Donnerstag, 21.3.2013. Eifel. Gestern – zum Frühlingsanfang – kam nicht nur der Winter zurück, ich hatte auch noch ein Erlebnis der besonderen Art: eine kräftige Portion Wirklichkeitsdissonanz. Das erste Mal, das ich so etwas erlebt hatte, ist schon Jahre her. Jahrzehnte. Ich sah einen Bericht über Stephen King, einen Autor, den ich vor allem wegen seiner Beschreibungen der Gefühlswelt des Mittelstandes schätze – seine metaphysischen Experimente (die heutzutage nur noch als „Horrorliteratur“ erlaubt sind) sind eher trivial und kaum als durchschnittlich zu bezeichnen. In diesem Bericht erzählte er viel über sein Alkoholproblem, seinen fast tödlichen Autounfall … und über den Tod seiner Frau Tabitha. Letzteres hatte mich – damals wähnte ich mich noch glücklich verheiratet – besonders mitgenommen. Sie können heute nachschauen – überall: Tabitha ist nicht tot, war es auch nie. Ich habe den Film nicht allein gesehen – trotzdem habe ich den Vorfall als kognitive Fehlreaktion verbucht. Erst später erfuhr ich von Theorien aus der wunderbaren Welt der Quanten, das wir mit jeder Entscheidung eine eigene Welt kreieren, einen Ableger sozusagen – und das man manchmal möglicherweise von einer dieser Billiarden Welten in eine andere rutscht. Versehentlich. Ich habe mir vorgenommen, mich einmal mehr damit zu beschäftigen, doch die zunehmende Degeneration der Zivilgesellschaft hält mich seit langer Zeit so sehr auf Trab, das für die Metyphysik kaum Platz bleibt. Gestern jedoch habe ich mich an dieses Erlebnis erinnert: wieder einmal fühlte ich mich wie in eine ganz andere Welt versetzt, die meiner bis aufs Detail gleicht … mit einer kleinen Ausnahme. Diesmal ging es jedoch um etwas Banales: Zypern.
Meine Mutter ist schon 78 Jahre alt, geistig aber hellwach. Sie ist politisch sehr interessiert, läßt keine Nachrichtensendung aus. Wir telefonieren jede Woche stundenlang miteinander (weil wir real etwas zu weit voneinander weg wohnen), und regelmäßig ist dann auch Politik Thema. Beim vorletzten Telefonat war sie ganz verblüfft: davon, das die Entscheidung aus Brüssel auch den normalen Kleinsparer betraf und nicht nur den russischen Mafiosi, wusste sie nichts. Offensichtlich hatten jene Medien, die ich nicht mehr konsumiere, die Meldungen etwas umgedreht. Ich habe nochmal nachgeschaut: der Spiegel meldete folgendes:
„Wir fanden es gerechtfertigt, um die Lasten zu teilen“, sagt der Eurogruppen-Chef. EU-Kommissar Rehn betonte: „Diese Gebühr gilt für ansässige wie auch für ausländische Kontoinhaber.“ Nun sollen Sparer mit Einlagen von mehr als 100.000 Euro eine einmalige Abgabe von 9,9 Prozent zahlen. Unterhalb dieser Schwelle fallen 6,75 Prozent an. Insgesamt soll allein diese Abgabe nach Dijsselbloems Worten 5,8 Milliarden Euro einbringen. Die Forderung nach einer Abgabe auf große Sparguthaben kam vor allem aus Deutschland.
Das sind doch deutliche Aussagen gewesen. Der Impuls dazu kommt eindeutig aus Brüssel, eindeutig sind auch die Kleinsparer betroffen.
Nun ja, dachte ich: meine Mutter ist 78. Vielleicht versteht sie nicht immer alles so, wie es erzählt wird. Andererseits … handelt es sich mal wieder um einen ganz großen Tabubruch, einen Präzedenzfall der besonderen Art – wie der Jugoslawienkrieg. Dort haben wir auch einen Tabubruch begangen und warfen Bomben auf Zivilisten – aufgrund von Regierungslügen im großen Stil (siehe die TV-Reportage „Es begann mit einer Lüge“).
Vielleicht wurde das in den Nachrichten ja nur etwas anders dargestellt? Mit Fokus auf die russischen Milliardäre? Wieso die allerdings als Nicht-EU-Bürger auf einmal für die EU haften sollen, bleibt auch ein Rätsel.
Gestern kam es dann, dieses Erlebnis der besonderen Art: meine Mutter erläuterte mir detalliert, das es ja gar nicht die EU war, die den Kleinsparern in die Tasche greifen wollte – das waren die Zyprioten selbst …. also genau jene, die diese Auflagen der Troika abgelehnt hatte, weshalb der Staat jetzt in großer Bedrängnis ist.
Ich war geneigt, wieder meinen Sinnen die Schuld zu gegen – oder davon auszugehen, das sich bei meiner Mutter langsam das Alter breit macht.
Aber dann las ich den Schäuble im Handelsblatt:
Die Bundesregierung hätte nach Worten von Finanzminister Wolfgang Schäuble bei dem Rettungspaket nicht auf die Ersparnisse von Kleinsparern zurückgegriffen. Die Bundesregierung hätte die Einlagensicherung respektiert erklärte Schäuble in einem „Tagesthemen“-Interview. „Das war die zyprische Regierung, auch die Europäische Kommission und die EZB, die haben sich für diese Lösung entschieden und das müssen sie nun dem zyprischen Volk auch erklären“, sagte Schäuble.
Klarer Fall, oder? Die guten Deutschen gegen den bösen Rest der Welt. Die schlimme EU war es. Hat der Spiegel jetzt etwa gelogen – das große Zentralorgan des politischen Deutschlands? Immerhin, dort hatten wir doch gelesen:
„Die Forderung nach einer Abgabe auf große Sparguthaben kam vor allem aus Deutschland.“
Der Schäuble wird aber noch besser – nachdem er umfangreich erklärt, warum jetzt die Zyprer und die EU den Schlamassel angerichtet haben, erklärt er uns, warum dieser Schlamassel alternativlos ist … und hier kommen wir zu einem der gefährlichsten und wahrsten Sätze der EU-Politik der letzten zwanzig Jahre:
Auf die Frage, ob nicht auch ein Freibetrag möglich gewesen wäre, um die Zwangsabgabe sozialer zu gestalten, antwortete Schäuble, dass eine bestimmte Summe an Finanzmitteln zusammenkommen musste. „Wenn man auf der einen Seite nicht zu hoch gehen wollte in der Belastung der großen Investoren, dann kommt man auf die Summe nur, wenn man sie breit anlegt.“ Schäuble warnte das zyprische Parlament vor einer Ablehnung des Rettungspaketes. Im Falle eines „Nein“ seien die zyprischen Banken nicht mehr zahlungsfähig. „Und dann kommt Zypern in eine sehr schwierige Lage.“
Äähh … nochmal jetzt.
„Das war die zyprische Regierung, auch die Europäische Kommission und die EZB, die haben sich für diese Lösung entschieden und das müssen sie nun dem zyprischen Volk auch erklären“
Aber:
Schäuble warnte das zyprische Parlament vor einer Ablehnung des Rettungspaketes.
Ja, was denn nun? Hat jetzt das zypriotische Parlament den Angriff auf den Kleinsparer beschlossen – oder war das die EU samt Schäuble, weil die „Summe nur zusammenkommt, wenn man sie breit anlegt?“
Ökonom Polleit nannte es bedenklich, dass die Zypern-Entscheidungen ganz offensichtlich nicht der nationale Souverän getroffen habe, sondern ein „internationaler Regierungsverbund“, der nicht die Interessen der national Betroffenen im Auge habe. „Das kann dauerhaft kein gangbarer Weg zur Krisenbewältigung sein.“
Ökonom Polleit lebt – zu meiner Erleichterung – also in meiner Welt, während der Schäuble aufgrund einer Quantenverschiebung in einer Parallelwelt herumrotiert.
Es war also eher nicht das zypriotische Parlament – sondern ein „internationaler Regierungsverbund“ – mit Deutschland mittendrin. Ein Tabubruch sondergleichen, das sich ausländische Regierungen bei den Sparern eines anderen Landes bedienen – mit drastischen Folgen in deren Alltag, siehe Handelsblatt:
Die Details über die Zwangsabgabe für zyprische Sparer sind noch nicht beschlossen, aber fest steht: Im Zuge des Rettungspakets werden Bankkunden mit Guthaben bei zyprischen Banken zur Kasse gebeten. Geldautomaten sind bereits gesperrt, Transaktionen etwa per Online-Banking unterbunden, um einen Bankensturm zu verhindern. Das Parlament soll heute abstimmen, wie viel des Guthabens zur Finanzierung des Rettungspakets zurückgehalten wird.
Natürlich sind die Banken jetzt besonders nervös. Wenn alle Sparer jetzt ihr Geld abheben wollen, wird sich zeigen, dass es schon gar nicht mehr da ist, das wäre fatal.
Natürlich müssen die Sparer jetzt beruhigt werden:
Viele Handelsblatt-Online-Leser kommentieren etwa auf der Facebook-Seite den Entschluss mit großer Sorge, da er Symbolcharakter habe und die Möglichkeiten zeige, die ein Staat beim Zugriff auf private Vermögen habe. Die deutsche Finanzbranche beruhigt jedoch. „Deutsche Sparer müssen sich keine Sorgen machen“, sagte Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), dem Handelsblatt. Nach Einschätzung des DSGV habe die Lage in Zypern nichts mit der Lage in Deutschland zu tun. „Die Situation zeigt, dass es sehr gut ist, keine einheitliche europäische Einlagensicherung zu haben“, so Fahrenschon.
„Die Situation zeigt, das es sehr gut ist, kein einheitliche europäische Einlagensicherung zu haben“ – ja, WO LEBEN WIR DENN? Wo bleibt denn der natürliche Respekt vor der natürlichen Person des europäischen Mitbürgers!!! Freuen wir uns jetzt, das wir es versäumt haben, auch Sparer in Zypern vor den Angriffen der EU zu schützen?
Welche Charaktere kommen eigentlich auf die Idee, einfach mal so dem Bäcker, Metzger, Klempner oder Busfahrer von nebenan Geld zu klauen?
Kriminelle, sonst niemand.
NUR KRIMINELLE.
Nochmal eine Stimme aus Zypern, um ganz sicher zu sein? Gut, hier, frisch aus dem Handelsblatt:
Die Vermögensabgabe auf zyprische Sparkonten war in allen Parteien in Zypern auf Widerstand gestoßen. Sogar einige Abgeordnete aus der Regierungskoalition wollten dagegen stimmen, hieß es in Brüssel.
Die wollen diesen Tabubruch nicht. Entweder phantasiert die Schäuble jetzt schon in aller Öffentlichkeit, oder aber Deutschland ist als größter Zahler in der EU erschreckend machtlos gegen die Strukturen, die sich dort gebildet haben.
Welche Strukturen?
Nun – die sind jetzt beschrieben worden – und haben einen entsprechenden Eindruck beim Volk hinterlassen, siehe sciencefiles.org
So langsam gehen mir die Superlative aus, wenn ich versuche zu beschreiben, was für ein institutionelles und undemokratisches Ungetüm sich in Brüssel entwickelt hat. Und das Ausmaß der Manipulationsversuche, mit denen die EU-Kommission versucht, populär und in ihrer politischen Arbeit als legitim zu erscheinen, hätte vermutlich selbst einen Joseph Goebbels vor Neid erblassen lassen.
Was ist der Hintergrund zu diesem offensichtlichem Entsetzen? Ganz merkwürdige Praktiken:
Eine demokratisch nicht legitimierte Institution, die EU-Kommission, benutzt Steuermittel, die von Europäern gemeinsam aufgebracht werden dazu, um demokratisch nicht legitimierte Organisationen zu finanzieren, die ihrerseits für die Politik der EU-Kommission werben und eine Erhöhung des Budgets der EU fordern.
Das deutet auf ein ethisches Niveau hin, das wir hier in der Eifel „kriminell“ nennen würden – ein Niveau, das auch kein Problem damit hat, dem Bäcker von nebenan Geld zu stehlen, damit genug zusammenkommt. Darf ich nochmal an Dr. Wolfgang Schäuble erinnern … und den wichtigsten Satz der letzten Jahrzehnte:
„Wenn man auf der einen Seite nicht zu hoch gehen wollte in der Belastung der großen Investoren, dann kommt man auf die Summe nur, wenn man sie breit anlegt.“
Wieso will man eigentlich nicht zu hoch gehen in der Belastung der großen Investoren? Warum müssen Kleinsparer herhalten, um große Investoren zu schützen? Wie nennt man die Krankheit, die solche kognitiven Verzerrungen im Hirn auslöst? Schäubleritis?
Ist man sich auch dessen bewußt, das die EU auch in Deutschland schon den Souverän entmachtet hat? Findet man kaum in den öffentlichen Medien – aber bei lost in europe, dem Blog aus Brüssel:
Das Europaparlament hat grünes Licht zum “Two Pack” gegeben. Damit erhält die EU-Kommission künftig das Recht, Budgetentwürfe zu prüfen, noch bevor sie den nationalen Parlamenten vorgelegt werden. Sogar die Grünen haben dafür gestimmt – warum eigentlich? Für ein Linsengericht geben sie Brüssel mehr Macht.
Die EU-Kommission ist nicht gewählt. Der Währungskommissar muss sich keiner demokratischen Kontrolle stellen. Er setzt sich regelmäßig über das Europaparlament hinweg.
Dennoch soll O. Rehn, der dieses Amt derzeit ausübt, bald darüber befinden, ob der Bundeshaushalt den EU-Regeln entspricht. Wenn er Zweifel hat, kann er Nachbesserungen fordern.
Da bestimmt bald ein nicht gewählter Funktionär über unseren Bundeshaushalt – und kann Nachbesserungen fordern.
Was wenn der es auch auf das Geld der kleinen Sparer abgesehen hat? Kann ihn jemand aufhalten? Immerhin: Schäuble hat die Richtschnur vorgegeben:
„Wenn man auf der einen Seite nicht zu hoch gehen wollte in der Belastung der großen Investoren, dann kommt man auf die Summe nur, wenn man sie breit anlegt.“
Man bekommt die Summe nur, wenn man sie breit anlegt.
Die Forderung nach einer Abgabe auf große Sparguthaben kam vor allem aus Deutschland.
Aber in Deutschland weiß man auch, das man nur „auf die Summe“ kommt, wenn man sie breit anlegt.
Was folgt daraus? Meiner Mutter geht es noch blendend – und wir werden hier nach Strich und Faden eingenebelt. Das ist jetzt auch wissenschaftlich untersucht worden, siehe Medienwoche.ch
Die Doktorarbeit von Uwe Krüger untersucht, welchen Einfluss Eliten auf die Berichterstattung haben und zeigt die Sozialen Netzwerke der Ranghöchsten in Wirtschaft, Politik und Journalismus offline. Statt einen offenen Marktplatz an Ideen abzubilden, vertreten Journalisten oft die Positionen der Herrschenden und Agierenden.
Darum muss ich stundenlang Artikel über Artikel lesen, um mühsam herauszufiltern, was wirklich um uns herum vor sich geht. Dabei lässt sich schon jetzt erkennen, woher der Wind weht, der in Brüssel zu Tabubrüchen ohne Ende führt, siehe Spiegel:
Der Internationale Währungsfonds richtet deutliche Worte an Europas Bankenretter: Die EU müsse mehr für die Stabilität des Finanzsektors unternehmen, die Geldhäuser seien weiterhin anfällig für Krisen.
Da müssen richtig große Summen zusammenkommen. Da reicht das Geld des Steuerzahlers nicht aus. Wir sollten uns auch in Deutschland darauf einstellen, das – aller beruhigenden Worte des staatstragenden Journalismus zum Trotz – bald ein Rasenmäher über unsere Konten fährt. Was das bedeutet, merken die Zyprioten gerade jetzt, siehe Tagesschau:
Für die zyprische Regierung geht es bei den Verhandlungen mit der EU um einen Bankrott der Banken – womöglich auch des Staates. Die Krise hat aber auch ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben der Menschen in dem Land. So bleiben die Bankfilialen bis auf weiteres geschlossen.
Leben ohne Bargeld – von heute auf morgen. Wann wohl die ersten sterben werden?
Nun – egal. Der Bankrott der Banken muss verhindert werden – wen interessieren schon noch die Menschen.
Ach ja – was die großen Investoren betrifft: das warnt schon Moody´s laut Managermagazin vor einer Kapitalflucht und schlechtem Rating. Die großen Investoren werden also wahrscheinlich noch nicht mal einen kleinen Teil der „großen Summen“ aufbringen müssen, das wird jetzt im Vorfeld schon mal klar gemacht.
Und wer wird dann die Zeche letztlich bezahlen?
Der, der jetzt nicht gleich zur Bank geht und all´ sein Geld abholt – denn der Zugriff auf die Sparkonten ist auch in Deutschland legal und … möglich, wie der Spiegel heute informiert. Wie man auch erfährt, sind aber die großen Investoren durch internationale Verträge gut geschützt…
Bleibt nur: die Sammlung breit anzulegen.