Parkwaechter / CC BY SA 2016
Fake news. Postfaktisch. – Ich finde die zunehmende Digitalisierung unserer Gehirne einfach großartig. Was habe ich aufgeatmet, als es endlich das Navi gab. Sogar dusselige Autofahrer wie ich, die sich in Großstädten jedesmal hoffnungslos verirrt und dabei Strafmandate gesammelt haben, brauchen jetzt nur einer sonoren Frauenstimme folgen, die Rechts-Links-Kommandos gibt, und gelangen unbeirrbar ans Ziel. Außer man vertippt sich – so wie jene Männer aus Schweden, die eigentlich zur Insel Capri wollten, aber vom Navi ins 850 Kilometer entfernte Carpi geführt wurden (siehe huffingtonpost). Da uns jedoch die nächste Navi-Generation bereits aktiv Ziele vorschlagen wird, zu denen wir „wahrscheinlich hinwollen“ (siehe chip.de), werden potentielle Fehler bei der Zielwahl schon demnächst der Vergangenheit angehören. Und da BMW ebenso wie VW derzeit Milliardensummen in die Entwicklung autonomer Leitsysteme und fahrerlose Autos stecken, können wir uns bald vollends zurücklehnen, die Realität ausblenden und ganz in die verpixelte Realität unseres Smartphones vertiefen. Während künstliche Intelligenz das Auto fährt, können wir auf einem Display mittels unermüdlicher Onanierbewegungen im Kreis surfen. Führerscheine werden obsolet sein, sogar hemmungslos besaufen kann man sich, wenn man mit der Karre unterwegs ist. Notorische Schwarzseher, die der wohlstandsverwahrlosten Generation Doof ein böses Erwachen prophezeit haben, wenn sie erst einmal mit der echten Realität konfrontiert wird, haben sich getäuscht: Das „Abhängen“ kann endlos weitergehen.
Bis das große Abhängen wirklich serienreif ist, brauchen wir allerdings schon noch ein paar Krücken, um uns in einer kompliziert gewordenen Welt zurechtzufinden. Schließlich wäre es ja für den fernsehenden Kleinbürger eine Zumutung, wenn er in einer Welt voller apokalyptischer Hiobsbotschaften nicht mehr in Ruhe sein Dosenbier trinken und im virtuellen Warenkatalog blättern könnte. Sonst vergeht ihm womöglich der Appetit auf das Kaufen von noch mehr unnützen Sachen und das Bruttoinlandsprodukt kommt ins Stottern – und das wäre ja nach einhelliger Expertenmeinung das Ende unserer Wohlschandsgesellschaft.
Fiakerpferde, die bekanntlich größere Köpfe haben als wir, wissen bereits um die Wohltat gediegener Scheukklappen, die ihnen ihr wohlmeinender Herr anlegt. Ohne diese optischen Behelfe würde die guten Tiere im hektischen Straßenverkehr womöglich panisch werden und scheuen. So aber trotten sie in Seelenruhe geradeaus vor sich hin, immer der Zügelspannung des Herrn gehorchend.
Ehrlich gesagt finde ich die aktuelle Aufregung um das angekündigte Fakenews-Verbot von SPD und Union nicht ganz ehrlich. Denn in Wirklichkeit wissen wir doch alle um die handfesten Vorteile einer Symbiose zwischen Pferden bzw. Tretmühleneseln und ihren Herren. Der ehemalige ZDF-Journalist Wolfgang Herles macht sich über diese Tatsache keine Illusionen. In seiner Publikation „Die Gefallsüchtigen“ legt er dar, wie nicht nur den Mächtigen nichts ferner liege als Kritik, Provokation und Aufklärung, sondern ebenso dem gemeinen Bürger. Denn wirkliche Aufklärung würde das Weltbild derer, die die jeweiligen politischen Eliten als Führung akzeptiert haben, schlichtweg zerstören. Laut These von Wolfgang Herles wollen die meisten Menschen daher systematisch belogen werden. Diese von ihm als chronische Ignoranz bezeichnete Form der Stabilität basiere auf einem unsichtbaren Deal beider Ebenen – Herrscher und Beherrschte – die entsprechenden Tabu-Themen zu erkennen und im täglichen Leben zu umschiffen (siehe auch Interview Wolfgang Herles/KenFM auf YouTube):
„Politische Journalisten stören den Seelenfrieden. Vor allem den all jener Personen, deren Zurechtkommen mit der Wirklichkeit ausschließlich auf Selbstbetrug und Selbsttäuschung beruht.“
Lassen wir also unsere Herren getrost walten, sie werden uns schon den Weg weisen und störrische Pferde unseres automatisierten 4.0 Reitstalls gegebenenfalls befrieden. Laut Spiegel solle der „Kampf gegen erfundene Nachrichten und Verschwörungstheorien“ gleich nach der Weihnachtspause angegangen werden. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann und sein CDU-Kollegen Volker Kauder sind sich bereits einig, dass man diesbezüglich „den rechtlichen Rahmen konsequent ausschöpfen und bei Defiziten nachschärfen werde“ (Quelle: n-tv). Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel stößt ins gleiche Horn: In einer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag sieht sie Gefahr durch Medien, „die weniger kontrolliert sind“ und „auf ganz anderen Grundlagen basieren“, womit man sich „auseinandersetzen“ müsse (Quelle: bundeskanzlerin.de).
Facebook hat auf die politische Steilvorlage bereits reagiert und harte Maßnahmen angekündigt. Externe Stellen sollen Artikel künftig auf ihre Richtigkeit hin überprüfen, so Facebook. Zur Beurteilung, was richtig ist, werden unzweifelhafte Experten hinzugezogen: Unter anderem der US-Medienkonzern ABC, die US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) und der Webdienst Snopes, der „auf Faktenkontrolle spezialisiert“ sei (Quelle: orf). Als unrichtig beurteilte Artikel sollen als „umstritten“ gekennzeichnet werden und im Nachrichtenangebot nach unten rutschten. Überhaupt sollen Algorithmen dafür sorgen, Nachrichten anhand ihrer „Relevanz“ zu gewichten. Eines der hierzu angewandten Kriterien verrät Facebook: Wird ein Beitrag nach dem Lesen nicht geteilt, dann wird er als weniger relevant gewertet und versinkt damit in der Bedeutungslosigkeit. Eine sehr effektive Maßnahme, über die Marketingexperten ja bereits von Google Bescheid wissen: Alle Treffer, die zu einem Suchbegriff nicht auf der ersten Seite aufscheinen, sind de facto irrelevant.
Wer meint, dass der Kampf gegen unendliche Müllmassen der Medien und Millionen an Postern eine Mission impossible ist, der irrt. Schon 1933 konnte das Fakenewsproblem vom „Reichsministerium für Volksaufklärung“ unter Leitung von Joseph Goebbels in kürzester Zeit gelöst werden. Aus der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ vom 4. Februar 1933, A b s c h n i t t II, § 9 (1): „Periodische Druckschriften können verboten werden … wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden. (…) Zuständig für das Verbot einer periodischen Druckschrift sind die obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen.“ (siehe Originaltext in Dokumentarchiv.de). Die Zuständigkeit des Volksaufklärungs-Ministeriums ist in der RMVP-Verordnung vom 30. Juni 1933 definiert: „…zuständig für alle Aufgaben der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit über sie“. Sein Versprechen, dass die Bürger, die nichts zu verbergen haben, von der umfassenden Hoheitsgewalt seines Volksaufklärungsministeriums auch nichts zu befürchten haben, hat Goebbels ja bekanntlich gehalten. Ins Gras gebissen haben nur diejenigen Querfrontköpfe, die ihr Inneres dem Staat nicht preisgeben wollten und sich eine eigenständige Sicht der Geschehnisse gemacht haben.
Wenn also die Wahrheitshüter den notwendigen Administrationsaufwand zur Trockenlegung von Verschwörungstheorien seinerzeit sogar mit Kugelkopfschreibmaschinen, Blaupauspapier und Aktenordnern hingekriegt haben, dann „schaffen wir das“ mit den heutigen Tools von Digitalisierung, Big Data und Pig Brother zweifellos mit links.
Im Neuen Jahr wird also endlich eine Bürde von unseren Schultern genommen werden. Wir werden gar nicht erst in Versuchung kommen, über Dinge nachzudenken, die womöglich verderblich sind. Experten werden diese Drecksarbeit für uns übernehmen. Wir dürfen stattdessen abhängen und uns an Dieter Bohlens und Heidi Klums Grinsekatzenshow erfreuen, die garantiert nicht gefakt ist, auch wenn sie auf viele inzwischen ziemlich abgefuckt wirkt.
Mein Gott, was bin ich froh, in postfaktischen Zeiten leben zu dürfen. Wo ich nicht selbst nachdenken muss, sondern wo von vornherein feststeht, was wahr ist und was falsch. Würden im Web geleakte Nacktscannerfotos erscheinen, auf denen ersichtlich ist, dass die Bundeskanzlerin in Wirklichkeit ein Mannsweib in Mogelpackung ist und würde ein Whistleblower-Chirurg dazu posten, dass der Penis der Kanzlerin von einem transatlantischen Organspender stammt – in praefaktischen Zeiten hätte ich womöglich geglaubt, dass da ein Körnchen Wahrheit dran ist.
So aber werden es Fakenews wie das schändliche u.a. Bild des mittlerweile untergetauchten, mutmaßlichen Verschwörungstheoretikers Steve Geshwister in Zukunft gar nicht erst ans Sonnenlicht schaffen. Auch vor offenen Briefen, in denen die Konstrukteure der CIA-/NSA-Bürgerüberwachungsmaschinerie davor warnen, dass wir gerade schlüsselfertige Tyranneien / „turnkey tyrannies“ errichten (siehe The Guardian), werden wir in Zukunft verschont bleiben.
Frei nach Christian Morgenstern: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf.“
In diesem Sinne: Gute Nacht …