Bild: Jürgen Plechinger (FB) / CC BY 4.0
Der Drehschwindel nach dem Oktoberfest war noch nicht verebbt. Trotz Kater und Katzenjammer haben sich 72% der Bayern aus der Horizontalen aufgerafft, um an der Wahlurne ein Zeichen zu setzen. Damit war die Wahlbeteiligung in södlichen Gefilden ähnlich hoch wie bei der letzten Bundestagswahl. Es ist, als würden die Bürger instinktiv ahnen, dass es nun ums Ganze geht. Wenn man in solch unheilsschwangeren Zeiten sonst schon nicht viel tun kann, so kann man zumindest ein flehentliches „Weiter so!“ von sich geben. Schließlich lehrt die Erfahrung: Die Lugundtrugpartei hält was sie verspricht.
Polit-Experten sind also beruhigt, das vom Spiegel als „Generation Doof“ verschmähte Fußvolk verrichtet wieder seine Bürgerpflicht. Business as usual und “simulative Demokratie” (Jean Ziegler) können weitergehen.
„Wohlan denn, nimm Abschied und gesunde!“ – unter diesem von Hermann Hesse entlehnten, diesmal an den Hausverstand gerichteten Wahlspruch, hat der Bürger, der eigentlich nichts anderes möchte als Gut und Gerne leben, ein Zeichen gesetzt. Die für kurze Zeit nervösen Berufspolitiker können sich im Verein mit ihren Spindoctoren und PR-Experten nun wieder ins Fäustchen lachen. Außer der SPD gibt es im Grunde ja nur Gewinner. Insbesondere bei den „Grünen“ regnet es Konfetti und sind Pöstchen gesichert. Während sie in Österreich komplett abgewählt wurden und mit unter 4% nun aus dem Parlament rausgeflogen sind, so feiern sie in Deutschland einen irrwitzigen Höhenflug. Im urbanen Raum kam die regenbogenfarbene Truppe mitunter sogar auf 30% Stimmenanteil. Der um die sexuelle Diversität und die Gefahr von Rechts besorgte Bürger hat auch hier ein Zeichen gesetzt – für ein Land, in dem wir Gut und Gerne leben und keinen Bock auf Intoleranz haben.
In einer Zeit noch nie dagewesener Eskalationsgefahr im NATO-Russland-Konflikt und deutschen Panzern an der russischen Grenze dürfen die von Willy Wimmer als „geborene Kriegspartei“ bezeichneten Grünen nun also ungehemmt weiter zu einer Konfrontation mit dem atomar bestückten russischen Bären trommeln. Bärenhatz war ja schon seit jeher die Königsdisziplin feudaler Jagdgesellschaften. Nachdem man es als urbaner Parvenü bis ganz nach oben an die Futtertröge der Macht geschafft hat: Warum sollte man sich das Vergnügen der transatlantischen Jagdgesellschaft entgehen lassen? Und wer ins Horn dieser Jagdgesellschaft bläst, wird obendrein eine entzückende Erfahrung machen: Alles läuft plötzlich wie am Schnürchen, man hat sogar als absolute Null wieder kräftigen Rückenwind und kann für sich und seine Kinderlein in jeder Hinsicht aus dem Vollen schöpfen.
Dank perfektionierter Manufacturing consent-Techniken ist auch das Gängeln der fernsehenden und spiegelbildlesenden Menschenmassen mittlerweile ein Kinderspiel. Denn obwohl die Bürger hoffnungslos gespalten sind, ist auf die #unteilbare Ignoranz Verlass, die durch eine perfekt verzahnte Meinungsmaschinerie fest institutionalisiert wurde. Und falls die Masse in eine unerwünschte Richtung abirren sollte: Ein Hashtag reicht, um sie im Verein mit Leitmedien und Promis wieder auf Linie zu bringen.
Als Automatisierungstechniker habe ich bis vor Kurzem nicht ganz verstanden, warum dem Kleinbürger mit solcher Vehemenz die „digitale Transformation“ gepredigt wird, obwohl doch in der Industrie ohnehin bereits alles höchstgradig optimiert ist und im digitalen Takt abläuft. Mittlerweile dämmert mir jedoch der Nutzen dieser Transformation. Ja, ich muss zugeben: Wenn mein Fachgebiet nicht das Mechanical Engineering wäre, sondern das Social Engineering, dann fände ich es auch Klasse, dass heute ein Hashtag ausreicht, um Menschenmassen in Zig- und Hunderttausendschaften wie ein Kunststoff-Hutmännchen beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel am Schopf zu nehmen und gegeneinander ausspielen zu können (siehe auch #wirsindmerkel #unterallersau #gutenacht).
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Epilog zum Thema Vermassung:
(Auszug aus „Die Kunst zu sein“, Prof. Hubertus Mynarek, A. Lenz Verlag 2014)
Beim „Massen-Ich“ handelt es sich im Grunde gar nicht um mein eigenes Ich, sondern, wie der Name andeutet, um das „Ich“ der Masse, um das, was sie will, denkt, tut, wünscht, begehrt. Man merkt auf dieser Ebene der persönlichen Entwicklung, vielmehr und genauer: des persönlichen Stillstandes, gar nicht, wie sehr man mit dem Strom der Masse, der Reklame, der Werbung im Fernsehen, der öffentlichen Meinung, der Stammtisch-,,Philosophie“, der Mode, der raffinierten politisch-ökonomischen Meinungsmacher, der listigen Konsumanreize und massiven Konsumzwänge mitschwimmt. Man ist ausgenutztes, außen-gelenktes Objekt der Interessen des Massen-Ich, Sklave, Ausgelieferter. Aber man kann sich angesichts des ungeheuren Konsumangebots, der verschiedenen Modestile usw. ganz toll frei vorkommen, da man doch aus diesem Riesenangebot beliebig (aber eben immer im weitgesteckten Rahmen der Interessen der Massengesellschaft) auswählen und aussuchen kann. Heidegger hat das Phänomen der Massengesellschaft als die Verfallenheit an das unpersönliche, anonyme „Man“ beredt beschrieben. Sehr hart fällt Goethes Urteil über die Masse aus: „Nichts ist widerwärtiger als die Majorität: denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkomodieren, aus Schwachen, die sich assimilieren, und aus der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will.“
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P.P.S.: Wenn man das aktuelle Bayern-Wahlergebnis um die Nichtwähler bereinigt, dann wirkt es schon weitaus nüchterner:
(Daten: welt.de, Grafik: parkwaechter/nachrichtenspiegel.de)