Wie geht es weiter? Was kommt auf uns zu?
Ein Standpunkt von Christian Kreiß.
Als vor einigen Wochen die neuesten Wirtschaftsdaten zum zweiten Quartal 2020 erschienen, wurde eine „Jahrhundertrezession“, der stärkste Wirtschaftsabsturz innerhalb eines Quartals in der Weltwirtschaftsgeschichte festgestellt.1 Doch was bedeutet das für uns? Und vor allem: Wie geht es nun weiter?
Vor Kurzem wurden in diesem Zusammenhang zwei interessante Studien veröffentlicht: Am 16.9. von der OECD: „Coronavirus: Leben mit Unsicherheit“2 und am 17.9. von Save the Children/ Unicef eine Untersuchung mit dem Titel „150 Millionen Kinder zusätzlich in Armut gestürzt durch Covid-19“.3
Laut der OECD-Studie schrumpfte die Weltwirtschaft in den Monaten April bis Juni 2020 gegenüber Ende 2019 um über 10 Prozent. Die Wirtschaftsleistung lag damit im zweiten Quartal 2020 um etwa 12 Prozentpunkte niedriger als Ende 2019 von der OECD prognostiziert worden war. Das heißt, die Wirtschaftskraft lag um beinahe ein Achtel niedriger als noch kurz vorher erwartet worden war. Ein Achtel ist eine ganze Menge. Stellen wir uns vor, wir hätten von einer Woche auf die andere ein Achtel weniger Geld in der Haushaltskasse, das macht sich bei den meisten Menschen im Alltagsleben doch ziemlich bemerkbar.
Mittwoch, 2.3.2016. Eifel. Vor einem Monat hatten wir über die leise Hinrichtung der Kikki W. geschrieben – und über den Applaus der Masse. Letzteres kam als „shit-storm“ von hauptsächlich in Berlin ansässigen Leuten über mich (auf meiner Facebook-Autorenseite) bzw. über uns (auf der Facebookseite des Nachrichtenspiegels). Massiv – und massiv übergrifflich – traten in Folge des Artikels Menschen auf, die – indirekt – den Tod von Kikki forderten, massiven Rufmord begingen und auch vor Verleumdung nicht zurückschreckten. Nach 2700 Artikeln im Internet, die (trotz inzwischen über 13 Millionen Besuchern) wenig Zorn erregten – obwohl sie als Streitschriften ausgelegt sind – eine Überraschung. Der Hass auf Arme ist groß in diesem Land – und wir haben sogar einen begründeten Anfangsverdacht, dass dort ein Sachbearbeiter, der sie persönlich kennt, an vorderer Front mitmischt und private Daten von ihr veröffentlicht (siehe Nachrichtenspiegel) – ebenso hat er private Daten von mir veröffentlicht, was mich aber nicht sonderlich stört, aber zeigt, wie viel kriminelle Energie hinter dem Treiben steckt.
Nach einem Monat ist es nun mal Zeit, eine Rückmeldung zu geben. Zuerst eine positive. Ihre Spendenbereitschaft, lieber Leser, hat dazu gereicht, die „Hinrichtung“ um einen Monat zu verzögern. Es waren viele Spender – soweit ich das überblicken kann – die selbst nicht viel haben, aber in der Masse können selbst arme Menschen Wunder wirken. Wie so oft habe ich erleben dürfen, dass es die Armen sind, in denen Menschlichkeit noch lebendig geblieben ist, während reichere hauptsächlich nach Argumenten suchen, ihren Geiz mit Sachzwängen zu begründen … oder mit dem Hinweis darauf, dass Kikki es verdient hat, zu sterben – was man allerdings auch mit schönen Worten umschreibt (z.B … dass sie „selbst Schuld“ sei). Wie gesagt: die Hinrichtung findet unter dem Applaus der Masse statt, das war nicht übertrieben.
Eine weitere gute Nachricht: Frau Nahles selbst hat sich – augenscheinlich auf Grund der nun herrschenden Öffentlichkeit des Falles – in den Fall eingeschaltet. Nach näherem Studium der Aktenlage kam das unten zitierte Antwortschreiben: man ist halt nicht zuständig. Nein, lieber Leser: auch das im Schreiben empfohlene Ministerium ist nicht zuständig – das hat Kikki schon längst durch. Optionskommunen scheinen wirklich Narrenfreiheit zu haben.
Die schlechte Nachricht ist: nach einem Monat Aufschub wird die Hinrichtung vollzogen. Den ersten Schritt sehen Sie im oben abgebildeten Leistungsbescheid. Kikki bekommt nur noch rückwirkend Heizkosten überwiesen, was die Ernährung angeht, ist sie nun auf Lichtnahrung angewiesen. Ich habe meine Zweifel, dass man damit vollwertige Mahlzeiten hinbekommt. Kikki geht es zunehmend schlechter – was man auch ihren Schreiben entnehmen kann, die mehr und mehr Ausfallerscheinungen aufweisen – der Hunger ist kein Freund der wohlformulierten Rechtschreibung. Warum nun die ausstehenden Beträge eingehalten werden … bleibt ein Geheimnis, das wir wohl niemals aufdecken können, weil der Fall mit Kikkis Ableben geschlossen wird.
Doch es gibt noch mehr schlechte Nachrichten: gestern erhielt Kikki die schriftliche Bestätigung der zukünftigen Totalversagung ihrer Leistungen (siehe Facebook):
Weiter wurde krank heute der total versagungsbescheid geschickt , da ich nicht bereit bin weitere Daten der Person zu übermitteln, die ich hier in Verdacht habe mein Sachbearbeiter zu sein oder zumindest Kontakt zu ihm zu haben und bereits Sozialdaten von mir verbreitet zu haben.
Kikki kann noch nicht mal ausschließen, dass diese Totalversagung nicht von dem Mitarbeiter stammt, der auch ihre Daten veröffentlicht hat – was schon recht ungeheuerlich wäre und ich mir nicht vorstellen möchte.
Der ebenfalls eingeschaltete Datenschutzbeauftragte hatte ihr dringend empfohlen, keine weiteren Informationen an das Amt zu schicken, bis das vermeintliche Leck aufgedeckt wurde – doch der Landrat (hauptverantwortlich für die Optionskommune) hüllt sich in Schweigen. Dieser Fall scheint keine Priorität zu haben – erledigt sich doch das Problem von selbst … in ein paar Wochen. Natürlich verhält sich der Sachbearbeiter in diesem Fall korrekt und führt nur seine Befehle aus: durch die Weigerung, weitere Daten zu übermitteln, greift ja das Gesetz bezüglich „mangelnder Mitwirkung“. Und wer nun wirklich ihre bzw. meine Daten ins Internet gesetzt hat, wird erstmal unbekannt bleiben – es ist eine der Millionen „Fake“-Adressen bei Facebook, mit denen der Mob Stimmung machen will, ohne sein Gesicht zu zeigen.
Eine weitere schlechte Nachricht: der Anwalt, der Kikkis Anliegen vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten soll, hat sein Mandat niedergelegt – aus privaten Gründen, wie es heißt. Dabei wäre dies einer der wichtigsten Prozesse der letzten Jahre geworden – was wohl dank Anwaltsdeutsch kaum einer versteht. Ich zitiere nochmal das betreffende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (siehe Bundesverfassungsgericht):
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Vorschriften des SGB II, die die Regelleistung für Erwachsene und Kinder betreffen, nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG erfüllen. Die Vorschriften bleiben bis zur Neuregelung, die der Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2010 zu treffen hat, weiter anwendbar. Der Gesetzgeber hat bei der Neuregelung auch einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherstellung eines unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs für die nach § 7 SGB II Leistungsberechtigten vorzusehen, der bisher nicht von den Leistungen nach §§ 20 ff. SGB II erfasst wird, zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist.
Kikki hat einen besonderen, nicht einmaligen aber laufenden Bedarf: Mietkosten aus einem gescheiterten beruflichen Projekt. Kosten, die in anderen Fällen (wenn zum Beispiel eine Ehe scheitert und ein Partner auszieht) normalerweise für sechs Monate übernommen werden, ohne dass man ein großes Drama daraus macht. In Kikkis Fall jedoch – wird das Drama riesig. Ihre Klage in dieser Hinsicht war von außerordentlicher Brisanz für die Existenz des gesamten Hartz IV-Konstruktes … weshalb ich ihr von vorn herein sagen konnte, dass sie keinen Richter in Deutschland finden wird, der sich so weit aus dem Fenster lehnt, um diesen „besonderen Bedarf“ per Urteil zu legitimieren: seine Karriere wäre zu Ende. Wie es aussieht, findet sie auch keinen Anwalt mehr, der den Fall übernehmen möchte, selbst bundesweit bekannte Größen gaben ihr gegenüber im Vertrauen zu, dass das ihr berufliches und politisches Ende bedeuten würde.
Nun: Kikki wird sterben. Sie stellt in den nächsten Tagen die Veröffentlichung ihrer Akten ein, weil sie die Anfeindungen nicht mehr aushält. Es ist – so hart sich das anhört – nichts Besonders. Nicht umsonst schreibe ich seit sieben Jahren darüber, dass dieses Gesetz potentiell tödlichen Charakter hat – und in der Tat sterben durch dieses Gesetz ganz real Menschen in Deutschland. Kein Wunder: dafür war es ja geschaffen worden – um DRUCK auf die Bevölkerung auszuüben, die fortan bereit sein sollte, jeden Job für mieseste Bezahlung und zu normalerweise unzumutbaren, entwürdigenden Bedingungen anzunehmen, wenn sie nicht … den Hungertod sterben wollte. Und dieser Druck wird bei Widerstand gegen die Staatsgewalt schnell tödlich – erst recht bei einer so hartnäckigen Kämpferin wie Kikki, die – wenigstens – juristischen Beistand im Freundeskreis hat. Ja – sonst hätte sie diese ganzen Möglichkeiten, sich zu wehren, nicht gekannt noch wahrnehmen können.
Das ist die Quintessenz der Agenda 2010: friss jeden Job, den wir dir vorwerfen – oder stirb. Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Schufte für die Rendite der Parteispender – oder verrecke. Möge der Mammon ewig fließen – in die Kassen unserer Geschäftspartner.
Man wird vielleicht jetzt langsam merken, warum wir gerade den Fall Kikki W. Geiß aufgegriffen haben, einen jener Fälle, die es gar nicht geben soll. Kikki gehörte einst zu den „Besserverdienenden“ der Medienbranche (zu der sie noch ganz interessante Geschichten zu erzählen hätte, die man so auch nicht oft hört … wenn sie denn überleben würde), zu jenen Menschen also, die eigentlich nie in Hartz IV landen sollten – wenn man der Propaganda der Regierungen glauben schenken möchte, die lieber die Geschichte einer parasitären, faulen, bildungsfernen, primitiven Unterschicht erzählen, die nun mit harter Hand erzogen gehört, nachdem sie plötzlich und spontan das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Schaue ich in meinen privaten Freundes- und Bekanntenkreis, so habe ich dort Ingenieure, internationale Models, Ärzte, junge Juristen, angestellte Lehrer, freiberufliche Schauspieler, Musiker, viele Unternehmer … die es alle nicht geben sollte aber trotzdem nur noch von Hartz IV überleben können und über die man nicht spricht. Was alle diese Fälle gleich haben: Krankheit … und fehlende private Berufsunfähigkeitsversicherung (die in meinem Fall vor fünfzehn Jahren vierhundert Euro im Monat gekostet hätte – das wären bis heute 72000 Euro gewesen: selbst für „Besserverdienende“ eine hübsche Summe, die ich lieber in Kinder investiert habe).
Man pflegt lieber die Legende einer mit geballter Medienmacht herbeiphantasierten Unterschicht, die es ja „verdient“ hat – und breite Teile des völkischen Mobs verwandeln sich auf einmal in einen Hobbyvolksgerichtshof, der emsig nach Gründen für die Legitimierung des Hungertodes sucht: das ist der Hintergedanke bei „selbst Schuld“. Hat auch schon bei Juden gut funktioniert.
Kikki W. Geiß ist ein Paradebeispiel für die Degeneration und Erosion unseres Sozialstaates und ein Ausblick darauf, was uns noch weiter droht: wir stehen vor dem Ende der Arbeitsgesellschaft (siehe goodimpact), Manager setzen zunehmend auf Maschinen, die gehorsamer und bequemer sind als Menschen – die keiner mehr braucht. Ein Grund, warum der tödliche Sanktionshammer nun auch zunehmend auf Arbeitslosengeldempfänger niedergeht, noch bevor sie in das Hartz-Ghetto abgeschoben werden (siehe Rheinische Post): die Regierung sieht nur noch einen Weg, die schlecht vertuschte Massenarbeitslosigkeit aufzuhalten: sie schiebt den Schwarzen Peter der arbeitenden Bevölkerung zu, als wäre sie es selbst, die mit Hochdruck an der Verringerung von Personalkosten arbeitet.
Wahrscheinlich wusste Kikki nicht, mit welchen Gewalten sie sich anlegt, als sie ihren Kampf ums Überleben und um unser aller Recht begann – ich kenne sie seit 1995, seit 1997 konnte es auch der breiten Öffentlichkeit bekannt sein … die sich aber lieber dafür interessierte, wer beim Spielen einen kleinen Lederball zwischen zwei Pfosten bewegen konnte: wahrlich Ereignisse von weltbewegener Relevanz, die tagtäglich unsere Nachrichten verwässern … wenn nicht überschwemmen.
Wer sich weniger ablenken lies, konnte 1994 im Bulletin des Weltwährungsfonds die Ankündigung von Hartz IV in Europa erkennen … und sich fürchten. Meine Vorgesetzten sprachen damals ganz offen über die Veränderungen, die sich dafür für die Gesellschaft ergeben werden und freuten sich – geil wie Bolle – über den gewaltigen Machtzuwachs, den man als „Chef“ dann endlich hätte. Ich möchte Ihnen den entscheidenden Passus gerne mal vorstellen – nun, 22 Jahre später:
„Eine größere Flexibilität des Arbeitsmarktes ist ungeachtet des schlechten Ansehens des Begriffes, der einen auf Lohnkürzungen und Entlassungen verweisenden Euphemismus darstellt, ein wichtiger Faktor für alle Regionen, die grundlegende Reformen durchführen wollen.“
„Die von den Auswirkungen der Politik auf die Verteilung der Einkommen hervorgerufenen Befürchtungen dürfen die europäischen Regierungen nicht davon abhalten, mutig eine grundlegende Reform des Arbeitsmarktes zu betreiben. Die Lockerung des Arbeitsmarktes erfolgt über die Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung, des gesetzlichen Mindestlohns und der Vorkehrungen zum Schutz der Arbeit“(zitiert bei: Viviane Forrester, Der Terror der Ökonomie, Zsolnay 1997, Seite 133).
Ja – Hartz IV wurde von der US-dominierten Weltbank angeordnet und von Schröder und Fischer durchgeführt. Beide hatten anschließend überraschend lukrative Jobangebote, Kanzler Gerhard Schröder kam bei den Rothschilds unter: als Europabeirat einer Rothschild-Investmentbank (siehe Lobbypedia), einem Ableger jener Familie, deren Vermögen auf unglaubliche 700 Billionen Dollar geschätzt wird (siehe Yahoo-Nachrichten), Joschka Fischer verdient Millionen dank einer „strategischen Partnerschaft“ mit der Madelaine Albright … und genießt das Wohlwollen deutscher Spitzenmanager (siehe Stern):
„Bei einem Fest in Berlin dröhnte der damalige RWE-Boss Jürgen Großmann, mit dem Finger auf Fischer zeigend: „Den habe ich auch gekauft!““
Madelaine Albright? Außenministerin unter Clinton, bekannt durch ihre Ansicht, die Sanktionen gegen den Irak seien den dafür gezahlten Preis wert – Tod von über einer halben Million Kinder (siehe Fembio).
Man kann sich vorstellen, wie viel Tote man zur „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ akzeptiert – nur, damit McDonalds seine Pommesköche bekommt, ohne die sich ihr Geschäft in Deutschland nicht lohnen würde.
Wissen Sie, was Vivianne Forrester 1997 noch schrieb (a.a.O.)?
„Die Schlacht gegen die Ausgegrenzten dröhnt bereits. Sie nehmen ganz entschieden zuviel Platz ein. Wir sagten es schon: sie sind bei weitem noch nicht ausgegrenzt genug. Aber die OECD weiß, wie man mit diesen Leuten umgehen muss, die nur arbeiten, wenn ihnen das Elend im Nacken steht. Ihr Bericht über die Beschäftigungslage, über die empfohlenen „Strategien“ zur Förderung der „Arbeitswilligkeit der Arbeiter“ ist, wie wir bereits gesehen haben, sehr eindeutig. „Ein Großteil der neuen Arbeitsplätze ist nicht sehr produktiv (…). Sie sind nur zu halten, wenn sie an ein sehr niedriges Einkommen gekoppelt sind“
Und 2016 fordert diese Schlacht Tote – auf Befehl der Weltbank.
Kikki ist einer davon – der die ganze Gewalt der Befehlskette am eigenen Leib erfahren muss, bis zum bitteren Ende.
Wir haben deshalb auch volles Verständnis dafür, dass sich Frau Nahles aus der Debatte lieber heraushält: