„Nabila“, Kashoggis Yacht (CC-BY-SA-3.0/Wikimedia/FrummerThanThou)
„Busy going nowhere“, so hieß ein inzwischen abgetakeltes Album des Industriellensohns Hubertus von Hohenlohe, in dem er seine Erfahrungen mit der internationalen Jet-Set-Prominenz zu verarbeiten sucht. Der in einem Fünf-Sterne-Hotel in Marbella aufgewachsene Prinz Hubertus hatte eine harte Kindheit. Im Zuge einer Affäre seiner Mutter Ira Fürstenberg mit dem brasilianischen Playboy Francisco Pignatari waren ihm Privatdetektive auf den Fersen, die ihn entgegen dem gerichtlich verordneten Sorgerecht wahlweise ins Schloss der Mutter oder ins Luxushotel seines Vaters entführen wollten. Mit zehn Jahren wurde er von seinem Vater in ein Internat geschickt, „um ihn von den reichen Kindern Spaniens fernzuhalten, die mit 14, 15 Jahren begannen Drogen zu nehmen und sonst auszuticken“.
Da als Nachfolger des Firmenimperiums sein älterer Bruder Christoph vorgesehen war, konnte sich Prinz Hubertus ganz seiner Passion als Jux-Skirennläufer für die Kaktusrepublik Mexiko widmen. Obwohl er bei Weltcuprennen regelmäßig den letzten Platz belegte, ging er dennoch in die Sportgeschichte ein – als Fahnenträger in erster Position bei den Olympischen Winterspielen und als einer der originellsten Skifahrer der Neuzeit (Abfahrten bestreitet er stets in Trikots bekannter Fußballklubs, seine letzte Kleidung bei den Olympischen Winterspielen war die eines Desperados mit Revolver an der Hüfte). Ja, wahrlich: die Letzten werden die Ersten sein – für Jet Set-Prinzen gilt diese Verheißung jetzt schon im Irdischen, sie müssen dazu nicht erst aufs Jenseits warten.
Prinz Hubertus beim Einzug der Mannschaften / Olympische Spiele 2010 (Foto: Jude Freeman / Flickr).
Obwohl der mittlerweile 58jährige Prinz in einem Interview meinte, dass er eigentlich schon „zu alt für den Scheiß“ sei, war er auch 2017 bei der WM in St. Moritz wieder am Start. Er erzählt, dass er das Schifahren zum „Erden“ brauche. „Wenn ich die ganze Zeit rauchen und trinken würde, würde das nicht gehen.“
Eine ähnlich schwere Kindheit wie Prinz Hubertus musste Baron Lorne Thyssen-Bornemisza durchmachen, seines Zeichens hauptberuflicher Sohn des seinerzeit 2,5 Milliarden Euro schweren Industrie-Magnaten Hans Heinrich Thyssen. Aufgewachsen in einem Luxus-Apartment in Chelsea war der „begehrteste Junggeselle Londons“ befreundet mit den Kindern des Schahs von Persien, denen des Fiat Chefs Gianni Agnelli und des Griechischen Reeders Stavros Niarchos. Man hatte dieselben Probleme, hieß es im britischen „Tatler“: „Wie schlägt man sich gegen drei Stiefmütter? Was tun, wenn man entführt wird?“
Das Verhältnis zu seinem Vater beschrieb er so: >> Ich lernte ihn eigentlich erst kennen, als ich 16 war. Eines Nachts in Polen, beim Stapellauf eines Schiffs, betranken wir uns. Er sagte zu mir: „Ich sehe einen zweiten völligen Idioten.“ Das war so etwas wie ein Lob aus seinem Mund.<<
Der „Tatler“, ein laut Wikipedia auf die „obere Mittelklasse und auf die Oberklasse“ abzielendes Hochglanzmagazin des Vogue-Herausgebers Condé Nast, berichtet über zutiefst traumatisierende Erlebnisse, die der junge Baron Thyssen durchleben musste. Als er 15 Jahre alt war, meinte sein bereits in fünfter Ehe mit einer ehemaligen Miss Spanien verheiratete Vater, dass es nun Zeit für eine “Initiierung” wäre und arrangierte für ihn eine Prostituierte: ‚The poor girl was so bored with the whole thing that she never took her glasses off. She kept saying, „Are you finished yet?“ I found that deeply traumatising,‘ says Lorne. ‚It was an extremely unpleasant experience.‘ (Quelle: Tatler)
Ein Bericht in der Welt ergänzt: „Und natürlich hatte er auch die Probleme, die man hat als 22jähriger, wenn man nicht weiß, ob Samstag ist oder Montag und niemanden kennt, der es einem sagen könnte.“
Während Prinz Hohenlohe sein traumatisches Leben mit Popmusik zu bewältigen versucht, wählte Baron Thyssen den Weg einer cineastischen Aufarbeitung. Im Libanon drehte er vier Jahre lang an „Labyrinth“, einem 15 Millionen Euro teuren epischen Film rund um Krieg und Liebe. Die Hauptrolle spielte die Tochter des Waffenhändlers Adnan Kashoggi, Nabila – nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Yacht Kashoggis (die zwischenzeitlich von Donald Trump erworbene „Nabila“ ist 86 Meter lang, hat eine Garage für einen Rolls-Royce Phantom V, einen bordeigenen Hubschrauber und 40 Mann Besatzung.)
Ob Baron Thyssen nach seinem Filmprojekt Frieden gefunden hat, weiß man nicht. Eines seiner letzten Interviews gab er einem Reporter der Welt, der ihn in St-Tropez in einer eingezäunten und bewachten Villa aufgestöbert hatte: „Das dichte Haar ist grau geworden. Um den Mund und die Augen hat er einen harten Zug, der sein Gesicht manchmal fast verächtlich, herablassend scheinen lässt, wenn er mit Angestellten spricht zum Beispiel. Er trägt sein gestreiftes Hemd weit offen, Jeans, keine Socken und eine Oyster Perpetual Yacht Master von Rolex.“ (Quelle: welt.de)
Anscheinend ist das Leben unter bedachter Terrasse mit Meerblick jedoch selbst für hartgesottene Partylöwen auf die Dauer zu langweilig. In einer Financial Times Ausgabe aus 2017 sieht man den einst „begehrtesten Junggesellen Londons“ als Geschäftsführer einer neu gegründeten Galerie in der noblen Londoner Davies Street posieren (siehe Financial Times). Im Talon: feine griechische Bronzen und ägyptische Kunstschätze.
Apropos Langeweile. Falls es Merkels transatlantischer Flachmannschaft demnächst zu langweilig wird und man meint, dass es nach siebzig Jahren Frieden nun wieder an der Zeit ist, sich mit dem atomar bestückten russischen Bären den Kopf einzuschlagen (siehe Wenn der russische Bär eine Anakonda am Hals und der Hund die Hausaufgaben gefressen hat), dann besteht zumindest für Prinz Hohenlohe und Baron Thyssen kein Grund zur Sorge. Wie das Forbes Magazine berichtet, sind im „Oppidum“ noch ein paar Appartments frei (siehe Forbes). In diesem Luxus-Superbunker mit Pool und exklusivem Weinkeller können betuchte Milliardäre selbst nach einem nuklearen Holocaust noch ein paar Wochen lang die Korken knallen lassen und Party machen. Gut möglich, dass das Oppidum angesichts der eskalierenden Weltlage bereits ausgebucht ist. Wer dort keinen Platz mehr bekommt, der kann es jedoch noch im „Vivos Europa One Shelter“ probieren (Zimmerfotos siehe Dailymail).
Inzwischen will der Bayer Thomas Rohrmann 7000 Kilometer quer durch Europa pilgern. Nicht etwa, um Einkehr oder Erleuchtung zu finden wie früher ein Jakobswegpilger, sondern – um einen neuen Chef zu finden bzw. einen Job (siehe Spiegel). Mehr als hundert Bewerbungen hat der frühere Außendienstmitarbeiter eines Lebensmittelkonzerns bereits erfolglos verschickt, jetzt will er potentielle Arbeitgeber von seiner Leistungsbereitschaft überzeugen, indem er vom Nordkap bis nach Sizilien wandert. Als Verzweiflungstat will Rohrmann sie aber nicht verstanden wissen. „Mich treibt eher die Wut als die Verzweiflung“, sagt er. „Ich bin 57, ich kann doch noch zehn Jahre arbeiten! … Es kann doch nicht sein, dass man schon ab 40 zum alten Eisen gehört.“ Was er sich wünsche, sei doch nur „ein anständiger Job“, die Stelle müsse weder in der Lebensmittelbranche sein, noch im Vertrieb, noch nicht mal in Deutschland. Mit seiner Frau habe er das schon besprochen; er könne überall in Europa arbeiten. Zur Not hätten sie dann eben eine Fernbeziehung. Nur eines, das könne er sich gar nicht vorstellen: Hartz IV zu beantragen. „Das mach ich nicht. Da hab‘ ich eine Schranke“.
„Across Europe for 1 job“ lautet der Header auf seinem Blog, in dem er sich als leistungsbereiter Wettbewerbsbürger präsentiert, ganz auf Wellenlänge von „Pulse of Europe“. Dass er auf seinem Blog auch von starken psychischen Belastungen Arbeitsloser und gelegentlichen Panikattacken spricht, hat womöglich einen Grund: „Sein Arbeitslosengeld läuft bereits aus. Die nächsten neun Monate will er vom Ersparten leben. Acht Euro pro Tag beträgt sein Budget. Vielleicht könne er sich unterwegs mal ein Abendessen erarbeiten, durch Holzhacken oder so, sagt er. Länger als ein paar Tage werde er aber auf keinen Fall an einem Ort bleiben, er wolle ja seinen Zeitplan nicht über den Haufen werfen.“ (Spiegel)
Falls der Running Man trotz seiner sportlichen Ambition im Straßengraben landen sollte (wir wollen ihm das Beste wünschen, aber als Fußgänger 7000 km auf asphaltierten Verkehrswegen zurückzulegen ist ja nicht ganz ungefährlich), dann taucht ja vielleicht Bruder Martin auf, neigt sich von seinem Eurokraten-Ross herunter und teilt seinen Mantel. Gegenüber „hart arbeitenden“ Menschen soll Bruder Martin ja Erbarmen in Aussicht gestellt haben.
Falls Bruder Martin jedoch nicht rechtzeitig auftaucht und der Running Man nach 7000 km genausoweit ist wie zuvor, dann lohnt sich für ihn vielleicht noch ein Abstecher nach Irland. Dort ist nämlich vor kurzem ein Job in der Europa-Zentrale von Apple freigeworden. Daniela Kickl hat diesen Traumjob unter tausenden Bewerbern ergattert. Mit einem abgeschlossenen Betriebswirtschaftsstudium mit Spezialgebiet Wirtschaftsinformatik und Personalmanagement sowie mehrjähriger Berufserfahrung in der IT-Branche dachte sich die Dame am Ziel ihres Lebenstraumes, wie sie es selbst bezeichnete. Um Teil von Apple zu werden, hat die Wienerin in ihrer Heimat alle Zelte abgebrochen und ihre vierköpfige Familie nach Irland übersiedelt. Am Apple-Arbeitsplatz stellte sie jedoch fest, „dass dort nichts ist, wie es nach außen scheint“:
>>Kreativität und Individualität sind hier nicht gefragt. Mitarbeiter müssen wie in Hühnerfarmen funktionieren, reglementiert, überwacht und auf Zahlen reduziert. Mutig nahm sie den Kampf gegen dieses unmenschliche System auf und wandte sich schließlich sogar an Apple-Chef Tim Cook persönlich. […] Menschen werden auf Zahlen reduziert, nicht erreichte Ziele bedeuten Konsequenzen wie Entgelt-Ausfall bei Krankheit, und selbst die Klo-Zeit ist festgelegt, auf acht Minuten pro Tag. Demotivation, Burnouts und Selbstmorde sind die Folgen. „Ich habe mich gefühlt, als hätten Maschinen bereits die Macht über uns Menschen übernommen“.<< (Quelle: ifun.de)
In ihrem Buch „Apple intern“ schildert sie, wie aus der anfänglichen Begeisterung mit der Zeit Verzweiflung wurde. „Hilflos und entmenschlicht“ hätten sie und ihre Kollegen sich gefühlt. Aus einem ORF/ZIB24-Interview vom 20.03.2017:
„…Es war ein furchtbar beklemmendes, trostloses Arbeitsumfeld, in dem man auch keinerlei Kritik anbringen konnte, wo man immer gegen Wände gelaufen ist, wo man immer mit leeren Phrasen wie ‚common sense‘ und ‚business needs‘ konfrontiert wurde.“
In einem Stern-Interview vom 18.03.2017 meint sie weiters: „Da geht es ja den Menschen im Gefängnis besser“. Dass Frau Kickl offensichtlich nicht die einzige ist, die das Apple-Arbeitsleben erdrückt, zeigt die Statistik. Laut welt.de liegt die Suizidrate der Apple-Mitarbeiter sechs Mal höher als bei den übrigen Bewohnern Irlands.
Daniela Kickl wollte es nicht so weit kommen lassen und hat rechtzeitig gekündigt. Womöglich ist ihre Stelle in der Apple-Hühnerbatterie aber schon längst nachbesetzt – Apple rangiert ja bei einer ganzen Generation an Studierenden ganz oben als Wunscharbeitgeber. Falls er in Europa nicht fündig wird, dann müsste Running Man Rohrmann eben noch globaler denken. Als freiem Wettbewerbsbürger einer marktkonformen Demokratie steht ihm als ultima ratio ja noch die Brücke über den Atlantik offen, um in jenem Land der unbegrenzten Möglichkeiten sein Glück zu versuchen, das auch in unserer Politlandschaft das fraglose Maß der Dinge ist. Wer dort bedingungslose Leistungsbereitschaft an den Tag legt, kommt angeblich schon irgendwie über die Runden. So wie der Chicagoer Eisverkäufer Fidencio Sanchez, der Ende letzten Jahres im Alter von 89 Jahren schließlich in den Ruhestand gehen konnte – dank einer Crowdfunding-Spendenaktion (siehe orf stories).
Dass auch bei vollkommener Leistungsbereitschaft und Durchtaktung des Lebens kein Happy End garantiert ist, berichtet uns aber die Le Monde diplomatique:
„Manchmal nimmt ein derart durchgetaktetes Leben ein tragisches Ende, wie das von Maria Fernandes, die im September 2014 in ihrem Auto auf einem Parkplatz in New Jersey starb. Die 32-Jährige war seit vier Jahren bei der Schnellimbisskette Dunkin’ Donuts angestellt, insgesamt hatte sie drei verschiedene Jobs (nachmittags, nachts und an den Wochenenden), um die Ausbildung ihrer Tochter zu finanzieren. Sie bekam den damals in New Jersey gültigen Mindestlohn: 8,25 Dollar die Stunde. Monatlich zahlte sie 550 Dollar für ein möbliertes Apartment, in dem sie nur sehr selten schlief. Stattdessen ruhte sie sich in ihrem Auto aus, bei laufendem Motor und angeschalteter Klimaanlage, um frische Luft im Innenraum zu haben. Auf dem Rücksitz bewahrte sie einen Benzinkanister auf. Bei einer ihrer Schlafpausen fiel der Kanister um; giftige Dämpfe verbreiteten sich im Auto, sie erstickte. Ein Sprecher von Dunkin’ Donuts würdigte sie in einem Nachruf als „vorbildliche Mitarbeiterin“.
Falls Ihnen also in nächster Zeit am Randstreifen der Autobahn ein regennasser Running Man entgegenkommen sollte, der ein Banner mit „Across Europe for 1 job“ hochhält – nehmen Sie ihn ein Stück weit mit. Denn bei 8 Euro Tagesbudget kann er es sich womöglich nicht leisten, seine Sohlen durchzulaufen. Und der gute Mann will es ja noch bis Sizilien schaffen. Vielleicht liegt dort gerade die „Nabila“ vor Anker. Wenn er Glück hat, wird an Bord gerade ein Smutje zum Kartoffelschälen gesucht oder jemand, der unter Deck den Phantom V Royce poliert. Personen, die zu allem bereit sind, kann man immer gut gebrauchen – nicht nur im Business superreicher Barone und Waffenhändler wie Kashoggi & Co.