soziale Pest

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Die Vernichtung des sensiblen Mannes – und die Vernichtung der Welt.

Samstag, 22.4.2017. Eifel. Zuvor mal ein persönliches Wort an die Stammleser. Wie man merkt, bin ich nicht mehr so produktiv. Keine Sorge, das geht vorüber. Wie man merkt, sammle ich gerade – freiwillig, wie ich betonen möchte, um entsprechenden Gerüchten gleich vorzubeugen – in einem sehr interessanten beruflichen Umfeld neue Eindrücke und Informationen – auch solche brisanterer Art. Konnte bei dem Angebot nicht „nein“ sage, obwohl es mich viel Zeit kostet, die an anderen Orten fehlt. Mehr aber nimmt mich meine persönliche Lage mit: selbst nicht ganz gesund habe ich nun ein weiteres behindertes Kind mit einer unheilbaren Muskelerkrankung, das sofort von der Schule geworfen wurde, weil man den Attesten keinen Glauben schenkte. Sowas geht heute – und sowas kostet Zeit. Zudem haben wir Kriminalfälle im engsten Wohnumfeld: Einbrüche, Brandstiftung, Vandalismus, Lügen und nur gebremst förderliches Sozialverhalten. Außerdem belastet mich auch eine nicht verschwindende ansteckende Krankheit eines zweiten Sohnes von mir, den ich von der Umwelt etwas abschirmen muss: man sieht – für Muße und weite Gedanken ist nicht mehr ganz soviel Zeit.

Ich schreibe auch ein wenig auf Facebook. Nein – mit dem neuen Gedankenlesechip von Zuckerberg (siehe Heise) beschäftige ich mich nicht, möchte aber nicht die Chance ungenutzt verstreichen lassen, Chancen und Möglicheiten dieses Mediums auszuloten. Schon verrückt, wie die alle versuchen, uns zu Maschinen zu machen, oder? Dabei sind wir schon längst Maschinen geworden (womit wir den persönlichen Teil verlassen) – wir merken es nur nicht mehr. Bzw: die meisten merken es nicht mehr – oder könnten Sie sich für Ihr Leben vorstellen, dass Sie dem Satz „Pünklichkeit ist eine überflüssige Erfindung“ (siehe Zeit) im Alltag Folge leisten können? Wäre schlecht für Bus- und Bahnverbindungen, für Kino oder Arbeitsbeginn. Solche Gedanken können sich ältere Zeitforscher machen – aber nicht Sie. Sie haben zu funktionieren. Das ist auch letztlich Sinn der Arbeit von Ärzten: Sie zum funktionieren zu bringen, damit Sie zurückkehren können in das große Uhrwerk.

Auf Facebook wurde mir nun eine einfache Frage gestellt, von einer jungen, äußerst attraktiven, lebenslustigen Frau, die die „sensiblen, romantischen Männer“ suchte: „Solche Männer sind wie Einhörner. Man sagt, es gibt sie, aber wo!“. Nun – man sagt vieles, das heißt nicht automatisch, dass es wahr sein muss. Gestern erhielt ich einen Brief einer anderen, sehr sensiblen Leserin, versehen mit einer Tafel Einhorn-Schokolade, die sich noch mal auf diese Frage bezog und nach meinen Gedanken zum Verbleib der sensiblen, romantischen Männer fragte. Nun – ich habe da in der Tat Gedanken zu … doch sie werden nicht erfreuen. Womit sollen wir anfangen?

Nehmen wir die Romantik. Wir brauchen gar nicht so lange nachzudenken und in der Geschichte der Wortbedeutungen von „Romantik“ nachzuforschen, denn im 21. Jahrhundert ist Romantik ein Schimpfwort: denken Sie nur an den Begriff „Sozialromantik“. Romantik stört beim Funktionieren und die Haltung der menschlichen Arbeitstiere wird halt immer weiter an die Grundzüge der Massentierhaltung angepasst: aktuell ist da gerade die Dating-Plattform „Tinder“ im Visier der letzten Verteidiger der Romantik, die „Beziehung“ auf das allernotwendigste reduzieren (siehe feinschwarz):

„Tinder ist die schnörkellose Umsetzung einer Kapitalisierung des Begehrens in enger Verwandtschaft zu dem, was die israelische Soziologin Eva Illouz als „Kapitalisierung der Gefühle“ bezeichnet. Bei Tinder hat der Kapitalismus seine romantische Maske abgenommen und verkauft genau das, was seine ontologische Grundlage ausmacht: Begierde und deren potentielle, dafür aber umgehende Befriedigung.“

Was macht man bei Tinder? „Dated“ fremde Menschen für schnellen, umkomplizierten Sex per Telefonapp. „Pizzasex“ nennt das die Autorin. Gab es früher schon, da nannte man es Prostitution, aber im Sinne der Effektivierung des Arbeitseinsatzes haben wir diese Dienstleistung jetzt unter den Arbeitnehmern selbst verteilt: das vergrößert das Angebot und die Abwechslung. Wie weit ist diese Welt von der Welt der romantischen Liebe entfernt, der Welt der alten, mittelalterlichen Minnesänger, die von romantischen Dramen sangen, wo der Rittersmann mit einem Halstüchlein als Liebenspfand seiner angebeteten Dame in die tödliche Schlacht zog, wohl wissend, dass diese für ihn unerreichbar weil verheiratet ist: so ein feines, sensibles Denken ist uns völlig abhanden gekommen – doch „Mittelalter“ erweist sich hier als Zeit, die viel reichhaltigere emotionale Dimensionen hatte, Dimensionen, die die Neuzeit mit ihren Inqusitoren und Hexenjagden völlig ausgerottet hatte.

Nun – mag sein, dass wir uns toll fühlen mit dieser neuen Sexualität, doch … mag auch sein, dass wir damit neue Scheiterhaufen herbeirufen, denn: ungesunde Sexualität hat ungesunde Folgen für die ganze Gesellschaft (siehe wilhelmreich):

„Die seelischen Krankheiten sind Ergebnisse der gesellschaftlichen „Sexualunordnung“. Diese Unordnung hat seit Jahrtausenden die Funktion, den Menschen den jeweils vorhandenen Seinsbedingungen zu unterwerfen … Sie dient der seelischen Verankerung der mechanisierten und autoritären Zivilisation durch Verunselbständigung der Menschen.“

Die sexuelle Unordnung hat schlimme, politische Folgen:

„Im gesunden Organismus kann die sexuelle Erregungsspannung durch den körperlichen Orgasmus transformieren. Aus ihm entstehen Entspannung und Gefühle von Liebe und Dankbarkeit.“

„Inneren Hemmungen und der Mangel an Fassungsvermögen für die sexuelle Erregungsspannung verhindern beim kranken Organismus, dass die im Liebesakt aufgebaute sexuelle Erregung adäquat gelöst werden kann. Sie besteht statt dessen fort und überflutet das menschliche Energiesystem. Dadurch werden sadistische und destruktive Einstellungen und Verhaltensweisen ausgelöst, die sich zu dauerhaften Charakterzügen verfestigen.“

Guter Sex erzeugt Gefühle von Liebe und Dankbarkeit, macht Menschen friedlich. Schauen Sie sich um in der Welt, in Ihrer Nachbarschaft, am Arbeitsplatz: wo finden Sie diese überwältigenden Gefühle von Liebe und Dankbarkeit? Nirgends, der Kapitalismus braucht schlechten Sex wie das Auto Benzin, sonst haben die Menschen nicht genug Agressivität für den Wettbewerb. Klar – Tindersex muss nicht immer schlecht sein, aber wenn unsere Art von Sexualität auf die ganze Gesellschaft bezogen so toll ist: warum sind dann alle so schlecht drauf? Menschliche Dinge reduziert der Kapitalismus auf das Notwendigste: darum reicht ihm auch McDonalds als „Nahrung“ für das Wahl- und Konsumvieh. Wilhelm Reich fand hier die Quelle der „sozialen Pest“, des Faschismus, der heute in allen Parteien wieder auflebt: nicht als politische Bewegung, sondern als Allianz der Sadisten aller politischer Farben – eine Allianz, die sich in den dreißiger Jahren schon mal zusammenfand und die sehr schnell „Hurra!“ ruft, wenn wieder einer tönt: „Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen!“ – was aktuell wieder durch neue Rekorde bei Totalsanktionen (siehe gegen-hartz) von sich reden macht.

Und die Romantik? Bietet anstatt des schnellen McDreck-Pakets, das zwar kurz den Hunger stillt, aber den Magen versaut (merkt man erst später) ein fünf-Gänge-Menü, mit Rosen verziert, festlichst angerichtet, bei Geigenmusik, Kerzenschein und Kaminfeuer sowie humorvollem, geistreichen Gespräch auf höchstem Niveau – das bei sensiblen, romantischen Menschen tiefer gehen kann als jede sexuelle Begegnung. Aber Sie merken schon: uns selbst, unser Leben, unsere Existenz so zu feiern: das würde endlos viel Zeit kosten. Wer hat die schon noch?

Soviel zur Romantik. Wir wollten aber nicht nur den romantischen Mann beschreiben, sondern auch den sensiblen … und hier betreten wir die Sphäre der Wunder und der Zauberei, die verboten ist – so verboten, dass Sie bei Wikipedia keine treffende Beschreibung dazu finden. Seltsam, dass sich ein Begriff, von dem die meisten von uns eine Vorstellung haben, so der Definition moderner Menschen entzieht, oder? Nun – wir verstehen ja auch den Begriff der „Romantik“ nicht mehr, der im Minnegesang des Mittelalters noch eingängig bekannt war, warum sollte es mit dem lateinischen „sensibilis“ anders sein? Wir sind halt grobschlächtige, eindimensionale Barbaren geworden, deren grausamste und abartigste psychopathische Wesenszüge durch die Kultur des Neoliberalismus enorm gefördert werden: der neoliberale Charakter ist eher maschinell geprägt, versucht einer gnaden- und gefühllosen Dampfmaschine immer ähnlicher zu werden (siehe hierzu: freitag).

Der sensible Mann – und, aufgepasst: der sensible Mensch generell – zeichnet sich aus durch einen nicht degenerierten oder gedämpften Zugang zu seinen Sinnen, die ihm einen enormen Gefühlsreichtum bescheren. Ja – hier sind wir bei ganz einfachen biochemischen Prozessen: je höher die Sensibilität, umso vielfältiger der Verknüpfungen im Gehirn, je schärfer auch Aufmerksamkeit und Beobachtungsgabe. Der sensible Mensch kann Geschichten lauschen, die Wolken erzählen, weil er die Ähnlichkeiten zwischen dem Werden und Verschwinden von Nationen und Wolkenbildungen erkennt – wobei Wolkenreiche schneller vergehen als Menschenreiche. Jeder Baum kann ihm eine Geschichte erzählen aufgrund der individuellen Gestalt, die er angenommen hat: eine Geschichte von Winden, strengen Wintern, kargen Böden oder aggressiven Tieren, jedes Gesicht kann die Geschichte eines ganzen Lebens erzählen. Der sensible Mensch hat auch einen größeren Zugriff auf seine Innenwelten, den Bereich des „Unbewussten“, der – nach manchen Quellen zufolge – 98 Prozent unseres realen (politischen) Verhaltens ausmacht und über einen vieltausendfach höheren Grad an Informationsverarbeitung verfügt als der kleine, bewusste Teil mit dem Sie gerade diese Zeilen lesen. Hier hört auch das Denken in Worten auf – und das Denken in Bildern beginnt, weil Bilder eine wesentlich höhere Informationsdichte haben als Wörter oder Zahlen.

Der sensible Mensch erwirbt zudem mit der Zeit die Fahigkeit, die unterschiedlichen Informationen immer weiter zu vernetzen – was zumeist unbewusst und ziemlich automatisch geschieht. Er kann so – um ein Beispiel zu nennen – ein sicheres Gefühl für „Gott“ entwickeln (was an Qualität im Bewusstsein einer normalen visuellen Sinneserfahrung völlig gleich kommt) und sich so eine andere Dimension des „Sehens“ erschließen (ähnlich der, die der amerikanische Anthropologe Carlos Castaneda in seinen Werken beschreibt), die ihn in eine wunderbare, zauberhafte Welt voller phänomenaler Sinneseindrücke entfürt … und so von unsere Psychiatrie als „dysfunktional“ aussortiert wird, obwohl er sich eigentlich dem Ursprung des Menschseins in seinem ganzen Reichtum nähert – nur halt für den Kapitalismus unendlich wertlos geworden ist.  Nein, ich bitte Sie: bleiben Sie sitzen, wir kommen sofort auf den Weg der westlichen Wissenschaft zurück: an der Universität Marburg finden sie gerade neue Arbeiten zur „Solastalgie“ und westlichen Öko-Spiritualität bzw. zur Öko-Psychologie (siehe uni.Marburg), die viel besser als ich es könnte ausführen, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte … wenn der Moloch Kapitalismus überwunden werden könnte, bevor er die Welt zerstört. Wir sind allerdings hier – da sei vor gewarnt – im Bereich der ebenfalls sterbenden Geisteswissenschaften, deren höchste Aufgabe das „Verstehen“ ist – was schnell in Zauberei übergeht, wenn wir es auf „Welt“ anstatt auf „Mensch“ anwenden.

Ich kenne übrigens ein Kind, das schon in Bildern denkt: es kommt hier in eine Sonderschule, weil es die Lehrer mit der Qualität seiner Fragen überfordert. Im Erwachsenenalter wird es wohl in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie landen.

Was für eine Reise haben wir jetzt hinter uns.

Wir wollten nur nach dem Verbleib des romantischen, sensiblen Mannes fragen … und sind bei der Vernichtung der Welt angelangt. Eins wäre aber noch zu klären: wo finden wir die sensiblen, romantischen Männer? Ich weiß: viele werden jetzt sagen: „ich bin´s“ – oder halt mein angetrauter Dieter. Kommen Sie oder Dieter in dieser Welt zurecht? Dann … sind Sie es nicht. Sie mögen davon träumen, so zu sein – wobei  hier der Begriff „Träumen“ mit „Wunschdenken“ zu übersetzen ist und nicht mit der realitätsveränderenden Fähigkeit, die indigene Stämme mit dem Begriff bezeichnen. Sie mögen ein Selbstbild dazu pflegen, weil es bei Frauen gut ankommt und dazu gewisse äußere „Codes“ verwenden – aber Sie werden halt kein Indianer, wenn Sie sich eine Feder ins Haar stecken. Nein, auch nicht, wenn noch Mokassins dazukommen.

Ich kann Ihnen aber sagen – was ja die Fragestellerinnen interessierte – wo man sie findet, die romantischen, sensiblen Männer?

Es gibt drei Orte, wo sie aufzufinden sind: der eine ist der Friedhof: Menschen, die aufgrund ihrer Sensibilität den Zustand der „Solastalgie“ erreichen – die Erfahrung des riesigen Ausmaßes der Entfremdung von unsere ökologischen … lebensnotwendigen … Umwelt, neigen dazu, sich umzubringen, weil sie den Schmerz nicht mehr aushalten (siehe aerztezeitung). Ein weiterer Ort ist die Psychiatrie: Gestank, Lärm, visuelle Überreizung, Häßlichkeit in nie dagewesenem Ausmaß können bei sensiblen Menschen zu Überlastungsreaktionen führen, die ein tumbes Hirn nicht zu befürchten braucht: insofern ist die generelle Abkehr von Sensibilität nahzu lebensnotwendig – wenn man weiter funktionieren will. Der dritte Ort … ist die ferne, intakte, einsame Natur, die mit ihrer Vielfalt den Sehgewohnheiten des sensiblen Menschen weitgehend entspricht: immerhin sind unsere Sinne ja auch gerade dafür ausgearbeitet worden – um in der Natur zu leben und nicht im lärmenden, stinkenden Betonchaos der Großstädte. Ich sehe sie dort häufig durch die Einsamkeit der Moore wandern, an verbotenen Stellen, wo Natur noch wild sein darf. Es sind immer – und ich sage mit Nachdruck: immer – sehr angenehme Begegnungen dort draußen. Ganz feine Menschen trifft man dort … eher Männer als Frauen. Viel eher Männer.

Sie werden jetzt sagen: das ist alles viel zu streng gezeichnet. Gut: könnte sagen, für feinere Malerei fehlt mir die Zeit und Ihnen die Aufmerksamtkeit. Aber ich möchte Sie mal kurz entführen in die Welt der Superreichen, unserer Vorbilder, wo sie das gegenteilige Männerbild finden (den unromantischen harten, gefühllosen Kerl) … und Sie ermuntern, dort einen Blick auf die Stellung der Frau an der Spitze unserer Gesellschaft zu werfen, jener Spitze, die das Nonplusultra der kapitalistischen Existenz darstellt: da werden der Ehefrau Prämien bezahlt, wenn die Kinder gut in der Schule sind – ansonsten gibt es strenge Teilung der Geschlechter bei Partys, Urlaub und Leben (siehe Spiegel).

Und der sensible, romantische Mann, der Frauen ohne großes Federlesen als gleichberechtigt akzeptiert und sich gar nichts anderes vorstellen kann? Landet – wie die meisten Geisteswissenschaftler – bei Hartz IV (siehe gegen-hartz). Wundern Sie sich also nicht über den schlechten Zustand der politischen Welt, die kommenden Kriege und ökologischen Katastrophen: jene, die sensibel genug wären, sie zu bemerken und romantisch genug, die natürliche Welt erhalten zu wollen … werden systematisch aussortiert. Versuchen Sie heutzutage einfach mal als introvertiertes Kind gesund durch die Schule gekommen, wo Extrovertiertheit („sonstige Mitarbeit“) inzwischen fünfzig Prozent der Note ausmacht.

Wir können es auch größer beschreiben: „Wir stecken in einer seelisch-geistigen Armutskrise“, „leben auf einem psychischen Existenzminimum“ (siehe Standard) was gewaltige – auch finanzielle – Folgen für die Qualität unserer Arbeit hat (siehe sinnforschung, Thema: Sinn im Beruf). Bei Gesellschaften, die diesen neoliberalen Lebensstil auf die Spitze getrieben haben, haben die jungen Männer (und viele Frauen) inzwischen weitgehend auf Sex und Beziehung verzichtet (siehe Süddeutsche). Sie … frönen einem anderen Lebensstil, der dem des „armen Poeten“ ähnelt.

Aber mal ehrlich, liebe Damen: wer würde schon wirklich so einen „armen Poeten“ heiraten wollen? Zumal er für sich selbst in seiner sehr reichen Welt lebt … und niemanden neben sich braucht, der beim Genießen des Reichtums stört.

Dass der Weg des „armen Poeten“ größeren Reichtum mit sich bringt, als man gemeinhin – durch Werbung, Schule und Medien geprägt – vermuten würde, merken auch immer mehr „moderne Menschen“: sie wenden sich dem „Minimalismus“ zu (siehe FAZ) … oder trauen sich einen – kurzen – Ausflug in die Welt der „Zeitmillionäre“ zu (siehe Spiegel), sammeln dort Erfahrungen, die der „arme Poet“ schon 1839 visualisierte – übrigens angeblich eins der beliebtesten Bilder der Deutschen.

Noch Fragen?

Und ja: das ist hochpolitisch. Der Kapitalismus braucht Killer, um den Mammon zu rauben und Nutten, um die Killer zu beschäftigen. Alles andere braucht er nicht – und das wird auch verschwinden … wie der sensible, romantische Mann, der im Alter zur Weisheit reifen kann, während unsere „Alten“ immer neunzehn bleiben wollen.

Das sagt eigentlich schon alles.

 

 

Aktion T4 – Aktion Hartz IV – die Wiederkehr der sozialen Pest

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Sonntag, 9.10.2016. Eifel. Wir müssen noch mal über Faschismus reden. Ich denke: sogar dringend. Obwohl es nichts helfen wird: folge ich dem Kabaretisten Volker Pispers in seinen Ausführungen, finden 70 Prozent Angela Merkel toll – ein entsprechend großes Zahl dürfte das aktuelle System also toll finden, dem entsprechend werden wir nur 30 Prozent haben, die überhaupt für Alternativen zu begeistern wären.

Über Faschismus reden ist langweilig. Die meisten von uns kennen die tradierte Geschichte zur Genüge. Vielen Deutschen ist es extrem peinlich, über diese Zeit zu reden – immerhin hat fast jede Familie irgendwo einen Täter stecken … wenn man genauer hinschaut. Es ist wohl auch ein Grund, weshalb viele „Deutsche“ so unbedingt „gut“ sein wollen, nicht nur „gut“, sondern „besser“, um der ganzen Welt zu demonstrieren, dass es jetzt „andere Deutsche“ gibt, „bessere“, edle, reine und hilfreiche Deutsche … ohne zu merken, dass mit der Aufteilung der Menschheit in „gut“ und „böse“ der erste Schritt zur Wiederkehr der sozialen Pest gemacht wurde: jedes klar definierte „gut“ verlangt geradezu die Bösen, jene unwerten, schlechten, niederträchtigen Menschen, die einfach an und für sich in ihrem tiefsten Lebenskern völlig falsch sind.

Vizekanzler Gabriel hatte dies mal in einem Interview erwähnt: es gäbe – so zitiere ich aus dem Gedächtnis – Deutsche, die eher „Pack“ sind, „Mob“, Deutsche, die weniger nach Deutschland passen als die Flüchtlinge, die nun zu uns kommen auf der Flucht vor den Bomben der Herren der Welt. Fragen Sie sich auch manchmal, was denn so ein guter Mensch in seinem tiefsten inneren Lebenskern für Maßnahmen gegen jenes Pack ersinnt, das als Deutsche überhaupt nicht nach Deutschland passt? Irgendwie werden wir dieses Problem doch lösen müssen? Was ist das Fernziel dieser Aussage? Alle deportieren, die der Regierung unbequem sind?

Nun – ich möchte auch über die Wiederkehr der sozialen Pest reden, ein Begriff, den ich aus der Philosophie des Wilhelm Reich entlehnt habt – er macht die „emotionale Pest“ für die Horrorjahre zwischen 1933 und 1945 für die Ausfallerscheinungen der modernen, demokratischen Zivilkultur verantwortlich. Ich möchte hier nur von einer sozialen – oder besser: asozialen – Pest reden – ein Ansatz, der sich etwas von der bisherigen Geschichtserzählung unterscheidet. „In“ ist, die Geschichte wie folgt zu erzählen: es kam ein böser Mann aus Österreich, der ein finsterer Zauberer des Wortes war und so ein ganzes Volk verführte, es zu unglaublichen Gräueln gegen ihre jüdischen Mitmenschen anstachelte und es letztlich in den Abgrund des Weltkrieges führte. Eine schöne, bequeme Geschichte: wer kann schon für seine Entscheidungen und Taten verantwortlich gemacht werden, wenn er einer völlig dunklen Macht gegenübersteht, die seinen ganzen Willen lähmt? Normalerweise akzeptieren wir solche Mythen nur in modernen Märchen wie der „Star-Wars“-Saga, wo ein einziger dunkler Sithlord mit ihm völlig unterworfenen Mitstreitern die gesamte Republik in eine Diktatur verwandelt, für die Massenmord Volkssport wird.

Sicher – es gibt viele Vorbehalte, diese Version der Geschichte anzuzweifeln. Die Gräuel könnten verharmlost werden, Hitlers Anhänger könnten wieder auferstehen – „Lord Voldemort“ wird wieder lebendig. Es könnte zu unglaublichen Verzerrungen der Wirklichkeit führen – bis hin zur aberwitzigen Leugnung des Holocaust durch einige Sofahistoriker in der Mietskaserne, die sich nie die Mühe gemacht haben, die überwältigenden Berge von Dokumente zu studieren, die im Umfeld des Holocaust zu dessen Durchführung produziert wurden. Es ist zwar richtig, dass Geschichte immer von Siegern geschrieben wird, es ist auch richtig, dass Geschichte manipulierbar ist und von der Perspektive des Betrachters abhängig ist – trotzdem bleiben Fakten über: der Untergang der Bismark, die Schlacht um Stalingrad, die Bombadierung von Coventry und der Holocaust. Können wir uns auf solche Wahrheiten nicht einigen, können wir reden und denken einstellen und das Projekt „demokratische Zivilgesellschaft“ einstellen und uns auf eine Welt freuen, in der der Mond Dienstags eine Scheibe ist und Sonntags aus grünem Käse.

Ich möchte auch mal wieder über Hartz IV reden. Noch ein langweiliges Thema, das die Mehrheit der Deutschen gar nicht mehr hören kann, weshalb man leichtfertig und bequem den Regierungsparolen glaubt: da lungern faule, degenerierte, unbeschul- und unbelehrbare Untermenschen im Bodensatz der Gesellschaft herum, die man mit aller Härte zur Arbeit zwingen muss. Warum man die zwingen muss, warum man nicht andere Möglichkeiten der Motivation wählt, von denen die Wirtschaft viele kennt? Nun – es sind degenerierte Untermenschen, halbe Tiere: da hilft nur der Zwang. Oder irre ich da?

Und die Regierung hat auch Recht! Das wird Sie jetzt verblüffen – aber Menschen, denen man per Gesetz ihre Würde nimmt, verlieren in der Tat einen Teil ihrer Menschlichkeit – die Hartz-Mühle produziert ein enormes Maß an geistigen Krankheiten, an Demotivation, an zerstörtem Selbstwertgefühl und vernichteter Achtung durch die Gesellschaft … lesen Sie einfach mal ein paar einschlägige Fachzeitschriften der deutschen Hochkultur , „Bild“ – zum Beispiel, oder gewisse „Aufklärungsschriften“ aus dem Ministerium für Wirtschaft. Ja – so etwas wurde 2005 in deutschen Ministerien formuliert (siehe Kopie der Broschüre bei Harald Thomé):

Biologen verwenden für „Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten– leben“, übereinstimmend die Bezeichnung„Parasiten“.

Die soziale Pest – jener Gemütszustand, der die Vernichtung des Lebens und der Lebendigkeit seines Mitmenschen billigend in Kauf nimmt – steht nicht vor der Tür: sie hat schon längst wieder Fuß gefasst in der Mitte unserer Gesellschaft. Studien dazu gibt es genug – doch sie kommen zu spät, „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ schreitet unaufhaltsam voran – nicht nur in Bezug auf Arbeitslose.

Bleiben wir aber erstmal bei denen. Wissen Sie, was ein Arbeitsvermittler über den Zweck seiner Arbeit äußerte? Er brachte den Sinn und Zweck der ganzen „Reform“ auf einen Punkt (siehe Süddeutsche):

„Wir statten Arbeitgeber mit billigem Menschenmaterial aus“, kommentiert Meisner das, was seine Behörde tut. Als Beispiel nennt er das Weihnachtsgeschäft. „Da ruft ein großes Versandunternehmen aus dem Norden Berlins an: Hey, wir brauchen Leute. Dann trommelt die Agentur in Infoveranstaltungen Leute zusammen, schiebt sie in diese Jobs – obwohl völlig klar ist, dass sie nach dem Weihnachtsgeschäft wieder arbeitslos sein werden.“

Aus dem demokratischen Bürger ist „Menschenmaterial“ geworden. Billiges Menschenmaterial, das systematisch produziert wird. Lesen Sie mal den Aufsatz einer Akademikerin mit Doktortitel über ihre „exzellente Dequalifizierung“ (siehe Blätter), einer Dequalifizierung, mit der der Staat einen weiteren Nutzen einfährt:

„Mit ihnen entledigt sich der demokratische Staat auch eines guten Teils seiner eigenen gesellschaftspolitischen Reflexion und der kritischen Distanz zu sich selbst. Und dies gerade in Zeiten, da die Grenzen des neoliberal-enthemmten Umverteilens von unten nach oben nicht nur von Wissenschaftlerinnen (außerhalb Deutschlands, etwa von Thomas Piketty) eindrücklich nachgewiesen, sondern sogar vom Internationalen Währungsfonds wiederholt eingestanden worden sind,“

Die kritische Intelligenz wird auf dem Weihnachtsmarkt verheizt. Nun: „Deutschland geht es gut“ – so die Parole – was brauchen wir da noch Kritiker? Besser als gut geht nicht. Hartz IV ist auch erblich – selbst wenn man einen Studienabschluss mit der Note 1,6 erzielt (siehe Süddeutsche) entkommt man dem Prekariat nicht … und wird nach einem Jahr wieder zur Hilfsarbeiterin herabgestuft, für die es natürlich keine Arbeit mehr gibt, die Maschinen nicht besser und billiger machen können. Deutschland geht es gut – Millionen von Kindern können nicht in den Urlaub fahren (siehe NTV), die Zahl der armen Kinder steigt beständig (siehe Spiegel) – ebenso die Zahl der vom Jugendamt „in Obhut“ genommenen Kinder (siehe Spiegel), worunter wohl bald auch mehr Kinder von „sanktionierten“ Eltern fallen – wer eine Sanktion von mehr als 30 Prozent erdulden muss, wird dem Jugendamt gemeldet: Kindeswohl ist in Gefahr (siehe Kindesentzug 24). Dass die größte Gefahr für Kinder von der „Inobhutnahme“ selbst ausgeht (wie auch von jeder anderen frühen Fremdbetreuung: siehe Welt) wird billigend in Kauf genommen … trotz der drohenden „innerseelischen Katastrophen„.

2008 gab es ein Gutachten im Finanzministerium (siehe Bundesfinanzministerium), das sich mit der Problematik befasste, dass die Superreform einfach keine Ergebnisse  zeitigte. Die Lösungsvorschläge sind gruselig und reichen bis zur Versteigerung der Arbeitslosen an die Privatwirtschaft: das sozial völlig enthemmte Denken findet in den Bereichen jener Leute, die nur auf Kosten anderer Leben (Beamte und Professoren) keinerlei Grenzen mehr – man mag gar nicht wissen wollen, was da derzeit noch in den Schubladen schlummert.

Geht es uns eigentlich so schlecht, dass wir zu solchen Maßnahmen gezwungen sind? Lauschen wir mal der Presse (siehe Spiegel):

„In den sieben Jahren seit der großen Finanzkrise ist das private Geldvermögen weltweit um 61 Prozent gestiegen – beinahe doppelt so schnell wie die Wirtschaftsleistung.“

Die Welt stinkt vor Geld. Deutschland erst recht: aber es profitieren nicht die, die die Arbeit machen, sondern jene, denen der Staat per Staatsgewalt mit Zwang billigstes, degradiertes, entmenschtes Menschenmaterial zur Verfügung stellt. Hört sich schaurig an, wenn man das so formuliert, oder? Keine Sorge: es wird noch schlimmer.

Zu einem demokratischen Rechtsstaat gehört unbedingt auch die Gewaltenteilung zwischen dem Gesetzgeber, der durchführenden Polizeigewalt und dem Richteramt, das unabhängig die Maßnahmen auf Legalität überprüft. Funktioniert noch nicht immer überall perfekt, aber wir arbeiten dran.

Anderes Recht gilt für die Parasiten und Schmarotzer. Die „Junge Welt“ berichtet über neue Maßnahmen gegen die Verbrecherkaste der Arbeitslosen – und enthüllt interessante Aspekte (siehe Junge Welt):

„Die BA stellt in ihrer Dienstanweisung klar: »Die in einem OWi-Fall ermittelnden Sachbearbeiter besitzen weitgehend dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.« Sie sollen sich an deren Vorschriften, etwa der Strafprozessordnung, orientieren. Ausgenommen seien »lediglich schwere Eingriffe, wie freiheitsentziehende Maßnahmen«. Selbst wenn am Ende das Bußgeldverfahren eingestellt wird, so geht weiter aus der Weisung hervor, habe der Betroffene, obwohl »rehabilitiert«, seine Auslagen, etwa für einen Rechtsanwalt, selbst zu tragen. Nur auf Antrag könne das Jobcenter nach eigenem Gutdünken entscheiden, ob die Staatskasse doch dafür aufkommen könnte.“

Wir werden eines Tages uns selbst verfluchen, dass wir des Emporkommen solch einer Monsterbehörde nicht umgehend verhindert haben – denn hinter der Philosophie von Hartz IV steckt noch viel mehr als die Anmaßung von Staatsgewalt durch schlecht ausgebildetes Personal aus ehemaligen Bahn-, Post- und Friedhofsbeamten.  Es ist eine einzige Behörde, die nach Gutdünken „Sanktionen“ verhängt – jene Sanktionen, die auch die Mehrheit der oben zitierten Gutachter des Bundesfinanzministeriums für unverzichtbar hält. Jene Sanktionen, die das Lebensminimun an Geld jederzeit ohne Gerichtsurteil auf Null fahren können – ein Umstand, den kein Massenmörder, Vergewaltiger oder Kinderschänder im Knast zu befürchten bräuchte. Die Behörde bestimmt die „Gesetze“ allein (also: den Sanktionsgrund), beurteilt ihre Legitimität allein und führt ihn auch allein durch: ein Staat im Staate. In einer demokratischen Zivilgesellschaft gehörte eine solche Behörde umgehend aufgelöst, weil sie sich von dem Boden der demokratischen Grundordnung entfernt – da sie aber Millionen Menschen Gewinne beschert, schert sich keiner darum. Jedenfalls keiner von denen, die Entscheidungsgewalt haben und an den so produzierten Reichtümern Gewinn machen … und das sind bis zu 70 Prozent der Bevölkerung.

Die soziale Pest schreitet immer weiter fort, wird Jahr für Jahr schlimmer: die Verlierer der Globalisierung werden Opfer der Verfolgung, als hätten sie selbst es zu verantworten, dass Arbeitsplatzabbau zum probaten Mittel zwecks Steigerung der Aktiengewinne geworden ist. Darf ich jetzt mal ein Zitat bringen?

„In den vielen Pflegeanstalten des Reiches sind unendlich viele unheilbare Kranke jeder Art untergebracht, die der Menschheit überhaupt nichts nützen vielmehr nur zur Last fallen, unendliche Kosten für die Verpflegung verursachen, und dabei ist keinerlei Aussicht vorhanden, daß diese Menschen je wieder gesund und nützliche Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft werden können. Sie vegetieren dahin, wie die Tiere, sind asoziale, lebensunwerte Menschen, dabei sonst in den inneren Organen gesund und können noch viele Jahrzehnte leben. Sie nehmen nur anderen Menschen die Nahrung weg und bedürfen oft der zwei- und dreifachen Pflege. Vor diesen Menschen müssen die übrigen geschützt werden.“

Dieser Text, der ganz und gar den Geist moderner Broschüren aus dem Wirtschaftsministerium atmet, stammt aus dem Jahre 1940 – und beschreibt den Vorlauf zur Aktion T 4: der Vernichtung der Geisteskranken in den deutschen Pflegeheimen (aus: Götz Aly/Susanne Heim, Die Vordenker der Vernichtung, Hoffman und Campe, 4. Auflage 2004, Seite 268). Die Autoren sehen diese Aktion sogar als Test an, als Vorbereitung zur Massenvernichtung des Holocaust: ein Test, unter welchen Bedinungen das Volk solche „Maßnahmen“ aktzeptiert. Und die Vernichtung fing ganz langsam an:

„Als dann in den letzten Jahren vor 1939 der Ausbruch des Krieges in immer greifbarere Nähe rückte wurde uns bekannt, daß im Reichsinnenminiserium erwogen würde, im Kriegsfall die Insassen der Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke, Epileptische und Schwachsinnige auf eine stark verkürzte Lebensmittelration zu setzen“ … was bedeutet, „sie einem langsamen, aber sicheren Hungertode auszusetzen“

Erst in Folge dieser Erwägungen wurde dann „vorsichtig vorgefühlt, wie die Innere Mission sich dazu stellte, wenn der Staat die Vernichtung bestimmter Kategorien von Kranken im Krieg … in Erwägung zöge“. (Aly, Heim, a.a.O., Seite 271).

Aly fasst die Quintessenz der Aktion T 4 wie folgt zusammen:

„Im Mittelpunkt des ersten, systematischen NS-Massenmordes stand die Definition der ökonomischen „Nützlichkeit“ eines Menschen.“ (Aly, a.a.O., Seite 268)

Der Kern des Holocaustes: die Reduktion des Wertes eines Menschen auf seine betriebswirtschaftliche Ausbeutbarkeit. Oder: die Verdrängung christlicher Urwerte durch die Betriebswirtschaft. Nicht mehr der Mensch steht im Mittelpunkt staatlichen Handelns, sondern der effektive Betrieb. Das Ziel?

„Daß der soziale Status Quo für die breite Mehrheit erhalten oder sogar verbessert werden sollte, indem eine als unbrauchbar definierte Minderheit ermordet oder wenigstens vertrieben wurde“. (Aly, a.a.O., Seite 270). 

Damit es 70 Prozent besser geht, müssen 30 Prozent weg. Alte faschistische Lebensweisheit. 70 Prozent fanden die damals gut – und heute wohl auch. Diese Facette des Faschimus wird eher am Rande der Geschichtsschreibung erwähnt, wir mögen lieber die düstere Geschichte vom übermächtigen Lord Voldemort.

Wie liest sich das im Detail?

Nun – ein späterer Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums „verfaßt 1942 einen statistischen Bericht über die erste Phase dieser Morde unter dem Titel „Was ist bisher in den einzelnen Anstalten geleistet, bzw. desinfiziert worden“- „Desinfizieren bedeutet die Ermordung durch Gas.“ Großzügig berechnet er die Einsparungen bis ins Jahr 1951 – durch „Tötung der nicht arbeitsfähigen Kranken (der Statistiker bezeichnet das als „Leistung“) kommen die Einsparungen „an toten Kosten“ bezüglich Essen, Wohnungen, Kleidungen „auf mehr als 880 Millionen Reichsmark“ (Aly, a.a.O., Seite 269″).

Erstaunlich, wer alles der Entnazifizierung entkommen konnte. Außer den „Stars“ der Bewegung wohl fast alle.

Wird Ihnen jetzt unheimlich?

Nun – wahrscheinlich nicht, wenn Sie zu den gesegneten 70 Prozent gehören, die vom System mit einem unkündbaren Arbeitsvertrag verpflichet wurden – oder wenigstens noch einen Vollzeitarbeitsplatz mit lebensfähigem Gehalt haben. Sie gehören ja zu den Gewinnern. Den „Guten“ – wie auch der Autor dieser Zeilen hier.

Die anderen jedoch müssen sich die Frage stellen: wann greift die soziale Pest wieder soweit um sich, dass wieder „desinfiziert“ wird?

Wann das sein wird?

Nun – die Vorarbeiten zur Aktion T 4 stammen aus den zwanziger Jahren.

„Im Sommer 1939 schrieb der Leibarzt Hitlers, Theo Morell, für seinen mächtigen Patienten ein kleines Gutachten. Er bezog sich auf eine Umfrage, die in den frühen 20er Jahren unter den Eltern schwerbehinderter Kinder in Sachsen durchgeführt wurde. Die Eltern hatten die „rein theoretisch“ gestellte Frage, ob sie „in eine schmerzlose Abkürzung des Lebens ihres Kindes einwilligen“ würden, weit überwiegend mit „ja“ beantwortet“. (Aly/Heim a.a.O., Seite 273)

Ab 1933 kam dann eine politische Bewegung, die dieses kleine „ja“ in die Tat umsetzte.

Was ist also Faschismus?

Die Bewertung des Menschen nach seiner rein ökonomischen Nützlichkeit … mit allen Folgen. Faschismus – ist Betriebswirtschaft ohne Menschlichkeit. Etwas, das ich gerne als „soziale Pest“ bezeichnen möchte.

Kommt Ihnen das bekannt vor – aus den Entlassungswellen der letzten Jahrzehnte?

Wo stehen wir da jetzt gerade? Wann werden wir die Entsorgung unnützen Menschenmaterials intensivieren?

Das möchte ich nun Ihrer eigenen Einschätzung überlassen. Ich möchte dem Souverän dieses Landes nicht in seine Meinungsbildung hineinreden…

 

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