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Unterhauswahl in Ägypten

Unterhauswahl in Ägypten

Augenblicklich befinden sich die Kandidaten für die Wahl der Shura, des „Unterhauses“ des ägyptischen Parlamentes, in der Aufmerksamkeit der ägyptischen Bevölkerung. Wenn alles nach Plan läuft, fand die Wahl Ende Juni statt. Wir werden im Nachgang das Ergebnis auf Basis arabischer Presse analysieren.
Nach dem – eigentlich britischen – „Zwei-Kammer“-System der parlamentarischen Demokratie Ägyptens hat die Shura recht große, unter anderem auch gesetzgeberische Macht.
Die Shura selbst besteht aus 444 Mitgliedern, 10 zusätzliche können vom Präsidenten direkt ernannt werden. Gemäß Verfassung müssen die Kandidaten Arbeiter und/oder Bauern sein.

In Ägypten ist es offenes Geheimnis, dass die amtierende Regierung alle erdenklichen Wege nutzt, um die Kandidatenliste für die Zusammensetzung der Shura ihrem Willen anzugleichen. Repressionen gegen einzelne Kandidaten und ganze Organisationen sind üblich; auch Inhaftierungen zählen dazu.

So erstaunt es nicht weiter, dass Intessar Nessim, Vorsitzender des Wahlausschusses für die Shura, Ende Mai bedeutende Veränderungen in der Kandidatenliste bekannt gab.

Von insgesamt 575 registrierten Kandidaten wurden die Papiere von 48 für null und nichtig erklärt, Klagen gegen 13 andere wurden akzeptiert und 24 haben ihre Kandidatur selbst zurückgezogen.
Der Westen macht seine Zusagen für Wirtschaftshilfe von einer für ihn brauchbaren, politischen Landschaft Ägyptens abhängig.
Nessim fügte hinzu, dass der Ausschuss sicherstellen will, dass keine religiösen Slogans von den Kandidaten genutzt werden sollen. Diese führen zum sofortigen Ausschluss von der Wahl.
Die regierende Partei NDP („National Democratic Party“) wird auch diese Wahl dominieren, wirbt mit dem Slogan „For you!“, könnte jedoch bei dieser Wahl eine böse Überraschung erleben. Neben der NDP kandidieren die Waqf, eine religiös motivierte Oppositionspartei und die sozialistischen Nasseristen. Die „Muslimische Bruderschaft“, zwar verboten, kann aber dennoch mehrere Kandidaten ins Rennen schicken, die offiziell anderen Gruppierungen angehören.

Ägypten ist eine wichtige Schlüsselmacht im Nahen Osten, das Land hat enormen Einfluss und hat sich unter Präsident Hosni Mubarak in den zurückliegenden Jahrzehnten konsequent vom eigentlich vertretenen Sozialismus fort- und auf den Westen zubewegt.

Die jetzt seit fast dreißig Jahren von der NDP und dessen Präsidenten anhaltend angewandten „Notstandsgesetze“ nehmen der Bevölkerung jedoch einige und wichtige Rechte. So „dürfen“ Demonstrationen von den Sicherheitskräften sofort als Aufstand aufgefasst und gewaltsam gesprengt werden.
Die ägyptischen Bürger und Wähler sind wegen der anhaltenden Misswirtschaft, der riesigen, ausgewachsenen Korruption und den Vorgängen in den Ländern ihrer Nachbarschaft nachhaltig verunsichert und verärgert. Die Menschen drängen immer lauter und in immer größeren Demonstrationen auf wichtige Veränderungen, vor allem aber auf die Außerkraftsetzung der Notstandsgesetze. Das Land steht vor sehr großen Herausforderungen; durch das Ausbleiben der Nilflut müssen die Felder künstlich gedüngt werden und die fortschreitende Auslaugung und Versalzung der Erde treibt die Bauern in Scharen in die Städte. Und die Arbeitslosigkeit steigt dadurch dramatisch an. Hohe Geburtsraten führen zu einer Bevölkerungsexplosion und die Wirtschaft wächst nicht ausreichend mit.

Mit Fremden wird ein politischer Ägypter kaum ein offenes Gespräch über den Zustand seiner Regierung und seines Landes führen. Unter Freunden und beim Tee aber erfährt man mehr und fühlt die breit vertretene Sehnsucht nach Veränderung.
Es gilt als eher unwahrscheinlich, dass die neue Shura echte Veränderungen bringen wird oder auch nur kann, dennoch wird die Wahl in den Anrainerstaaten sehr aufmerksam verfolgt. Ägypten ist Taktgeber in der Region und gilt in Religionsdingen als maßgeblich.

Ein echter Umschwung könnte nächstes Jahr mit der Präsidentschaftswahl in Ägypten stattfinden. Hier dürften auch politische Fragen der unmittelbaren Nachbarschaft wie die der Palästinenser von großer Bedeutung werden. Hosni Mubarak, der „Pharao“, wie er genannt wird, dürfte wohl kaum zu einer weiteren Kandidatur antreten. Wahrscheinlich wird sein Sohn Gamal, bisher bestens in die ägyptische Politik eingeführt, für dieses Amt kandidieren.

© 2010 Echsenwut.

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