Dieser Roman schrieb nicht nur Literaturgeschichte, sondern inspirierte auch viele Wirtschaftswissenschaftler zu Modellen: „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe erschien 1719 und war zugleich das Romandebüt des 59-jährigen englischen Schriftstellers, der zuvor ein wechselhaftes Leben als Kaufmann, Steuereintreiber und Agent geführt hatte.
Jeder kennt grob die Geschichte des Protagonisten, der Schiffbruch erleidet, allein auf einer einsamen Insel strandet und von nun an für sich selbst wirtschaften muss. Jahre werden vergehen bis sein Gefährte und Diener Freitag auftaucht, zuvor ist Robinson gänzlich auf sich allein gestellt und muss einen akribischen Haushaltsplan entwerfen, um nicht zu verhungern und um sich vor Eindringlingen schützen zu können.
Bei der Lektüre wird schnell klar, dass wir es auch schon vor 300 Jahren mit einer stark globalisierten Welt zu tun haben; auch die Kolonialismus-Thematik durchzieht den Klassiker der Weltliteratur.
In der neuen Folge von „Wohlstand für Alle“-Literatur sprechen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt über die ökonomischen Aspekte in „Robinson Crusoe“.
Literatur:
Daniel Defoe: Robinson Crusoe, Mare Verlag.
Franco Moretti: Der Bourgeois. Eine Schlüsselfigur der Moderne, Suhrkamp.
Liberale und Konservative spotten häufig über die sozialistische Planwirtschaft, gern verweisen sie darauf, dass diese noch nirgends bislang funktioniert habe. Dabei schweigen sie in der Regel aber von Chile, dort nämlich versuchte Präsident Salvador Allende Anfang der 1970er-Jahre mit Hilfe eines kybernetischen Modells eine funktionierende, hochmoderne Planwirtschaft umzusetzen. Ob dies tatsächlich gelungen wäre, darüber können wir heute leider nur spekulieren, da die Vision brutal niedergeknüppelt wurde.
Durch einen von der CIA und US-Präsident Nixon unterstützten Militärputsch kam der Diktator Augusto Pinochet an die Macht und stoppte kurzerhand den ehrgeizigen Plan, der Chile zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit verhelfen sollte. Dennoch lohnt es sich, diese unterbelichtete Episode der Geschichte einmal genauer zu betrachten: Chile wurde von einem Kybernetik-Experten beraten, man setzte auf einen Computer, um Lieferengpässe zu verhindern.
Manche sehen darin die Avantgarde des digitalen Zeitalters. Ist die logistische Grundidee von Versandhäusern wie Amazon vielleicht gar nicht so anders?
In der neuen Folge von „Wohlstand für Alle“ stellen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt das Projekt Cybersyn vor.
Literatur:
Eden Medina: Cybernetic Revolutionaries. Technology and Politics in Allende’s Chile, MIT Press.
Stafford Beer: Kybernetik und Management, Fischer.
Anna-Verena Nosthoff/Felix Maschewski: Zwischen Science-Fiction und Science Fact. Die Kybernetisierung des Politischen, in: Timo Daum/Sabine Nuss (Hrsg.): Die unsichtbare Hand des Plans. Koordination und Kalkül im digitalen Kapitalismus, Dietz.
Die Zukunft scheint bereits in der Gegenwart angekommen zu sein, wenn man nach China blickt. Vor 50 Jahren war Shenzhen ein völlig unbedeutender Ort, an dem sich Fischer angesiedelt hatten und in großer Armut lebten. Doch mit der Öffnung Chinas in den 1970er-Jahren und mit Dengs wirtschaftlicher Förderung der südchinesischen Provinzen schuf man ein bislang unübertroffenes Projekt: die #SmartCity Shenzhen, die inzwischen mehr als 12 Millionen Einwohner hat, Hongkong den Rang abgelaufen hat und Gäste aus aller Welt – vor allem aus dem #SiliconValley – anlockt, die Zukunftsmusik hören wollen.
Tausende Kameras sind in dieser Planstadt und #Sonderwirtschaftszone installiert, auf Hochtouren treibt man die Entwicklung der Künstlichen-Intelligenz-Technologien voran, außerdem verwandelt man die High-Tech-Stadt nach und nach in eine grüne – bereits jetzt werden im öffentlichen Verkehr keine Verbrennungsmotoren mehr eingesetzt. Doch diese schöne neue Welt hat auch große Schattenseiten: Von Montag bis Samstag wird zwölf Stunden täglich gearbeitet, und trotz des wachsenden Wohlstands gibt es furchtbare Ausbeutungsverhältnisse bei Unternehmen wie Foxconn.
Wie Karl Marx ist auch John Maynard Keynes ein rotes Tuch für neoliberale Politiker und Ökonomen. Das ist an sich schon mal ein gutes Zeichen, doch keinesfalls sollte man Keynes mit #Marx in einen Topf werfen. Keynes war kein Linker und positionierte sich in seinen Schriften immer wieder kritisch zum Marxismus.
Was aber wollte Keynes? Zunächst muss man festhalten, dass seine Lehre aus direkter Erfahrung resultiert: Lernte Keynes als Student noch, wie segensreich die „Laissez faire“-Wirtschaftspolitik sei, musste er in den 1920er und -30er Jahren exakt das Gegenteil erleben. Die Weltwirtschaftskrise verschärfte sich und immer mehr Menschen suchten vergeblich nach Arbeit. Während die liberalen Wirtschaftstheoretiker weiterhin auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauten und deshalb vorschlugen, die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten, bis der #Kapitalismus wieder zu Kräften kommt, hinterfragte Keynes diese Prämissen und begründete damit eine bis heute einflussreiche ökonomische Denkschule.
Dienstag, 8.10.2013. Eifel. Ich gebe zu: ich bin ein Optimist – und was kaum einer ahnt: oft gut gelaunt. Manche machen sich schon Sorgen, wie ich mit all´ den dunklen Themen so zurechtkomme oder ob meine Psyche nicht darunter leidet, doch ich kann Euch beruhigen: meine Psyche soll nach Angaben von Fachleuten sehr stabil sein – im Streit um das Sorgerecht für meine Kinder wurde die gründlich durchleuchtet. Sicher gehen mir viele Dinge nahe – aber das ist Leben. Leben heißt vor allem: „erleben“ – und auch wenn es trivial klingt: ohne Leid erhält das Leben keine Tiefe und der Charakter keine Kontur. Was jedoch die Zukunft der westlichen Zivilisation angeht: da kann ich mir keinen Optimismus leisten – das wäre eine Lüge. Ich sehe schlichtweg keine, weil die Probleme, die uns der Materialismus samt seinen „Wissenschaften“ eingebrockt hat, so vielfältig sind, dass ich nicht wüßte, wie sie zu lösen sein sollten. Gifte in der Nahrung, Medikamente im Wasser, Abgase in der Luft, Gifte in Baumaterialien, Essgeschirr und Möbeln, ein auf Luft und eingebildetem Geld aufgebautes (und aufgebauschtes) Wirtschaftssystem, eine Führungskaste, die nur noch an sich selbst denkt und eine Bevölkerung, die „Reality-Dokus“ für die höchste Form von Wirklichkeit hält: das sind nur ein paar jener Riesen, die unserer Zivilisation jederzeit die Vernichtung bringen können. Eine neue Dimension des Terrors der Ökonomie wird gerade in den USA erprobt: ein ganzer Staat macht dicht – mal schauen, was passiert.
Die Bürger zahlen weiterhin ihre Steuern – aber die Leistungen werden einfach einbehalten. Das ist das Prinzip des sterbenden Kapitalismus, das Prinzip eines Sytems, dass ohne Betrug keinen Profit mehr machen kann: Cash ohne Gegenleistung ist die letzte Stufe der Renditegewinnung. Gestartet wurde das in Deutschland durch Hartz IV: weiterhin wird jahrzehntelang Arbeitslosenversicherung kassiert, doch Gegenleistung gibt es nur noch für ein paar Monate, dann greift man sich Haus, Auto und die Briefmarkensammlung. Ebenso im Aktienhandel: bezahlen für Schrott hat viele um ihre Altersversicherung gebracht. Auf die Lebensversicherungen signalisieren schon: eventuell wird´s nichts mit dem Geldsegen.
Bei luxuriösen Schlaraffenlandrenditen von 8-10% im Jahr bleibt einem auch nichts anderes übrig: wie soll man Kapital sonst in zehn – zwölf Jahren ohne Arbeit verdoppeln?
Ich denke, man kann ausrechnen, wann dieses System endgültig zu Ende geht – selbst ohne Klimakatastrophe, Weltkrieg oder Selbstmordgene von Monsanto.
Aber was weiß ich schon? Bei der Bundestagswahl habe ich mich auch verschätzt – ich hätte mit mehr Nichtwählern, weniger Stimmen für die CDU und mehr Stimmen für Kleinparteien gerechnet und lag damit voll daneben.
Meine Fähigkeit zum Irrtum ist mein größter Trost – und vielleicht irre ich mich ja bei der Betrachtung der Gegenwartswirren. Wäre toll – ich habe Kinder und das Leben ist schön.
Heute morgen fand ich auf der Facebookseite von Nina Hagen ein Zitat von Rudi Dutschke:
„Es gilt erst mal, ein Bewußtsein des Mißstandes zu schaffen…Ein Dutschke will keine Antwort geben. Denn was soll es bedeuten, als einzelner Antworten zu geben, wenn die gesamtgesellschaftliche Bewußtlosigkeit bestehen bleibt? Die muß durchbrochen werden – dann können Antworten gegeben werden!“
Ein gruseliges Zitat, oder? „Gesamtgesellschaftliche Bewußtlosigkeit“ – so könnte man den momentanen politischen Zustand des Landes und seiner Bevölkerung gut beschreiben, aber während früher wenigstens die Langeweile auf die Straße trieb, wird der Bürger heute durch immer brillantere Bilder direkt im Zustand des Dauerkomas gehalten, fühlt sich super informiert und wird ausgeplündert wie nie zuvor seit der Geschichte der Bundesrepublik – seit Jahrzehnten schon … alles im Dienste einer Klasse, die „Zinsen“ für die einzige reale Arbeit hält, die sie zu leisten hat und den Rest des Volkes gerne zur entgeldlosen Zwangsarbeit verpflichten möchte, damit das auch so bleibt.
Es gibt aber nach wie vor Menschen, die lassen sich von der düsteren Perspektive nicht unterkriegen und sehen selbst in der größten Krise eine Chance. Einige von ihnen treffen sich jetzt in Österreich – zum „Wirtschaftsforum Finanzkultur„. Und was dort besprochen wird, macht Hoffnung, dass einige Menschen den Zustand der Bewußtlosigkeit hinter sich gelassen haben.
Mir gefällt besonders die Einladung zum Vortrag von Professor Berger:
Globalisierte Finanzmärkte haben das Tauschmittel Geld in ein Rauschmittel verwandelt und ersetzen Wertschöpfung durch Abschöpfung. Der Glaube, dass die Finanzmärkte ohne Einschränkungen walten und schalten sollten, hat die Wissenschaft, die Presse und die öffentliche Meinung erobert. Arbeitnehmer profitieren nicht mehr von dem Produktivitätszuwachs, den sie erarbeiten. Es sieht so aus, als befänden wir uns in einem Teufelskreis aus wirtschaftlichen Sachzwänge und globalen Abhängigkeiten. Aber es gibt es eine menschlichere Marktwirtschaft!
In wenigen Worten das ausgedrückt, was wirtschaftlich am Meisten drückt: Arbeit wird immer weniger Wert, aber Geld allein erntet keine Nahrung, baut keine Häuser und pflegt keine Menschen, denkt man den laufenden Prozess in die Ewigkeit weiter, so erwartet uns ein toter, zubetonierter Planet, dessen „Werte“ sicher auf der Festplatte eines Satelliten gespeichert sind. Vielleicht werden sogar noch neue Zahlen erfunden, um die Werte ausdrücken zu können – und neue Märkte geschaffen, dass sich das Geld sogar in dem Banksatelliten noch vermehrt.
Das Forum präsentiert auch gelebte Alternativen zum bisherigen System: konkurrenzfähige Textilproduktion in Europa, Regionalgeld, werteorientiertes, soziales Bankenwesen – oder auch gleich ein ganz anderes Wirtschaftssystem siehe Paul J. Ettl:
Unser gegenwärtiges Wirtschaftsmodell misst den Erfolg von Firmen und den Erfolg des Staates in Geldwerten (Firmenbilanz und Bruttoinlandsprodukt). Entlassungen von Mitarbeitern in Firmen und Katastrophen wie ein Hochwasser erhöhen damit den wirtschaftlichen Erfolg. Aber ist das wirklich das , wofür wir arbeiten und wirtschaften? Das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie zeigt einen Weg, wie die Werte, die unser zwischenmenschliches Zusammenleben gelingen lassen, auch in der Wirtschaft gelebt, dargestellt und schließlich auch wirtschaftlich belohnt werden können.
Die Entlassung von Mitarbeitern ist stets ein sicheres Mittel, den Aktienkurs steigen zu lassen – aber wer traut sich schon noch, diesen Krieg der Wirtschaft gegen die Gemeinschaft offen zu beschreiben?
Na – besser ist ja auch: man würde ihn beenden und eine tragfähige Alternative schaffen.
Veranstaltungsort ist ein Gymnasium. Eintritt: 20 Euro. So etwas würde ich mir in jedem Gymnasium in Deutschland wünschen – aber scheinbar geht das nur in Österreich.
Vielleicht irre ich mich ja – und die Krise enthält doch eine große Chance. Wie man diese Chance mit desinteressiertem, bewusstlosen Pöbel wahrnehmen soll, erschließt sich mir nicht – aber vielleicht ist das Volk gar nicht so, wie es scheint, sondern meine Perspektive ist falsch.
Oder der Österreicher ist einfach kritischer und bewusster als der Deutsche, mehr Gestalter als Dulder.
Na ja – mal ehrlich: wir Deutschen haben uns doch sogar einen Diktator von dort geholt, noch nicht mal das hat das Volk der Biedermeierduckmäuser aus eigenen Reihen hinbekommen. Diesmal könnten wir uns doch mal ein paar positive Impulse von dort holen, anstatt die üblichen Lösungen zu praktizieren: einfach mal ein paar Aufmüpfige vergasen, erschießen oder verhungern lassen, schon läuft der Laden wieder.
Doch doch – so etwas hört man in deutschen Mietskasernen wieder, eindrucksvolle Berichte dazu liegen der Redaktion vor und tragen zu meiner Einschätzung der Situation des Landes bei.
Leider.
Man macht ja Politik gerne in kleinen Dosierungen. Selten holt man zu einem großen Rundumschlag aus. Lieber viele kleine Schritte, die Fakten schaffen, welche letztlich wiederum auf einmal Sachzwänge hervorrufen, die dann alternativlose Handlungen verlangen. So hat keiner die Verantwortung, niemand zieht sich den Zorn des Volkes zu.
Demokratie war mal notwendig, auch für die Mächtigen. Man brauchte die Arbeitskraft der Menschen in den neu wachsenden Industrien, auf einmal konnte „Streik“ zu verlorenen Kriegen führen – insofern er nicht auf den Kriegsgegner übergriff. Die Industrialisierung brachte die gesamten westlichen Gesellschaften durcheinander, alle gewachsenen sozialen Strukturen wurden durcheinandergewirbelt auf dem Weg in ein neues Paradies.
Es war notwendig geworden, den Arbeitern Macht zu geben, denn dank der Abhängigkeit der Staaten von purer Arbeitskraft hatten sie schon längst Macht – so wie heute die Öl-Staaten. Zudem drängten auch die reichen Industriebarone die alten, verarmten Adeligen vom Thron während von der anderen Seite her die intellektuelle Elite die Saat für unveräußerliche Menschenrechte auslegte. Demokratie war – alternativlos geworden.
Nun sind wir im 21. Jahrhundert angekommen. Von einer Abhängigkeit von Arbeitskraft kann keine Rede mehr sein, 80% der Bevölkerung (Kinder, Arbeitslose, Rentner, Kranke) leben in erbärmlichen Abhängigkeitsverhältnissen, der Rest schuftet zu Dumpinglöhnen, weil Maschinen Arbeit wertlos gemacht haben. Eine neue Feudalkaste hat sich etabliert und wird von den Medien als „Promis“ fleißig umschwärmt. Von da her war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das erste Medium eine fundamentale Diskussion um den Sinn von Demokratie entfesselt – in diesem Fall ist es das Magazin Geo.
Bevor wir nun zum dem Inhalt des Artikels kommen, erstmal was über GEO selbst, bzw. über die Leserschaft dieses Magazins in Auszügen aus dem Selbstporträt des Magazins bei Gujmedia 2009:
Die GEO-Leser sind hochgebildet, einkommensstark und stehen in der Mitte des Lebens.
GEO-Leser wissen Qualität zu schätzen und haben Entscheidungskompetenz.
Als Basismedium der sich herausbildenden Wissensgesellschaft erreicht GEO eine Top-Zielgruppe: Leser mit überdurchschnittlicher Kaufkraft, die sich Qualität und Luxus nicht nur wünschen, sondern auch leisten können. Aus der Wissenselite rekrutieren sich zudem die wichtigsten Meinungsbildner und Entscheider in Wirtschaft und Gesellschaft.
GEO-Leser sind innovativ und setzen Trends.
GEO-Leser haben großen Einfluss auf ihr soziales Umfeld.
Wir sehen also: es ist nicht irgendein Goldenes Blatt sondern ein Medium mit großer Reichweite bei den „Leistungsträgern“ – also jenen Menschen, die von anderen gerne auch mal „Lumpenelite“ genannt wird. In einer aktuellen Ausgabe findet sich der Artikel „Allheilmittel Demokratie?“:
Für den Zeitraum von 1975 bis 2004 haben wir Daten aus 155 Ländern verglichen; haben Wahlergebnisse, Parteiensysteme, die Kriterien für eine Wahlberechtigung und andere Freiheitsindikatoren mit der Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis stellt die bisherigen Annahmen nicht auf den Kopf, zwingt aber zur Differenzierung: Denn ja, natürlich gibt es Tyranneien, die ihre Bürger ausplündern. Aber es gibt auch autokratische Regime, die einer breiten Bevölkerung Wohlstand verschaffen. Und ja, selbstverständlich gibt es demokratische Staaten, deren Regierungen eine gute Entwicklung voranbringen. Aber es gibt auch Demokratien, die sich in Populismus und Vetternwirtschaft verstricken. Die Unterscheidung „Demokratie = gut, Autokratie = schlecht“ ist nicht fein genug.
Dieses Zitat ist – wie alle Zitate – aus dem Zusammenhang gerissen. Professor Collier beschäftigt sich in erster Linie mit der Frage, ob Demokratie ein idealer Zustand für Dritte-Welt-Länder ist, noch wird die Demokratie des Westens nicht in Frage gestellt …. jedenfalls nicht direkt.
Südkorea etwa hat eine autokratische Phase durchgemacht, mit schlimmen Menschenrechtsverletzungen. Und mit fundamentalen Wirtschaftsreformen, die wiederum zu schnellem Wachstum führten – und zu einem Wohlstand, der automatisch den Druck erhöhte, den Übergang zu einem demokratischen Rechtsstaat zu vollziehen.
Wenn also am Ende schnelles Wachstum steht, wäre eine Diktatur zu tolerieren? Nicht nur dann …
Denn während gewählte Finanzminister oft erfolglos gegen alte Eliten anregieren, haben es Autokraten einfacher, deren Widerstand zu überwinden.
Ganz nebenbei haben wir jetzt allgemeine Maßstäbe für die – alternativlose – Etablierung einer Autokratie erhalten. Jetzt brauchen wir für Deutschland nur noch eins: den Nachweis, das unsere Demokratie in Populismus und Vetternwirtschaft abgleitet (was auf uns zukommen wird, wenn die Rentner einen Großteil der Bevölkerung stellen und bei Wahlen ärgerlicherweise ständig berücksichtigt werden müssen) und im Wachstum schwächelt – schon kann man den Gedanken weiterführen.
Demokratie wird zum Abfallprodukt von Wirtschaftswachstum, was andererseits schon die offene Bekenntnis zum Terror der Ökonomie und der Diktatur des Profits ist (vor deren Übermacht wieder nur ein Diktator schützen kann). Im eigentlichen Sinne sind Demokratie und Menschenrechte aber selbst Werte. Sinn von Demokratie ist nicht bestmöglichstes Wirtschaftswachstum sondern größtmögliche Freiheit des Individuums – egal, was das kostet. So etwas sollte ein Professor eigentlich wissen. Es gibt schlichtweg keinen Grund, Pro-Kopf-Einkommen in Verbindung mit der Staatsverfassung zu setzen, da man hier Äpfel mit Birnen vergleicht – so könnte man auch, wenn man den Vergleich geschichtlich weiter ausdehnt – die Wirtschaftsentwicklung des Dritten Reiches als Beleg für den Sinn des Führerkultes nehmen … in Deutschland war mal eine Star-Trek-Folge verboten, weil ein Mr. Spock sich über diesen Tatbestand positiv äußerte, diese Zeiten scheinen jetzt im Dunstkreis der Leistungsträger vorbei zu sein.
Wenn man aber solche Gedankenspiele macht, dann hat man vor allem eins im Kopf: das das demokratische Zusammenleben der Völker nicht mehr den höchsten Wert im menschlichen Leben hat, sondern dem Renditewahn der Leistungselite bedingungslos unterzuordnen ist.
Der Ex-Wikileaks Sprecher Daniel Domscheit-Berg erklärt im Handelsblatt:
Regierungen und Unternehmen halten mehr geheim, als für unsere Gesellschaft gut ist, zumal die Entscheidungen des Einzelnen Einfluss auf immer weitere Teile der Welt haben. Wenn ich Turnschuhe kaufe, ist auch der betroffen, der sie zusammenklebt. Gerade die Geheimnisse der Wirtschaft müssen aufgedeckt werden, damit ich mich richtig verhalten kann. Nehmen Sie die Bankenkrise. Da passierte so viel hinter verschlossenen Türen, das vielleicht verhindert worden wäre, wenn ein paar Sekretärinnen als „Whistleblower“ agiert hätten.
Schaut man sich nun an, mit welcher Wucht und Macht der Initiator von Wikileaks weltweit gejagt wird, so braucht man sich über die Akzeptanz antidemokratischer Gedanken keine Illusionen mehr machen: das ist schon längst mehrheitsfähig – jedenfalls bei Entscheidungsträgern. Nicht das Verbrechen ist das Übel, sondern seine Aufdeckung. Darum sind Verschwörungstheorien tabu, Verschwörungen hingegen akzeptabel – nur so läßt sich erklären, das die USA in Folge des Angriffskrieges auf den Irak noch nicht aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen wurden. Je mehr man allerdings vor dem Volk geheim hält, je mehr Lüge in der Politik um sich greift, umso mehr hat man sich schon längst vom demokratischen Grundgedanken verabschiedet und sich eher einem mafiösen Terrorsystem als Idealbild verschrieben.
Wie gut, das uns in Deutschland als deutschen Bürgern von unseren Politikern immer nur die Wahrheit gesagt wird.