Sachzwang

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Dies ist die dunkelste Stunde (vor dem Sonnenaufgang)

Heute ist Pfingsten, das Fest der Inspiration des menschlichen Geistes. Das hätte ich diesmal angesichts der durch die Luft schwirrenden Drohnen und geköpften Häupter fast vergessen.

Erinnert hat mich heute morgen ein regendurchnässtes, schrill-orangenes Litfassplakat neben der Straße mit der Aufschrift „PFINGSTFEST“. Es lädt den fernsehenden Dosenbierbürger ein zu dem, was das Wort bereits ahnen lässt: zu einem Umtrunk mit Blasmusik und Kranzwürsten, also zu einem Oktoberfest im Mai.

„DUCHLESS“ – „SEELENKALT“. So betitelte der russische Autor Sergej Minaev seinen Bestsellerroman, in dem er seiner Generation einen Spiegel vorhält und eine unbarmherzige Abrechnung mit dem kritiklos von Europa und dem Osten übernommenen amerikanischen Lebensstil vornimmt. Die Figuren seines Romans sind von blindem Konsum und Zynismus getrieben, versuchen der Sinnlosigkeit ihrer karrieristischen Existenz mit Exzess, Alkohol und Sex zu entkommen, bis sie vollkommen ausgehöhlt von einem schwarzen Loch abgesaugt werden.

DUCHLESS. Das ist ein Wortspiel, zusammengesetzt aus dem russischen „duch“ (=Seele, Geist) und dem englischen „-less“ (=fehlend, ermangelnd).

Nachdem wir Christmas bereits zu X-MAS bzw. zur X-MAS Party gemacht haben und Allerheiligen zum Höllenabend (Helloween), wäre „DUCHLESS“ doch ein perfekter Name, um auch dieses Jahresfest zu substituieren und Farbe zu bekennen. – Zu unserem mittlerweile zur dogmatischen Staatsreligion erhobenen Glaubensbekenntnis: Dem nihilistischen Szientismus.

Da uns dieses Glaubensbekenntnis schon von klein auf in Schule und Uni mit dem Löffel gefüttert wurde, kann jeder von uns den Text bereits auswendig, auch wenn mancher ihn nicht bewusst in Worte zu kleiden vermag:

„Mensch und Welt sind nur geistlose Kohlenstoffzusammenballungen, ergo ist alles Wurst, ergo können Mensch und Umwelt nach reinen Effizienzkriterien ausgeschlachtet werden. Amen.“

Die Priester dieser Staatsreligion, die streng wissenschaftlich akkreditierten Fachleute, denen wir heute bedingungslos gehorchen wie seinerzeit die Schweinebauern der unfehlbaren päpstlichen Autorität, werden im Anschluss der Festivität den Segen über uns aussprechen, nachdem der Höhepunkt des DUCHLESS-Festes zelebriert wurde: das rituelle Teeren, Federn und elektronische Verkabeln unserer Kinder, die wir heute am Opferaltar des Szientismus bereitwillig darbringen.

Die szientistischen Priester, die dieses Opfer verwalten bzw. mit sachzwänglicher Gewalt einfordern, wissen zwar insgeheim, dass ihr Weltbild in ca. 200 Jahren als der größte Schwachsinn der gesamten Menschheitskultur in die Geschichtsbücher eingehen wird, aber das hindert sie nicht, ihre Rolle voll und ganz zu erfüllen.

Wer sich dem Zug der Lemminge in Richtung Grand Canyon nicht anschließen und das szientistische Glaubensbekenntnis des neoliberalen Zeitalters nicht mitsprechen will, sondern an einen Sinnzusammenhang des Daseins, an eine geistige Existenz des Menschen, ergo an eine Verantwortung des Einzelnen für die Zukunft glaubt – nun, der kann zur Feier des Tages eventuell dieses Gebet von Thomas D mitsummen:

In diesem Sinne: frohe Pfingsten vom Parkwächter!

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