Nächstenliebe

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Jesus: Der neue Zeuge Coronas

Die Berichterstattung zu Corona hat einen großen emotionalen und ablenkenden Anteil: Sie transportiert dadurch weitgehend nicht die suggerierten „wissenschaftlichen Erkenntnisse“. Als letzter „Verbündeter“ der Meinungsmache wird nun auch Jesus von Nazareth missbraucht: So naheliegend die Nutzung der mythischen Figur ist, so schief ist das Bild.

Eine Weihnachtsgeschichte: wie ich der Bote Gottes wurde …

Digital StillCamera

Sonntag, 28.12.2014. Eifel. Es geschah zur Weihnacht 2014, dass der Herr Philosoph sonderbare und denkwürdige Begegnungen hatte, die ihrerseits wieder sehr zum Nachdenken anregten. Damit meine ich nicht das Telefonat mit Krimreisenden, die Bedenkliches von der Halbinsel berichten – angeblich hat man wieder Angst, seine Meinung offen zu sagen. Aber was solls? In Deutschland haben auch immer mehr Menschen Angst, ihre Meinung zu sagen … jedenfalls: öffentlich. Die „politische Polizei“ geht um – so las ich gerade – und befragt den deutschen Blogger, warum er eigentlich eine solche seltsame Meinung hat (siehe Duckhome). Vielmehr – waren es Beobachtungen im Alltag , direkt vor Ort, nicht geschützt durch die Distanz eines Bildschirms.

Aber: immer der Reihe nach.

Wir jedes Jahr nach Heiligabend fuhr der Herr Philosoph mit seinen Kindern vererinbarungsgemäß zur mütterlichen Wohnung, wo weiter gefeiert werden sollte. Dieses Jahr jedoch sah ich, dass es wieder eine Gelegenheit gab, recht stimmungsvolle Aufnahmen zu machen, im Sturm treibende Wolken, der Stimmung der Rauhnächte sehr angemessen. Also eilte ich los auf die Höhen, um noch schnell das letzte Licht des Tages für ein paar Aufnahmen zu nutzen.

Dann noch kurz hinab ins Tal, wo es sich zeigte, dass ich zu langsam war – oder meine Kamera zu billig. Was für das menschliche Auge noch hell wirkte, war für sie zu dunkel. Viel zu dunkel. Nun – wo sich die Gelegenheit bot, verweilte ich noch kurz am Fluss bei einem meiner Lieblingsbäume, einer großen, kräftig gewachsenen Buche, die sicherlich noch Napoleon persönlich kennen gelernt hatte – wenn nicht sogar noch Zeitgenossen Luthers.

Der Fluss schäumte kräftig, als ich eine Joggerin hinter mir bemerkte. Joggen – war das nicht verboten am ersten Weihnachtsfeiertag? Das der Unfug generell verboten werden sollte, weil er die Gelenke ruiniert und generell krank macht (siehe z.B. Mens Health), wollte ich hier gar nicht zur Debatte stellen – ist ja Weihnachten, wer will da schon wissen, dass Sport jeder Art das Leben verkürzt?

Wie – das glauben Sie nicht? Sie brauchen das auch nicht glauben, wir sind hier in der Realität, nicht in der Kirche. Ich erkläre es Ihnen aber gerne mal kurz, wie es mir Ärzte aus der Uniklinik Eppendorf erklärt haben: Ihr Herz hat einen elektronischen Impulsgeber, eine Ansammlung spezialisierter Zellen. Die brauchen wir zur Initialzündung des Herzschlages. Wunderbar, oder? Wir sind im Prinzip eine laufende Batterie … mit begrenzter Ladung. In der Tat ist bei jedem Menschen die Anzahl der Herzschläge von Geburt an vorprogrammiert – und je mehr sie durch Sport davon abrufen, umso schneller ist die Batterie leer.

Ja – die Menschen denken, sie können so dem Tod davonlaufen, dabei rennen sie direkt auf ihn zu – wie der Erfinder der Kunst des Joggens James Fixx, der mit seiner „lebensverlängernden“ Sportart gerade mal 52 Jahre alt wurde. Wenn die Menschen dann „einfach so“ „am Herzen“ sterben, nennt man das „plötzlicher Herztod“ – oder auch „Sudden Death“. Man liest nicht viel darüber: Herzschrittmacher für jedermann würden die Krankenkassen überfordern.

Nun – das hätte ich der Joggerin sagen sollen, doch der Mensch ist seines eigenen Schicksals Herr, also hielt ich respektvoll Abstand – auch, weil ich gelernt habe, dass Frauen Männer in freier Wildbahn als tödliche Gefahr begreifen. Gilt zwar nicht für die Eifel – aber wer sagt denn, dass die Dame nicht aus Köln oder Düsseldorf stammte?

Ich genoß noch eine Weile die Dämmerung, dann machte ich mich auf den Weg.

Zu meiner Überraschung stand sie noch am Parkplatz … und redete mit einem kleinen Wetterhäuschen, dass zum Unterschlupf für Wanderer gebaut worden war – war haben einige davon in der Eifel, weil es hier schon recht oft regnet. 177 Regentage haben wir im Jahr – den Rest schneit´s, sage ich immer, und da ist es schon mal ein Segen, wenn man sich kurz in einer solchen Hütte vor den herabströmenden Fluten verbergen kann.

Das Menschen sich sonderbar verhalten, ist mir bekannt. Von mir aus können Sie gerne mit Häuschen reden, mit Göttern und Geistern, mit Bäumen, Gräsern und Tieren: mir ist´s egal, dies ist ein freies Land – und allemal besser, sie beschäftigen sich so, als dass sie neue Rentenreformen ersinnen, die die Leute noch ärmer machen, neue Anlagekonstrukte basteln, die im Entwurf schon Betrug sind oder sich mit Lust an der Verbreitung von Hass, Streit, Abscheu, Verachtung und Zorn beteiligen – wie es weite Teile der unfriedlichen Bevölkerung pflegen.

Ich ging also zu meinen Auto, löschte die Aufnahmen, die wirklich nichts geworden waren, bemerkte, wie die Joggerin mit ihrem Wagen den Parkplatz verließ und wollte mich um meinen weiteren Abend kümmern, als mir ein Gedanke kam: im Sommer hatte ich gelegentlich einen Obdachlosen in der Hütte bemerkt, einen sehr menschenscheuen Gesellen, der dort gelegentlich ruhte. War das vielleicht der Grund, weshalb die Dame mit der Hütte redete? Gab es einen Bewohner?

Nun – als normaler Bürger des neudeutschen Gemeinwesens war ich gewohnt, dass man sich darum nicht kümmert. Ja – so halten wie es ja heute in Deutschland. Außerdem hatte ich gelernt, dass wir in Deutschland keine Obdachlosen haben. Ja, das wundert Sie, aber eine breite Allianz von Wohlstandsblasen arbeitet gezielt an der Leugnung des Problems, wie ein Autor der Zeit am eigenen Leib erfahren durfte, als er sich mal unbedacht über Unbedachte in Deutschland äußerte:

„Schnell wurde ich eines Besseren belehrt: Wer in Deutschland nachts auf der Straße schlafe, schrieben meine Freunde bei Facebook , tue das, weil er es tun will, nicht weil er es tun müsse. Diese Menschen seien dann auch nicht „obdachlos“, sondern „nichtsesshaft“. Schließlich fange das deutsche Sozialsystem jeden auf. In Amerika sei das anders: Dort schläft keiner freiwillig, quasi als Statement, auf der Straße, sondern, weil er dazu gezwungen wird“

Ja – in Deutschland gibt es keine Obdachlosen – so der Konsens der Mehrheit. Wer dem widerspricht, bekommt einen Schuss vor den Bug: einen „Mini-shit-Storm“ als Warnung. Behauptet man weiter solche Absonderlichkeiten, wird man als rechtsradikaler Verschwörungstheoretiker abgestempelt und darf seine Geburtstage in Zukunft wie auch Karneval und Sylvester allein verbringen.

Natürlich ist es eine Lüge, dass wir keine Obdachlosen haben: wir haben hunderttausende davon, Tendenz steigend (siehe T-Online, erwartet wird eine Zunahme um 100 000 bis 2016), aber es ist ein Tabu der Spaßgesellschaft, diese wahr zu nehmen – man müßte ja selbst was tun, wenn es solchen Misstand gäbe.

Da saß ich nun in meinem Auto, hinter mir die dunkle Hütte. Es war dunkel und kalt da draußen. Vielleicht … saß da ja niemand drin? Und überhaupt: ging´ es mir selber nicht auch schlecht? Zudem hatte ich ja Kinder? Und überhaupt: was sollte ich mit einem Obdachlosen mitten im Wald machen? Vielleicht will er das ja auch?

Wer kennt das nicht, diese seltsamen inneren Stimmen, die dem Ruf des Herzens widersprechen, Hilfe anzubieten, wo Hilfe nötig ist?

Manchmal ist auch keine gewünscht, man wird aufdringlich, nur um sich selbst ganz toll vorzukommen. Immerhin lebte im Aachener Stadtwald jahrelang ein Professor als „Wilder“, weil er nichts mehr mit der Zivilisation zu tun haben wollte? Und überhaupt: welches Recht habe ich, mich in das Leben anderer Menschen einzumischen?

Ja – es wäre so einfach gewesen, mit dem Wagen den Parkplatz zu verlassen und den Vorfall zu vergessen … aber auch noch am ersten Weihnachtsfeiertag?

Was las ich erst am Tag zuvor von Anselm Grün über Heilig Abend?

„Unser Leben hat sich für immer verwandelt. Gottes Licht leuchtet in der Finsternis. Gott ist als Kind geboren, um unsere versteinerten Herzen aufzubrechen – für die Freude und für die Liebe“ (aus: 365 Tagesimpulse, Herder 2012, Seite 156)

Und  – ja: versteinerte Herzen gibt es schon genug um uns herum. Also … machte ich mich auf zu dieser Hütte, wohl wissend, dass es in Deutschland keine Obdachlosen gibt, gegen die man Wasserwerfer, Stinkbomben, Metallspitzen oder Steine einsetzt und sogar speziell Bänke so konstruiert, dass niemand sich lange auf ihnen aufhalten kann (siehe Spiegel). Wir haben sie nicht nur erfolgreich aus unserem Denken verbannt – wenn sie das überlebt haben, haben wir noch ganz andere Möglichkeiten, sie aus dem Leben zu verbannen.

Innen drin … saß ein älterer Herr. Offensichtlich schon länger – die Hütte war voll mit Plastiktüten … vielleicht 30? 40? Es war klar, dass ich nicht bequemerweise die Polizei holen konnte. Der Herr würde eine Menge Ärger bekommen.

Ich wünschte ein frohes Weihnachtsfest … und fragte, ob ich helfen könnte. Immerhin … es war ein wenig kühl und sollte bald noch viel kühler werden. Ich bot ihm an, ihn dorthin zu fahren, wo er es wärmer hätte …. doch er wollte nicht. Seine größte Sorge war, dass ich mich die Nacht bei ihm einquartieren könnte … in seiner Wanderhütte. Wenigstens diese Sorge konnte ich ihm nehmen.

Er war Rentner, 68 Jahre alt, arbeitete noch nebenbei in den Gärten anderer Leute – und wohnte draußen. Trank keinen Alkohol, rauchte nicht … und war sichtlich etwas menschenscheu. Eine Geschichte ähnlich der meinen, eine Geschichte, wie ich sie schon häufig gehört hatte: Männer, die über die Trennung von ihrer Frau – und ihrer Familie – nie hinweggekommen waren, Männer, die fortan die Einsamkeit suchen um das Leid ertragen und der Verachtung der Umwelt entgehen zu können – und sich manchmal so weit zurückziehen, dass sie allein in einer Eifelhütte landen, Jäger die ihr Stamm verstoßen hat: seit Jahrtausenden die gleiche Geschichte. Ich kenne sogar Rechtsanwälte, die aus diesem Grund in Hamburg auf der Straße leben … was heißt „kenne“ – ich kannte sie mal.

Er wollte nirgend wo hin, wollte auch keine Gesellschaft – sondern sichtbar seine Ruhe.

Wie bequem für mich.

Trotzdem war mir nicht wohl dabei, ihn so allein zu lassen. Die Temperaturen näherten sich dem Gefrierpunkt – gesund ist anders.

Da sah ich ein Licht im Wald – und entsann mich, dass dort Mönche ein Kloster gekauft hatten. Anhänger des exkommunizierten Erbischofs Lefaivre (schreibt man den so? Ich finde über ihn nichts im Netz … was schon seltsam ist. Auch tabu? Oder obdachlos?). Mönche – Christentum – Nächstenliebe … so schloß ich messerscharf. Und außerdem – so war mir in Erinnerung – war der Orden nicht mehr exkommuniziert.

Schon war der Entschluss gefasst – und ich machte mich den Weg hinauf zum Kloster. Dort waren viele Menschen, Wärme – und eine Küche. Hier war Not – dort war Hilfe. Gut – er wollte nicht dort weg: aber am Weihnachtsabend eine warme Suppe – das könnte man doch hinkriegen.

Das Kloster war dunkel – und es gab keine Klingel. Eine Glockenseil hing neben der Tür, doch so oft ich auch dran zog: es gab keinen Ton.

Durfte man die Stille der Meditation und Kontemplation an einem solchen Abend überhaupt stören? Fast schon – wäre ich gegangen, doch dann gab es Geräusche und Licht am Nebenfenster. Menschen – und eine Küche. Es waren nicht die Mönche, die man aus der Zeitung kannte – aber egal. Eigentum verpflichtet, dachte ich mir. Christentum auch.

Zwei Männer waren in der Küche – und nach einer Weile (einer längeren Weile) hörten sie mein einsames Klopfen am Fenster.

Schnell trug ich mein Anliegen vor, was leicht ging: sie waren der deutschen Sprache mächtig – sehr gut sogar, wie mir schien. Ein alter Mann sei dort in der Kälte, so erklärte ich ihnen. Er wolle dort ausharren – aber vielleicht könne man ihm etwas Warmes zu Essen besorgen? Der ältere von beiden strahlte mich an … doch der jüngere schüttelte verschwörerisch den Kopf, wobei ich nicht verstand, was er sagte.

Sollte ich nun noch Vorträge halten – als konfessionsloser Sünder?

Ja.

Also sprach ich von Weihnachten, von Kälte und Menschlichkeit – und überließ Ihnen die Entscheidung. Ich verließ sie mit einem weihnachtlichen Gruß, was den älteren der beiden zu einem sehr offenherzigen Lächeln brachte, während der andere sein Gesicht zu verbergen suchte.

Ich selbst – ging dann meine eigenen Wege. Obdach – ja gut, dass habe ich, auch wenn es sehr in Gefahr ist. Wird Zeit, sich ein wenig darum zu kümmern, dass es anders wird. Außerdem meldete sich der Rücken und forderte stabile Seitenlage, was umso dringender war, da ich anderntags eine weite Strecke zu bewältigen hatte.

Was ist nun draus geworden aus dem alten Mann?

Ich weiß es nicht, werde mich aber freuen, wenn ich ihm im Sommer wieder begegne. Ich konnte sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen – aber ich kenne ja seine „Ferienwohnung“.

Ich weiß nicht, ob ich alles richtig gemacht habe. Vielleicht hätte ich die Polizei rufen sollen? Wie geht man um mit Obdachlosen, die es offiziell gar nicht gibt? Wie gehen „die“ um mit Menschen, die eine Wanderhütte zugemüllt haben? Strafanzeige, Gefängnis? Das zu Weihnachten?

Muss doch nicht sein.

Am nächsten Tag – während einer langen Fahrt – kam mir dann ein anderer Gedanke: wie das wohl auf die Klosterbewohner gewirkt haben muss. Waren das überhaupt Mönche?

Wenn ja … dann haben sie am Weihnachtsabend ein denkwürdiges Erlebnis gehabt. Ein Fremder – in schwarz gekleidet, zu Fuss aus der Nacht gekommen – war an dem Fenster erschienen und bat um Hilfe für eine arme Seele. Suppe .. wäre schon genug gewesen. Ein Aufruf zur Nächstenliebe – und eine Gelegenheit, diese zu praktizieren.

„Und siehe, es erschien ein Bote des Herrn in der Nacht und brachte Kunde vom Sohne Gottes, der allein in der Kälte harrte, wo Heulen und Zähneknirschen herrschen; und er bat die Diener des Herrn um ein Almosen für den Heiland“.

So einfach … können Wundergeschichten entstehen.

Almosen für den Heiland?

Und heißt es nicht: Was ihr getan habt den geringsten meiner Brüder, das habt ihr mir getan?

Mathäus 25 – vom Weltgericht.

Die Herren aus dem Kloster haben jetzt eine Chance, wo ich versagte. Ja – mir war so, als hätte mich der Herr in seiner Hütte nicht haben wollen, als fürchte er Konkurrenz um seinen Schlafplatz. Mir kam der Gedanke zu spät, dass ich vielleicht doch Gesellschaft hätte leisten sollen – auch dort, wo sie nicht gewollt wird. Aber ich mag halt ungern aufdringlich werden …

Weihnachtsansprache 2010

Weihnachten ist ja ein besonderes Fest. Schon lange vor den ersten Christen feierten die Bewohner dieser finsteren kalten Wälder jenen Tag, an dem das Licht wieder zu wachsen begann und der unerbittliche Vormarsch der Dunkelheit gestoppt wurde.  Als Symbol für dieses Fest holte man einen jener Zauberbäume hinein, die auch in der lebensfeindlichen Winterwelt ihr grünes Kleid nicht verloren – das begeisterte die Waldbewohner, davon wollten sie einen Teil abhaben, von diesem Segen wollten sie auf profitieren. Dann wurde – in Hoffnung auf bessere Zeiten – das Hausschwein geschlachtet. Letzte Reserven wurden angezapft, um die dunkle Zeit lebendig zu überstehen.

Wir sind recht fern von diesen Zeiten. Unsere Häuser gleichen kleinen Burgen, den Winter und seine Nöte haben wir überwunden. Im Vergleich zu jenen fernen Vorfahren sind wir unermeßlich reiche Zauberer. Kälte, Dunkelheit, Hunger, Freßfeinde – all das spielt für uns keine Rolle mehr. Eine Handbewegung von uns (an der richtigen Stelle) und es wird hell und warm in unseren Höhlen, durchsichtige Wände erlauben uns, das Toben der Winterstürme in aller Gemütlichkeit zu betrachten, andere Fenster in die Welt schicken uns Bilder von fernsten Orten und wildesten Phantasien. Obst, Brot, Gemüse, Fleisch – alles ist im Überfluss vorhanden, von dem was wir wegwerfen könnten andernorts ganze Familien vor dem Hungertod gerettet werden.

Wir feiern immer noch dieses Fest, doch hat es längst einen anderen Hintergrund. Irgendwann kam das römische Imperium in die Wälder unserer Vorfahren – diesmal nicht harmlos in Form von Soldaten sondern in Form von Mönchen. Die Geschichten, die sie erzählten,  faszinierten uns,  sie waren neu und ungewohnt.

Unsere Götter, so sagten sie, seien blinde Phantasien oder böse Dämonen, aber macht- und kraftlos. Es gibt aber einen mächtigen liebevollen Urgrund des Seins, der nun seinen Sohn auf die Welt geschickt hat, um dem Spuk ein Ende zu bereiten  – und wenn wir in Zukunft für ihn Kirchensteuer zahlen würden, dürften wir sogar unser Fest weiterfeiern – es würde dann eben sein Geburtstag sein.  Es gab ein paar weitere Bedingungen, die zu erfüllen waren – keinen umbringen, nichts klauen, die Eltern ehren … alles Dinge, die im Dorf sowieso schon üblich waren.  Das war nicht so das Problem. Und diese alten Götter waren sowieso nicht gerade der Hit – klauen unser Frauen, zürnen ständig herum, machen Blitz, Donner und derbe Späße: da kam das neue Angebot gerade recht.  Geärgert haben sich nur die alten Priester, deren Opfergaben nun in einen neuen Opferstock landeten.

Fast zweitausend Jahre später sitzen wir immer noch unter unserem Tannenbaum. Viel hat sich verändert seitdem. Vor allem – sind die alten Götter zurück. Finstere, undurchschaubare Mächte bedrohen unseren Alltag und trotz unserer ganzen Macht scheinen wir ihnen hilflos ausgeliefert.  Sie heißen anders als früher und wirken auch viel unmenschlicher. „Der Markt“ ist ein ganz fieser von ihnen. Er taucht ganz überraschend auf, stiehlt uns unsere Schätze, entführt sie in weite Ferne und läßt uns als mittellose Bettler zurück. Es werden auch wieder Menschenopfer gefordert, so wie die ganz alten Priester ihre Götter mit jungen Frauen besänftigen wollten, so muß der Markt mit dem Leid der Armen, Alten und Kranken besänftigt werden. Geht es ihnen zu gut, leben die fern von Kälte und Hunger, dann grollt der Markt und schickt seine unsichtbare Hand strafend durch das Land und zwingt uns, unsere eigene Ernte zu vernichten, in dem wir sie ins Meer schmeißen.

„Das Kapital“ ist ein weiterer Finsterling der üblen Sorte. Es saugt wie ein Vampir alle Lebenskraft, alle Freude und Daseinslust aus den Menschen und macht aus ihnen kleine leblose Maschinen, die nichts weiter tun, als an der Vermehrung seiner Macht zu arbeiten.

„Der Staat“ – der nächste Titan, der uns im Leben quält, auch das kälteste aller Ungeheuer genannt. Manchmal schützt er uns vor Markt und Kapital, doch nur, um uns wie Ameisen zu organisieren und durchzunummerieren, damit auch ja niemand seinem Schlachter entkommt. Während „Markt“ und „Kapital“ das göttliche Herrscherpaar sind, ist „Staat“ der Kriegsgott, der weltvernichtenden Gewalten entfesseln kann, wenn ihm gerade danach ist. Wenn er will, dann sperrt er Menschen sinnlos in Lager und macht aus ihnen Seife, läßt ganze Generationen von Menschen durch  Maschinen auf Schlachtfeldern zerfetzen.

„Stadt“, „Mode“, „Arbeit“, „Verkehr“, „Partei“  sind einige weitere Kinder von „Markt“ und „Kapital“. Sie alle fordern unsere Opfer – und auch Menschenleben. Sie bestimmen was wir denken, wie wir wohnen, wie wir uns kleiden, wie wir uns bewegen, wie wir das Haupthaar tragen, wie wir sprechen, singen, tanzen. Keiner der alten Götter hat je so in unser Leben eingegriffen, noch mußte auch nur eins unserer Menschenopfer so leiden wie jene, die der „Verkehr“ jeden Tag in Stücke reißt.

Und so langsam merken wir, das auch die Kälte wieder zurückkommt, der Hunger, die Dunkelheit. Vorbei sind die Zeiten, wo der Wald uns Essen und Wärme gab, die Jagd uns Nahrung und Kleidung, wo der Stamm für alle da war und die Gemeinschaft jedem Feind standhielt. Die neuen Götter halten uns in Einzelzellen und mästen uns gut, wenn wir brav sind. Sie sind mächtiger als die alten Götter … und unermeßlich viel grausamer. Doch seitdem der Gott der Christen tot ist, haben sich andere in die Lücke gestürzt. Die Natur mag halt kein Vakuum.

Niemals in ihrer ganzen leidvollen Geschichte war die Menschheit so hilflos den tobenden Gewalten der Umwelt ausgesetzt wie heutzutage, niemals lauerte die völlige Vernichtung der Menschheit – ja vielleicht sogar allen Lebens auf der Erde – so deutlich wie heute vor der Tür.  Vielen geht es trotz all der Gifte noch sehr gut dabei – immer noch sind Hunger, Kälte, Dunkelheit verbannt in diesen Jahreszeiten, doch hinter diesem schönen Schein bauen sich Gewalten und Gefahren auf, vor denen sich selbst die alten  Götter fürchten würden.

Und das … ist die Chance dieses Festes, das ständig daran erinnert, das auch die Dunkelheit ein Ende hat – und das man sie gesund und munter überleben kann. Es ist die Chance der Besinnlichkeit, die nicht umsonst jedes Jahr mit noch mehr Waren totgeschmissen wird, denn wenn wir zur Besinnung kommen würden, würden wir merken, das all die Götter, die unser Leben tyrannisieren, nichtig sind. Keiner von ihnen könnte widerstehen, wenn sich die Menschheit gegen ihn erheben würde. Nie war die Chance größer, das die Menschheit sich gegen ihre neuen Herren erheben konnte, nie war es einfacher, denn … die neuen Götter sind nur Gespenster in Köpfen, Gespenster allerdings, die uns soweit domestiziert haben, das wir eher jenen Hausschweinen gleichen, die wir selbst früher zu Weihnachten geschlachtet haben.

Das braucht uns aber nicht gefallen.

Der Ausbruch aus dem Gefängnis der Gedanken kann sehr leicht sein – und kann schon damit anfangen, das man sich morgen mal traut, etwas völlig unmodernes anzuziehen. Wollen wir jenem Geschlecht, das einst gegen Wolf und Bär in den Wäldern rang, zutrauen, das es sich wagt, einen Hut zu tragen, der nicht zum Kostüm paßt? Was, wenn wir zu Weihnachten nur aufbauende Worte anstatt aufzubauende Waren verschenken?

Die Botschaft des jüdischen Gottes (mit dem unser Fest ja auch viel zu tun hat) wird im Deutschen gerne streng übersetzt. Alternativ darf man „du sollst“ auch durch „du brauchst nicht“ übersetzen, was angesichts der damaligen gesellschaftlichen Gepflogenheiten einen viel größeren Sinn machen würde.

Du brauchst nicht morden, du brauchst nicht stehlen, du brauchst nicht ehebrechen … und am Samstag brauchst du auch nicht arbeiten.  Man tut dem jüdischen Gott in Wirklichkeit mit diesen Tätigkeiten keinen Gefallen, heißt es – und das war der neue Gedanke, der uns damals so fasziniert hat. All die häßlichen Dinge, die unseren Alltag so erschweren, braucht man nicht wirklich zu tun….es geht auch anders.

Wollen wir hoffen, das irgendwann ein neuer Moses von den Bergen kommt und neue Tafeln aufstellt:

Du brauchst nicht Socken tragen, die zur Unterwäsche passen. Du brauchst über die letzte DSDS-Sendung nicht mitreden zu können. Du brauchst nicht Dein Leben vergeuden, um den Ansprüchen von Markt und Kapital zu genügen, brauchst Deine Familie nicht vernachlässigen, um der Firma zu dienen, brauchst keine Sonderschichten fahren, um Staat und Partei reich zu machen.

Aber hoffentlich brauchen wir dazu nicht wieder einen Moses und einen neuen allmächtigen Gott – vielleicht schaffen wir das ja diesmal alleine.

Oder wir besinnen uns darauf, was wir in Wirklichkeit in diesen Tagen feiern, warum wir uns mit Gütern beschmeißen: um einem Märchen zu Gedenken, wonach der Urgrund des Universums (schon ein ziemlich großes Ding, wenn man genau bedenkt) Mensch geworden ist um in all dem Rauben und Morden kurz mal zu sagen, wie er sich das Miteinander vorstellt. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“.

Eigentlich mal Zeit, das wir die Christen um uns herum daran erinnern – oder sie auffordern, ihre Religion konsequenterweise aufzugeben, offen zuzugeben, das sie lieber „Markt“, „Kapital“ und anderen widergöttlichen Mächten dienen als jenem unerschließbaren Urgrund allen Seins und aller Lebendigkeit, jenem höchsten denkbaren sittlichen Gedanken des Guten.

Vielleicht hilft uns die Besinnlichkeit, uns zu erinnern, das die Mächtigen dieser Erde keinesfalls jenseitigen Wirklichkeiten ablehnend gegenüberstehen – magische Rituale sind Bestandteil jeder Freimaurerei, der Wunsch, die Gunst des Schicksals durch geschickte Kombination von Farbe, Klang und Form zu gelangen hat zu vielen architektonischen Merkwürdigkeiten geführt – es sind nur Wirklichkeiten, die als „Herrschaftswissen“ nur wirklich eingeweihten Kreisen vorbehalten sind, für die Hausschweine gilt: „Gott ist tot“ und „Religion ist Opium fürs Volk“.  Das hindert das Schwein daran, aufzustehen und sich der Macht der neuen Götter zu entziehen: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“.

Und wenn demnächst wieder ein Asozialer fordert, am Sozialstaat zu rütteln, sollten wir vielleicht einfach entschuldigend achselzuckend antworten: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“.  Sollen sich dann die Asozialen mit dem Papst streiten …. und sich offen dazu bekennen, das sie (wie er auch) antichristlichen Werten huldigen.

Dann haben wir Hausschweine endlich klare Fronten.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern vor allem ein … besinnliches Weihnachtsfest.

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