Deutschland oben – und Deutschland unten. An manchen Tagen erschrickt man sich über gewisse Erscheinungen in diesem Land – zum Beispiel über die Geistesverfassung des Gesetzgebers.
Ich kenne keinen persönlich von denen, noch konnte ich sie in den Medien orten. Es sind ja weniger die großen Schauspieler des politischen Geschehens – die Minister und Parteiführer – die hier aktiv werden, sondern gut bezahlte Stabsmitarbeiter im Hintergrund. Nachdem nun vorne auf der Bühne von allen Beteiligten das große Hartz IV-fünf Euro-Erhöhungstheater aufgeführt wurde (mit Tränen und Herzschmerz) haben hinter den Kulissen ganz andere Kräfte gearbeitet, Kräfte, deren seelische Verrohung mich schaudern läßt. Dort müssen irgendwo Menschen sitzen, die mit unglaublicher Gelassenheit und Gleichgültigkeit die Vernichtung menschlichen Lebens planen … langsamer zwar als 1933 – 1945 aber zweifellos mit gleichem Kurs.
Übertrieben?
Kommen wir mal zu einem Artikel bei Bo-Alternativ, auf den mich mein Freund Grilleau de Marigny aufmerksam gemacht hat. Ich möchte aus dem im ganzen sehr lesenswerten Artikel nur drei Zahlen herausnehmen:
Darlehen, auch bereitgestellte Mietkautionen, werden mit 10 Prozent des Regelbedarfs getilgt (bislang max. 10 %; Kautionen wurden bislang gar nicht getilgt, sondern bei einer Beendigung des Mietverhältnisses zurückgezahlt). Zur Darlehenstilgung werden alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gesamtschuldnerisch herangezogen, auch die Kinder, nicht nur der/die Darlehensnehmer_in. Dadurch entsteht über Jahre eine Bedarfsunterdeckung. Darlehen werden nun überhaupt nur gewährt, wenn alle Rücklagen, auch für notwendige Anschaffungen, aufgebraucht sind.
Mietkautionen dürfte eigentlich jeder gezahlt haben. Ich kann mich noch daran erinnern, das es Diskussionen gab, ob die privat gezahlten Mietkautionen nicht auch noch als Einkommen angerechnet werden sollten, obwohl das Geld ja nie zur Verfügung stand. Nun wird es angerechnet, was praktisch erstmal eine Kürzung der Bezüge für Einzelpersonen von 36,50 Euro zur Folge hat.
So weit, so gut. Es kommt aber noch besser, denn damit die Rücklagen auch für Kautionen aufgewendet werden können, werden sie jetzt zwanghaft gebildet:
Pflicht zur Rücklagenbildung: ALG II und Sozialgeld enthalten einen Anteil für Anschaffungen (Hausrat, Waschmaschine, Herd …) iHv derzeit 51 Euro (Single). Wird das nicht für solche Fälle zurückgelegt, kann das einbehalten werden.
Kürzungen für den aktiven Haushalt: 51 Euro, was sich jetzt schon auf 87,50 Euro summiert.
Mietgrenzen: die Wohnungskosten werden im Wesentlichen von den Kommunen getragen. Bislang galt hier die Rechtsprechung des BSG. In Zukunft können die Kommunen durch eigene Satzung die Kosten deckeln. Zu befürchten ist eine Festlegung „nach Kassenlage”, und die ist bekanntlich schlecht. Fehlbeträge müssen aus dem Regelbedarf gedeckt werden.
Kürzungen für den Haushalt? Hier lassen sich ungeahnte Höhen erreichen, wie auch die Diakonie Baden-Würtemberg fürchtet:
Zusätzlich müssen Hartz-IV-Empfänger mit weiteren Ausgaben rechnen. Bisher mussten die Kommunen die nachgewiesenen Kosten für Unterkunft und Heizung für Hartz-IV-Empfänger im Regelfall übernehmen. Zukünftig können sie die Bedarfe für Unterkunft und Heizung pauschalieren. Es ist davon auszugehen, dass diese Pauschalen in vielen Fällen für Miete und Heizung nicht ausreichend sind. Die Folge ist, dass Hartz-IV-Empfänger die Mehrkosten von ihrem schmalen Einkommen bestreiten müssen. Die acht Euro Erhöhung des Regelsatzes werden dazu nicht ausreichen.
Angesichts eines Anstiegs der Heizungskosten im Rekordwinter 2010 von 25 % dürfte vom Regelsatz sowieso nichts mehr übrig sein … ich denke, manch eine Nebenkostenabrechnung wird dieses Jahr für Obdachlosigkeit sorgen.
Nehmen wir aber den Alleinstehenden mit seiner 45 m2 Wohnung und seinen Heizkosten von 49,50, so zahlt der jetzt erstmal im Monat 12,37 mehr an Heizkosten, die er nicht ersetzt bekommt, weil er ja schon die „angemessenen Heizkosten“ erhält. Somit sind in der aktuellen Runde der Hartz IV-Erhöhungen erstmal EINHUNDERT EURO WENIGER im Portemonnaie. Dazu kommt noch eine Inflationsrate von mindestens zwei Prozent, was einem Kaufkraftverlust von 7,30 Euro entspricht.
Die anderen Kürzungen möchte ich jetzt nicht noch einberechnen … das hat schon die Diakonie für mich gemacht:
Die Erhöhung des Regelsatzes um acht Euro sowie das vereinbarte Bildungspaket bedeuten einen Anstieg der Ausgaben für Hartz IV um 2,1 Milliarden Euro. Gleichzeitig werden mit der Reform das Elterngeld gestrichen, keine Beiträge mehr zur Rentenversicherung bezahlt und die Eingliederungsleistungen für Langzeitarbeitlose gekürzt. Die Summe der Kürzungen beläuft sich auf 3,3 Milliarden Euro. Unter dem Strich wird also nicht mehr ausgegeben, sondern sogar 1,2 Milliarden Euro eingespart.
Durch Erhöhungen 1200 Millionen einsparen: das gelingt nur verbeamteten Mathematikern, die schon lange aus den Augen verloren haben, das hinter den Zahlen echte (noch) lebendige Menschen stecken. 1200 Millionen Einsparungen verteilt auf 7 Millionen Empfänger macht: 171,43 Euro pro Person: Männer, Frauen, Kinder, die auf die eine oder andere Weise wieder einmal enteignet wurden. Das wirkt wie ein großer Test: wieviel kann man kürzen, ohne das Leichen auf den Straßen herumliegen? . Makaber, aber Realität in Deutschland 2011, einem Land, das momentan die Beliebtheitsskala der Länder weltweit anführt – kein Wunder, dafür zahlen wir ja auch viel.
Probleme dieser Art sind dem Bundesverband der deutschen Familienunternehmer und ihrem Sprecher Patrik Adenauer völlig fremd. Sie leben in anderen Welten, dort, wo man so richtig erfolgreich ist und so richtig was leistet, wo man Hartz IV als großen Erfolg feiert. So liest man in der Zeit:
Nie zuvor fand der Verband, in dem rund 6000 Familienunternehmer organisiert sind, solch eine Resonanz auf eine Personalie. Auf der Suche nach einem Nachfolger für den scheidenden Präsidenten Max Schön hatte man die Mitgliederlisten durchforstet und war auf den prominenten Namen gestoßen. Erst im zweiten Schritt stellte sich heraus, dass sich dahinter ein innovativer Bauunternehmer verbirgt, der gemeinsam mit seinem Bruder Paul der Branchenkrise trotzt. Die beiden haben in den vergangenen zehn Jahren ihr Unternehmen ganz neu ausgerichtet und eine Nische besetzt, in der die Umsätze wachsen: um stolze 15 Prozent pro Jahr seit 2000. Die Bauwirtschaft insgesamt schrumpfte in dieser Zeit um mehr als 20 Prozent. »Wo andere heute mit Schwierigkeiten kämpfen, hat Adenauer mit seinem beeindruckenden Konzept das rettende Ufer längst erreicht«, sagt Karl Robl, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB).
Ein richtiger Held, dieser Patrik Adenauer. Solche Männer braucht Deutschland. Der deutsche Familienunternehmer als Rückgrat des Landes und der Wirtschaft:
Der Familienunternehmer repräsentiert das verantwortliche Unternehmertum. Er führt seine Firma eigenständig und haftet mit seinem Kapital, ist in seiner Region verwurzelt und steht für einen motivierenden und menschlichen Umgang mit seinen Mitarbeitern. Im Gegensatz zu einigen Aktiengesellschaften in Streubesitz streben Familienunternehmer den langfristigen Erfolg des Unternehmens an. Wir vertreten konsequent unsere Ansichten zu allen relevanten Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der Sozial- und Wettbewerbspolitik gegenüber Regierung, Parlament, Verwaltung und Öffentlichkeit.
Deutschland ganz oben … und hier gibt es auch die cleveren Geschäftsideen, die ich im Focus gefunden habe:
Das Schema scheint stets dasselbe gewesen zu sein: BLB-Chef Tiggemann soll Geschäftsinterna verraten und im Gegenzug Schmiergelder kassiert haben. Derart angefüttert, schnappten Investoren dem Landeskonzern Areale weg und veräußerten sie an den BLB mit einem horrenden Aufschlag.
So erwarben Firmentöchter des Kanzler-Enkels Paul Bauwens-Adenauer das ehemalige Dombräu-Gelände in der Kölner City für 23 Millionen Euro. Acht Wochen später verkauften sie es an den BLB für 33,4 Millionen Euro.
Ob das das „beeindruckende Konzept“ ist, von dem in der Zeit die Rede war? 10,4 Millionen Euro Gewinn in acht Wochen – ohne jede Arbeit? Könnten hier nicht die Familienunternehmer entsprechende Tipps an die Hartz IV-Abhängigen verteilen, so das sich „Der grosse Landesverrat“ auf für Deutschland ganz unten lohnt? Die könnten dann vielleicht die Häuser retten, die momentan dank leistungsstarker Lumpereien laut Handelsblatt verfallen und abgerissen werden müssen:
Schrottimmobilien wie diese dominieren gleich mehrere Straßenzüge, ein ganzes Gründerzeit-Viertel im Stadtkern ist vom Verfall bedroht. Wie ein Krebsgeschwür breitet er sich über der Stadt aus. Willkommen in Bremerhaven, der Stadt am Meer und der Stadt mit den meisten Schrottimmobilien in Westdeutschland.
Insgesamt 5000 Wohnungen stehen in der 112.000 Einwohner zählenden Stadt leer, viele davon befinden sich in bester Lage.
…
Denn sehr häufig wurden die Schrottimmobilien von Spekulanten zu überhöhten Preisen und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen an Ortsfremde verkauft. Banken haben die notwendigen Kredite meist ohne Bonitätsprüfung finanziert. Am Ende lasten auf dem geprellten Anleger Schulden, die er nicht bezahlen kann. Mieter sind für die Schrotthäuser nicht zu finden. So gammeln die Wohnungen langsam vor sich hin.
Und der geprellte Anleger? Ein Kandidat für Hartz IV. Ganz anders der Hartz-Kanzler Schröder nebst Gattin, bei denen hört der Aufschwung laut Spiegel gar nicht mehr auf:
Schröder scheint fest entschlossen, sich unmöglich zu machen, tatsächlich gehören zu seinen internationalen Gesprächs- und Geschäftspartnern in überraschend großer Anzahl Leute, die ein eher gebrochenes Verhältnis zu bürgerlichen Wertvorstellungen haben und Demokratie für eine Staatsform für Schwächlinge halten. Auch seiner Frau Doris scheint das Gefühl abhanden gekommen zu sein, was sich schickt und was nicht. Dass sie in den Aufsichtsrat des Handelskonzerns Karstadt berufen wurde, womit sie nun über das Wohl und Wehe von 25.000 Mitarbeitern mitentscheidet, verdankt sie jedenfalls nicht ihrer ökonomischen Sachkenntnis.
Keine ökonomische Sachkenntnis – aber trotzdem Aufsichtsrat? Wie geht das denn? Vielleicht nach der gleichen Logik, nach der man dem Staat Grundstücke vor der Nase wegschnappt um sie kurz danach mit Megagewinnen wieder zu verkaufen … weil man „zufällig den richtigen Riecher gehabt hat?“
Nun – den Riecher hätte ich auch gehabt, wenn ich die notwendigen Informationen vorliegen hätte. Solche Geschäfte könnte auch mein kleiner Sohn machen.
Aber ich bin Patrik Adenauer dankbar – ihm und den deutschen Familienunternehmern. Sie haben einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Operation 100 geleistet, deren dringliche Notwendigkeit mit diesen Zeilen wieder deutlich wird. Doch hören wir ihn selbst bei den Familienunternehmern:
Adenauer weiter: „Die 58 Milliarden Euro realistisches Sparpotential, die festgestellt wurden, bringen Bund, Länder und Gemeinden einen großen Schritt zu ausgeglichenen Haushalten voran. Schon für diese 58 von insgesamt 163 Milliarden Euro Subventionsabbau braucht die Politik viel Mut. Sie sollte in gleichmäßigen Schritten nach der Rasenmäher-Methode vorgehen, weil ansonsten die Widerstände der einzelnen Interessengruppen zu groß sind. Innerhalb von maximal fünf Jahren lässt sich dieses Sparprogramm gut umsetzen. Der Subventionsabbau ist aber auch ein notwendiges Programm gegen Wettbewerbsverzerrungen zwischen einerseits kleinen und mittleren Unternehmen, die 42 Prozent aller steuerpflichtigen Umsätze erwirtschaften, aber nur 5 Prozent aller Subventionen erhalten, und andererseits den Großunternehmen, die Hauptempfänger von Subventionen sind.“
Aha.
Die fünfzig Milliarden kann der Fiskus behalten, die acht Milliarden nehme ich schon mal für die Operation 100 – für ein Deutschland mit Zukunft, für ein Deutschland mit menschlichem Antlitz und für ein Deutschland zum Wohlfühlen. Danke Patrik!