Skatopia

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Tunesien-Deutschland: Urlaub sicher. Armut auch. Aufschwung nicht – der bleibt privat.

In Tunesien und Algerien ist gerade viel los. Menschen werden in Mengen auf offener Straße von der Polizei erschossen, aber worum es geht erfährt man erstmal nicht so richtig.  Manche stecken sich auch selber an, aber: wir können beruhigt sein, meint jedenfalls die Welt:

Die blutigen Unruhen in Tunesien stellen nach Ansicht des Auswärtigen Amtes derzeit keine Gefahr für Touristen in den beliebtesten Feriengebieten des Landes dar. Die Ausschreitungen richteten sich nicht gegen westliche Urlauber, erklärte ein Sprecher in Berlin. Urlaubsorte wie die Insel Djerba seien nicht betroffen, die Polizei schirme sie weiträumig ab.

Dieser Satz am Ende eines Artikels, der von geschlossenen Schulen und Universitäten spricht, wirkt seltsam deplaziert. „Neonazis machen nur Jagd auf Ausländer, Deutsche können weiterhin beruhigt einkaufen gehen“….wäre ein ähnlicher Satz. Es sind keine extremistischen Islamisten, die in Tunsien auf die Straße gehen, es sind … Blogger, Journalisten, Rechtsanwälte, wie die Welt weiter schreibt. Wortgewandtes Volk, das sich hierzulande eher mit der Frage auseinandersetzt, wer der bessere Verseschmied ist – und wer die meisten Abmahngebühren eintreiben kann. Unsere Journalisten haben andere Probleme, unsere Anwälte auch. Das Manager Magazin berichtet momentan davon:

mm: Wie legt man denn im Falle eines Falles einen erstklassigen Alphatierauftritt hin?

Mayer: Der ist ganz klar definiert durch den Dreiklang Schwarz, Rot und Weiß. Da geht es um Macht, Kampf und Dynamik. Schwarz vermittelt Distanz, Rot ist die Farbe des Sieges, Weiß die Farbe der Klarheit.

mm: Das klingt ja alles recht reglementiert. Wie kann man denn als Mann in einem konservativen Geschäftsumfeld überhaupt eigenen Stil zeigen?

Mayer: Das ist nicht allzu schwierig. Nichts kleidet besser als ein gut sitzender Anzug. Der Anzug ist die Rüstung und die Waffe des Mannes. Und er muss Geld kosten. Ein Mann kann einfach nicht gut angezogen sein, wenn er einen Anzug für 299 Euro, ein Hemd für 39 Euro und eine Krawatte für 20 Euro trägt. Die persönliche Leinwand ist das magische Dreieck: Hemd, Revers, Krawatte. Da kann man seinen Stil zeigen.

„Seinen eigenen Stil zeigen“, das scheint das wichtigste Problem des deutschen Alphamännchens zu sein. Das möchte ich jetzt auch nicht sexistisch interpretiert wissen.

Und welche Probleme haben jetzt die Tunesier, mit denen sie glauben, ungestraft unsere Urlaubspläne stören zu dürfen … jenen Urlaub, den wir uns nach einem Jahr perfekten Dresscodeaufmarsch wirklich verdient haben? Ganz fremdartige, meint die RP-Online:

Der Nordafrika-Spezialist Pierre Vermeren sieht bei den sozialen und wirtschaftlichen Ursachen durchaus Gemeinsamkeiten. Er nennt vor allem die gestiegenen Lebenshaltungskosten und die hohe Arbeitslosigkeit. Für junge Menschen, die im Maghreb die Mehrheit stellen, sei es wegen der Wirtschaftskrise immer schwieriger geworden, in Europa Arbeit zu finden, was den heimischen Arbeitsmarkt zusätzlich belaste.

Für Spannungen sorge zudem die wachsende Kluft zwischen der Masse, die sich unter oft miserablen Lebensbedingungen durchschlägt, und der neuen Schicht der glänzend verdienenden Geschäftemacher. Die arbeitslosen jungen Algerier erbittert zudem, dass der Staat 155 Milliarden Dollar Reserven besitzt, die aus Öl- und Gas-Exporten stammen, die ihnen aber in keiner Weise zugute kommen.

Also … da gibt es viel Volk – auch gebildet – die nichts verdienen und eine kleine Gruppe cleverer Geschäftemacher (aber perfekt angezogen, schwarz-weiß-rot, werde mal in Zukunft drauf achten), die immer mehr Geld scheffeln. Woher kenne ich das nur? Hören wir zu dem Thema einfach mal Karl Weiss:

Der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Schmieding, räumte mit dem Märchen auf, in Deutschland gäbe es ein „Jobwunder“, die Industrie blühe auf und stelle ein. In Wirklichkeit ist die Bruttowertschöpfung der Industrie in Deutschland 15% unter Vorkrisenniveau. Zusätzliche Arbeitsplätze wurden dort fast nirgends geschaffen. Weise, Chef der ‚Bundesanstalt‘ sagt sogar, das verarbeitende Gewerbe in Deutschland werde den Beschäftigungsstand von vor der Krise nie mehr erreichen.

Na so was? Was erlaubt sich dieser Herr? Will er denn den Aufschwung kaputt reden?

Nun – das ist Deutschland. Hier kümmern sich Journalisten um Anzug und Karriere und Bügerjournalisten um Politik und Wirtschaft. Das wird bei uns fein geteilt.

Aber man findet auch sehr kritische Stimmen im Blätterwald – man muß da nur gründlicher suchen und die seitenlange Aufschwungpropagande meiden. Dann findet man solche Perlen wie Meinhard Miegel im Tagesspiegel:

Aber auch dieser Aufschwung beruht ganz wesentlich auf Schulden. Etwa die Hälfte des Aufschwungs ist global betrachtet über Schulden finanziert. Noch nie in der Geschichte waren die Staaten so hoch zugunsten der Wirtschaft verschuldet wie gegenwärtig. Schauen Sie sich die USA an: Da werden irrsinnige Summen in die Wirtschaft gesteckt, damit es überhaupt weitergeht. Das gilt aber auch für die europäischen Länder. Von Japan ganz zu schweigen. Und diese Länder haben ja derzeit noch ein deutlich geringeres Wachstum als Deutschland.

Aha. Jetzt können wir auch erahnen, wo unsere Horror-Staatsverschuldung herkommt. Schön, das man nebenbei auch mal davon etwas erfährt. Die brauchten wir um Geschäftemacher zu glänzenden Verdiensten zu verhelfen. Erinnert irgendwie an Tunesien, oder?

Dort wird auch die Bundeswehr im Inland eingesetzt … also, nicht unsere Bundeswehr, sondern die tunesische Armee. Das würde vor allem der Schäuble gerne auch hier, um zu verhindern, das es ganz schlimm kommt.

Ganz schlimm kam es zum Beispiel laut Spiegel in „Skatopia“:

Strippen, saufen, Sinn suchen: Mitte der neunziger Jahre gründete eine Handvoll Lebenskünstler in den USA ein Paradies für Aussteiger, Skater und rebellische Teenies. Sie schufen einen utopischen Mini-Staat, geführt von einem tätowierten Diktator und CIA-Agenten, die Autos anzünden.

Das waren natürlich unhaltbare Zustände, erst recht, wenn man die Details bedenkt:

Doch das vielleicht Erstaunlichste an diesem Ort ist, dass all dieses Chaos aus Blut, Exzess und Anarchie auf eine seltsame Weise zu funktionieren scheint. All die Jahre gab es keine Toten, keine Vergewaltigungen, keine Schwerverletzten. Denn so martialisch diese seltsame, utopische Welt auf einem Acker in Ohio auf den ersten Blick auch wirkt – was sie ihren Bewohnern wirklich gibt, hat nichts mit Krieg zu tun. Im Gegenteil: Sie finden Frieden.

Keine Toten, keine Vergewaltigungen, keine Schwerverletzten … sogar FRIEDEN … davor kann uns nur die Bundeswehr im Inneren schützen. Das ist mir jetzt auch klar.  Ich sehe schon den Satz vor mir:

Die Bundeswehr macht landesweit Jagd auf  Journalisten, Blogger und Rechtsanwälte. Die Polizei schirmt das Gebiet weiträumig ab„.  Na, wie gut, das sich ein Großteil der ehemaligen Säulen des Rechtsstaates in erster Linie um  ihren erstklassigen Alphatierauftritt sorgen. Wohl auch ein Grund, weshalb die Proteste in Tunesien so richtig nicht interessieren. Dabei … scheinen die dort die gleichen Probleme zu haben wie wir.  Nur nebenbei bemerkt: Jugendarbeitslosigkeit in Spanien stieg von 2008 bis 2009 laut Statista von ca 30% auf 44,5 %.

Die Arbeitslosenquote in Tunesien beträgt 13,9%.  Wir haben momentan 3 Millionen Arbeitslose, das entspricht 7,2 %.  Dann haben wir noch knapp sieben Millionen Hartz IV-Empfänger, die auch keine Arbeit haben aber irgendwie nicht als Arbeitslose zählen. Wir schaffen also real doch … locker 13,9%.

Tunesische Verhältnisse in Deutschland.  Sieht auch der Spiegel so:

Die deutsche Wirtschaft boomt – und auch das Geldvermögen der Bundesbürger wächst rasant. Die Verluste aus der Finanzkrise sind laut einer DIW-Studie inzwischen komplett ausgeglichen. Davon profitieren besonders die Reichen: Noch nie gab es hierzulande so viele Vermögensmillionäre.

Da bleibt nur zu sagen: hoffentlich steckt sich hierzulande keiner an.


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