Süddeutsche Zeitung

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Politiker und Medien orientieren auf Krieg

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Journalismus unter aller Kanone / Die Tagesschau ist nicht so schlimm wie BILD und Süddeutsche, aber schlimm genug

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

 

„‘Gorbi, Gorbi!‘ Hunderttausende feierten im Juni 1989 in Bonn Staatsgast Michail Gorbatschow, auch die Politiker waren hin und weg.“ (1)

Zwölf Jahre später, im September 2001, sprach Gorbatschows Nach-Nachfolger Vladimir Putin im Reichstag in Berlin über deutsch-russische Freundschaft, auf Deutsch. Und wieder war das Publikum begeistert und berührt. „Unvergessene Szenen“, betitelte der Sender Phoenix die Videoaufzeichnung des Auftritts. (2) Es war einmal … Die Zeiten ändern sich. Dass Staatspräsident Putin und sein Land heute von unseren Massenmedien mit so viel Feindseligkeit bedacht werden, hat allerdings sehr viel mehr mit wertewestlicher NATO-Aggressivität und dem Versagen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu tun als mit Putins aktueller Politik.

Presse und Rundfunk sollten nicht nur willige Verkünder politischer Vorgänge sein, sondern deren kritische Kontrolleure. Unabhängige Wächter des Friedens und der Rechtsstaatlichkeit zu sein ist ihr Auftrag. Sie kommen ihm nicht nach. Jüngster Beweis unter den unzähligen Belegen für qualitätsjournalistischen Opportunismus: reduzierte bis gänzlich fehlende Berichterstattung der Tagesschau über die aktuellen NATO-Manöver an der Grenze zu Russland. Von informativer Aufklärung über Motive und den politischen Horizont dieses bedrohlichen Truppenaufmarschs kann keine Rede sein.

Wer den Frieden wünscht, bereite den Krieg vor“. (3) Der 1600 Jahre alte Rat des Flavius Vegetius ist fraglos bedenkenswert, doch „Spring Storm“ („Frühlingssturm“) in Estland und „Defender-Europe 2021“ nahe der Ukraine (4) haben mit friedensbeseeltem Selbstschutz Westeuropas nichts zu tun. Ohne transatlantische Propagandabrille betrachtet sind sie als größte NATO-Angriffsübung seit Ende des Kalten Krieges vor 30 Jahren (5) zu erkennen.

Die USA und ihre Verbündeten, Bundeswehr inklusive, trainieren die Offensive gegen Russland. Aktueller Manövergegenstand ist, große Truppenverbände aus Westeuropa möglichst schnell an die russische Grenze heranzuführen. Die zugrundeliegende Strategie wird gerne auch „Vorwärtsverteidigung“ genannt.

[Der Westen] hat uns viele Male belogen, Entscheidungen hinter unserem Rücken getroffen, uns vor vollendete Tatsachen gestellt. Dies geschah mit der NATO-Erweiterung nach Osten, sowie dem Aufbau von militärischer Infrastruktur an unseren Grenzen“ (6),

klagte Putin schon im März 2014 vor der Duma in Moskau. Zu Recht: Die USA haben ihr 1990 im Zuge des Anschlusses der DDR an die BRD (unpräzise: „Wiedervereinigung“) gegebenes Versprechen zwölfmal gebrochen, keine NATO-Erweiterung nach Osten über die Grenzen Gesamtdeutschlands hinaus vorzunehmen. Bezeugt wird das sowohl vom vormaligen sowjetischen Präsidenten Gorbatschow als auch vom seinerzeitigen US-amerikanischen Außenminister James Baker (7, 8). Typisch, dass ausgerechnet deutsche Regierungsstellen es gleich dreifach bestreiten. (9) Sie wissen eh alles besser.

Pöser Putin

Putin, im Jahr 2000 zum Nachfolger Boris Jelzins gewählt, schloss dessen Resterampe für den Ausverkauf russischen Staatseigentums (Bodenschätze, Ölressourcen, Großkonzerne) an den Westen. Er enteignete einige der korruptesten und raffgierigsten Oligarchen, darunter den Erdölmagnaten Michail Chodorkowski. (10) Damit frustrierte er jedoch die US-amerikanischen und westeuropäischen „Partner“.

Mit der scheinheiligen Freundlichkeit des Westens war es allerdings schon Jahre zuvor aus und vorbei gewesen. Die NATO hatte ihre zu „Gorbis“ Zeiten geübte Zurückhaltung längst aufgeben; sie hatte mit Boris Jelzins besoffener Zustimmung Polen, Tschechien und Ungarn 1999 aufgenommen (11), außerdem das Völkerrecht gebrochen und Serbien sowie Kosovo niedergebombt. (12)

Seit Putins Amtsantritt aber widmen sich unsere Medien mit Hingabe der vorgeblichen Gefährlichkeit Russlands. Das Muster „haltet den Dieb!“ ist unverkennbar. Je absurder die Story, desto lieber wird sie immer wieder aufgetischt und mit Nowitschok nachgewürzt.

Gift an der Türklinke und in der Unterhose

Beim vorgeblichen Anschlag mit dem „tödlichsten Nervengift aller Zeiten“ auf Vater und Tochter Skripal anno 2018 im britischen Salisbury bezichtigte die Westliche Wertegemeinschaft umgehend Russland als Attentäter, gestützt auf britische Geheimdienstangaben. London blieb bis heute jeglichen Beweis für Nowitschok und für Russlands Verantwortlichkeit schuldig. (13) ARD-aktuell spekulierte nur: 

Denkbar ist, dass London nicht sein ganzes Wissen preisgeben will.“ (14)

Statt auf seriöse Eigen-Recherche setzt ARD-aktuell u.a. auf das britische „Recherche-Netzwerks“ Bellingcat. (15) Diese trübe Quelle ist vor allem dafür bekannt, sich aus finanziellen und informellen Zuflüssen einiger US-Think-Tanks und Geheimdienste zu speisen. Die Tagesschau leitet gerne davon auf ihre Mühlen um. (16)

Der Medienrummel um den „bedeutendsten russischen Oppositionspolitiker“ Alexei Nawalny leidet ebenfalls unter Beweisnot und Mangel an Aufrichtigkeit. Die Bundesregierung weigert sich entgegen allen internationalen Verpflichtungen und Rechtsnormen, ihr Material – hauptsächlich Gewebeproben, die dem „Giftanschlagsopfer“ Nawalny in der Berliner Charité entnommen wurden – für ein öffentliches Experten-Monitoring freizugeben. Politik und Medien ließen den protofaschistischen und betrügerischen Krawallbruder sogar mit dem Sketch „Meine Unterhose war vergiftet“ auftreten.

Die Russland-Reportagen der Tagesschau unterschreiten häufig jedes Maß an gebotener Zurückhaltung. Die „anerkannten journalistischen Grundsätze“ sind über Bord gekippt: Wahrheitspflicht, Sachlichkeitspflicht, Güterabwägungspflicht (17) und das Gebot zur Förderung der Völkerverständigung (18). Sie haben Gesetzesrang, sie stehen im Rundfunkstaatsvertrag, aber das gewährleistet nicht ihre Befolgung.  

Steter Tropfen höhlt den Stein

Rechtsgrundsätze und journalistisches Ethos gelten der Tagesschau-Redaktion nicht mehr viel. Wer einen Nutzen von den faulen Agentur-Geschichten hat („cui bono?“), fragt sie sich nicht. Das Gebot, nicht nur den Kläger zu Wort kommen zu lassen, sondern ebenso den Beklagten („audiatur et altera pars“) und ihm jeglichen Zweifel zugute zu halten („in dubio pro reo“) befolgt sie nicht. Sie verbreitet (häufig unredliche) Politiker-Statements und verleiht ihnen damit Bedeutsamkeit, als seien sie unumstößlich wahr oder der Weisheit letzter Schluss; sie prüft Richtigkeit und Stichhaltigkeit des Gesagten nicht. Dabei läge erst in dieser Prozedur der Informationswert einer Nachricht.

Nachrichten sind vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen“

heißt es in § 8 Abs. (2) des NDR-Staatsvertrags. (19) Da macht sich der hehre Satz natürlich gut. Doch garantiert er, beispielsweise, seriöse Russland-Berichterstattung?

Andersrum wird ein Schuh draus. Gemeinschaftliches Ziel von Politik und Massenmedien: Das Bild vom „gefährlichen“ Russen in breiten Teilen der Bevölkerung zu verfestigen.

Feindbilder senken die Schwelle zum Krieg 

Von Staatsvertragsregeln lässt sich die Tagesschau-Redaktion dabei nicht stören. Über die Absichtlichkeit der ständigen Wiederholung von Falschdarstellungen gibt es keine Illusion. „Faktenfinder“-Chef Patrick Gensing: 

Es ist ein Kennzeichen dieser Kommunikationsstrategien, dass man durch Wiederholungen von falschen Behauptungen die Glaubwürdigkeit der Behauptungen erhöht, weil Menschen denken: Das habe ich doch schon mal gehört und jetzt höre ich es wieder, dann muss es ja eigentlich stimmen.“ (20) 

Tagesschau-Redakteure wissen, was sie tun. Vor den mentalen Folgeschäden ihrer Manipulation sind nicht einmal erfahrene und vermeintlich kritische Politiker geschützt, wie das Beispiel der Linke-Parteivorsitzenden Janine Wissler zeigt. In einem Spiegel-Interview heißt es:  

Die Linkspolitikerin kritisiert zwar den Mord im Berliner Tiergarten, die Vergiftung des Oppositionellen Alexej Nawalny und Russlands Annexion der Krim als völkerrechtswidrig …“ (21)

Politik und Medien versuchen einer gutgläubigen Öffentlichkeit weiszumachen, es gehe um „Werte“ (ideelle, moralische, natürlich). Beabsichtigt ist aber nur miese Meinungsmache, die demagogische Ukraine-Berichterstattung belegt es. (22, 23) Dass die NATO ihre Aktivitäten an den russischen Grenzen im letzten Jahr massiv verstärkt und dort beispielsweise mehr als 4000 (!) Bomber- und Aufklärungsflüge veranstaltet hat (24), wird unterschlagen; gezieltes Weglassen wichtiger Nachrichtenteile ist ein klassisches Mittel der Manipulation.

Kriegstreiber am Werk

Schon im vorigen Jahr sollten 37000 NATO-Soldaten (zeitweise) und abertausend Tonnen US-Kriegsgüter (teils zum dauerhaften Verbleib) über See und später durch Europa nach Osten an die Grenze zu Russland verlegt werden. Wegen der Corona-Pandemie findet das Manöver erst jetzt statt, heißt nun „Defender 2021“. „Defender“ soll im jährlichen Wechsel einmal im europäischen Nordosten (Ostsee, Baltikum) und im Südosten stattfinden (Westbalkan, Schwarzes Meer). (25) Übrigens sind jetzt auch ukrainische Soldaten beteiligt, obwohl die Ukraine (noch) kein NATO-Mitglied ist. Der US-geführte Westen nutzt eben jede Möglichkeit, Russland zu provozieren.

Nachvollziehbar, dass Moskau auf die Gefährdung reagiert und Gegen-Manöver veranstaltet. Für dieses Zugeständnis reichen die analytischen Kapazitäten der Kalten Krieger der ARD-aktuell allerdings nicht. Es fehlt die Grundvoraussetzung für seriösen Journalismus: Sich auch in die Denkwelt „der anderen Seite“ hineinversetzen wollen und können. Der Qualitätsjournalist knallt folglich bedenkenlos eine weitere Bezichtigung raus:

Militärische Auseinandersetzungen sind für Russland seit Jahren ein bewährtes Mittel, sich Geltung und Mitsprache zu verschaffen. Beobachter gehen davon aus, dass es sich auch beim momentanen Aufrüsten an der Grenze um ein Druckmittel handelt – eine Drohgebärde.“ (26)

Die NATO-Staaten haben im vorigen Jahr rund 1,1 Billionen (!) Dollar und damit 17-mal mehr als Russland (61 Milliarden Dollar) für Rüstung ausgegeben (27). Nicht Russland bedroht die USA und Westeuropa, sondern die NATO hat Russland umzingelt. ARD-aktuell jedoch übt sich in Realitätsverweigerung.

Förderung der Völkerverständigung? Nichts da, nicht bei ARD-aktuell.

Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen“ (28)

steht in Art. 26 des Grundgesetzes. Papier ist geduldig, wissen die Spitzenvertreter unserer Parteien-Oligarchie. Unsere Qualitätsjournalisten wissen‘s auch.

Formal betrachtet ist die Redaktion staatsfern. Sie kann für sich zudem umfassende journalistische Freiheit nach Art. 5 des Grundgesetzes beanspruchen. (29) Trotzdem wirkt die Tagesschau objektiv an der psychologischen Vorbereitung auf einen Krieg gegen Russland mit. Sie beteiligt sich daran, die Hemmschwelle vor Anwendung militärischer Gewalt in der deutschen Bevölkerung zu senken.

Dass das nicht bloß versehentlich und ungewollt geschieht, erweist sich beispielsweise im Schweigen der Redaktion über Regierungspläne zur Militarisierung der Zivilgesellschaft. Die sind im Internet auffindbar, also auch der Redaktion tagesschau.de bekannt. ARD-aktuell aber enthält sie einer größeren öffentlichen Aufmerksamkeit vor.

Möchtegern-Weltherrscher

Das Washingtoner Center for European Policy Analysis (CEPA) hat in der Studie „Military Mobility Project“ analysiert, mit welchen Mitteln und unter welchen Voraussetzungen der Transport von Truppen und Kriegsmaterial an die russische Grenze mit höchster Geschwindigkeit erreicht werden kann. (30) Beteiligt an den Beratungen sind pensionierte NATO-Generäle, Interessenvertreter wie der ehemalige Merkel-Vertraute Eckart von Klaeden, heute Vorstandsmitglied der Daimler AG (31) und diverse weitere Rüstungsunternehmen, darunter Raytheon und Rheinmetall, sowie die Deutsche Bahn AG.

Außerdem wirken in diesem militärisch-industriell-politisch-medialen Komplex etliche US-dienliche „Denkfabriken“ und Redaktionen mit. Beispielsweise der Atlantic Council, die RAND Corporation, die Süddeutsche Zeitung, das Nachrichtenportal Euractiv und die größte pfälzische Tageszeitung, die Rheinlandpfalz (in ihrem Einzugsgebiet: die US-Garnison Ramstein und das Atombombenarsenal Büchel).

Leitidee dieses Verbundes von Omnipotenz-Träumern: 

Eine Folge des raschen Aufstiegs Chinas zum globalen Machtstatus ist die Verlagerung des strategischen Schwerpunkts der USA in Richtung Indopazifik. Die europäischen Verbündeten und Partner der Vereinigten Staaten müssen daher sowohl für Abschreckung und Verteidigung in Europa als auch für ein wirksames Krisenmanagement in Nordafrika und im Nahen Osten erheblich mehr beitragen.“ (32) 

Klartext: Deutschland soll massiv aufrüsten, Schienenwege und Straßen für den Transport von schwerem militärischen Gerät Richtung Osten ausbauen. Unser Land soll „strategische Drehscheibe“ (ebd.) sein und sich selbst zum Kriegsschauplatz machen.

Die Kriegstreiber haben es aber nicht leicht. Mittlerweile entwickelt sich eine erfreuliche Gegenöffentlichkeit. Der Bundesbürger erweist sich als beeindruckend resistent gegen die andauernde russlandfeindliche Hetze. Nur 32 Prozent sehen heute in Russland eine Gefahr für den Weltfrieden. Im vorigen Jahr hatten noch 36 Prozent „den Russen“ als bedrohlich empfunden. (33, 34) Interessant die Gefühlslage in Russland. Dort ängstigten sich vor vier Jahren 40 Prozent vor einem Weltkrieg. In diesem Jahr sind es bereits 62 Prozent. (35)

Die Grundlagen für eine dem Frieden verpflichtete und gedeihliche Freundschaft zwischen beiden Völkern wären vorhanden.

Warum trägt die Tagesschau nicht dazu bei, Brücken dafür zu bauen?

Verkappte Meinungsterroristen

Was, denn, die Deutschen wollen keinen Krieg, genauso wenig wie die Russen? Das geht gar nicht. Da besteht staatlicher Handlungsbedarf:

„… die Förderung der Widerstandsfähigkeit des Staates und der Gesellschaft gegen alle Formen hybrider Kriegsführung, einschließlich böswilliger Cyberaktivitäten und Desinformation ist die erste Abschreckungs- und Verteidigungslinie der NATO und eine Voraussetzung für die Fähigkeit der EU, erfolgreich zu handeln. Die zivilen und militärischen Behörden … sollten … einen gemeinsamen Ansatz zur Bekämpfung von Desinformation … entwickeln …“ (s. Anm. 32) 

Mit anderen Worten: Was Wahrheit und was Desinformation ist, bestimmt die Kommandantur. Das Internet soll nicht mehr frei nutzbar sein, sondern unter staatlicher Kontrolle, im Dienste militärischer Interessen stehen. Die staatlichen Hoheitsrechte werden um die Deutungshoheit über das politische und militärische Geschehen erweitert. Der Fachbegriff dafür: Zensur.

Ein Tagesschau-Interview. Erbärmlich liebedienerische Steilvorlage für den NATO-Fetischisten und Transatlantiker Wolfgang Ischinger:  

Tagesschau: „… zunehmend ist ja zu beobachten, dass – durch Falschinformationen aufgewiegelt – Gruppen aus dem Inneren einzelner Staaten Unruhe stiften und auch gewalt- und konfliktbereit sind.“ 

Ischinger: „Wir müssen davon ausgehen, dass in der Tat Gefahren für unsere Sicherheit nicht mehr nur aus dem Lauf von Kanonen kommen, sondern aus Datenströmen. Die Bedrohung liegt dann in der Störung oder Manipulation von Datenflüssen, im Kappen von Informationswegen oder Streuen von Falschinformationen.“ (36)

Ach so. Für Manipulation und das Streuen von Falschinformationen ist ausschließlich die Regierung zuständig. Informationsfreiheit? Meinungsfreiheit? Freiheit der Rede und der Kunst? Der Hahn gehört zugedreht.

Die „junge Welt“, KenFM, RT deutsch oder der Schauspieler Jan Liefers, allesamt im Visier der Geheimpolizei (aka „Verfassungsschutz“), können schon ein Liedchen davon singen, was uns allen blüht. Der begnadete Kabarettist Uwe Steimle hat‘s erfasst:

Sie können selbstverständlich alles in diesem Land sagen, was Sie denken – Sie müssen nur das Richtige denken.“ (37)

Quellen und Anmerkungen:

  1. https://www.spiegel.de/geschichte/gorbatschow-besuch-vor-20-jahren-a-949841.html
  2. https://www.ardmediathek.de/video/phoenix-unvergessene-szenen/rede-von-wladimir-putin-im-bundestag/phoenix/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTY5ZmU5YWE1LTIxMjctNGMzZC05OGEyLTgzMGNiM2Y0NzIxYw/
  3. https://www.berühmte-zitate.de/wer-den-frieden-wünscht-bereite-den-krieg-vor-vegetius
  4. https://news.feed-reader.net/23254-nato-manoever.html und Defender-Europe 2021
  5. https://www.neues-deutschland.de/artikel/1151908.defender-europe-nato-grossmanoever-in-osteuropa.html
  6. http://en.kremlin.ru/events/president/news/20603
  7. https://www.offiziere.ch/?p=34550
  8. https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/hat-der-westen-gegenueber-moskau-sein-wort-gebrochen-li.84614
  9. https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2018/nato-osterweiterung-gab-es-westliche-garantien
  10. https://www.vermoegenmagazin.de/michail-chodorkowski-vermoegen/
  11. https://www.geschichte-abitur.de/zeitgeschichte/das-jahr-1999/nato-osterweiterung
  12. https://www.zusammenfassung.info/zusammenfassung-des-jugoslawienkrieges
  13. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/fall-skripal-was-ist-mit-den-britischen-beweisen-15518568.html
  14. https://www.tagesschau.de/ausland/skripal-russland-121.html
  15. https://www.anti-spiegel.ru/2021/spiegel-partner-bellingcat-wie-westliche-regierungen-und-geheimdienste-die-faeden-ziehen/
  16. https://www.tagesschau.de/ausland/nawalny-russland-107.html
  17. https://www.uni-saarland.de/fileadmin/user_upload/Professoren/fr11_ProfGroepl/Vergangene_Semester/lehre08-09/PRR17.pdf
  18. https://www.die-medienanstalten.de/fileadmin/user_upload/Rechtsgrundlagen/Gesetze_Staatsvertraege/Medienstaatsvertrag_MStV.pdf
  19. https://www.ndr.de/der_ndr/zahlen_und_daten/handbuchpersonal162.pdf
  20. https://www.tagesschau.de/faktenfinder/podcast/was-sind-fake-news-101.html (Minute 5)
  21. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/janine-wissler-linken-vorsitzende-im-interview-hausbesetzungen-sind-legitim-a-a75cde35-7c5d-4754-bb05-ccd0b537144e#ref=rss
  22. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/russland-ukraine-schiffe-101.html
  23. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-merkel-biden-101.html
  24. https://www.anti-spiegel.ru/2021/2020-wurde-3-000-nato-flugzeuge-und-drohnen-an-den-russischen-grenzen-geortet/
  25. https://www.neues-deutschland.de/artikel/1151908.defender-europe-nato-grossmanoever-in-osteuropa.html
  26. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ostukraine-frieden-verhandlungen-101.html
  27. https://www.mitwelt.org/militaerausgaben-ruestungsausgaben-deutschland-nato-russland-vergleich
  28. https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_26.html
  29. https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html
  30. https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8598/
  31. https://lobbypedia.de/wiki/Eckart_von_klaeden
  32. https://cepa.org/the-cepa-military-mobility-project-moving-mountains-for-europes-defense/
  33. https://www.sicherheitsreport.net/wp-content/uploads/PM_Sicherheitsreport_2021_Schaubilder.pdf (S. 15)
  34. https://www.sicherheitsreport.net/wp-content/uploads/PM_Sicherheitsreport_2020_Schaubilder.pdf (S. 15)
  35. https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/402/die-politische-stimmung-in-russland-2021/ (Grafiken 1 und2)
  36. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ischinger-ruestungskontrolle-new-start-101.html
  37. https://www.bing.com/videos/search?q=steimles+aktuelle+kamera+24&qpvt=steimles+aktuelle+kamera+24&FORM=VDRE

Das Autoren-Team: 

Friedhelm Klinkhammer, Jahrgang 1944, Jurist. 1975 bis 2008 Mitarbeiter des NDR, zeitweise Vorsitzender des NDR-Gesamtpersonalrats und des ver.di-Betriebsverbandes sowie Referent einer Funkhausdirektorin.

Volker Bräutigam, Jahrgang 1941, Redakteur. 1975 bis 1996 Mitarbeiter des NDR, zunächst in der Tagesschau, von 1992 an in der Kulturredaktion für N3. Danach Lehrauftrag an der Fu-Jen-Universität in Taipeh.

Anmerkung der Autoren:

Unsere Beiträge stehen zur freien Verfügung, nichtkommerzielle Zwecke der Veröffentlichung vorausgesetzt. Wir schreiben nicht für Honorar, sondern gegen die „mediale Massenverblödung“ (in memoriam Peter Scholl-Latour). Die Texte werden vom Verein „Ständige Publikumskonferenz öffentlich-rechtlicher Medien e.V.“ dokumentiert: https://publikumskonferenz.de/blog

Foto:
Werner Manne

Redakteurin einer öffentl.-rechtl. Anstalt packt aus. Skandal in der Süddeutschen Zeitung.

Exklusiv berichtet eine Journalistin in verantwortlicher Position einer öffentlich-rechtlichen Anstalt von ihren Gewissensnöten und den Zweifeln an ihrem Beruf und den Kolleginnen und Kollegen. Ich habe Kontakt zu dieser Kollegin und sie gibt Ihnen einen Einblick in eine Redaktion, anonym.
Über einen Skandal in der Süddeutschen Zeitung erfahren Sie ebenfalls exklusiv. In dem 45 Minuten Video mit beiden Storys, erfahren Sie auch, wie mir eine juvenile Faktencheckerin einer ARD – Anstalt einen Fragenkatalog stellte und wie ich darauf geantwortet habe.

Neues aus der Wikipedia und der SZ | #49 Wikihausen

Groteskes und Postfaktisches präsentiert von Dirk Pohlmann und Markus Fiedler.
Kommentieren Sie dieses Video unter: http://www.wikihausen.de/video-blog/​
Der 2. Bürgermeister aus Haar bei München, Ulrich Leiner (B90 / die Grünen) fühlt sich von uns ungerecht behandelt, nachdem wir seine Wikipedia-Bearbeitung im Artikel von Elias Davidsson diskutiert haben und anschließend die Zuschauer aufgefordert haben, sich bei ihm zu melden. Das haben einige Zuschauer getan.

Neuigkeiten zu Feliks und einer Vandalismusmeldung in der Wikipedia.
Diskussion ist unerwünscht.

Das Schlachtschiff der Süddeutschen feuert weiteren Torpedo auf die Zivilgesellschaft ab …

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„Die angestellten Meinungsäußerer werden für Sich-Gehen-Lassen bezahlt, und sie nehmen den Job an.“
(Peter Sloterdijk)

In einer Zeit, in der es nicht nur für Whistleblower auf der ganzen Welt kaum noch einen sicheren Ort gibt und sogar bei Kabarettisten und Karikaturisten umgehend der Kopf rollt, wenn sie sich nicht an die vom „rülpsenden Konsensmoloch“ (©Wolf Reiser) verordnete Political Correctness halten, haben Milosz Matuschek und Gunnar Kaiser einen Appell für freie Debattenräume und gegen Cancel Culture veröffentlicht:

„Absagen, Löschen, Zensieren: seit einigen Jahren macht sich ein Ungeist breit, der das freie Denken und Sprechen in den Würgegriff nimmt und die Grundlage des freien Austauschs von Ideen und Argumenten untergräbt. Der Meinungskorridor wird verengt, Informationsinseln versinken, Personen des öffentlichen und kulturellen Lebens werden stummgeschaltet und stigmatisiert.

Wir erleben gerade einen Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit. Nicht die besseren Argumente zählen, sondern zunehmend zur Schau gestellte Haltung und richtige Moral. Stammes- und Herdendenken machen sich breit. Das Denken in Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten bestimmt die Debatten – und verhindert dadurch nicht selten eine echte Diskussion, Austausch und Erkenntnisgewinn. Lautstarke Minderheiten von Aktivisten legen immer häufiger fest, was wie gesagt oder überhaupt zum Thema werden darf. Was an Universitäten und Bildungsanstalten begann, ist in Kunst und Kultur, bei Kabarettisten und Leitartiklern angekommen (…)“
(ganzer Appell und Unterschriftenliste siehe https://idw-europe.org/ )

Wer denkt, dass in einer Zeit zunehmender Gesinnungsdiktatur nun jeder Vertreter der schreibenden Zunft aufatmen und diesen couragierten Appell freudig unterzeichnen wird, hat leider weit gefehlt. Erwartungsgemäß dauerte es nicht lange, bis die angesprochenen Meinungswächter-Institutionen standesgemäße Vertreter losschicken, um jene Ketzer wider die Polical Correctness einer Inquisition zu unterziehen. Abgefeuert wird der Torpedo wieder einmal von einem der üblichen Zerstörer, die die Hoheit über die neoliberalen Gewässer sichern: Der Südtäuschen Zeitung (siehe sueddeutsche.de).

Für das Rettungsschlauchboot, auf das der SZ-Torpedo nun zurast und an das sich zahlreiche kurz vorm Ertrinken stehende Freigeister klammern, stehen die Chancen schlecht. Auch wenn es wieder einmal billiges Schießpulver bzw. Niespulver ist, mit dem dieser Torpedo gefüllt ist und ein rostiger Propeller, der ihn antreibt – aber seine Reichweite ist enorm. Kaum jemand, der von einem solchen Torpedo bisher ins Visier genommen wurde, konnte ihm entkommen. Aber vielleicht schaffen wir es ja, ihn rechtzeitig zu entschärfen, bevor er detoniert. Auch auf die Gefahr hin, dass wir dabei nass werden.

Es ist wirklich ziselierter Verknorksungsgewinde-Schampus vom Feinsten, mit dem die guten & gernen SZ-Journalisten Philipp Bovermann und Felix Stephan da einen für die freie Zivilgesellschaft eigentlich überlebenswichtigen Appell zuzuschäumen versuchen. Noch bevor dem SZ-Leser erklärt wird, was an dem Appell von Matuschek und Kaiser so verwerflich sei, wird in den einleitenden Sätzen der Gegenschrift sogleich vorausgeschickt, dass der Appell „obskur“ und „alarmistisch“ sei. Also Vorsicht. Obskuriantismus und Alarmismus sind in einer Welt, die vom Guten, Gernen und obendrein Alternativlosen geleitet ist, doch bekanntlich Untugenden allerhöchsten Grades. Wir könnten uns jetzt ganz entspannt der digitalen Transformation und dem bereits am Horizont ersichtlichen strahlenden Paradies anheimgeben (siehe „Auf die Knie vor Gott KI“), und da wollen tatsächlich ein paar Querköpfe – jetzt hätte ich fast ‚Querdenker‘ geschrieben und wäre damit schon ins Fettnäpfen getreten, aus dem man mich nicht mehr herausließe – auf Alarmismus machen? Wie uncool.

Zum Glück wird dieser Alarmismus von den SZ-Qualitätsjournalisten auch sogleich professionell in die Schranken gewiesen:

“Die alarmistische Theatralik … es natürlich zur Freiheit der Veranstalter und Buchhändler gehört, ihre Programme und Sortimente so zu gestalten, wie es ihnen beliebt. … Die Urheber der deutschen Variante sind allerdings bekannte Köpfe der rechtskonservativen Infosphäre, zu deren Beruf es gehört, hinter jeder Ecke politische Korrektheit und Moralterror zu vermuten und sich umstellt zu fühlen von linksradikaler Gesinnungsinquisition.”

Weiteres Highlight aus der SZ-Gegenschrift: Die von Matuschek und Kaiser kritisierte Entfernung von politisch inkorrekten Karikaturisten sei gar keine Zensur.

„Die „zensierten Karikaturisten“ beziehen sich möglicherweise auf den Fall des ehemaligen SZ-Karikaturisten Dieter Hanitzsch, der heute an anderer Stelle publiziert, also keineswegs zensiert wurde.“

Nun, dann ist ja alles in Butter. Wer nach politisch inkorrekter Meinungsäußerung abmontiert wurde, der kann ja – anderswo publizieren. Verstehe auch nicht, was Uwe Steimle für ein Problem mit seinem Rauswurf beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk MDR hat. Er kann ja jetzt anderswo auftreten. Wir leben doch in einem freien Land, wo jeder machen kann was er will.

Überhaupt fordere der Appell „nichts ein, das es nicht schon gäbe“. Und es nach Ansicht der Qualitätsjournalisten „natürlich zur Freiheit der Veranstalter und Buchhändler gehört, ihre Programme und Sortimente so zu gestalten, wie es ihnen beliebt.“ Tja, was soll man diesen entwaffnenden Argumenten noch entgegensetzen?

Wenn der Appell also nichts enthält, was es „nicht schon gäbe“, warum stört sich dann ein Medienkonzern wie die SZ daran? Und lässt wertvolle Humanressourcen dafür aufwenden, um die zahlreichen Mitunterzeichner des Appells telefonisch zur Rechenschaft zu ziehen, warum sie ihn unterschrieben hätten. Dass der solcherart zur Rechenschaft gezogene Soziologe Hartmut Esser am Telefon erwidert, dass durch eine solche Frage der Vorwurf des Appells bestätig werde, dass inzwischen das Prinzip der „Kontaktschuld“ gelte, wird von den SZ-Journalisten mit Unbill konnotiert. Auch dass „die meisten Anfragen der SZ indes unbeantwortet blieben“. Umso mehr freut die investigativen Journalisten, dass der Filmemacher Alexander Kluge, nachdem er zur Rechenschaft gezogen wurde, nun beabsichtigt, seine Unterschrift wieder zurückzuziehen.

Auch das Totschlagargument, dass es „Rechte“ seien, die von einer Öffnung der Debattenkultur profitieren würden, darf nicht fehlen.

Über die beiden SZ-Qualitätsjournalisten, die hier die hohe Kunst des „Debunking“ zum Besten geben, würde Spiegel-Chefredakteur Ullrich Fichtner wohl Ähnliches sagen wie über seinen Redaktionshelden Relotius:

„Dieser Relotius liefert immer wieder hervorragende Geschichten, die wenig Arbeit und viel Freude machen. … Relotius ist ein besonders wertvoller Mitarbeiter … Er beherrscht die Form. Mit Witz. Und Tempo. Insgesamt ein Typ, dessen Eltern man gratulieren möchte zu ihrem gelungenen Sohn … Er nimmt Hinweise dankbar auf, verarbeitet Verbesserungsvorschläge in perfekter Manier, er setzt um, was Ressortleiter ihm raten.“ (Quelle: Spiegel).

Nach Aussage des Spiegel-Chefredakteurs sei Relotius „ein journalistisches Idol seiner Generation“. Nun, wie man sieht, mangelt es in der Tat nicht an Nachwuchstalenten, die die vorgenannten Qualitäten mitbringen.


 

P.S.:

Mancher mag sich ja die Frage stellen, wozu man denn jahrelang eine Journalistenschule besuchen muss, um dann Artikel schreiben zu können. Es beherrscht doch bereits jeder Schulabsolvent die Kulturtechnik des Schreibens und Sich-Artikulierens – und wie unzählige alte, junge und sogar sehr junge Schreiber in Zeiten des World Wide Web beweisen, oft in sehr viel erhellenderer und erfrischenderer Weise als die Absolventen sogenannter Journalisten-Akademien, die nach Erhalt ihres Diploms bei einem der etablierten Leitmedien angeheuert haben und dort in Sloterdijk’scher Manier ihr Handwerk verrichten.

Doch diese Frage ist genauso naiv wie wenn man meinte, dass man doch auch als Prostituierte keine Ausbildung brauche, sondern sogleich „loslegen“ könne. Denn man unterschätzt den Feinschliff und die Professionalität, die man sich als angehender Vertreter der schreibenden Zunft an solchen Akademien aneignet. Man ist nach solcher Ausbildung wirklich in der Lage, nicht nur mit Worten zu jonglieren wie ein Artist mit bunten Eiern, sondern man kann ebenso wie ein Hütchenspieler Wahrheit und Lüge dermaßen geschickt durcheinanderwirbeln, dass jeder ungeübte Passant, der diesem Spiel zuzieht, passen muss. Unter welchem der präsentierten Hütchen sich nun was befindet, weiß einzig der Jongleur.

Und der Jongleuer weiß auch, dass er sein Publikum nicht mit dilettantischem Betrug bzw. plumpen Lügen zum Narren halten kann. Die Kunst, die er präsentiert, muss schon ein gewisses Niveu und Unterhaltungswert haben. Sonst würde ihn das um ihr Geld betrogene Publikum mit nassen Tüchern davonjagen. Wer dem Publikum jedoch die notwendige Eloquenz und Raffinesse entgegenbringt – erhält Applaus und Bewunderung.  

Die ehemaligen Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Klinkhammer und Bräutigam haben das probate Rezept, mit dem der Medienkonsument gewonnen werden kann, bereits enthüllt: Durch eine wohlabgewogene Mischung aus Wahrheit und Falschinformationen:

<< Wenn ein Sender zu offensichtlich und zu ausschließlich die Unwahrheit sagt, fällt das irgendwann selbst dem Dümmsten auf. Der hört auf, dem Informanten zu vertrauen, schaltet ab und entzieht sich so weiteren Manipulationsversuchen. So ungeschickt verhält sich die ARD natürlich nicht. Sie möchte nachhaltig und möglichst unbemerkt verdummen. Sagen Sie nicht „Die Erde ist eine Scheibe“, sondern „Die Erde ist rund und Mittelpunkt unseres Sonnensystems“. Dann verleiht der richtige erste Halbsatz dem zweiten mehr Glaubwürdigkeit. Wussten Sie übrigens: Russland ist das größte Land der Erde und hat 2014 die Krim gewaltsam annektiert? >>

Ich habe im Nachgang noch kurz zu Philipp Bovermann, dem Autor  des vorgenannten SZ-Pamphlets recherchiert. Auf seiner SZ-Autorenseite ist über ihn zu lesen:

„… Seit 2016 an die SZ angedockt, zunächst als freier Autor. Geistert inzwischen als Volontär durch das Haus und die Themengebiete.“

Dieser Geisterfahrer geistert nun also als Volontär durch das Haus. Seit vier Jahren hat er schon angedockt und immer noch keine Festanstellung. Es mag sein, dass das Wort Volontär in der journalistischen Zunft eine andere Bedeutung hat. Aber in der Branche, in der ich tätig bin, ist ein Volontär jemand, der gratis oder gegen ein geringfügiges Taschengeld im Betrieb „schnuppert“ und Erfahrung sammeln darf. In einer Zeit, in der sich der Status und das Selbstbewusstsein eines Menschen wesentlich an seinem Einkommen bemisst, verdingt sich natürlich niemand wirklich gerne als Volontär. Trotzdem legen Volontäre oft mehr Fleiß an den Tag als Mitarbeiter mit Festanstellung. 40 – 60 Stundenwochen für Null oder einige wenige hundert Euro sind dabei keine Seltenheit. Viele Volontäre wohnen noch bei Mutti, können sich also ein Nulleinkommen leisten. Sie machen diese Schinderei auch nicht aus karitativen Motiven, sondern wissen: Wenn sie sich geschickt anstellen und die Erwartungen der Abteilungsleitung erfüllen, dann winkt vielleicht eine Festanstellung.

Könnte es sein, dass der Geisterfahrer Philipp in Zeiten von Prekariat und existenzieller Verunsicherung vielleicht auch eine Festanstellung anstrebt?

Foto: Torpedo/Pixabay/CC0


zum Weiterlesen (Nachrichtenspiegel):
Neulich mal wieder den Gulli-Deckel hochgehoben: Über Südtäusche Wasserleichen im Relotius-Narrenspiegel

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Ergänzung 06.09.2020, 12:10:

Auch der gute & gerne Jan Böhmermann hat sich mittlerweile in die Debatte eingeschaltet. Im Tagesanzeiger vom 06.09.2020 bezeichnet er „Cancel Culture“ und „Politische Korrektheit“ als „dümmliche Kampfbegriffe“. Ein Aufstehen gegen Cancel Culture hält er für entbehrlich. Ja wirklich, wo kämen wir denn hin, wenn wir einen politisch korrekten Sumpf, von dem Leutchen wie er maximal profitieren und Meriten ernten, nun trockenlegen?

 

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Ergänzung 07.09.2020, 11:50:

Stellungnahme / Interview mit dem Initiator des Appells, Milosz Matuschek
(Auszug):

Denn wir sehen ja in den USA, dass es da schon gar nicht mehr um wirklich problematische Persönlichkeiten geht, sondern dass inzwischen wirklich in der kleinsten Differenz darauf geachtet wird, dass man ganz genau den Ton der herrschenden Orthodoxie trifft.
(…)
Denn dann geht das in Richtung einer Art von „Omertà“ im Sinne eines Schweigens, dann ist quasi eine Art von Meinungskartell gegeben. Und ich finde, Aufgabe eines jeden Journalisten, eines jeden Künstlers muss es sein, diese Art von Konformitätsdrang zu zerstören und zu überwinden. Deshalb wollen wir mit unserem Appell auch das unselige Phänomen der Kontaktschuld abschaffen.
(…)
Der Cancel Culture geht es um das Gegenteil. Sie will Diskussionen unterbinden. Das heißt wir befinden uns an einem Punkt, wo Kommunikation tatsächlich nicht mehr gelingt, wo wir einen Kollaps der Kommunikation erleben. Und diese Situation ist für eine offene, freie Gesellschaft nicht mehr erträglich, denn wir alle können als Bürger nur Entscheidungen treffen, wenn wir Zugang zu Informationen haben. Dazu gehört eine Kabarettdarbietung, dazu gehören Bücher, Zeitschriften, dazu gehören auch Enthüllungen von Whistleblowern, von Organisationen wie z.B. Wikileaks. Wir sind heute in einer Situation, wo wir am Ende nicht mehr Diskussionen, nicht mehr Informationen haben werden, sondern weniger, und das öffnet letztendlich einer Emotionalisierung und auch einer Manipulation Tür und Tor.
(…)
Jeder kann betroffen sein. Es trifft ja inzwischen auch Künstler, Intellektuelle, die bisher „unverdächtig“ waren. Insofern erleben wir gerade eine Art von Kannibalisierung dieses Phänomens, die Revolution frisst sozusagen ihre Kinder.
(…)
Das Ganze ist als Wohnzimmeridee entstanden, zwischen dem YouTuber Gunnar Kaiser und mir. Vor ungefähr zehn Tagen habe ich zunächst angefangen, auf gofundme.com für diese Aktion zu sammeln. Die Idee war ursprünglich, eine Art Fonds einzurichten für gecancelte Künstler sowie für Künstler, die aus Solidarität ihre Teilnahme an Veranstaltungen absagen, die andere Künstler canceln. In solchen Situationen gibt es meist eine Diskussion, die letztendlich dazu führt, dass der Künstler ausgeladen wird. Die Institution ist beschämt, von den wahren Verantwortlichen hört man nicht viel, und die Canceller selber sind anonym. Das heißt, alles bleibt letztendlich am Künstler hängen und niemand solidarisiert sich offen. Auf diese Weise ist eine Art Anreizsystem für das Canceln entstanden. Und wir wollen das einfach umdrehen. Wir wollen, dass in der Zukunft Mut belohnt wird und nicht Feigheit, und dafür war eben diese Idee des Fonds ausschlaggebend, die wir nach wie vor verfolgen.
(…)
Ansonsten haben wir inzwischen einen massiven Zugewinn, eine massive Resonanz. Man muss sagen, wir sind am 28.08., Freitagnachmittag mit dem Appell ‚live‘ gegangen und haben inzwischen über 10.000 Unterzeichner in der Backlist, darunter auch noch etliche europäische und andere Prominente, die wir dann am 25. September alle veröffentlichen wollen. Und auch sonst konnten wir quer durch die Bank sehr viele Unterstützer aus der Gesellschaft gewinnen, vom LKW-Fahrer, von der Reinigungskraft über den Professor bis zum ehemaligen Universitätspräsidenten. Auch diese Berufsgruppen sind ja betroffen, ein Leiter des Goethe-Instituts ist mit dabei, viele Schriftsteller, Künstler, Kabarettisten. Insgesamt ist die Aktion also ein Erfolg.

volles Interview: https://www.novo-argumente.com/artikel/jeder_kann_von_der_cancel_culture_betroffen_sein

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