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Die Zombieapokalypse – heute schon aktuell!

Die Zombieapokalypse - heute schon aktuell!

Dienstag, 3.6.2014. Eifel. Als Philosoph genießt man derzeit noch ungeahnte Freiheiten – außerhalb des universitären Betriebs, innerhalb deren Philosophie heutzutage stellenweise als Unterpunkt der Betriebswirtschaft fungiert. Man kann sich zum Beispiel im Rahmen der Religionsphilosophie oder der Erkenntnistheorie „Märchen“ zuwenden, die einerseits heidnische Vorstellungen von Wirklichkeit transportieren, andererseits aber tiefenpsychologisch erstaunliche Erkenntnisse verbreiten (siehe hierzu z.B. Eugen Drewermanns tiefenpsychologische Interpretationen der Märchen oder Evangelien). Schnell merkt man, dass hinter „Märchen“ viel mehr steckt, als ihr Gebrauch als „Kindergeschichten“ hergibt.

Zu „Märchen“ bin ich durch „Star Wars“ und den „Herrn der Ringe“ gekommen: als junger Mensch konnte ich nicht verstehen, was denn meine Zeitgenossen an solchen modernen Märchen fanden: immerhin schrieben wir die siebziger Jahre, wir waren hip, frei und aufgeklärt: wie kann es da sein, dass Millionen Menschen von einem billigen Weltraummärchen verzaubert werden? Mehr und mehr merkte ich, dass Märchen nicht tot zu kriegen waren, sich neue Wege suchten, um Wahrheiten auszudrücken, das die Menschheit – gerade „befreit“ von alten Märchen – sich neue erzählt.

Unter den modernen Märchen gab es nun Gestalten, die klar zu identifizieren waren – das Monster von Frankenstein zum Beispiel: die Warnung vor den Folgen wahnsinnig gewordener Wissenschaft, die keinerlei moralische Grenzen mehr akzeptiert. Oder der Vampir, geschaffen von Bram Stoker im 19. Jahrhundert: blutsaugende Adelige waren gerade der Guillotine übergeben worden, aber die Erinnerung an das Bild des wahnsinnigen Grafen, der in seinem Schloß über dem Land thront und es mit seinen Steuern aussaugt war noch sehr lebendig … kein Wunder, das „Vampirmythen“ in Film und Literatur gerade eine beachtenswerte Wiedergeburt erleben. Womöglich saugt da gerade wieder jemand.

Gegen Ende der sechziger Jahre tauchte ein neuer Mythos auf, einer, der so noch nie zuvor in der westlichen Mythen- und Sagenwelt aufgetaucht war: der Zombie. George A. Romero erschuf ihn 1968 mit „Night of the living dead“, einem Werk, das auch im Museum of Modern Art aufgenommen wurde. Wir kannten schon Riesen, Zwerge, Drachen, Elfen, Hexen, Werwölfe, Spukgeister, Teufel und allerlei andere mythische Gestalten, aber so etwas war uns noch nicht untergekommen – umso überraschender war der weltweite Siegeszug dieses Urbildes: 2014 kennt ihn jedes Kind, die Zahl der Filme (und Videospiele) mit diesen Unholden übertrifft alle anderen mythischen Gestalten – der ZOMBIE ist die charakterisierende Märchengestalt unserer Zeit.

Er wird nun auch gerne soziologisch gedeutet – als Aufstand der Unterschicht gegen die Oberschicht. Aber erklärt das wirklich die Faszination dieses Themas? Weltweit gibt es inzwischen „Zombie-Walk“, wo die verfaulten, gefräßigen Untoten real durch unsere Städte wanken, es gibt Zombie-Live-Events, wo der Kampf gegen die Untoten praktisch geübt werden kann – hier ist vielleicht eine psychologische Deutung viel tiefgreifender – siehe Welt:

Die Wissenschaftlerin Sarah Lauro vertritt die Ansicht, dass die Faszination für Zombies ihre Ursache hat in der Unzufriedenheit des Einzelnen mit seiner Rolle in der Gesellschaft. „Das Interesse an den Untoten wächst in den Zeiten, in denen wir uns machtlos fühlen“, hat Lauro festgestellt. „Teilnehmern einer Zombie-Veranstaltung ist oft nicht bewusst, warum sie mitmachen. Für mich persönlich liegt es auf der Hand: Wir haben das Gefühl, tot zu sein.“

Es scheint mehr dran zu sein – auch die amerikanische Seuchenkontrollbehörde und das US-Militär sind von dem Thema sehr angerührt, siehe Spiegel:

Unzählige Untote als menschenfressende Feinde – darauf müssen junge US-Militärs sich einstellen. Das Pentagon hat für die Ausbildung ein Training entwickelt, in dem der Nachwuchs imaginäre Bedrohungen bewältigen soll.

Eine kleine Sensation, denn: für den Kampf gegen Frankenstein, Dracula oder Godzilla hat die US-Armee keine Planspiele entwickelt – selbst die wenigstens entfernt denkbare UFO-Invasion berührt die Militärs nicht – aber Planspiele zur Rettung einzelner „Lebendiger“ vor einem Heer von stumpf daherwankender Untoter, die noch nicht mal eine Türklinke bewältigen können und an Stacheldraht völlig verzweifeln müssten, die sind hoch aktuell.

Ein Schelm, wer nun daran denkt, das hier in Wirklichkeit die Rettung der Plutokratie der Superreichen im Falle des totalen Zusammenbruchs der Versorungsstrukturen der USA geprobt wird – so weit wollen wir hier gar nicht denken. Anderereseits – welche reale Bedrohung ähnelt diesem Szenario sonst:

Dafür gingen sie nach eigenen Angaben vom schlimmsten Fall aus: Dass eine riesige Menge von Untoten über die Erde wandelt und dabei zahlreiche Menschen infiziert und auffrisst, ohne dass es ein Gegenmittel gibt.

Mag es sein, dass es sich hier um eine riesige Menge von Menschen handelt, die … innerlich tot sind? Sich innerlich tot fühlen? Ihr eigenes elendiges Dasein nicht mehr aushalten?

Eine Antwort auf diese Frage erhalten wir vielleicht von Wolfgang Linser, Doktor für Chemie und Biochemie. Er promovierte über die Genregulation der Zellteilung – und war Schüler der mystischen Bruderschaft Sumarah in Solo auf Java (Der gläserne Zaun, Hrsg. v. Gehlen und Wolf, Syndikat 1983, Seite 306).

Er beschrieb unsere Kultur dereinst vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen. Im Internet sind sie leider aktuell nicht enthalten – darum zitiere ich sie hier mal:

Was rasa, ist, haben schon eine gute Zahl von Ethnologen aus dem Westen, aus der cogito-ergo-sum-Kultur zu erklären versucht, für die Leute daheim, für die „Kopf-Denk-Menschen“, für den Stamm der Denk-Barbaren, die durch grausame, entsetzliche Riten jedes Kind des Stammes, die männlichen ganz besonders, von ihrer natürlichen Offenheit für rasa, feeling, Gefühl, Empfindung abschneiden. Die jedes Kind des Stammes durch lange, brutale Abhärtung, durch entsetzlichen Drill, durch Einschüchterung, Konkurrenzangst, Kontrolle zu einem „Denk-Krieger“ machen, der sein ganzes Leben im vorderen Teil des Gehirns, in einer Art Computer-Walstatt zwischen den Augenbrauen lebt, kämpft, siegt und untergeht.

Ein Denk-Krieger, der zu seinem eigenen, tieferen Wesen, zu seinen Gefühlen, die in der Brust, im Bauch, im ganzen Körper, in einem Feld um den Körper herum, in einem gemeinsamen Feld von rasa zusammenschwingen mit anderen Menschen, keinen Kontakt mehr hat. Und schon gar nicht zu dem, was drunter, tiefer liegt. Der nichts mehr von sich selbst weiß, sein Geburtsrecht so tief verdrängt, verloren, vergessen hat, daß er nicht einmal mehr danach fragen kann.

Merkt man, wie vor diesen Worten eines Naturwissenschaftlers das Bild des Zombies vor dem geistigen Auge auftaucht? Eines Wesens, dessen Gefühlswelt sich in dem Gefühl „Hunger“ erschöpft – und dessen äußere Erscheinung seiner seelischen Armut, seiner inneren „Zerfressenheit“ gleich kommt? Noch ein Wort zum Normzustand des „normalen Menschen“ – des „lebendigen Menschen“, zu dessen Rettung die USA-Armee Planungen durchführt:

Es gibt eine „Innere Welt“, dunia batin, und eine „Äußere Welt“, dunia lahir, und der vollkommene Mensch lebt in Harmonie in beiden zugleich, im lahir-batin.

(aus: Der gläserne Zaun, Seite 143).

Wie Wolfgang Linser vermutet: eine Formel, die rund um den ganzen Globus jeder religiöse Mensch – nachempfinden kann.

Der Zombie jedoch, der „unvollkommene“, untote Mensch lebt nur noch in der äußeren Welt und kennt hier nur noch ein einziges Ziel: all jene fressen, die noch lebendig sind, die noch vollkommen sind, alle Konkurrenten fressen, die ihm aufzeigen, wir ärmlich seine Existenz geworden ist.

Wir nähern uns dem Lebensgefühl der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft im 21. Jahrhundert – und können langsam erahnen, warum „das Netz“ voller „hater“ ist (siehe hierzu Sybille Berg im Spiegel): im virtuellen Leben sind die Untoten schon hochgradig aktiv.

Aus der Sicht der javanischen Kultur erklärt sich unser Hang zu Zombies recht einfach: das sind wir selbst – darum erscheint uns diese irreale Phantasie auch so bedrohlich wirklich. Da wir nur gezwungenermaßen „Denk-Krieger“ sind, mit brutaler Gewalt erzeugte Denk-Maschinen, vestümmelt, aber noch nicht ganz tot, erkennen wir die Realität dieses Bildes mit unserem Gemüt … das, würde es Gestalt annehmen, einem untoten Unhold sehr ähnlich wäre. Darum läßt uns dieses Bild nicht los: es ist unsere Alltagswirklichkeit – und der Zustand unserer Umwelt, unsere Wirtschaftsordnung, unserer Verwaltung, unsere Finanzen und unserer Glückseligkeit entspricht diesem Bild vollkommen, das Thema „seelenloses Leben“ betrifft uns ganz persönlich auf vielen Ebenen des Alltages.

Nicht umsonst hat George A. Romero die Fortsetzung seines Horrorstücks in einem riesigen Kaufhaus gedreht: wer immer hirnlose, seelenlose Untote sehen will, schau mal seinen Mitmenschen beim „Shopping“ zu.

Und woanders? Lauschen wir nochmal Wolfgang Linser, der uns mit wenigen Worten die Grundlagen jeder Religion, jeder Magie, jeder Zauberei erklärt:

Die Javaner leben in rasa. Die verschiedenen feinen Abtönungen von rasa zu spüren, zu „fühl-sehen“, dauernd in einer Athmosphäre sich ändernder Gefühle, in einem eindeutig definierten Raum von rasa zu sein, der sich aus dem Einzel-rasa der beteiligten Menschen zum Gruppen-rasa, zur Gruppen“atmosphäre“ aufbaut, ist für sie so natürlich wie Luft zu atmen.

So natürlich, wie wir in unserer Kultur total im „Kopf“ leben, im „Denken“ zentriert und durch massive Barrieren von unseren Gefühlen, von „unserem“ rasa getrennt sind. In diesem Vorderkopf-Denken, der oberflächlichsten, gröbsten Abstufung des Denkens, leben wir, handeln wir, „befinden“ wir uns existentiell.

(aus: Der gläserne Zaun, Seite 142/143)

Die Produkte dieser untoten Denk-Barbaren? Auschwitz. Hiroshima. Weltwirtschaftskrise. Weltkriege. Hartz IV. Meere aus Plastikabfall. Sexuell missbrauchte Kinder – und Kinder, die Selbstmord verüben, um der Kultur der Untoten zu entkommen.

Und: Maschinenvergötzung. Hören wir dazu den Ethnologen Werner Müller, der sich nach seiner Habilitation „in die geschützte Ecke des Bibliothekswesens“ (der gläserne Zaun, Seite 305) zurückgezogen hatte und dort die Wirren des letzten Jahrhunderts überstand – er schrieb etwas über die Folgen der „Entzauberung“ der Welt:

Nun, die Wirkungen und Folgen dieser „Entzauberung“ bedrücken heute jedermann, auch die Entzauberer selbst. Die seit Galilei und Newton heraufdämmernde Maschinenvergötzung hat alle Hemmnisse vor sich niedergeworfen und mit ihrer Mechanistik fast sämtliche Bereiche des Lebens durchdrungen. Sie ist drauf und dran, sich zu einer Pseudoreligion ohne jede Konkurrenz herauszumausern mit Aufpassern, Inquisitoren, Denunzianten, festen Formeln und Sprachregelungen.

(aus: Der gläserne Zaun, Seite 138).

Die Vergötzung der Maschinenwelt führt direkt in das Horrorbild des Zombies: er ist das, was vom Menschen übrig bleibt, wenn man Maschinen zu Göttern erhebt – während die Vergötzung von Maschinen alles an religiösem Empfinden repräsentiert, wozu der untote Denkbarbar überhaupt noch fähig ist.

Werner Müller starb 1990, zum Verbleib von Wolfgang Linser enthält das Netz keine Informationen. Beide waren fester Bestandteil der damaligen grünen Bewegung, die sich 30 Jahre später in der Verpflichtung zum Gebrauch von hochgiftigen Energiesparlampen einen denkwürdigen Höhepunkt erarbeitet hat – einen Höhepunkt, der die Begrenztheit unseres „Vorderkopf-Denkens“ bei der Lösung der Probleme ebenso aufzeigt wie die Erfahrung unserer absoluten Machtlosigkeit.

Ich denke, die Zombieapokalypse kann selbst in einiger Zukunft Bestandteil einer neuen Märchenkultur sein, einer Kultur, die die Geschichte unseres Untergangs erzählt. Wahrscheinlich erzählt man sich diese Geschichte in den einfachen Hütten auf Java: wie die nicht-mehr-ganz-richtig-lebendigen Menschen die Welt überfluteten und sie mit Hilfe ihrer untoten Götzen in den Abgrund stürzten.

Wieso unsere Zombiegeschichten nichts von den Zombiegöttern erzählen, den Maschinengötzen?

Nun – dafür ist das Reflexionsvermögen der Untoten zu gering: so weit können wir Zombies überhaupt nicht mehr über unseren Horizont hinausdenken.

Was wir aber problemlos können: uns in eine Welt voller untoter Menschen hinein versetzen, die nur von der Lebendigkeit andere zehren können und diese vertilgen wollen: das ist nämlich unsere Alltag in der neoliberalen Wirtschaft. Das Nachzuempfinden gelingt allerdings nur noch den Lebendigen … und die sollten sich sehr vorsehen: ihre „untote“ Umwelt reagiert nicht gut auf Menschen, die noch fühlen können – Mitleid ist für den Untoten „Sozialromantik“.

Merken Sie nun, wie absolut real die Zombie-Apokalypse schon heute ist?

Waren Sie erstmal ab, wenn die Zombiebanken komplett zusammenbrechen – mag sein, dass der Kampf gegen Untote harmlos wirkt gegen das, was dann kommt.

Eigentlich kein Wunder, dass uns dieses Märchenbild absolut nicht losläßt, oder?

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