sozialer Tod

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Steve Geshwister – ein Nachruf. Für Millionen. Und Künstler in Deutschland

SteveGeshwister Hinschmeissfliege

SteveGeshwister Hinschmeissfliege

Montag, 6.6.2016. Eifel. Es gilt wieder, einen Nachruf zu verfassen. Ob jemand gestorben ist? Das weiß ich nicht. Kann es auch nicht ausschließen. In meinen Augen jedoch: ja. Bleiben wir doch mal beim Thema: Tod. Eins der Tabuthemen unserer Gesellschaft, eins, zu dem ich keine Lust mehr habe, etwas zu schreiben: zu dicht sind im Jahre 2016 die Informationen über „Nahtodeserlebnisse“, zu übereinstimmend und mit hochkarätigen Zeugen besetzt, als dass ich noch Laune hätte, mir dieses „danach kommt ganz sicher nichts“ noch länger anzuhören – es wäre so, als würde man mir verkaufen wollen, dass die Erde eine Scheibe ist. Natürlich ist dies ein politisches Tabu: wer die Überzeugung hat, dass seine Seele ewig währt (und Verantwortung für ihre Taten übernehmen muss – wenn auch nur vor sich selbst, aber nach Maßstäben, die man selbst nicht setzt), kann schnell dazu führen, dass man seinen Leib auch mal für „Widerstand“ einsetzt anstatt dem üblichen „friss Steaks und Hummer, solange du noch kannst“ zu folgen.

Diese Überzeugungen sind so alt wie die Menschheit selbst (so gut wie wir das heute eben nur sagen können) und oft missbraucht für totale Herrschaftsausübung (wie so viele andere Anschauungen auch: wie viele Verbrechen werden allein gerade im Namen der „Freiheit“ durchgeführt – wodurch jedoch die Freiheit als solche nicht schlecht wird und Zwang nicht gut), es ist nur eine winzige Minderheit im Kosmos des Menschseins, die der aktuell modernen Religion des Nichts folgt – die gleiche Minderheit behauptet auch, dass wir – auf einem sehr, sehr jungen Planeten weit ab vom lichtvollen Zentrum der Galaxis lebend – die einzige mit Intelligenz begabte Art des Universums seien, ohne zu realisieren, dass eine Art, die ihren eigenen Planeten vergiftet, genug Atombomben hat, um ihn 200 Mal zu verwüsten und den ganzen Tag damit beschäftigt ist, sich selbst das Leben schwer zu machen, auf der Skala galaktischer Intelligenz weit unter dem Komodowaran steht – und deshalb nicht mit intergalaktischem Botschafteraustausch rechnen darf.

Obwohl die Fortexistenz von „Bewusstsein“ (aber nicht im Sinne des kleinlichen „Ich“ verstanden, das sich so gut auf Börsenoperationen, Steuervermeidung, Sanktionen und andere Angriffskriege versteht) in nahezu allen Kulturen vorhanden war – auch in den allerältesten, die noch mehr dem Instinkt als der Verführung folgten – mochten alle den Tod nicht sehr. Einerseits ist der Prozess des „Sterbens“ nicht angenehm: Millionen von Zellen schütten Botenstoffe aus, die den Geist betrüben – ihr Ende ist gewiss und sie erfüllen ihr Programm, den Geist zu warnen, dass Gefahr droht. Ihnen fehlt das Bewusstsein der Sterblichkeit, sie machen ihren normalen Job bis zum Ende und senden häßliche Impulse, wenn das Überleben in Gefahr ist. Es gibt aber noch mehr, was die Altvorderen stört – obwohl sie in dem Bewusstsein lebten, ewig zu sein – und in dem Bewusstsein, dass dort die „Ewigen Jagdgründe“ auf einen warten – erstmal, als Kur, zur Erhohlung.

Was sie noch störte: die Abwesenheit eines geliebten Menschen, mit dem man nicht mehr interagieren kann – es sei denn, gewitzte Schamanen durchbrechen die Mauer zwischen den Welten, um ein paar Worte auszutauschen (wovor oft gewarnt wurde … wegen „Nebenwirkungen“) … was aber für das Erleben einfach nicht dassselbe ist. Es ist der kleine Tod – den ich selbst jedesmal empfand, wenn ich zu meinen Geschäftsreisen aufbrach und die Kinderschar im Rückspiegel kleiner werden sah: das Jahrtausende alte Recht eines Vaters, seine Kinder groß werden zu sehen, wurde mir genommen, für ein paar Tage waren wieder eiskalte Gesellen meine Gefährten, anstatt meine eigenen Kinder. Da war Trauer – auch wenn ich wusste, dass sie noch lebten … aber es fand kein Austausch mehr statt, kein Miteinander.

Das gleiche gilt für Steve Geshwister, der jetzt von uns gegangen ist. Er hat – sozusagen – die „Hinschmeißfliege“ (siehe oben) gemacht. Ob er tot ist? Nun – Steve hies nicht wirklich Steve, er hieß Jürgen (da verrate ich nichts Neues, nur ein bischen lesen und schon hat man seinen echten Namen). Und für einen solchen Jürgen, geboren 1966, fand ich eine aktuelle Todesanzeige. Der ist aber zu alt für Steve. Hoffe ich. Jürgen lebt also vielleicht noch – auch wenn er selbst genau weiß, dass „leben“ nicht die Bezeichnung ist, die man dieser Existenzform geben würde. Genau das machte ihn ja aus: den klaren Blick hinter den Lügenphrasen, einem Blick, den er in Bilder fassen konnte, Bildern wie diesem hier:

Sternbild der Hoffnung

Ja: immer noch aktuell. Die deutsche „Willkommenskultur“ läßt immer noch Menschen im Mittelmeer ertrinken – unter dem Zeichen der Flüchtlingsrettung. Gelebter Wahnsinn, unter dem ein gesunder Geist zerbrechen muss, weil großer Beifall für den Status Quo gefordert wird. „Wir helfen denen, die nicht ersaufen – und Geld genug für die Überfahrt hatten“. „Hungergames live“ – und niemanden störts – außer Steve.

Ja – Steve ist nun tot. Was Jürgen macht, weiß ich nicht. Vielleicht wieder in der Halbzeugfabrik arbeiten (siehe Nachrichtenspiegel). Er hat sich auf jeden Fall offiziell verabschiedet, wie immer in ganz feiner, liebevoller, vornehm zurückhaltender Sprache, die den feinen Geist auszeichnet, der sich selbst in aller Bescheidenheit nicht all zu sehr in den Vordergrund spielen möchte (siehe Nachrichtenspiegel):

„Oben schreibe ich von einem Auszug, doch das stimmt nicht ganz. Ich gehe einfach weg.
Eigentlich hatte ich geplant mein Konto bis zur Dispogrenze abzuräumen, bevor ich mich aus dem Staub mache. Da ist aber nichts mehr, weil mir der Kontostand immer egal war. Er ist mir egal und er wird mir egal sein. Probleme haben komischerweise immer die anderen damit. Der Vermieter zum Beispiel. Es ist die Sozialwohnungsbaugesellschaft der Stadt. Von mir aus könnte es auch irgendein Privatkapitalist sein. Es ist mir egal. Ich wende keine Lebenszeit mehr für das Verfassen einer ordentlichen Kündigung auf, es erscheint mir schlicht nicht sinnvoll. Ich verlasse einfach diesen Ort. Im Rucksack befinden sich eineinhalb Schachteln Kippen und zwölf Dosen Bier, mehr war finanziell nicht drin. Ich trage das gefälschte „England“-T-Shirt vom Vietnamesenmarkt, das vorgibt von Motörhead zu sein und dunkelbraune Cargo-Shorts, deren rechte Tasche ungewohnterweise keine Schlüssel ausbeulen, werde sie nicht brauchen. Der Sommer beginnt gerade, ich werde so schnell nicht erfrieren. Ich weiß nicht, wohin mich mein Weg führt, was mir widerfahren wird und trotzdem habe ich keine Angst. Alles was ich verlieren könnte, lasse ich zurück.
Ich überlege kurz, ob ich das Skizzenbuch und das Bündel Bleistifte, die ich bereitgelegt hatte, in den Rucksack packen soll, entscheide mich dagegen. Mir ist, wenn man es so ausdrücken möchte, die Sinnhaftigkeit bestimmter Arten menschlichen Tuns nicht mehr sehr geläufig. In einigen Augenblicken werde ich den Rechner herunterfahren, den Rucksack schultern, die knarzende Treppe heruntergehen und das Backsteinhaus, die Straße, das Viertel, die Stadt, verlassen.“

Ich selbst – hatte das viel zu spät gelesen. Bevor es darüber Gemecker gibt: ich lese ALLES. IMMER. Aber nicht alles immer sofort. Um eine Bekannte zu zitieren: „bei dem, was Du leisten musst, ist es ein Wunder, dass Du noch nicht in der Anstalt gelandet bist“. Ja: ich habe noch viele andere Baustellen als diese hier. Rechnungen, zum Beispiel. Kinder. Nachbarn. Krankheit, Ämter, Schulen. Bücher würde ich auch gerne weiterschreiben – das hat Spaß gemacht – aber ich kann nicht immer alles auf einmal machen. Und brauche viel mehr Ruhephasen als gesunde Menschen, habe trotz allem einen Textmengenausstoß, den man nur noch selten findet. Was soll ich auch machen – ich kann nichts anderes … mehr.  So kam es, dass in all´ dem Trubel (zu dem auch die Obdachlosigkeit eines mir sehr nahe stehenden Menschen gehörte) Steves Abschied erst Tage später bemerkt werden konnte … und wie er es so erzäht – brilliant geschildert wie immer – wirkt es ja auch sehr unterhaltsam, man ist geneigt, die Botschaft dahinter zu überhören … wie ernst dieser Abschied war, merkt man erst viel später, wenn man feststellt, dass alle Kommunikationskanäle gelöscht worden sind. Kein „linophil“ mehr, kein Facebook – und Mails kommen als „Error“ zurück.

Steve Geshwister ist … erloschen, samt vieler unvergleichlicher Kunstwerke.

Mich persönlich hat das sehr überrascht – trotz der mahnenden Worte, die schon lange in seinen Schriften zu finden sind. Eine seiner letzten Arbeiten war: ein Logo für den Menschenschutzbund. Ja – eine ganz alte Baustelle von mir, ein Verein, der endlich Menschenrechte mit Tierrechten gleichstellt, dem Tierschutzverein einen Menschenschutzverein an die Seite stellt. Ich weiß nicht, ob ich es verwenden darf, tue es aber einfach mal ganz frech und schiebe die Gründung des Menschenschutzbundes gedanklich wieder etwas höher auf meine „to do“-Liste – notwendig wäre er schon, sinnvoll auch – in Zeiten, wo Arbeitslose von reichen Bundestagsabgeordneten als „fauler Krüppel“ bezeichnet werden (siehe Theeuropean), wo offen über die Deportation von Arbeitslosen gesprochen wird (siehe gegenHartz), wo die „Alternative für Deutschland“ nach ersten Wahlerfolgen zeigt, dass sie gar keine Alternative ist – außer, dass sie asoziale Politik der neoliberalen Altparteien (hier – brutal viel länger arbeiten für brutal noch weniger Rente – siehe N24) mit neuem Personal durchführen möchte … um nur ein paar „Schmankerl“ zu nennen:

msbev_logo.jpg

Meine Antwort an Steve – der hier, wie so oft, sehr engagiert war – war leider nicht so schön: ich kann gerade nicht. Mir fehlt aktuell Zeit für alles. Ungern erinnere ich mich auch an meinen Vorschlag, seine Bilder mit meinen Texten zu versehen … steht auch auf der viel zu langen to do Liste, die ich jetzt wohl um ein paar Positionen streichen kann – wie die, zu überlegen, wie man den Verkauf seiner Bilder forcieren kann, denn: jetzt ist er – allen Pläne zum Trotz – völlig verschwunden. Tot – jedenfalls als Kommunikationspartner für Menschen. Vielleicht – ist er ja auch arbeiten. Ein paar Überlegungen dazu hatte er mal angestellt, hier in einem Kommentar (siehe Nachrichtenspiegel):

Bis noch vor wenigen Jahren konnte ich mit dem Begriff „innere Emigration“ nicht besonders viel anfangen. In der Auseinandersetzung mit Künstlerpersönlichkeiten, die jeweils in den Kriegsvorbereitungsjahren des ersten und zweiten Weltkriegs tätig waren, stieß ich auf diesen Ausdruck und konnte ihn für mich nicht so recht fassen. Mittlerweile weiß ich zumindest, wie sich das Bedürfnis nach eben jener inneren Emigration anfühlt.
Auch wenn von ihr besonders im Zusammenhang mit Künstlern gesprochen wird, ist sie möglicherweise ein Abwehrmechanismus größerer Bevölkerungsteile und wieder hochaktuell. Ich denke ernsthaft daran, mich auf mich selbst und meine kleine Miniwelt zurückziehen, acht bis zehn Stunden täglich zur besten Lebenszeit einem Markt anzubiedern, dessen Produkte mich einen Scheiß interessieren (und den ich sogar insgeheim verachte) und der Dinge harre, die da noch kommen mögen.
Ich fühle mich schlicht überfordert. Die Lüge hat das Ruder übernommen, machen wir uns nicht vor. Warum sollte ich dann nicht auch mitlügen? Ich hätte kein Problem damit, die einfältigen Arschgeigen anzulügen, die mithilfe der verlogenen Werbegrafik, die ich ihnen verkaufe, hoffen, auf noch dickere Hose machen zu können. Aber noch schaffe ich es nicht, mich selbst anzulügen. Große Teile der Medien- und Politiklandschaft schaffen das aber schon ganz hervorragend.

„Sich nicht selbst anzulügen“ – ist eine wichtige Voraussetzung dafür, in den „ewigen Jagdgründen“ keine großen Probleme mit sich selbst zu bekommen – ein Wissen, dass uralt ist … und als Gebot unserer ältesten Instinkte (die kann man auch „Gewissen“ nennen) jederzeit abrufbar. Untolerierbar für eine kapitalistische Leistungsgesellschaft, in der der Mensch diese innere Stimme zuerst töten muss, um eine Zeit lang erfolgreich das Geld andere Leute vermehren zu dürfen (was ziemlich idiotisch wirkt, wenn man es so formuliert).

Viele werden sich dies genau einreden: der Jürgen ist vernünftig geworden, er hat den Steve vom Markt genommen und macht wieder den Job des freien Werbezeichners, der sich gut anhört und die Seele auffrisst, so, wie wir unser aller Seele auffressen lassen im Dienste der Rendite unserer neuen Herren.

Ich sehe das nicht ganz so – denn ich sehe seine Entschlossenheit, sich nicht auffressen zu lassen, schon länger, kann sie gut nachempfinden, denn bevor mich der Segen der Krankheit ereilte (ja – ist das nicht eine kranke Welt, in der man für chronische Schmerzen dankbar sein muss, weil sie die Seele davor schützen, von „Bullshitjobs“ zerfressen zu werden, die ein sechsstelliges Jahresgehalt mit sich bringen – und den Tod der Seele vor Eintritt des Rentenalters garantieren), fühlte ich genauso. Lesen Sie es mal bitte in aller Ruhe durch: zum Beispiel den „Autostrich“ (siehe Nachrichtenspiegel), das Smaland-Syndrom (siehe Nachrichtenspiegel), das Gedicht über den Gaukler (siehe Nachrichtenspiegel) – hier findet man einen großen Geist, der sich nicht nur durch Bilder auszudrücken vermag, sondern auch die Kunst der Worte beherrscht, was man besonders in seinem Gedicht über „heilige Abende“ erfahren kann (siehe Nachrichtenspiegel), ein Gedicht, das von Christoph Holzhöfer vertont wurde.

Was ist – wenn „Steve“ nun wirklich mit zwölf Dosen Bier und anderthalb Schachteln Kippen in die weite Welt hinausgezogen ist? Er hat es so schön erzählt, so fein gesponnen, dass man die grausame Wahrheit dahinter einfach überhört: er ist obdachlos. Manche mögen das mutig finden – für mich hört sich das gefährlich an. Da draußen gibt es „Kälte“, der man nicht entkommen kann. Eine Weile vielleicht – dann droht – wenn man Glück hat – das Obdachlosenasyl. Was ist mit seiner Frau, seinem Traum von Familie? Schwer, so etwas unter der nächsten Brücke der A 8 zu leben. Wie weit kommt man eigentlich mit zwölf Dosen Bier? Einen Tag, denke ich. Vielleicht zwei. Dann sind auch die Kippen alle. Und dann … kommt auch langsam der Hunger. Schnell kann sich dann jede Abenteuerromantik in Luft auflösen.

Und doch kann es den Preis Wert sein.

Was fehlt noch an dem Nachruf? Die Wertschätzung seiner Arbeit. Ich mochte sie – so einfach ist das. Die Farben haben mich immer begeistert. Mehr braucht es nicht, um ein Künstler zu sein – Menschen, denen die Kunst gefällt. Einer reicht völlig – er hatte aber tausende. Das „Kritiker“ in erster Linie ein Abwehrreflex des Establishment sind, deren Aufgabe darin besteht, „Fremde“ von den für sie reservierten Schweinefleischtöpfen der Gesellschaft fern zu halten, dürfte Künstlern aller Fachrichtungen bekannt sein. Neu war für mich, dass „Künstler“ aktuell auf „Arbeitgeber“ abstoßend wirkt – das erfuhr ich von einem Berufsbegleiter des Arbeitsamtes, der meinen Kindern bei Bewerbungen hilft und dringend davon abriet, die aktuellen Tätigkeiten des Vaters in der Bewerbung zu erwähnen. „Lehrer“ – wurde da als besser kategorisiert, signalisiert auch einen festen Arbeitsvertrag – den ich gar nicht habe. Hätte nicht gedacht, dass ich als harmloser Blogger schon in die böse Kategorie falle.

An was erinnern wir uns als „Menschheit“ eigentlich wirklich, wenn wir an frühere Zeiten denken? Nun: Kriege. Das wird uns aber nur in der Schule beigebracht. Was überdauert aber ohne Hilfe der Staatsbeamten und Konzernbüttel?

Kunst.

Bildhauerei, Architektur, Gemälde, Lieder, Geschichten, Zeichnungen: noch heute lesen Menschen die Weisheiten der germanischen „Edda“ – während man die preisgekrönten Künstler des letzten Jahres schon nicht mehr kennt – es sei denn, ein Geldmächtiger hält ihre Botschaft auch dieses Jahr für nützlich.

Hier zermalmt der moderne Kapitalfaschismus die edelste Leistungskategorie der Menschheit, treibt sie unter die Brücke.

So wie Millionen andere auch – die einfach nur Lebenskünstler sind – oder sein müssen.

Wieso sich tausende seine Bilder angeschaut haben, aber zu wenig welche kauften, dass er in seiner bescheidenen Sozialwohnung hätte weiter existieren können, weiß ich nicht. Ich kann nur für mich sprechen – Investitionen in Kunst sind gerade in meinem Budget nicht abbildbar, hier nagen Essen, Kleidung und Strom an der Substanz … wie bei Millionen anderer auch.

Und wenn wir uns fragen, warum unsere gewaltigen Geschichtenerzähler aus Hollywood größtenteils auf uralte Geschichten zurückgreifen und schon ihre eigenen Filme von vorgestern wieder neu drehen, so haben wir hier eine Antwort: unser Goethe, unser Shakespeare, unser Beethoven, unser van Gogh, unser Schopenhauer und unser Dali – lebt von Hartz IV oder … wie Steve … auf der Straße. Dort kann man nur schwer Werke leisten, die von Dauer sind, der „soziale Tod“ ist nicht förderlich für die Kreativität.

Das gleiche gilt auch … für „Brotjobs“, die gerade jenen Geist fressen, zu dessen Entfaltung wir auf die Welt gekommen sind.

PS: eine aktuelle Übersetzung des Wortes „Grippel“ kann auch ich nicht liefern, habe mich deshalb – wie andere auch – für das naheligende lautähnliche Wort „Krüppel“ entschieden, weil es der Intention der Rede entspricht. Nur, falls es dazu Fragen gibt.

Über multiresistente Keime, Kulturtod und emotionale Vulkanausbrüche in neoliberaler Gletscherlandschaft – und Enten, die an Nacktschnecken ersticken

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Foto: Nacktschneckenpaarung CC-BY-SA-3.0 BY rupp.de/wikimedia commons (Quellenlink)   

Jedes Jahr infizieren sich in Deutschland rund eine Million Menschen mit multiresistenten Krankenhaus-Keimen / MRSA, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft (siehe ARD-Doku „Operation gelungen – Patient tot“). Nach Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sterben daran ca. 40.000 Patienten. Falls wir Antibiotika in der Tier- und Menschenmast weiterhin so unbedarft einsetzen wie bisher, werden laut neuesten Berechnungen  demnächst mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben als an Krebs (siehe Spiegel). Laut dem „Review on Antimicrobial Resistance“ könnten bis 2050 weltweit zehn Millionen Menschen pro Jahr an nicht mehr behandelbaren Infektionen sterben. „Wenn wir das Problem nicht lösen, steuern wir auf Zeiten wie im Mittelalter zu. Viele Menschen werden sterben“, warnt der Ökonom Jim O’Neill, der die Recherchen zu dem Bericht leitete, gegenüber der BBC (siehe Bericht). Sogar die eisern in neoliberalen Traumgefilden schlafende CDU-Fraktion schlägt inzwischen Alarm.

Als ob diese Art von Infektionen noch nicht schrecklich genug wäre, naht sich uns eine noch viel abgründigere, wenngleich unsichtbare und daher wenig thematisierte Gefahr: Die innere Vermorschung bzw. der geistige Tod. Wenn man die derzeitige Sachlage einige Jahre in die Zukunft extrapoliert, dann wird diese Art des Todes wohl weitaus mehr Menschen dahinraffen als MRSA und die Pest im Mittelalter zusammen.

Eine Vorstufe zum geistigen Tod ist der soziale Tod, wenngleich, wie wir sogleich ausführen werden, der soziale Tod gleichzeitig eine große Chance ist, dem geistigen Tod zu entrinnen –insofern kann das Hartzer-Schicksal bei aller bekämpfenswerten Dramatik womöglich eine großartige Chance darstellen, um der endgültigen Auslöschung seines Menschseins zu entgehen.

Aber alles schön der Reihe nach. Im jüngsten Artikel des Eifelphilosophen (Der soziale Tod – Triumph der Elite, Wille der Regierung, Ende der Gerechtigkeit) wird bereits das drohende Schicksal des fernsehenden Reihenhaus-Sparschweinbürgers skizziert: der soziale Tod. Indem sich bei stagnierenden Haushaltseinkommen und gleichzeitig rasant steigenden Wohnungs- und Lebenshaltungskosten immer weniger Menschen, nicht nur Hartzer,  den Eintritt in eine Theater-, Konzert- oder Sporthalle leisten können – oft sprengt schon der Cafe- und Eissalonbesuch das Familienbudget -, verlieren sie den Anschluss an Kultur und Gesellschaft.

Ohne Zweifel ist das Herausdrängen aus der Kulturteilhabe bzw. die Gefahr des sozialen Tods etwas ungemein Schmerzvolles und zeugt von einem Totalversagen unseres Polit- und Wirtschaftssystems. Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber: Diejenigen, die sich Kulturteilhabe noch leisten können und aus dem Vollen schöpfen, befinden sich ohne dass sie es wissen, in noch viel größerer Gefahr – der Gefahr, dem geistigen Tod bzw. einer Art innerer Vermorschung entgegenzugehen. Denn war die Teilhabe an der herrschenden Kultur in früheren Zeitepochen i.d.R. der Garant und Wegweiser für eine angemessene menschliche Entwicklung, so ist es heute andersrum: Kultur muss individuell begründet werden. Schwimmt man nur mit dem mit, was einem von außen als „Kulturleben“ zugefüttert wird, dann wird man von einem Vakuum angesaugt, geht man langsam aber sicher unter und erleidet eine Art inneren Erfrierungstod (heute salopp als „Burn-out“ bezeichnet – was zunächst flammend und heldenhaft klingt, aber schon bei wörtlicher Interpretation zeigt, dass dieser Zustand gar nichts Flammendes oder Wärmehaftes mehr in sich hat, sondern eben: „Flamme-aus“, also: Kälte).

Die Sache ist leider umso tückischer als diesem geistigen Erfrierungstod jede Menge feuriger Eruptionen und Emotionsfeuerwerke vorangehen, die den Eindruck von wohliger Wärme und Vitalität erwecken. Da diese jedoch den Menschen in Wirklichkeit leer ausgehen lassen, muss die Dosis ständig gesteigert und noch mehr Treibstoff verbrannt werden. Der Designer Ken Garland bringt es auf den Punkt: „Unsere Überflussgesellschaft hat einen Punkt der Sättigung erreicht, an dem der schrille Schrei der Konsumpropaganda nichts weiter ist als bloßer Lärm.“  

Auch wenn das unmittelbare Schicksal hart erscheint: Wer in die Einkaufs- und Wellnesstempel dieser Überflussgesellschaft nicht mehr eintreten kann, sondern notgedrungen daheimbleiben und sich mit karger, aber substanzieller und vitaminreicher Diät in Form von klassischer Philosophie zufriedengeben muss – Marc Aurel, Seneca und Goethe gibt’s beim Trödler schon ab € 1.-, also zum Gegenwert einer Vanilleeiskugel, und der Kenner kann ein ganzes Jahr von einem einzigen solchen Büchlein zehren -, der hat die Chance, die heranrollende kulturelle Pestepidemie zu überstehen und geistig gesund zu bleiben (sofern er auch das Ernährungs- und Heizungsproblem löst, ich weiß).

Ein Hartzer in der Eifel oder im Schwarzwald hat also womöglich weitaus bessere Überlebenschancen, um die kommende geistige Pandemie zu überstehen als ein urbaner Karrierist im SUV. Man nehme nur den Eifelphilosophen: Wäre er nicht geharzt worden, dann triebe er weiterhin in wortmächtiger und überzeugungskräftiger Weise für einen Pharmakonzern sein Unwesen, der aktuell mit Monsanto fusionieren will (demnächst vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt / siehe Netzfauen.org). So aber nutzt er seine Wortmacht und Intelligenz nun dazu, um gerade denjenigen aufgeblasenen Gummikrokodilen einen Stich zu verpassen, denen er früher gedient hat – und hilft damit unzähligen Menschen, in einer zunehmend vergletscherten Gesellschaft nicht an sich zu zweifeln, sondern dem zur Normalität erklärten Wahnsinn die Stirn zu bieten (Hallo Eifel, möchte deinen guten Namen hier nicht verhunzen, aber du bist da einfach ein Paradebeispiel).

Viktor Frankl denkt die aktuelle Situation zu Ende und spricht vom „existenziellen Vakuum“ als größter Herausforderung unserer Zeit:

„Fragen wir uns doch nur, was das Resultat wäre, wenn ein menschliches Wesen sämtliche Bedürfnisse, die es im Zeitquerschnitt haben mag, voll befriedigen vermöchte – was wäre das Resultat: das Erlebnis der Erfüllung? Oder vielmehr das Gegenteil, nämlich die Erfahrung einer abgründigen Langeweile – einer bodenlosen Leere – eben des existenziellen Vakuums? Mit diesem Vakuum werden wir Neurologen ja alltäglich und sprechstündlich konfrontiert …“

Gleichzeitig weist Frankl auch auf den goldenen Mittelweg hin, der gelungenes Leben ermöglicht (und den er zwischen den beiden ebenfalls in uns immanenten Tendenzen nach bloßer Macht und nach bloßer Lust lokalisiert): die Ergründung – und schließlich das aktive Schaffen – von immer mehr Sinn.

 „Aber der ‚Mensch auf der Suche nach Sinn‘ wird unter den gesellschaftlichen Bedingungen von heute eigentlich nur frustriert! Und das rührt daher, dass die Wohlstandsgesellschaft bzw. der Wohlfahrtsstaat praktisch alle Bedürfnisse des Menschen zu befriedigen imstande ist, ja, einzelne Bedürfnisse werden von der Konsumgesellschaft überhaupt erst erzeugt. Nur ein Bedürfnis geht leer aus, und das ist das Sinnbedürfnis des Menschen – das ist sein „Wille zum Sinn“, wie ich ihn nenne, das heißt, das dem Menschen zutiefst innewohnende Bedürfnis, in seinem Leben oder vielleicht besser gesagt in jeder einzelnen Lebenssituation einen Sinn zu finden – und hinzugehen und ihn zu erfüllen.“

Wird der Sinn des Lebens und des Menschseins geleugnet und werden Mensch und Welt nur als geistlose, kommerziell verwertbare Kohlenstoffhaufen angesehen, so wie dies derzeit in Schulen und Universitäten de facto gelehrt wird, dann gerät der Mensch in innere Verzweiflung.

Aktuell konstatiert Regisseur David Schalko „Perversion als letzten Ausdruck der inneren Verzweiflung“. Plattformen und Übertragungsstätten der inneren Verzweiflung sind nicht nur unsere urbanen Kulturstätten, Arbeitsplätze und Medien, sondern zunehmend auch unsere Bildungsseinrichtungen und Universitäten. In einem jüngsten Interview beklagt der Jenaer Soziologie-Professor Hartmut  Rosa unter Verweis auf die stark zunehmenden Burn-out-Raten und Angsterkrankungen schon unter Studenten, dass die Universität immer mehr zu einer „Entfremdungszone“ werde.  Jede Nacht wachten in unserer beschleunigten, spätkapitalistischen westlichen Welt mehr Menschen schweißgebadet auf als in totalitären Regimen (Quelle: Zeit).

Natürlich wäre es nun keine Lösung, sich von allen diesen entfremdeten Orten gesellschaftlichen Geschehens fernzuhalten. Im Gegenteil, es geht darum, mutig und gut gerüstet mit Humor in diese Räume einzutreten und sie wieder in menschengerechte Lebensumfelder zu verwandeln.

Zurück aber zu unserem eigentlichen Thema, dem drohenden geistigen Tod. Um an die Wurzeln des Virus zu gelangen, der zu dieser Art Tod führt, müssten wir weiter ausholen. Da das Hamsterrad, in dem ich selbst laufe, mir dazu gerade nicht genug Atem lässt, müssen wir ein andernmal darauf zurückkommen. Die nachfolgenden Streiflichter sind in Wirklichkeit vollkommen unwichtige Randerscheinungen, eigentlich gar nicht wert, sie zu erwähnen. Niemand möge sich daher an den Beispielen festbeißen. Sie sind nur oberflächliche Symptome und womöglich sogar autoimmune Heilungsversuche und Rettungsschreie eines zutiefst kranken und daher fiebernden menschlichen Organismus. Wem die Beispiele dekadent vorkommen, dem sei gesagt: Das ist noch gar nichts. Gegen das, was noch auf uns zukommt, sind das nur humoreske Kinkerlitzchen, quasi nur das Wetterleuchten eines Hurrikans, der sich noch hinter dem Horizont verbirgt. So ähnlich wie eine tödliche Infektion sich zunächst als leichte Kopfschmerzen oder Magenkrämpfe äußern kann. Trotz ihres Seifenblasen-Charakters können besagte Symptome aber als erste Annäherung an den eigentlichen Leviathan dienen, der unsere Gesellschaft derzeit durchlöchert wie ein Bandwurm einen Schweizer Käse.

Nachdem Politik und Wissenschaft sich bisher als vollkommen unfähig erwiesen haben, diesen aalglatten und obendrein unsichtbaren Bandwurm zu erfassen, bleibt uns als Barometer des Zeitgeschehens wieder einmal nur die Kunst. Noch der griechische Mensch fühlte sich nur deshalb gesund, weil er regelmäßig durch Kunst und Drama eine Katharsis, eine innere Reinigung erfuhr und sich ihm während des Schauspiels die Perspektive auf begeisternde menschliche Ideale eröffnete. Obwohl sich unsere Kunstszene längst von diesen ihren eigentlichen Möglichkeiten verabschiedet hat (bereits 1972 konstatierte der Nobelpreisträger Oktavio Paz das „Ende der Kunst“), so ist die Funktion der Kunst heute zumindest die eines präzisen Spiegels des herrschenden Zeitgeistes.

Was spiegelt uns also aktuell die Kunst? Auf der Documenta in Kassel, der weltweit bedeutendsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst, erfährt man etwa von der früheren künstlerischen Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev (vom Magazin „ArtReview“ zur einflussreichsten Person im internationalen Kunstbetrieb gewählt): „Ich habe kein Konzept.“ – setzt jedoch nach, dass die Documenta immerhin eine „Choreographie“ habe: „Sie ist unharmonisch und frenetisch“; außerdem: „Ich halte Verwirrung für eine sehr gesunde Position.“

Vor einigen Jahren habe ich aus dem Kulturteil einer Tageszeitung folgenden Artikel der Kunstjournalistin Andrea Heinz herausgerissen, weil ich ihn als Kunstliebhaber so ungemein treffend fand:  „Überhaupt scheinen es in dieser zeitgenössischen ‚Crossover-Kunst‘ Selbstbezogenheit und der Rückzug auf das Ich zu sein, die aus der Auseinandersetzung mit der Umwelt resultieren. Die klassische Dreieinigkeit vom Schönen-Wahren-Guten ist ohnehin passe, es geht jetzt maximal um individuelle Wahrheiten. […]  es ist, wenn man so will, die Kunst der Krise. Es sind Kunst-Fluchten, die sich die hochqualifizierte und -gezüchtete Kunstelite von morgen erschafft.“

Der Artikel stammt aus 2011. Inzwischen ist wieder einiges Wasser den Bach hinuntergeflossen und der Kessel, in dem wir sitzen, um ein paar weitere Grad Celsius erhitzt worden. Als ich vorgestern das Programm einer der international anerkanntesten, seit 1927 etablierten Kunstveranstaltungen, der „Wiener Festwochen“ las, wehte mir bereits ein ganz anderer Wind entgegen. Folgender Bericht findet sich dazu als oberster  Leitartikel der Tagesnachrichten im österreichischen Rundfunk ORF (Anliegen der Wiener Festwochen ist es lt. Wikipedia, „Kulturereignisse selbst zu schaffen oder mitzugestalten, die höchstes künstlerisches Niveau mit gesellschaftsrelevanten Inhalten und Zielen verbinden“. Sie verstehen sich als „Angebot zur Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Welten“; ebenso besitzt der ORF einen gesetzlich verankerten Bildungsauftrag). Highlight der Festwochen  ist diesmal eine Inszenierung des Regisseurs Jan Fabre „Mount Olympus“ (siehe Volltext mit Bildern auf orf.at):

„…Diese Akkuratesse braucht es auch, wenn auf der Bühne gekotzt wird, wenn Frauen stehend in Glasgefäße urinieren, Pornoszenen nachgestellt werden und 20 Personen wild um sich schlagen, kreischen und schluchzen, wenn rohes Fleisch und Eingeweide geworfen werden, wenn echtes menschliches Blut fließt … Denn 24 Stunden Chaos – das würde rasch langweilig. Es braucht also eine strenge Dramaturgie – und höchste Konzentration.

… 24 Stunden, in denen Fabre sein Publikum gemeinsam mit den Darstellern immer weiter bergab führt in die Untiefen des Unbewussten, wo Tagesreste, Ängste, Begierden und Traumfetzen einen wabernden Morast bilden.

… Dem Zuschauer wird gleich zu Beginn empfohlen, sich auf das Geschehen einzulassen und dabei nicht rational zu denken. Den körperlichen Einstieg macht Regisseur Fabre leicht: Während einer Drum-and-Bass-Nummer mit halbnackt twerkenden Darstellern fahren einem die Beats in alle Glieder. Ein überdrehter Dionysos schüttelt als „Master of Ceremony“ die üppig vorhandenen Speckfalten und verspricht, den ganzen Saal in den Wahnsinn zu treiben.

… Im Laufe der Nacht stellte sich, wie geplant, kollektive Trance ein, die sich im Lauf des Sonntags noch steigerte. Langsame, behutsame Bewegungen im Zuschauerraum, eine eingeschworene Community bildete sich hinter, auf und vor der Bühne. Es breitete sich ein wohliges Gefühl der Verbundenheit aus. Ein Erfahrungsraum war geöffnet, in dem nichts obszön wirkte oder flach. Jetzt hatte Fabre das Publikum dort, wo er es wollte, und konnte sein Bestiarium in all seiner Brutalität, Geilheit, Verzweiflung und Lächerlichkeit vorführen.

… Das Publikum dankte dem Regisseur und den Darstellern für diese intensiven Erfahrungen mit einem intensiven 15-minütigen Applaus.

… Fabre teilt seine körperliche Interpretation dessen, was dem menschlichen Handeln zugrunde liegt: Status wollen. Bestimmen wollen. Und gleichzeitig: alle Zügel fahren lassen wollen, mit jedem ficken wollen, vor Schmerz losschreien wollen, jemandem die Gedärme herausreißen wollen, mit dem man eine Rechnung offen hat. Er zeigt das ganze Spektrum des Scheiterns und Reüssierens in einer Welt, die nur vermeintlich auf Vernunft aufgebaut ist.“

Fabre drückt durch seine Kunst in Wirklichkeit exakt das Gleiche aus, was heute auch von streng wissenschaftlicher Seite konstatiert wird: Dass der Mensch nur ein geistloser, nervendurchzuckter Kohlenstoffhaufen, ergo alles Wurst und daher nach Willkür des Geschäftstüchtigen verwertbar ist. Laut neuester Erkenntnis der Biotechnologen (unwiderlegbar ersichtlich im Rasterelektronenmikroskop) ist der Mensch nur eine Art Ratte (siehe Nachrichtenspiegel: Rat Race and Rape Culure Club Köln). Mit einem Wort: Die humanistische und grundgesetzlich verankerte Auffassung, dass der Mensch eine Würde und damit ein Schutzbedürfnis besitzt, befindet sich in akuter Erosion. Der entsprechende Paragraph des Grundgesetzes wird im Falle einer vollendeten Durchsetzung des technokratisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes womöglich nicht mehr lange haltbar sein. Und während wir heute nur Ratte spielen und uns auf Festspielen am Rattenleben ergötzen, so werden die Kinder, denen wir beibringen, dass der Mensch nur eine etwas raffiniertere Ratte ist, schon bald beginnen, mit dieser Weltanschauung Ernst zu machen und auch ihr gemäß zu leben.

Um sich auf diese neue Realität einzustimmen, bedarf es einer fachmännischen Konditionierung und Taktung des Bürgers. Regisseur Fabre macht uns den Gefallen, dass er in einem Interview ausspricht, wie diese Konditionierung abläuft (im täglichen Fernsehprogramm, mit dem der Bürger allabendlich abgefüllt wird, läuft übrigens exakt dieselbe Konditionierung ab, ohne dass es ausdrücklich erklärt wird; womit auch selbstredend klar ist, dass diejenigen Ausgebooteten und Harzer, die ihre Ausgrenzung von der kulturellen Teilhabe nicht für die Lektüre von Marc Aurel & Co. nutzen, sondern für „Fernsehen“, in keiner Weise vor der kommenden Pandemie bzw. dem geistigen Tod geschützt sind):

>> In „Mount Olympus“ will er … eine Art programmierter Überforderung erzeugen, das betrifft sowohl Publikum als auch Ensemble. „Es ist sehr, sehr fordernd für alle Beteiligten. Nach jeder Vorstellung sind wir für ungefähr eine Woche völlig aus dem Takt. Die biologische Uhr ist völlig durcheinander.“ Er habe schon oft von Zuschauern gehört, dass sich im Laufe der Performance die Perspektiven verschieben: Wenn man zwischendurch hinausgeht und zurückkommt, empfinde man die Vorstellung als Realität.<<

Ich blättere weiter im Kulturteil der Nachrichten und stoße auf ein Megakonzert, das letzten Donnerstag trotz miserablem Wetter 50.000 Menschen in ein Fußballstadion der Festspielstadt lockte: Die Rockband AC/DC gab ein Stelldichein. Da man heute gesteinigt wird, wenn man gegenüber Rockheiligenikonen wie Angus Young & Co. nicht bedingungslose Wertschätzung bezeugt, vorneweg mein Disclaimer: Es geht mir überhaupt nicht um AC/DC oder sonst irgendeine bestimmte Band,  die AC/DC Leute haben sich für ihre Verdienste als Bahnbrecher des Heavy Metal nach ihrem Ableben  wohl zweifellos den Eintritt in den siebenten Hardrockhimmel gesichert. Auch die Motive der unzähligen Fans, die in solche Konzerte strömen, kann ich vollständig nachvollziehen. In einer Arbeits- und Alltagswelt, die inzwischen trotz Dauerbespaßung weitgehend unlustig geworden ist, sind Gelegenheiten, sich den Dynamoeffekt und die 100.000 Volt Hochspannung eines Konzertkessels zunutze zu machen um die vergletscherte Kruste des schnöden technokratischen Alltagsfaschismus zumindest kurzfristig zu sprengen, natürlich sehr willkommen.

Der Name der stadionfüllenden Band sei an dieser Stelle also vollkommen egal, es gibt deren unzählige für jeden Geschmack. Es soll damit nur ein weiteres, in Wirklichkeit vollkommen nebensächliches Kultur-Streiflicht angeführt sein, man könnte sicher dasselbe Szenario anhand eines Konzertes von Madonna, den Stones oder Bushido berichten. Auch in einem Bierzelt mit Heino, den Original Fidelen Uasprung Spatzen Brunnzer Buahm oder sonstigen Globetrottern  könnte man im Prinzip genau dasselbe gespiegelt finden wie beim jüngsten AC/DC Konzert. Ein Ausschnitt dazu aus dem Konzertbericht des öffentlichen Rundfunks (siehe orf.at):

„Teufelshörner dominierten nicht nur die bombastische Bühne mit den zwei Videowalls. Man möchte jene Person sein, die den Gewinn des Verkaufs von Plastikteufelshörnchen an diesem Abend einstreifen durfte. Das ganze fast restlos gefüllte Stadion blinkte und leuchtete rot. (…)

„If You Want Blood You’ve Got It“ („Highway to Hell“, 1979) – die Bühne wurde rot beleuchtet, das Blut war allerorten in Wallung, vor allem bei Angus Young. Er schüttelte seine letzten Locken und war in seiner Angus-Young-Trance, der Mund beim Gitarrespielen weit offen. Rose und er interagierten auf der Bühne nicht wirklich. Hier war jeder in seinem eigenen Film der Hauptdarsteller. Die Bühne war groß. Da war Platz für zwei Egos, selbst von dieser Dimension (…)

Das Publikum war bester Laune und jubelte frenetisch mit (…) „I gonna take ya to hell“ – und jeder wollte sich allzu gerne mitnehmen lassen. Angus Young führte die Pilgerschar Richtung Hölle im Trippelschritt an (…)

Angus Young stellte seine Ohren auf und bekam, was er wollte: ein lautes Liebesgrölen von 50.000 Menschen, die sich gerade sehr wild und sehr böse fühlten und jede Menge Spaß dabei hatten.

Auch der FM4-Redakteur Boris Jordan war live dabei. Am Ende seines im Wesentlichen gleichlautenden Konzertberichts zieht er sein persönliches Resümee: „Irgendwie hat das dann etwas von einer selbstvergrößernden, lebenströstenden Macht, einem unernsten Stück Scheißegal-Zuversicht, das man nicht ohne weiteres überall bekommt.“

So wie im Leben nie etwas umsonst ist und man überall etwas Nützliches lernen kann, hatte ich spätestens hier ein Aha-Erlebnis. Vielleicht ist ja gerade das das missing link, das uns Philosophen fehlt, damit wir nicht zu sauertöpfisch werden: ein unernstes Stück Scheißegal-Zuversicht. Angesichts der momentanen Weltlage gehört diese Ingredienz eigentlich in jeden Wanderrucksack, oder noch besser: als App aufs Smartphone.  Auch unseren Kindern würde solch ein unernstes Stück Scheißegal-Zuversicht womöglich nicht schaden, man könnte z.B. den unnützen Bastelunterricht streichen und stattdessen eine Stunde Hardrock mit Headbangen einführen.

So, genug für heute, es ist schon dunkel. Höchste Zeit, dass ich meine Enten einsperre, bevor der Marder kommt. Überhaupt werde ich auf meine Enten dieses Jahr gut aufpassen und ihnen reichlich frisches Wasser bereitstellen müssen. Die alljährliche Nacktschneckeninvasion beginnt wieder. Letztes Jahr habe ich im Sommer die Hälfte meiner Jungenten verloren. Die Tiere hatten einen solch unbändigen Appetit auf Nacktschnecken, dass sie den Hals nicht voll davon kriegen konnten. Sie sind an den schleimigen Kriechtieren elend erstickt.

 

Der soziale Tod – Triumph der Elite, Wille der Regierung, Ende der Gerechtigkeit

Digital StillCamera

Montag, 23.5.2016. Eifel. „Es geht uns gut“ – sagen die, die auf Positionen sitzen, die fürstlich mit Steuergeldern honoriert werden – wie z.B. Frau Nahles, die unsern Blick auf Äthiopien lenkt, um uns zu zeigen, was für uns „Norm“ zu seien hat (siehe Morgenmagazin.com), jene Frau Nahles, die gerade dabei ist, Arbeitslose noch rechtloser zu machen (siehe Focus) und Kinder noch weiter in die absolute Armut zu treiben (siehe Tagesspiegel). „Uns“ – wird da nie näher definiert, aber mit „uns“ sind sicher nicht alle gemeint. Zum Beispiel Jonny Beyer, selbst Blogger, war auch schon mal zwischendurch obdachlos. Er beschrieb kürzlich sein Leben – mit dem Wunsch, dass man es breiter diskutiere:

„Als Rentner bei 612 €uronen Rente von 30/31 Tagen im Durchschnitt 25 Tage nicht die Wohnung verlassen können (weil die Kohle für ein oder 2 Tassen Kaffee einfach nicht drin ist) und seine sozialen Kontakte nur noch per Facebook oder ähnliches aufrecht erhalten können … und wenn Du jetzt meinst, dass ich ja einen Hund habe (stimmt), aber der ist nun mal als Gespächspartner wirklich nur bedingt geeignet … ebenso, wie die meisten anderen Hundebesitzer …“

Auf seinem Blog hat er die Dankesgaben auch schon aufgeschlüsselt, die er – als erfahrener Kameramann, den man früher auch schon mal im Fernsehen sehen konnte (der Chefredakteuer der Zeit und Mitherausgeber des Tagesspiegel Giovanni di Lorenzo konnte sich an Jonnys Auftritt noch Jahrzehnte später erinnern – es ging um eine Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen, in die Jonny beherzt eingriff), von uns als Gemeinschaft der Steuer- und Beitragszahler erhält: nach Abzug aller festen Kosten bleiben im pro Monat noch 220 Euro übrig: für Kleidung, Essen, Kino, Theater, Oper, Fussballspiele und ähnlichem mehr, was wir uns als „Kulturvolk“ gerne gönnen, um uns von den „Primitiven“ abzuheben.

Theater, Kino, Oper, Fussball?

War nur ein Scherz.

Jonny hat pro Tag 7 Euro – für alles. Fussball kostet minimal 15, 14 Euro (manchmal auch 65 Euro – siehe statista), Oper (zum Beispiel in Köln) 12 Euro (bis 125 Euro – wenn man auch was sehen will), Theater (zum Beispiel in Dortmund – also keinem Hochpreisgebiet) Wochentags 10 Euro (bis 65 Euro – wenn man auch die Bühne sehen möchte, siehe Theater Dortmund). Kino kostet in Aachen Montags 5,50 Euro (siehe Cineplex Aachen) – wenn der Film nicht zu lang ist, Cola und Popkorn dazu: schon ist man 8 Euro mehr los. Für Jonny eine Investition, die sein Budget sehr herausfordert – falls er sich in seinen alten Klamotten überhaupt gerne in einer hochgestylte Öffentlichkeit als Außenseiter präsentieren möchte.

7 Euro am Tag – ein Eis mit drei Kugeln (kostet hier auf dem Land 3 Euro)? Völlig unerschwinglich, das wäre ja der Tagessatz für Kinder, die nebenbei noch Kleidung, Verkehr, Gesundheitspflege, Bildung, Nahrungsmittel, Getränke, Möbel, Schuhe und Strom bezahlen müssen – von 270 Euro (Regelsatz für Kinder von 7 – 14 Jahren, siehe cecu). Ein Nachrichtenmagazin wie der „Spiegel“ für 4,60 Euro das Stück? Nur erschwinglich, wenn man an dem Tag ansonsten nur von Billigtoast mit Marmelade lebt. Würde Jonny bio und vegan leben wollen, müsste er eine Woche im Monat ganz aufs Essen verzichten: 261 Euro kostet dieser Luxus (siehe Claudis Blog).

Der Spiegel widmet sich ja gerade mal wieder der „Relativität“ von Armut, die in Deutschland gerne beschworen wird (siehe Spiegel). Wir lernen dort den Herrn Huber kennen, der von seinen Erfahrungen im öffentlichen Leben erzählt:

„Eigentlich sind Biergärten Orte, an denen sich arme und reiche Münchner mischen, in denen der Bankdirektor neben dem Hilfsarbeiter sitzt. Traditionell darf jeder seine Brotzeit mitbringen, nur das Bier muss man kaufen, das spart Geld. „Aber was nützt mir das, wenn die Halbe vier Euro oder mehr kostet“, sagt Huber. So viel kann ein Hartz-IV-Empfänger rechnerisch pro Tag für Ernährung und alkoholfreie Getränke ausgeben.“

Herr Huber? Einst ein wohl situierter Unternehmer:

„Vor 44 Jahren kommt er zum Studium nach München, wird Diplom-Elektroingenieur, geht zu Siemens. 1979 macht er sich als EDV-Unternehmer selbstständig, Systemintegration, eine lukrative Zukunftsbranche. Zieht in ein großes Haus, liebt seine Arbeit, sein Motorrad, seinen Biergarten. Sein Bekanntenkreis ist groß. Fürs Alter hat er eine Lebensversicherung, dazu das Elternhaus mit großem Grund am begehrten Chiemsee.“

Der hat wohl gut eingezahlt in die Solidarkassen der Republik. Verständlich, dass er blöd dreinschaut, wenn der Staat dafür „liefern“ soll:

„Wenn es um Hartz IV geht, wird der freundliche Huber zornig. Er hat Fotos mitgebracht von seiner maroden Schrankwand, Baujahr 1972, vom zerschlissenen Sofa. „11 Euro im Monat für Möbel, 1,23 Euro für einen Kühlschrank. Wie soll des gehen?““

Der Grund für die Pleite? Der Hauptkunde hat nicht bezahlt. Ende der Vorstellung, Absturz inklusive.

Wir lernen in diesem Artikel auch noch andere Arme kennen: eine kinderreiche Familie, die durch alle sozialen Netze fällt, arm ist, obwohl beide arbeiten gehen. Eine Frau aus Aachen, die sich – mit einem globalen Blick ausgestattet – gar nicht für arm hält, weil sie jeden Tag sauberes Wasser hat. Eine Sichtweise, die beneidenswert ist. Was wir aber auch erfahren: die Namen der Armen sind falsch – aus gutem Grund:

„Noch ist Armut in Deutschland ein Stigma. Auch deswegen wollen Frau Kramer, Herr Huber und Familie Ehlers ihre echten Namen nicht veröffentlicht sehen.“

Stigma? Ein Makel. Ein Schandfleck.

Hören wir dazu einen anderen Menschen – Ingrid. Auch hier: ein Kommentar bei Facebook. Ingrid hat einen festen Arbeitsplatz – um hier gleich alle Verdächtigungen auszuschließen.

„Kommt jedoch vor dem physischem Tod, der soziale. Und der ist weitaus schlimmer. Tod ist, wenn ich nicht mehr da bin, bin ich da, so ist der Tod nicht. Vorher aber geschieht das langsame grausame soziale Absterben. Dies kann Jahre dauern, und ist viel schlimmer. Nahles und ihresgleichen, sind einfach dumme Menschen, ohne Bildung und Verantwortungsgefühl. Bald werden die Flüchlinge erkennen, in welche Vorhölle sie sich aufgemacht haben.
Ich sagte ja bereits, 12 Jahre in Westafrika verbracht zu haben. Zurück in diese soziale Armut, war ein unverzeihlicher Fehler. Hier gibt es keinen wahren Genuss des Lebens im Austausch mit Nachbarn und Freunden. Es ist eine dekadente Pseudowelt, basierend auf Lügen und Kampf.
Nur weil ich das Glück hatte, eine Alternative zu lernen, kann ich mit Brot und Wasser lange auskommen, mit leisem Lächeln, über die ach so wichtigen Wichtigtuer, die so geil drauf sind. Ich bin gespannt, wie sie, gerade diese, auf die kommenden Entwicklungen reagieren werden.
Wie war es denn Ende der 20er? Wieviele hatten keine andere Lösung als einen Fenstersturz, um einen Fettfleck zu hinterlassen. Man kann gespannt sein. Aber Danke für den wunderbaren Artikel. Dem Durchschnittsamerikaner ergeht es bereits schlechter… Der Rest kommt über Nacht!“

Ingrid kennt den sozialen Tod. Sie arbeitet in einem Krankenhaus. Der soziale Tod? Sicher schon mal gehört – aber in einem anderen Zusammenhang. Der Begriff wurde früher auf sterbende Menschen bezogen – Menschen, die noch leben, aber von ihrer Umwelt so behandelt werden, als wären sie schon tot. Betraf früher vor allem alte Menschen, die – geschlagen von diversen Krankheiten – nicht mehr dem Normstandard der Spaßgesellschaft entsprachen. Heute fassen wir den sozialen Tod weiter – ohne dass er in dieser Form groß diskutiert wird (siehe uni-oldenburg):

„Unter sozialem Tod verstehen wir, dass jemand völlig vereinsamt, sich so zurückzieht, dass er praktisch keine Beziehungen zu seiner Umwelt, zu Nachbarn, Arbeitskollegen und u.a. unterhält.
Bei älteren Leuten oder Menschen mit Behinderungen oder auch nach schweren, persönlichen Erlebnissen kommt so etwas vor. Der Rückzug erfolgt oft in mehreren Stufen und kann durch Ausgrenzungen (Mobbing) oder Verlust des Partners, der Arbeit veranlasst sein.“

Der soziale Tod – durch Ausgrenzung (Stigma …) oder Arbeitslosigkeit. Eine Erscheinung die – wenn wir Ingrid folgen wollen – eine Erscheinung spezifisch unserer Kultur ist. Er trifft die, die auf eine völlig feindliche, realitätsfremde Umwelt treffen, eine „dekadente Pseudowelt, basierend auf Lügen und Kampf“, eine Welt, in der es keinen wahren Austausch mit Nachbarn und Freunden gibt – anders als in jenem Land in Westafrika (mit einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 173 Euro – siehe länderdaten.info). Was ich in diesem Zusammenhang gerne zitiere: das Gastmahl der Geistlosen, die „Wohlstandsverwahrlosung“ des „akademischen Proletariats“ (siehe NZZ), die – mangels echtem Kontakt der nur selbstdarstellerisch agierenden Akteure – ebenfalls eine Form von sozialem Tod darstellt, die man nur mühevoll durch sinn- und zwecklosen, umweltvernichtenden Konsum und … Drogen ertragen kann. Alkohol, um es genau zu sagen.

Gerade aus diesen Kreisen kommen nun auch andere Philosophien, die den Vernichtungsprozess der Persönlichkeit nur noch verstärken – wie aktuell in der Totholzausgabe der Zeit (siehe Zeit), die einen weiteren Zug neoliberalistischer (oder besser gesagt: neofaschistischer) Strategie darstellt:

„Erfolg und Gesundheit, ja sogar Herzschlag und Gewicht hängen vom Selbstverständnis ab. Was Menschen zu sein glauben, das werden sie auch – im Guten wie im Schlechten. Wie Gedanken unser Leben verändern können.“

Wer trägt die Verantwortung für alles Elend dieser Welt? Sie – mit Ihren dämlichen, unsortierten, minderwertigen und unqualifizierten Gedanken. Würden Sie besser denken: sie wären sofort reich wie Bill Gates. Wichtiger Teil einer breiten Offensive von „reich“ gegen „arm“: die Umkehrung der Verantwortung. Nicht mehr der Mörder hat Schuld an der Tat, sondern die Leiche – die falsch gedacht hat (oder eine falsche „Resonanz“ erzeugt) und nun kräftig an sich arbeiten muss: eine Philosophie, die ein tödliches, selbstzerstörisches Gift enthält, geeignet, das Opfer völlig in den sozialen Tod zu treiben, denn: wer arm ist, behindert, krank, unglücklich, einsam oder sonstwie mit Makeln behaftet, belästigt mit seiner Minderwertigkeit das höherwertige „Außen“, das selbst perfekt denkt (aber bei der eigenen Bereicherung gerne auf ein Herr von Anwälten und diversen Beratern sowie ertragsoptimierten Netzwerken zurückgreift – und seine Kinder nicht im „richtigen Denken“ schult, sondern auf teuerste Privatschulen und Privatuniversitäten schickt).

Ein weiterer Schachzug: der „Veganismus“, der selbst den „Karnismus“ als Wurzel allen Übels ansieht – wer es hier wagt, sich den Ansprüchen der Luxusklasse zu entziehen, wird als unempathischer, grausamer Täter schnell völlig entmenschlicht, dabei beruht die Philosophie auf undurchdachten Momentaufnahmen und hahnebüchenen Theorien (von der hoch zu achtenden Entscheidung, das Leid in der Welt vermindern zu wollen, einmal abgesehen). Ein Beispiel? Nun besuchen wir kurz „Peta“ und schauen uns ihre Berechnungen an: es wird in der Tat viel Wasser verbraucht, um ein Kilo Rindfleisch zu erstellen – wenn die Kuh drei Jahre lebt (weshalb wir sie vielleicht lieber früher essen sollten?). Aber was passiert mit der Kuh, wenn wir kein Fleisch mehr essen? Trinkt die dann nicht mehr? (wieso die 30 Liter Wasser für eine Tasse Tee brauchen, habe ich allerdings noch nicht verstanden – die müssen da große Tassen haben. Sehr große Tassen.). Die Frage ist: was sollen diese fehlerhaften Theorien bewirken? Die Antwort gibt uns die „Süddeutsche“ in einem Artikel über das „Kükenschreddern“ (siehe Süddeutsche):

„Denn wer ist letztendlich verantwortlich für die Produktion von billigsten Eiern und billigstem Hühnerfleisch? Die Gerichte, die Politik, die Hühnerindustrie? Als das Bundesverfassungsgericht 1999 zu den Legebatterien urteilte, stellte der damalige bayerische Landwirtschaftsminister Josef Miller lapidar fest: „80 Prozent der Verbraucher sind gegen die Käfighaltung, aber 80 Prozent der Verbraucher kaufen Eier aus Käfighaltung.“ Leicht abgewandelt gilt diese Einschätzung noch heute.“

Ja – nicht die Gerichte, die das Schreddern von 50 Millionen Küken im Jahr erlauben, nicht die Politik, die den Rahmen dafür gibt, nicht die Hühnerindustrie, die die Morde begeht, sondern: der Arme ist Schuld. Seltsam nur: beim Thema Energieverbrauch erlaubte sich die EU, massiv in das Leben der Bürger einzugreifen. Niemand fand sich für eine Kampagne „Leben ohne Strom“. Als würde die Hühnerindustrie Probleme damit haben, wenn alle Deutschen Veganer werden: dann verkauft man eben ins Ausland. Afrika hat Hunger. Asien auch. Ebenso Südamerika. Würde man aber die Hühnerindustrie verbieten – der Verbraucher müsste schnell Ersatz suchen (wie für die Glühbirne) wenn die Kühltruhe im Supermarkt leer wäre. Vielleicht sollte man alle Tierschützer auffordern, sich der jährlich 50 Millionen Küken als Haustiere anzunehmen? Oder mal drauf hinweisen, dass wir uns nebenbei in Deutschland 20 Millionen fleischfressende Haustiere halten, die ebenfalls von der Fleischindustrie leben? Nun – die sind Peta heilig, hier diskutiert man über das perfekte Hundegeschirr (siehe Peta) … was schon allein 40 Euro kostet. Schlimm für die, die sich als einzige lebendige Gesellschaft einen Hund leisten, weil die Menschen sich abgewendet haben (was übrigens Leben retten kann – diese Hundehaltung).

Wer sich das nicht leisten kann … darf den sozialen Tod erfahren, wie jene, die sich „vegan-bio“ überhaupt nicht erlauben können – jene Lebensweise, mit der man sich als Produzent von veganer Bolognese im Glas schon mal einen Porsche leisten kann, – die der „Vegan-Papst“ Attila Hildmann in der Society-Broschüre „Gala“ (siehe Gala), der vor dem Methangas der Kühe warnt … als würden die weniger pupen, wenn sie frei durch die Getreidefelder flanieren dürften. Ach ja: Kosten der veganen Bolognese: 4,95 Euro für 290 ml plus 1,50 Euro „Mindermengenzuschlag“ – wenn man sich nur ein Glas leisten kann (siehe Attila Hildmann). Da könnte Herr Huber nur jeden zweiten Tag ein dürftiges Gläschen kaufen.

Wie man sieht, wird an diversen Formen des sozialen Todes gezielt gearbeitet, eine streng hierarchische, lieblose Gesellschaft aufgebaut, die man wohl besser wahrnehmen kann, wenn man mal 12 Jahre in einem weniger dekadenten Umfeld gelebt hat – wie zum Beispiel in Afrika.

Doch wo kommt das her? Wo ist der Ursprung für diese Dekadenz, die Ungerechtigkeit, die Vernichtungssystematik?

Die Antwort darauf finden wir an seltsamen Orten, in einem Sachbuch über den islamischen Fundamentalismus in Deutschland – und deren Sichtweise auf die Machtstrukturen in dem Umfeld, in dem sie sich etablieren wollen (siehe Ian Johnson, Die Vierte Moschee, Klett-Kota 2011, Seite 271):

„Der fließend Deutsch und Englisch sprechende Diplomvolkswirt kennt sich mit den politischen Entscheidungswegen in Deutschland aus, mit den komplexen Interaktionen von Gremien, kirchlichen und politischen Stiftungen, wo „Meinungsmacher“ zusammentreffen, miteinander diskutieren und Ideen formulieren, die in den politischen Parteien aufgenommen werden. Hierbei handelt es sich nicht um basisdemokratische Strukturen, sondern um ein System, das die Macht der Eliten vergibt“.

Ein System, das den sozialen Tod für viele eingeleitet hat – wobei wir über die Normen von Mode, Körperpflege oder Wohnungseinrichtung noch gar nicht gesprochen haben – oder über den Friseur, der bei uns in der Eifel für Jugendliche schon 18 Euro pro Schnitt nimmt – also: viereinhalb Tage Essen.

Ein System, das täglich perfider wird, auf breiter Basis den Kampf gegen die Armut durch Vernichtung der Armen führt – jedenfalls: durch ihre soziale Vernichtung.

Die Botschaft ist immer dieselbe – egal, ob im Rahmen des Tierschutzes, der Ernährung oder der Lebensführung vorgetragen: gebt gefälligst viel mehr Geld aus – und sorgt verdammt noch mal selbst dafür, dass ihr es habt, denn sonst … seid ihr nicht mehr menschlich.

Wissen Sie, wie konservative Wirtschaftsmagazine unsere Realität beschreiben? Gnadenlos (siehe Wiwo):

„Bei Hartz-IVlern dagegen drohen sofort brutale Sanktionen. Besitzen darf man sowieso nichts mehr. Man muss komplett nackt am Boden liegen, ehe der Sozialstaat sich gnädig erweist.“

„Das ist das Bermuda-Dreieck menschenverachtender, repräsentativer Demokratie. Barbarei. Animal Farm ist nichts dagegen.“

Und in diesem Bermudadreieck können schon mal 500 Millionen Euro spurlos verschwinden (siehe Yahoo), die Gemeinden Gebühren für die Annahme von Bargeld ab 10 Euro verlangen (siehe Düsseldorf bei Facebook) oder Medikamente an unwertem Leben getestet werden (siehe Tagesspiegel) – wobei die Formulierung mit dem „unwerten Leben“ von mir stammt. Die Barbarei schreitet täglich weiter voran – die Musik zu dem Marsch spielt die Elite. Nichts davon ist geheim.

Das Arbeitslose zur Minderung ihrer Notlage ihre Organe verkaufen sollen, ist schon mal vorgeschlagen worden – von einem inzwischen verstorbenen „Vordenker“ der Afd (siehe AfdwatchAfd):

Der Wille zum sozialen Tod schreitet weiter voran, getragen von einer überversorgten gesellschaftlichen Elite, die ihr Luxusleben auf Kosten der Ärmsten leben – hier in Deutschland und in der ganzen Welt. Und „Gerechtigkeit“ wurde aus dem Bewusstsein gestrichen – wem es  hier nicht passt, der kann ja nach Syrien, dem Irak, Afghanistan, Äthiopien oder den Jemen ziehen: wir sind ja eine freie Welt.

So – wird die Armut Afrikas zum Normstandard für ausselektierte Deutsche … und alle sollten ihre Herren auf Knien danken, dass sie noch sauberes Wasser haben. Man könnte auch noch ungnädiger sein.

Und währenddessen – rafft der rot-grüne soziale Tod (unter fleißigem Beifall der übrigen Parteien) immer mehr Menschen dahin.

Aber „uns“ – geht´s gut.

Noch etwas Torte gefällig?

 

 

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