Mit seinem neuen Buch „Die Angst des weißen Mannes“ ruft Peter Scholl-Latour derzeit viel Widerspruch auf den Plan. Viele weiße Männer empören sich und wissen nicht, wovor sie Angst haben sollten … weiße Männer kennen weder Schmerz noch Angst. Scholl-Latour bleibt da nüchtern, wie hier im Tagesspiegel:
„Hier sind wir nicht nur in der ,Neuen Welt’ angekommen, hier begegnen wir einer neuen Menschheit, und die Vermutung stellt sich ein, dieses könnte die Menschheit der Zukunft sein. Mit seiner vielfältigen Harmonie der Rassen nimmt Brasilien eine ethnische Vermengung vorweg, die für den ganzen Globus Gültigkeit gewinnen könnte.“
Mit solchen Visionen vom Ende der herrschenden Kultur dieser Welt steht der weit gereiste Scholl-Latour nicht allein da. Schon vor ein paar Jahren wurde nüchtern der Untergang des weißen Mannes skizziert, hierzu was aus dem Deutschlandradio über den Autor Manfred Pohl:
Es sind ernüchternde Szenarien, die er beschreibt, etwa, wenn die heute geborenen Kinder in der Mitte ihres Lebens wesentliche Rohstoffe der Gegenwart nicht mehr zur Verfügung haben werden: Öl, Gas, Kupfer oder Uran. In 200 Jahren würden die weißen Deutschen lediglich eine ethnische Minderheit in ihrem Heimatland sein, als Fremdenführer für Touristen, die die Denkmäler der deutschen Hochkultur besichtigen.
Pohls Verdienst ist der Verweis auf Entwicklungen, die uns heute in ihrer Größe noch gar nicht bewusst sind: etwa, dass europäische und amerikanische Unternehmen den Wettbewerb mit asiatischen Konzernen verlieren werden. Die Übernahme des größten europäischen Stahlunternehmens Arcelor durch die indische Mittal Steel Company ist demnach erst der Anfang.
Pohl geht noch etwas weiter als Scholl-Latour, er sieht nicht nur das Verschwinden des weißen Mannes sondern auch eine besondere Gefahr für ihn:
Gleichzeitig verweist der Autor auf eine noch kaum beleuchtete Gefahr für den Weißen Mann: die seit den Zeiten der Sklaverei ihm aus bisher benachteiligten Regionen der Erde entgegengebrachte Distanz bis Antipathie. Pohl erwartet, dass die über Jahrhunderte ausgebeuteten Völker sich gegen ihn erheben werden.
Mitlerweile machen auch wir ehedem geliebten Deutschen uns wieder unbeliebt, zum Beispiel in Afghanistan oder auch mit der Aussicht, das ein Generalfeldmarschall Guttenberg mit seinen dann sechzigjährigen Soldaten deutsche Wirtschaftsinteressen im Ausland verteidigt.
Es ist eine Kultur, die ihre Zukunft in den letzten Jahren auf Fernreisen verheizt hat und nun noch droht, gewalttätig zu werden. Dabei hat der Rückzug der Sowjetarmee aus Afghanistan gezeigt, das unsere technische Überlegenheit gar nicht so viel wert ist, wie Hollywood uns immer beibringen will. Der Mythos vom Cowboy, der mit seinem überlegenen Repetiergewehr Indianer mit Pfeil und Bogen reihenweise vom Pferd holt, ist ein Mythos von Gestern und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat man konkrete Vorstellungen und Vergleichsmöglichkeiten über eine Welt, in der Europa und die USA ebenfalls den Weg überschuldeter Konsumnationen gehen, die in einer globalisierten Welt keine Chance mehr haben, ihre Kultur zu leben.
Allerdings hat der weiße Mann – sofern ich den Medien wenigstens in dieser Hinsicht Vertrauen kann – noch gar keine Ahnung von seinem Ende, mal abgesehen davon, das ihm die Konjunktur in den USA relativ egal geworden ist und er genauestens auf die kleinsten Zuckungen aus China achtet. Möglicherweise wird auch deshalb soviel in seine Verblödung investiert, damit er nicht sieht, warum es keine tragfähigen Utopien mehr für die Zukunft Europas gibt: ganz einfach deshalb, weil die momentanen Parameter überhaupt nicht die Vorstellung erlauben, dieser kleine rohstofflose Räuberkontinent hätte überhaupt noch eine Zukunft.
So ist man überrascht, wenn man nach Uganda schaut und dort politische Utopien vernimmt, die für uns völlig fremd sind, angesichts der herrschenden Oligarchie der Parteien aber möglicherweise sehr erfrischend wären, hätte man sie bei uns entwickelt und gebe es ein Klima, das die Veränderung der Gesellschaft überhaupt als notwendig erachtet: so lehnt der ugandische Präsident Museveni Parteien ab, weil alle Parteien uni-ideologisch sind, er will aber multi-ideologische Parteien. Nun, als Autokrat darf er das fordern … aber es würde auch unseren Parteien nicht schlecht zu Gesicht stehen, sich von dem ideologischen Erbe des 19. und 20. Jahrhunderts zu verabschieden, da wir mehr und mehr vor einem Scherbenhaufen stehen, der nur nicht auffällt, weil die Aufschwungpropagande so laut tönt – und alles übertönt, was unter anderem aus Brüssel, Washington, Peking und Kabul an schrägen Zwischentönen zu vernehmen wäre.
Solche Forderungen nach multi-ideologischen Parteien würden im Land der Dichter und Denker (eher wohl: Richter und Henker) mitlerweile das Volk überfordern. Darf ich der aktuellen Ausgabe des Sterns glauben, sind es allerdings wirklich eher die gebildeten, etablierten Mittelschichtler, die in Gorleben auf die Barrikaden gegangen sind – und das in voller Absicht als Protest gegen das System verstanden sehen wollten. Sie sehen, das ihr Wohlstand möglicherweise in einer Hartz IV-Rente endet, die einzige Utopie, die wir als Gesellschaft noch zustande bringen: Hartz IV für alle.
Darum ist es jetzt wohl ein kleiner Schock für viele, das die ersten Prominenten bei Hartz IV landen: Ingrid Steeger hat es laut Welt aktuell erwischt:
Männer hätten sie in den finanziellen Ruin getrieben, sagte Ingrid Steeger über ihre Hartz-IV-Not. Andere Männer wollen ihr nun helfen.
Da stürzen Welten ein. Unsere Promis auf dem Haufen der asozialen Schmarotzer … das geht ja gar nicht, da sind die Hilfsangebote groß, da werden die Fans von Fußball, Porno und Alkohol (die tragenden Grundsäulen unserer Powerspaßkultur) auf einmal aktiv … und bekommen ein wenig Angst:
„Wenn es unsere Promis schon erwischt … wann bin ich dann dran?“
Schon Arthur Schopenhauer sah in der Vermischung der Rassen eine große Chance, das all die einzelnen Qualitäten sich zu mehr als der Summe der einzelnen Fähigkeiten erheben und die Geschichte der USA deutet darauf hin, das er damit nicht ganz falsch lag.
Vielleicht liegt Peter Scholl-Latour falsch mit seiner Vorstellung einer neuen Menschheit, andererseits … käme eine andere Menschheit ganz gelegen. Die momentane scheint die Grenzen ihrer Schaffenskraft erreicht zu haben und an die Grenzen ihrer Möglichkeiten zu stoßen. Es wird eine spannende Zukunft, wenn endlich mal nicht mehr weiße Männer wie Luther, Kant, Marx, Freud (huch, alles Deutsche …) die geistige Welt des Planeten dominieren, sondern Menschen, die ganz anders zu denken gelernt haben und Wege finden, an die wir – mangels Kategorien – gar nicht denken konnten. Kant zumindest hätte das im Prinzip verstanden – aber auch erstmal keine Lösung gewußt.
Und – mal ehrlich: brasilianischer Karneval ist doch was ganz anderes als das Kölner Besäufnis am Rosenmontag, das seine Wurzeln im Kampf gegen die französische Besetzung des Rheinlandes durch die republikanischen Armeen hat. Die haben doch bis heute nicht verstanden, das Napoleon sich nicht mehr über die Verballhornung französischer Militärkultur aufregen wird.
Vielleicht ist es aber auch die Angst des weißen Mannes vor der Tatsache, das er … zum Vermischen nicht gewählt werden würde und nicht mehr Teil der neuen Menschheit wird. Jenen Aspekt der Integrationsdebatte beleuchten wir selten … was denn an uns so integrationsbegeisternd sein soll. Das wir eine Kultur haben, die nach den Alten, den Kranken und den Kindern nun auch die Arbeitslosen ausgesondert hat? Oder das wir uns besaufen können, bis uns schlecht wird? Komasaufen soll ja bald olympische Disziplin werden, damit wir wieder Medallienchancen haben.