Kürzlich erreichte die Redaktion des Nachrichtenspiegel die Kopie eines Schreibens. Das Schreiben kam von der Widerspruchsstelle einer ARGE. Wir könnten dieses Schreiben jetzt einer der großen Nachrichtenagenturen übergeben doch … wir sind ja extra Nachrichtenspiegel-online weil … wir denen nicht so ganz trauen. Immerhin … welche der großen Medien hat von der Anti-asozialen Demo der Gewerkschaften in Hannover berichtet, die zeitgleich mit den Demonstrationen gegen den Castortransport stattfand? So weit ich weiß, keine. Die Hannoversche Allgemeine hat einen kurzen Artikel dazu verfaßt, dem man entnehmen konnte, das es 15000 Demonstrierende gab. Nun – das sind ja auch nicht viel. Ehrlich nicht. Bei einer Demo gegen Sozialabbau erwarte ich aufgrund der akuten Bedrohung der Demokratie 200 000 Teilnehmer im Schneegestöber und 500 000 Teilnehmer bei gutem Wetter. 15000 … das kann zeigen, das sich ein erschreckend großer Teil mit dem Sozialabbau angefreundet hat.
Doch zurück zu den praktischen Auswirkungen des Sozialabbaus, vielleicht führt dieser Artikel ja dazu, das demnächst wieder mehr aufstehen und „NEIN, DANKE! sagen.
Der Absender des Schreibens hat mich gebeten, alle Informationen zu eliminieren, die Rückschlüsse auf die Person, die ARGE, ja sogar Stadt, Kreis oder Bundesland hinterlassen.
Das werde ich tun, obwohl mir die Angst, die hinter den Bedingungen zur Veröffentlichungen steht, selber Angst macht. Niemand sollte in einem demokratischen Rechtsstaat Angst vor der Reaktion einer Behörde haben! NIEMAND!
Aber es ist wohl so und damit muß man sich wohl abfinden. Immerhin – ein Knopfdruck und der Hungertod droht. Wird selten durchgeführt, aber manchmal reicht die Drohung. Soll in Ruanda auch so gewesen sein – die Regierung und die Milizen befahlen den Völkermord, also führte man ihn durch, weil man sonst selbst mit dem Tode zu rechnen hatte. Wurde zwar selten durchgeführt, aber manchmal reicht die Drohung.
Wo stehen unsere „demokratischen Parteien“ bei dieser Entwicklung? Wo unsere „liebe-deinen-nächsten-wie-dich-selbst“-Vereine? Immerhin: die Caritas baut in der Eifel in der Gemeinde Schleiden ein neues Dienstleistungs- und Versorgungszentrum:
Das neue soziale Dienstleistungszentrum wird aus zwei, durch ein Treppenhaus verbundenen Gebäudeteilen in der Form eines H entstehen. „Das verlangt der Brandschutz. So erreichen wir aber auch, dass alle Räume Tageslicht haben“, sagte Schneider. Untergebracht werden Beratungsdienst, Pflegestation Schleiden, Tagesstätte für psychisch Kranke, Sozialkaufhaus mit Kleiderladen, in dem Möbel und Kleider aus zweiter Hand bereitgehalten werden, sowie die Verwaltung. Insgesamt werden etwa 100 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz dort haben. Der Geschäftsführer bezifferte die Kosten des Hauses neben der Polizeiwache auf 2,5 Millionen Euro.
Das wird die armen Menschen freuen. Sie werden in Zukunft viel effektiver verwaltet.
Doch weiter im Text. Wo waren die Gewerkschaften? Wo waren die vielen „guten Menschen“, die Schauspieler, die Schriftsteller, die Musiker, all jene mit gesellschaftlichem Einfluß und gesellschaftlicher Macht?
Alle waren auf dem Sommerempfang des Bundespräsidenten, auf dem Bundespresseball oder bei sonstigen Vergnügungen, die man sich ja verdient hat, weil man ach so hart Arbeitet – im Büro. Was früher schon mal ein Witz war und ein Gegensatz: arbeitest Du oder verdienst Du im Büro? Vorzimmertaliban mit Schlips und Kragen. Oder Karottenhose.
Wer mit Sicherheit nicht zu diesen Empfängen eingeladen wird, ist die kleine Pia. Pia ist drei Jahre alt, die Eltern sind getrennt. Pia (Name von der Redaktion geändert) ist schwerbehindert. Mit Schwerbehindertenausweis. Sie ist sehr neugierg, sehr lebenslustig … und Autistin, besucht einen integrativen Kindergarten, wo sie eine Kindergärtnerin für sich ganz alleine hat, denn: Pia ißt nicht, Pia redet nicht und Pia kommuniziert auch sonst nicht.
Pia wäre früher einfach gestorben, verhungert: sie verweigert die Nahrungsaufnahme. Sie schaut gerne vorbeifahrenden Autos zu, Tiere erkennt sie nicht, wenn sie sich bewegen. Menschen erkennt sie, aber sie kann mit ihnen nichts anfangen. Worte erkennt sich nicht, aber imitiert ALLE Geräusche, die sie mitbekommt.
Wenn andere klatschen, dann klatscht sie mit, wenn andere singen, dann tönt sie mit, wenn andere reden, geht sie weg.
Das einzige, was Pia zu sich nimmt, ist flüssiges Essen: ein Fläschchen. Da darf auch nicht alles rein und manchmal verweigert sie auch vorher aktzeptierte Nahrung. Das ist von ARGE – Bezügen für ein Kind in diesem Alter (für Essen, Kleidung, Nahrung, Transport, Einrichtung, Windeln, Salben, Cremes, Strom) von 215 Euro im Monat nicht zu leisten.
Der Gesetzgeber hat dafür Sonderernährung vorgesehen, eine fachärztliche Bescheinigung liegt der ARGE vor – und kann notfalls auch hier nochmal beigebracht werden.
Die ARGE jedoch … lehnte die Sonderernährung ab, jetzt eben auch den Widerspruch.
Der Ablehnungsbescheid vom xx.xx.xxxx ist rechtmäßig, da ein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung nicht besteht. Ein Anspruch läßt sich insbesondere nicht aus § 21 Abs. 5 SBG II herleiten, da diese Vorschrift voraussetzt, das ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger aus medizinischen Gründen auf eine kostenaufwändige Ernährung angewiesen ist. Diese Vorraussetzung trifft auf ihr 2007 geborenes Kind nicht zu, da hierfür u.a. das 15. Lebensjahr vollendet sein muß.
Die Unterstreichungen finden sich im Originaltext. Das Schreiben geht noch weiter mit Bezug auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9.2.2010 zur Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze.
Unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Widerspruch scheidet allerdings auch unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die Gewährung eines Mehrbedarfes für Ernährung aus. Denn ihr Kind nimmt unabhängig von der aufgeführten, kostenintensiven Baby-Fertignahrung auch Lebensmittel zu sich, deren Anschaffung nicht als kostenaufwändig angesehen werden kann. (Obst, Milch, Quark, Brei). Eine tägliche Ernährung mit fünf bis sechs Gläschen Baby Fertignahrung kann daher nicht als zwingend angesehen werden; überdies bietet der im Sozialgeld für Pia enthaltene Ernährungsanteil trotzdem die Möglichkeit einer entsprechenden Ergänzung (88,92 € pro Monat; berechnet aus 38, 46 % für Nahrungsmittel, Getränke und Tabakwaren sowie 2,9% für Beherbergungs- und Gaststättenleistungen).
Eine Avocado kostet einen Euro. Davon braucht Pia eine halbe am Tag, damit sie irgendeine Form von Fett erhält. Das billigste Gläschen kostet 65 Cent, der Kindergarten besteht auf drei – vier mit ausgewogenem Inhalt. Da kann jetzt jeder rechnen, wie weit man damit kommt.
Es ist KEINE ANMASSUNG der Sachbearbeiterin, sondern Willen des Gesetzgebers, also letztlich unser aller Wille. Das Gesetz sieht wirklich nicht vor, behinderte Kinder gesondert zu unterstützen, Originaltext hier.
Nur ERWERBSFÄHIGE erhalten Essen.
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ – Ihre SPD.
Dieser Satz hat weitläufige Folgen … für alte, kranke und behinderte Menschen. Das merkt die kleine Pia gerade deutlich.
Aber eine Milliarde mehr für Arzthonorare …. das ist locker drin, da sind wir spendabel.
Euthanasierepublik Deutschland? Ein Einzelfällen schon – jedenfalls wenn dreijährige Kinder nicht arbeiten können. Wollen wir hoffen, das Pia bald feste Nahrung aktzeptiert, bevor die Mangelernährung für bleibende Schäden sorgt. Der Gesetzgeber hofft wohl, das sie – und ihre Leidensgenossinnen – das fünfzehnte Lebensjahr gar nicht erst erreichen und dem Staat dann weiter auf der Tasche liegen können. Soweit sind wir schon – nicht als Sünde einer Sachbearbeiterin sondern als Willen der SPD/Grüne Regierung, fortgeführt von CDU/CSU/FDP.
Wir sind vom „Lebensberechtigungschein“ gar nichtmehr so weit entfernt, wie wir denken. Einige merken schon, wenn er ihnen nicht zugeteilt wurde.