Sonntag, 17.2.2019. Eifel. Deutschland – ein Land in dem wir gut und gerne leben. So lautet jedenfalls die Parole, die man aufzusagen hat, wenn man gefragt wird. Hier ist alles gut, hier ist alles wunderbar, hier ist alles Gold, was glänzt. Alle sind fleißig, alle sind tüchtig, alle senken ergebendst ihr Haupt vor der Obrigkeit, was diese huldvoll annimmt. Obrigkeit – das sind Spitzenpolitiker, Verbandsfunktionäre, angestellte Konzernlenker, Kirchenfürsten, Medienleute – kurzum: alles, was nur irgendwie „oben“ ist. Und dieses „Oben“ hat sich gut eingereichtet, es ist permanent im Gespräch, weil sie Medien nur auf sie konzentrieren. Wer weniger auffällt sind jene Menschen, die sich das Leben nehmen, weil sie dieses Land einfach nicht mehr aushalten – so wie jüngst erst eine 11-jährige in Berlin (siehe Focus).
Das muss man sich mal vorstellen: Selbstmord mit 11 Jahren. Suizid von Kindern ist die Bankrotterklärung einer Gesellschaft – nur vom Hörensagen kenne ich Berichte, dass dies eine Erfindung der Neuzeit ist: Kindersuizid. Suizid ist generell ja ein differenziert zu betrachtendes Thema: für japanische Samurai ist die Selbsttötung höchste ehrenhaft – und ähnliches hörte ich auch aus dem Management (ein ziemlich alter Artikel im Spiegel, der mir grob in Erinnerung ist) … das man bei Versagen sich besser das Leben nimmt. Doch Kinder? Entwickeln in dem Alter das erste Mal rationale Konzepte vom Tod – die meist noch von Angst geprägt sind (siehe grin.com). Wie groß muss die Angst sein, dass sie die Angst vor dem Tode – dem absolut Ungewissen, dem Nichts – überwindet und jenen Zustand erstrebenswerter findet als das Leben selbst? Zumal ein Leben, kaum begonnen hat, dessen Verlauf man überhaupt nicht abschätzen kann, das noch viele Freuden und glückliche Momente bereit gehalten hätte?
Der Grund für den Suizid bei diesem 11-jährigem Mädchen wird im „Mobbing“ gesucht. Schule – das ist unter Kindern allgemein bekannt – ist kein Zuckerschlecken. Pausenzeiten sind oft weitgehend rechtsfreie Räume, dass in unsere Ordnung das Gewaltmonopol beim Staat liegt, scheint vielen Eltern unbekannt, die ihren Kindern erstmal irgendeine Form von Nahkampfausbildung angedeihen lassen – Aikido, Judo, Jiu-Jitsu, Karate, Boxen – bevor sie sie auf die Straße loslassen … wo solche Ausbildungen dann auch schnell zu Taten werden. Natürlich nur aus Gründen der Selbstverteidigung. Die letzten Weltkriege wurden aus genau denselben Gründen gestartet: der Selbstverteidigung. Ich nehme mal an, dass dies für alle Kriege gilt.
Auf jeden Fall gilt es für die Sozialkriege des beginnenden 21. Jahrhundert, die in Deutschland starteten, nachdem die USA mit ihrem „workfare“-Konzept den Weg vorzeichneten: fortan galten die Schwachen nicht mehr als schwach sondern als dumme Schuldige, vor deren Gefräßigkeit sich der Start zu schützen hatte – was er dann auch tat. Mit aller Gewalt wurden „Arbeitslose“ psychisch unter Druck gesetzt, sozial geächtet, als seien sie alle Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder und hinsichtlich ihrer sozialen Sicherheit weit unter diese Tätergruppen eingestuft: während die Straßgefangenen noch regelmäßige Mahlzeiten, Obdach und ärztliche Versorgung erhalten, wurde das den Arbeitslosen nach Bedarf und Willkür völlig gestrichen – was niemanden je groß störte. Nur vereinzelt gab es noch Kritik.
Auf der anderen Seite standen dann die „Leistungsträger“ – worunter man genau genommen nicht jene verstand, die wirklich eine messbare Leistung erzielten sondern jene, die einfach viel mehr Geld zugeteilt bekamen als andere. Ja: richtig gelesen: zugeteilt. Jeder in Deutschland – von der Kanzlerin über den CEO der Konzeren bis hin zum Sozialleistungsempfänger bekommt jeder Geld zugeteilt. Von anderen – die das so bestimmt haben. Eine kleine Ausnahme sind Unternehmer, „Selbstständige“, wo noch ein gewisser Prozentsatz wirklich das Geld erwirtschaftet, dass auf seinem Konto ist. Unternehmer – nun, sie gelten uns als das Rückgrat der Wirtschaft, ihr Ideenreichtum, ihre Schaffenskraft, ihre Einsatzfreude halten das Land am Leben … so könnte man meinen. Mal abgesehen davon, dass in diesem Land nur jener Unternehmer werden kann, der Geld von anderen für seine Ideen bekommt (z.B. von Banken oder Investoren) gehört zum Schritt in die Selbständigkeit ja auch ein gewisser Mut, denn: auf einmal ist man für alles selbst verantwortlich. Angestellt bei einer großen Firma ist das schon schöner – man kann locker mal zwei Wochen krank sein, während der Selbstständige sich das gar nicht leisten kann – vor allem nicht in der Aufbauphase. Und was man auch nicht oft sieht: die meisten scheitern. Uns lehrt man nur die Erfolgsgeschichten „vom Tellerwäscher zum Millionär“, die vielen Misserfolgsgeschichten erzählt man nicht so gern … und viele davon enden in der Tat tödlich.
Eine dieser Geschichten habe ich heute mal mitgebracht. Es geht in der Tat auch um Suizid. Der Grund jedoch ist nicht Mobbing, nicht Krieg oder schmerzhafte Krankheit, nicht Liebesleid oder Todessehnsucht sondern … die Krankenkasse. Also: die private Krankenversicherung. Eine Versicherungsart, die niemand braucht, die aber vor vielen Jahrzehnten eine Marktlücke entdeckt haben – eine Lücke, von der man schon damals wissen konnte, dass sie nicht weit tragen kann. Kernidee war: wir sondern einfach die jungen, gut verdienenden, gesunden Menschen aus dem normalen Krankenkassensystem aus – und weil die jung und gesund sind, viel verdienen (ergo in der Theorie auch viel arbeiten müssen) können die sich Krankheit gar nicht leisten, haben kaum Zeit zum Arzt zu gehen und so macht man für ein paar Jahre ein sehr gutes Geschäft. Das dieses Geschäft nicht ewig währt, kann man sich denken, denn: auch Unternehmer werden irgendwann krank. Haben sie – wie man es von Unternehmern erwartet – Millionen gescheffelt, ist das für sie privat kein großes Problem – doch nur die wenigsten Selbständigen kommen in den Genuss von Millionen – immerhin haben wir eine Wirtschaftsordnung des Fressens und Gefressenwerdens – ohne zehn Verlierer kein Gewinner.
Vierzig Jahre später merken auch die letzten, dass das ganze System der privaten Krankenversicherungen womöglich sein Ende erreicht hat – und manche zu Millionären machte (siehe Stern). Man könnte nun erwarten, dass jene, die dieses System ersonnen, das System auch mit ihren privaten Finanzen unterstützen … doch die sind wohl fein ´raus, haben mit Versicherungen für kerngesunde junge Mitmenschen Millionen gemacht – und sich dann fein verabschiedet um nicht die Situation zu erleben, wenn diese Menschen älter werden … und auch mal was nicht so gut funktioniert.
Eines ihrer Opfer hat sich nun zu seiner Leidensgeschichte bekannt. Auch er ist auf die Verlockungen der schnicken Werber hereingefallen, sah die niedrigen Beiträge und sah darin eine Chance, seinen Unternehmensaufbau leichter zu machen. Hören wir ihm doch mal zu:
„Meine private Krankenversicherung treibt mich in den Suizid
Ich bin seit über 40 Jahren selbständig. Der Anfang meiner Selbständigkeit war mit schwierig noch sehr milde ausgedrückt. Ich lebte über 10 Jahre von der Hand in den Mund. An eine Krankenversicherung war nicht zu denken.
Erst nach 10 Jahren hatte ich dann mal einen Job als Subunternehmer, der ein auskömmliches Einkommen mit sich brachte. Meine Zähne waren in einem katastrophalen Zustand und mußten dringend behandelt werden.
Der Zahnarzt, bei dem ich in Behandlung war, empfahl mir einen Versicherungsvertreter. Bei diesem schloß ich dann einen Vertrag über eine private Krankenversicherung ab. Der damalige Beitrag betrug damals ohne jegliche Selbstbeteiligung in der ambulanten/stationären Behandlung 280 DM oder auf heute gesehen 140 EUR. Nur bei Zahnersatz gab es eine Selbstbeteiligung von 25%.
Nennenswerte Beitragserhöhungen gab es in den ersten 10 Jahren nicht.
Anfang der 2000er Jahre änderte sich dies. Die Beiträge stiegen und stiegen. Ich war irgendwann bei einem Monatsbeitrag von 400 EUR (800 DM) und zog die Reißleine, in dem ich den Vertrag in Bezug auf die Leistungen auf das Niveau der GKV absenkte und eine Selbstbeteiligung in der ambulanten Behandlung vereinbarte. Diese Selbstbeteiligung lag damals bei ca. 1.500 EUR und damit erreichte ich wieder einen Beitrag von 140 EUR. Das war auch bitter nötig, weil sich mein Einkommen rapide verringerte. Ich lebte damals bereits von meinen Ersparnissen….
Es nutzte aber nichts der Beitrag stieg weiter. 180 EUR, 210 EUR, 250 EUR…..ich vereinbarte die höchst mögliche Selbstbeteiligung von 2.700 EUR. Es half alles nichts der Beitrag explodierte in den Jahren 2015 -2017 geradezu. Zuletzt sollte ich 410 EUR bei 2.700 EUR zahlen….
Das heißt ich soll erst einmal rund 7.600 EUR abdrücken, bevor meine PKV für ärztliche Leistungen (ambulante Behandlung) auch nur einen Cent bezahlt…..
Ein vergleichbarer Beitrag in meiner finanziellen Lage kostet in der GKV gerade mal 175 EUR ohne jeglichen Selbstbehalt versteht sich……
Im März 2018 war ich dieser finanziellen Belastung nicht mehr gewachsen. 2017 war bereits die Hölle, denn ein rücksichtsloser Mensch der sich als meinen Freund ausgab (ich kannte ihn damals 35 Jahre) erbte von meiner Vermieterin die Wohnung in der ich lebte. Er erklärte mir mit der Todesnachricht das meine Vermieterin gestorben sei, daß er mir leider kündigen müsse….
Für mich hätte das Wohnungslosigkeit bedeutet…..
Ich wehrte mit meiner letzten Kraft eine Klage gegen mich ab, die dieser „Freund“ gegen mich beim Amtsgericht erhob….
Meine letzten Ersparnisse schmolzen dahin. Ich bekam Hilfe von meiner ehemaligen Lebensgefährtin, die mir einen Betrag monatlich als Darlehen überwies, von dem ich Miete und Leben finanzierte. Das waren ca. 650 EUR/Monat. Ich konnte wählen, ob ich die Wohnungsmiete oder den Beitrag für meine private Krankenversicherung bezahlte….
Ein Dach über dem Kopf war mir wichtiger, als das Bedienen eines Betrugsmodells, als das ich die private Krankenversicherung heute ansehe. Sie treibt die Versicherten vorsätzlich und wissentlich im Alter in den Ruin. Dieser Tatbestand des Betruges wird seit über 20 Jahren vom Bund der Versicherten öffentlich angeprangert. Ergebnis dieser Kritik ist ein Wegducken der Verantwortlichen in der Politik….
Ich teilte Mitte April 2018 der DKV per FAX mit, daß ich zahlungsunfähig sei und sie den Beitrag auf Notfalltarif umstellen sollen. Von Seiten der DKV gab es darauf keinerlei Reaktion. Nicht einmal eine Mahnung…
Anfang Januar bekomme ich Post vom „Landesamt für Soziales Jugend und Versorgung“ . Oooh ich dachte schon vor dem Öffnen des Briefes da käme jetzt endlich Hilfe. Ne, weit gefehlt, dieses Landesamt für „Soziales“ teilt mir mit, daß man ein Bußgeldverfahren gegen mich betreiben würde, weil ich meine private Pflegeversicherung (Bestandteil des PKV Beitrages ca. 35 EUR) über 6 Monate nicht bezahlt hätte. Das ich nicht krankenversichert bin und meine Zahlungsunfähigkeit gegenüber der DKV erklärt hatte, interessiert dieses Amt überhaupt nicht….
Am letzten Samstag dann zwei Briefe unbekannten Absenders im Kasten. Es sind Briefe der Anwälte der DKV. Sie fordern von mir 2.500 EUR. …..und drohen mit Klage….
Meine bislang übertünchten Depressionen und Suizidgedanken sind schlagartig zurück…..es ist diesen Betrügern völlig egal auf einem Menschen zu treten, ihn zu zertreten, ihn in den Suizid zu treiben…..
Ich lebe in einer asozialen Welt, in einem asozialen Land, in einer asozialen Gesellschaft und ich weiß überhaupt nicht wofür ich noch lebe……warum ich noch kämpfe…..
Es ist ein asoziales Drecksland, was immer mehr Menschen auf dem Gewissen hat“
Dieser Mensch – nennen wir ihn Günter, weil er auch so heißt – weiß noch nicht, dass ihm auch Gefängnis drohen kann. Zufällig kenne ich da einen anderen Fall, der nicht namentlich genannt werden möchte und weit unter dem Existenzminimum lebt, weil er … noch Krankenkassenbeiträge nachzahlen muss. Auch mal privat versichert gewesen, aber Hartz IV schützt halt nicht vor Beitragszahlungen – die vom Amt nicht vollständig übernommen werden. Zahlt man nicht, weil man lieber isst, dann: droht Gefängnis. Knallhart. Und da nicht alle Gefängnisse so mögen (weil da eben auch diese Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder gehäuft auftreten, denen man nie das Existenzminimum kürzen könnte), lebt man lieber unter dem Existenzminimum. Gefängnis? Ehrlich? Nun – es gibt saftige Strafzahlungen für jene, die ihre Beiträge gar nicht zahlen (siehe Krankenkassenzentrale) … und bei Strafen ist dieser Staat nicht zimperlich. Man kann diese dann entweder zahlen – oder eben mit gewissen Tagessätzen „absitzen“.
Wie viele dieser Fälle gibt es in Deutschland? Hunderttausende. Von allen gelobt und gepriesen, wenn der Laden gut läuft. Von allen ins Loch geworfen – tiefer noch als die normalen Arbeitslosen – wenn es nicht mehr so gut läuft – egal warum. Das System der privaten Krankenversicherung soll in wenigen Jahren komplett vor dem Aus stehen (siehe auch oben: Stern), die Rechnungen dürfen mal wieder die kleinen Leute zahlen.
Das ist jenes Land, von dem wir immer wieder sagen sollen, dass wir gut und gerne in ihm leben. Ein „Hurra“ der Kanzlerin! Immer mehr können in diesem Land nicht mehr leben … und wagen lieber den Weg ins Ungewisse, in den Tod. Und die Politik – trinkt darauf erst nochmal einen Champagner bei der nächsten Sitzung.
PS: Günter lebt noch. Ich habe die Erlaubnis, eine Kontaktadresse zu veröffentlichen: 2580@gmx.de Vielleicht findet ja jemand tröstende Worte – oder kennt einen Weg aus der Misere. Und wer noch mehr Zahlen haben möchte: da wird auch schon mal bei einer sechsköpfigen Familie verlangt, dass sie von 1800 Euro leben. Im Jahr, nicht im Monat – nicht, dass Sie jetzt anfangen zu träumen.