Mittwoch, 26.9.2012. Eifel. Die Verwendung von Kraftausdrücken in der deutschen Sprache ist weitgehend unerwünscht. Sie widersprechen der natürlichen Vornehmheit des deutschen Menschen, der sich zivilisiert dünkt und dies gerne auch nach außen durch ein kontrolliertes Verhalten kundtut. Immerhin will man ja nicht mit den Plebs, dem Mob oder dem Pöbel gleichgestellt werden. Letztere bilden die Mehrheit des Volkes. Oh – ich vergaß: der Mensch beginnt in Deutschland erst ab 1.000.000 Euro Barvermögen. Alles darunter ist „sozial schwach“. Es ist natürlich kein korrekter Gebrauch der deutschen Sprache, Menschen, die nur wenig Geld haben, gleich als sozial schwach zu bezeichnen. Sie können ja trotzdem liebevoll mit ihren Kindern umgehen, respektvoll ihre Eltern im Alter pflegen, einen hohen Grad an Hilfsbereitschaft innerhalb ihres sozialen Umfeldes bilden und ein angesehenes Mitglied der Gemeinde sein, wie es so schön heißt. Sie haben halt nur wenig Geld, so, wie es sich für gute Christen, die ins Himmelreich kommen wollen, halt geziemt. Gerade eine christliche Gesellschaft sollte der Armut deshalb einen gewissen Respekt zollen, kann sie doch Ausdruck sein für einen Ausbund an hohen Werten, die vielleicht sogar bewusst auf den Mammon verzichten. Umso verstörender ist es, wenn eine sich zum Christentum bekennende Nation die zudem als Volk der Dichter und Denker galt im Gebrauch ihrer Worte so unschicklich ist – andererseits aber das gemeine Kraftwort, das ja bekanntermaßen auch den Emotionen Ausdruck verleihen soll, so gering achten. Wenden wir uns aber nun dem zentralen Thema zu, dem wir dieses Kraftwort gewidmet haben: der Arbeit.
Um Arbeit ranken sich viele Mythen und Legenden – die christliche Wertegemeinschaft hat sie sogar als Fluch verstanden. Ist halt nicht angenehm, bei Wind und Wetter den ganzen Tag auf dem Feld zu stehen, um die Ernte einzubringen. Nicht angenehm, aber notwendig. Und immerhin: man ist den ganzen Tag an der freien Luft, verbringt ganz viel Zeit mit seinen Kindern, seinen Freunden, seiner Frau, seiner Familie, Zeit, die die Arbeit doch sehr erträglich machen. Ausserdem hat man das Ziel der Arbeit ganz klar vor Augen: Nahrungsmittel gewinnen, die einem helfen, den Winter zu überstehen. Gut, essen umsonst frei Haus wäre wahrscheinlich angenehmer, ist aber leider gerade nicht im Angebot. Diese Form von Arbeit ist heute für viele schon ein Traum – ein Traum vom guten Leben, denn was uns blüht, war noch um vieles schlimmer als der biblische Fluch.
Im 18. Jahrhundert begann eine Bewegung, die heute den gesamten Planeten in ihrer Gewalt hat: der Mensch emanzipierte sich von der Kirche, wurde sich seiner eigenen Kraft bewusst und fing an, Maschinen zu erschaffen. Die ersten waren noch primitiv, einfach und kamen ohne menschliche Hilfe überhaupt nicht aus. Darum brauchten Fabriken und Banken den Menschen. Viele Werber zogen übers Land, um die ständig unzufriedene Jugend in die Städte zu locken: dort gab es nackte Frauen, scharfen Schnaps, Essen im Überfluss, keine Regeln und keine nervigen Eltern … man musste nur eins werden mit der Maschine, jene Teile durch Fleisch ersetzen, die noch nicht Metall sein konnten. Natürlich hatten die Werber gelogen – zwar boten die Städte Unterhaltung im Übermaß, aber es gab dort auch Preise, die sich nur jene leisten konnten, die uneingeschränkten Zugriff auf das Geld hatten: Banker und Fabrikanten.
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Die Maschinen wurden immer perfekter, der Mensch wurde immer überflüssiger. Manche merkten das früh – die Weberaufstände bezeugen den ersten Widerstand gegen die Maschinen – oder den ersten Widerstand gegen die Folgen der Globalisierung. Später wurden sogar Revolutionen daraus – da die aber eher Kirchen niederrissen als Maschinen, änderte das an der Zerrüttung der menschlichen Gemeinschaft wenig. Gut – Arbeit wurde auf einmal Wert geschätzt, die übliche Einstellung der wirklich sozial Schwachen, das Arbeit Menschen schmutzig mache und ihrer nicht würdig sei, war schon bald veraltet: Arbeit wurde im dritten Reich sogar „geadelt“ – ein Begriff, der jenen Menschen eine besondere Bedeutung verleihen soll, die an sich nichts Besonderes aufweisen können: die ganze europäische Adelsklasse lebte gut von dem Schwindel. Bis ins späte zwanzigste Jahrhundert hinein hielt sich auch noch die Überzeugung, das man für Arbeit auch eine gewissen Entlohnung in Form von Geld bekam, die es auch jenen Menschen, die die ganzen Waren produzierten, erlaubte, ein wenig von der kunterbunten Warenwelt für sich zu behalten. Diese Überzeugung änderte sich jedoch im 21. Jahrhundert vollständig, die Maschinen waren inzwischen so perfekt, das man nur noch einen Bruchteil der Menschheit für die edle Arbeit hatte … und wie war diese Arbeit zu etwas völlig entmenschlichtem verkommen.
„Arbeit ist Scheiße“ – war die Überzeugung der ganzen zivilisierten Menschheit querbeet. Jeder wusste, das es für den Menschen als biologisches Wesen nicht natürlich ist, weit vor Sonnenaufgang aufzustehen, sich täglich einem mechanisch anmutenden Prozess (duschen, ankleiden, frühstücken, Zähne putzen, Bahn – oder Auto fahren) zu unterwerfen, der wider all seiner natürlichen Lebensgewohnheiten war. Im Anschluss an diesen Prozess war Käfighaltung vorgesehen: ein ständig wachsender Teil der Bevölkerung verbrachte einen Großteil des Tages in klimatisierten Räumen, abgeschottet vom natürlichen Licht, gehalten wie Legehennen und auch ausgestattet mit einer ähnlich geringen Bewegungsfreiheit. Selbst das übliche „arrangieren“ mit den Umständen gelang dank McKinsey nicht mehr: harmlos klingende „Zielvereinbarungen“ forderten gegen jede Vernunft eine jährliche Leistungssteigerung um 10 %. Jedem geistig klar denkenden Menschen ist klar, das so etwas bedeutet, das man in zehn Jahren für das gleiche Geld die doppelte Arbeit leisten musste – bei gleicher Arbeitszeit, was auch bedeuten kann, das momentan alle nur mit halber Kraft arbeiten. Jedem geistig klar denkendem Menschen ist auch klar, das das nicht zu schaffen ist, das er irgendwann an dem mehr und mehr und mehr an Arbeit zerbrechen muss. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf einen weiteren Aspekt des Arbeitsalltages, den Umgang mit den Kollegen. Anders als früher, auf dem Feld, wo man den ganzen Tag im Kreise seiner Lieben verbringen durfte, war man jetzt nur mit Fremden zusammen – Fremden, die Feinde waren, darauf hofften, das der Nebenmann früher als man selbst ins Gras biss, weil das die eigene Zugehörigkeit zur Firma noch verlängerte.
Das führte zu eigenartigen Erscheinungen im Selektionsprozess, der selbst schon durch das firmeninterne Rating und Ranking unterträglich genug war: nun wurden auch Kleidung, Frisur, Körpergeruch und Maniküre beurteilt, was oft genug dazu führt, das Menschen miteinander im Bett landeten, die sich eigentlich „gar nicht riechen konnten“, das aber unter den Parfümwolken nicht erfahrbar war. Geld für das eigenen Leben, für das, was man wirklich für sich selbst brauchte, gab es immer weniger: man musste ja „den Anforderungen genügen“.
Zudem war natürlich allen klar, das Arbeit ein völliger Scheiß war: jeder, der nur ein bisschen Grips im Kopf hatte, investierte den um ihr zu entkommen. Ganz größenwahnsinnige Konstrukte wurden erschaffen, um sich mit Hilfe magisch anmutender mathematischer Formeln einen Reichtum auszurechnen, der einen selbst von der Arbeit befreite und die drei nächsten Generationen gleich mit. Nebenbei bemerkt war dieser Trend auch die Ursache für den Begriff „sozial schwach“ – denn jene Bewegung, die nichts anderes im Sinn hatte, als sich mit Hilfe vieler Tricks und Kniffe (meist: „Zinsen“ genannt – oder „Markt“) selbst unendlich auf Kosten anderer bereichern wollte, war in der Tat an der menschlichen Gemeinschaft überhaupt nicht mehr interessiert und galt zurecht als sozial schwach – clever, wie sie waren, haben sie dann den Begriff dann lieber schnell anderen umgehängt, bevor alle merkten, was gerade geschah.
Natürlich erzeugt ein solcher Zustand ein breites Unbehagen in der Bevölkerung, die Welt klärt aktuell darüber auf:
70 Prozent stimmten dabei sogar der Aussage zu: „Deutschland geht immer mehr den Bach runter.“
Sie kennen die Ursache für dieses Gefühl auch ganz gut:
Mehr als 60 Prozent befürchten, dass Deutschland zur Zwei-Klassen-Gesellschaft wird. Gleichzeitig fordern zwei Drittel, dem „allgemeinen Werteverfall“ den Kampf anzusagen.
Nun – dafür ist es wohl nun zu spät. Durch die klaglose Akzeptanz eines jeden Arbeitsplatzes – sei er auch noch so gesundheitsgefährdend, nervtötend, lebenszeitraubend, langweilig oder völlig sinnentleert tun wir uns selbst Gewalt an – eine Gewalt, die man mit keinem Geld der Welt aufwiegen könnte – und erst recht nicht mit den aktuellen Mickerlöhnen. Wir vergewaltigen uns selbst, jeden Tag und mehrmals am Tag, um nur jenen heiligen Arbeitsplatz auszufüllen, der letztlich unsere Gesundheit ruiniert, unser Seele deformiert und unsere Psyche drangsaliert. Vergewaltigungsopfer sind aber keine guten Widerständler … sie ziehen sich abends schwer verletzt in ihre Wohnhöhle zurück und lassen sich von den immer dreister die Wirklichkeit verzerrenden Medien eine Welt vorgauckeln, die schon für ihre Eltern nicht mehr real war. Noch schlimmer ist aber: wir nehmen den Vergewaltiger jeden Tag mit. Wir sind es ja selbst.
Dabei sehen wir wirklich, das Deutschland jeden Tag weiter den Bach heruntergeht. Nicht nur Deutschland – auch die Welt. Ein Blick in Auswüchse der westlichen Lebensgemeinschaft macht das deutlich: in Griechenland fordert die Troika jetzt „Massenentlassungen aus Prinzip“, 50 000 sollen es erstmal sein, die zusehen sollen, wie sie ohne Geld in einer Welt überleben, in der Geld=Essen ist (siehe Heise), da Griechenland aber ständig neuen Geldbedarf meldet (siehe Focus), dürften es bald mehr werden. Zunehmen dürfte auch der Abbau aller gesellschaftlichen Dienste – in Griechenland macht jetzt eine ganze Stadt zu (siehe deutsche Mittelstandsnachrichten), in den USA haben die ersten Städte kein Geld mehr für die Polizei (siehe deutsche Wirtschaftsnachrichten), dafür übertreffen die Selbstmorde dort jetzt die Anzahl der Verkehrstoten (siehe Gegenfrage).
Eine Zeit der Hochkonjunktur für Sozialrevolutionäre, möchte man meinen – aber nicht innerhalb eines Volkes von Vergewaltigern. Hierzu müssen erstmal Grundlagen geschaffen werden – und eine der wichtigsten Grundlagen ist die Erkenntnis, das Arbeit Scheiße ist (für dieses Kraftwort möchte ich mich gern sofort bei sensibleren Lesern entschuldigen, aber es ist hier einfach mal jenseits jeglicher guter Erziehung notwendig, Klartext zu reden).
Arbeit ist Scheiße. Das muss oberste Parole werden. Nicht arbeiten an sich – sondern DIE ARBEIT, die uns heute als solche verkauft wird, denn arbeiten: das tun wir jeden Tag. Spülen, kochen, Wäsche waschen, Betten machen, Eltern pflegen, Kinder erziehen, dem Nachbarn helfen, im Verein aktiv werden – sowas erledigen wir alle nebenbei: ohne Zeitdruck, ohne Leistungsdruck, ohne Anpassungsdruck und ohne Kündigungsdruck, oft sogar mit guter Laune weil begleitet von guter Musik, freundlichen Menschen und strahlendem Sonnenschein.
Arbeit ist Scheiße. Sie ist gesundheitsgefährdend, verhindert den gezielten Aufbau von Vermögen, das man aus Überschüssen der eigenen Arbeitskraft aufbaut (Überschüssen, mit denen andere gerade Kapital aufbauen), zerreißt die Familien, zerstört die ganze Sozialstruktur der menschlichen Gemeinschaft, was letztlich zur Erodierung des gesamten demokratischen Gemeinwesens führt – und zu enormen Kosten im sozialen Bereich.
Um das zu erkennen, muss man das aber einfach mal mutig formulieren: Arbeit ist Scheiße.
Durch ARBEIT dringt der FEIND ins LEBEN – darum mal ein Hoch auf jene Menschen, die freiwillig in Hartz IV gehen, um dem Feind zu entfliehen. Einen davon habe ich jetzt kennengelernt – und ich möchte ihn nur kurz anonym zitieren (anonym, damit er nicht verfolgt wird wegen seiner Lebensphilosophie – ich denke, dieser Schritt ist in Deutschland 2012 notwendig):
Ich war z.B. freiwillig H4. Das war mir alle male lieber als mich unter Idioten in idiotische Strukturen einzuordnen, da kannst nicht genug Geld bekommen um den Lebensverlust nur andeutend auszugleichen …
Es waren mal schöne Zeiten als Politiker und Gewerkschafter solche Wahrheiten offen aussprechen konnten – lang ist´s her.
Und ein Hoch auf jene Menschen, die die Arbeit fliehen, um arbeiten zu gehen: zwei kann man da gerade auf ihrer mühsamen Reise durch Mexiko begleiten, zwei deutsche Frauen Mitte vierzig (also jenes Alter, wo das Verfallsdatum für den Arbeitssklavenmarkt schon weit überschritten wurde), die einfach ihre Sachen gepackt haben und nach Mexiko gezogen sind: Güeras in Mexiko lautet der Blog, in dem sie regelmäßig über ihre Abenteuer berichten … jedenfalls so lange der Computer nicht geklaut wird. Aktuell sind sie – soweit der Redaktion bekannt ist – in Peru und arbeiten dort: pflanzen für eine bessere, nachhaltigere, gerechtere Welt – Plan Verde genannt. Ich habe mal gefragt, warum sie das gemacht haben. Die Antwort fand ich … beeindruckend:
Wir möchten andere Formen des Zusammenlebens leben, wo nicht ständig nur das „Gesetz des Stärkeren“ regiert.
Weiß eigentlich noch einer, das diese Form des Zusammenlebens unsere ureigenste menschliche Form ist? Deshalb haben wir Stadt und Staat gegründet, um dem Recht des Stärkeren zu entkommen – und jetzt dulden wir es mitten unter uns, nur weil es durch Arbeitszwang bzw. Geld ausgeübt wird?
Natürlich können nicht alle auswandern – für viele wird das jedoch die einzige Chance auf ein selbstbestimmtes Leben in sozialer Verantwortung sein, die sie in ihrem Leben noch kriegen können, denn in Deutschland – das sehen ja auch die Meisten so – geht es beständig bergab. Wir könnten uns aber auch einfach erstmal hinsetzen, und die Wurzel des Übels beim Namen nennen:
PS: Die Frauen auf der Flucht vor dem Gesetz des Stärkeren kann man im Übrigen untersützen: sie haben viel gearbeitet, um in einem eigens eingerichteten Shop eine Vielzahl von Produkten anzubieten, die ihren besonderen Reiz dadurch bekommen, das sie Teil eines Abenteuers sind. Ist doch bald Weihnachten – da sucht man doch immer etwas ganz besonderes.
Mir fehlt noch das T-Shirt mit dem Aufdruck Arbeit ist Scheiße – aber man kann ja nicht alles haben. Bei dem Wort Arbeit hätte ich gerne das Arbeitsamts-A, damit auch alle wissen, was gemeint ist.