Nordamerikas, die ihr Land, ihr Glück und ihre Gesellschaftsordnung für ein paar Glasperlen und ein Metallmesser verkauft haben. Wenigstens erinnern wir uns noch daran, das es ihre freiheitliche Verfassung war, die unsere Aufklärung überrascht … und geprägt hat.
So ist es schon eine gewisse Ironie des Schicksals, das die westliche Kultur der Aufklärung nun ebenfalls das Schicksal der Irokesen teilt. Der politisch freie Mensch des Westens streitet sich über die Fahrtrichtung eines Autos, dessen Tankinhalt von jenen Konzernen bestimmt wird, die auch für Reparaturen und Straßenbau sorgen. Die Freiheit, die wir nach dreihundert Jahren Aufklärung erleben dürfen, ist die Freiheit eines Lastesels. Dem Versuch, dem Fluch der Arbeit zu entkommen, haben NSDAP und SPD die Verherrlichung des Fluches entgegengesetzt – was bleibt da noch anderes übrig, als sein Heil in der Kirche zu suchen, die als letzte menschliche Organisation noch zugibt, das Arbeit mühsam und eigentlich eine Strafe ist, was arbeitende Menschen jeden Tag erleben dürfen – falls wir überhaupt noch Arbeit haben.
Die katholische Kirche – als Unternehmen – fasziniert Menschen quer durch alle Bildungs- und Glaubensschichten. Während durchschnittliche Firmen nach 40 Jahren vom Markt verschwinden, hält sich diese Firma seit Jahrtausenden über Wasser, präsentiert sich als älteste Organisationsform der Menschheit und als eine Ideologie, die recht behalten hat mit ihren Warnungen den Kräften, die sich letztlich wirklich hinter der wohlgemeinten Aufklärung austobten.
Und so steht am Ende der Weltgeschichte der Triumph des Papstes über die Naturwissenschaften, die nur Kräfte entfesselt haben, die sie nicht beherrschen konnten, über die Politik, die selbst nur noch wortreich und kunstvoll ihre alternativlose Ohnmacht formuliert und über die menschliche Gesellschaft, die nach allen Versuchen, ohne Gott und Kirche auf eigenen Beinen zu stehen, kläglich gescheitert ist und nur deshalb Gott verflucht, weil er nicht als Kindermädchen auftritt und alles wieder heil macht, was der Mensch zerstörte.
Wir sehen also: der Streit ist an sich gar nicht so uninteressant.
Nur sind die Wahrheiten, die ihn tragen, ziemlich hässlich.
Wir sind von Krisen umzingelt: Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Staatsschuldenkrise, soziale Krise – so lässt sich die Metamorphose der aktuellen ökonomischen Krise kennzeichnen. Und die Umzingelung wird immer enger: Zunächst waren es ja hauptsächlich Zahlen, Indizes, die ins Bodenlose stürzten. Bald sind es soziale Netze, die zerreissen – und Menschen, die fallen. Und dann ist die Krise ganz bei uns angekommen, klopft an unsere Haustüre, tritt ein ins Wohnzimmer. Hallo, ungebetener Gast! Du bist falsch hier. Geh zum Nachbarn! Bitte nicht bei mir!
Doch das ist ja nur die eine, die wirtschaftliche Seite. Hinzu kommt die Umweltkrise, letztes Jahr drastisch vor unsere Augen geführt im Golf von Mexiko, wo über Wochen Rohöl unaufhaltsam in den Ozean floss. Auch in diesem Bereich wird die Umzingelung enger: Die oft recht abstrakten Formen der ökologischen Bedrohung – zum Beispiel des Klimas durch die Erwärmung um mehrere Grade im Lauf der nächsten Jahrzehnte – werden auch hier anschaulicher, unübersehbar, brutal. An allen Enden und Ecken wird unser System ad absurdum geführt. Problemlos liesse sich ein ABC der Krise erstellen: von der Krise der Arbeit über die Krise der Beziehungen (der Geschlechter) bis zur Krise der Zeitungen.
Nicht dass die Entwicklung neu wäre. Das Ungleichgewicht, die Vereinseitigung wurde schon vor Jahrzehnten diagnostiziert – und seit langem von vielen Menschen schmerzlich empfunden. Das legendäre 1968 war zum Beispiel so ein Aufbegehren gegen das quadratische Denken, das dumpfe Fühlen und das blinde Handeln. Und viele weitere Revolten und Rebelliönchen folgten, verzweifelte Versuche, der wütenden Einverleibung der Welt und unserer selbst durch die Logik des Marktes und des herzlosen Fortschritts etwas entgegenzusetzen. Die Entwicklung hat sich beschleunigt; insbesondere seit 1989 ist sie in ihre Turbophase eingetreten. Und inzwischen sind wir Menschen zu Konsumenten degradiert und nur noch ein Mittel zum Zweck. Die Wirtschaftszahlen entscheiden über unser Sein oder Nichtsein.
Doch wir liessen das auch einfach geschehen, haben brav mitgemacht, wollüstig zuweilen und in gemeinsamer Raserei. Wir haben zugelassen, dass man uns auf unsere leiblichen Bedürfnisse reduziert, haben mit der Zeit selbst geglaubt, was uns PR und Werbung vorgaukeln. Wir haben uns kaufen lassen – aus Trägheit, aus Mangel an Lebendigkeit und selbständigem Denken, aus fehlendem Verantwortungsbewusstsein auch. Wir haben uns vom Wesentlichen ablenken lassen, sind mit sattem Bauch vor dem Fernseher eingedöst. Selber schuld! Wir hätten es anders haben können.
Und nun schrecken wir aus dem Dauerschlaf. Und das ist gut so. Erwachen ist unsere einzige Chance. Und es schadet nichts, dass wir durchgeschüttelt werden. Das gehört zum Aufwachen – und hilft, dass wir nicht so schnell wieder einschlafen und ins Alte zurückfallen. Denn das ist eine der grössten Gefahren: nichts aus der Krise gelernt zu haben, mechanisch, ja autistisch immer wieder dieselben Rezepte anzuwenden – wie wenn es nicht gerade diese gewesen wären, die an den Abgrund geführt hatten.
Eine andere Gefahr: Untergangspropheten, Verschwörungstheoretiker, Heilsprediger. Erstaunlich, wie schnell diese Verführer der Vernunft in den Startlöchern stehen, wenn die Angst umgeht! Mit ihren Drohungen und Halbwahrheiten, ihren Lügen und Schmeicheleien versuchen sie die Menschen in eine Richtung zu biegen, die ihnen genehm ist. Doch eigentlich lassen sich diese Krisengewinnler schnell erkennen: an ihrem quadratischen Denken und der notorischen Abwesenheit von Fragen.
Und eben dieses einseitige, quadratische Denken, die geradezu barbarische Verengung unseres Menschen- und Weltbildes steckt meines Erachtens hinter all den krisenhaften Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Ausgerechnet heute, wo wir als Menschheit noch nie so reich waren – an Bewusstsein und Erkenntnissen, an Verbindungen zueinander, an Gütern des Lebensbedarfs, an Geld, ja, auch das … –, ausgerechnet heute handeln wir, als wären wir Barbaren in einer kulturellen Wüste. Wir schöpfen unser Potenzial bei weitem nicht aus.
Und das ist zugleich meine Hoffnung: Wir Menschen, du und ich, haben wirklich ein wundervolles Potenzial – der Herzlichkeit, der Intelligenz, der Phantasie, der Liebe gar. Auch wenn dieses Potenzial unter Bergen von Ängsten und Egoismen verschüttet ist, kaum mehr sichtbar vor lauter Enttäuschung, Verzweiflung und Schmerz, brauche ich nur einen Menschen unbefangen anzusehen, um zu erahnen, dass sehr viel mehr in ihm steckt, als er augenblicklich zum Ausdruck bringt. Und wenn ich ein paar Worte mit ihm wechsle, ihm auch nur ein Minimum an Wertschätzung entgegenbringe, wird diese Ahnung zur Gewissheit: Mit dir zusammen schaffen wir es. Und wenn wir wirklich wach werden, kann gar nichts mehr schief gehen.
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Walter Bs Textereien
http://walbei.wordpress.com/