Donnerstag, 5.1.2012, Eifel. Die aktuellen Herbststürme – momentan in den Winter ausgelagert – verändern meinen Zeitplan und gönnen mir eine kleine Pause, in der ich mich den Katastrophen der Welt widmen kann. Es gibt ja viele Horrormeldungen momentan: China will keine deutschen Autos mehr (ich denke, kaum jemand weiß, was das für Deutschland bedeutet, wenn die damit ernst machen), Spanien will keine deutschen Autos mehr (-17,7% gegenüber dem Vorjahr) in den USA herrscht langsam ein dramatisches Wohlstandsgefälle, das wohl auch dazu geführt hat, das man – sicherheitshalber – ein neues Ermächtigungsgesetz ( und damit gleichzeitig alle demokratischen Prinzipien) verabschiedet … eine Entwicklung, die in Deutschland ab 1933 zu außergewöhnlichen Erscheinungen im menschlichen Umgang miteinander geführt hat. Wäre ja wichtig, sich darüber mal Gedanken zu machen, zumal man gerne übersieht, das Deutschland das erste Land war, was von den Nazis übernommen wurde – was wäre, wenn sie sich für 2012 ein ganz anderes, viel mächtigeres Land vorgenommen haben? Vielleicht ein Land, das (mal von Nordkorea abgesehen) großen Einfluss auf jene Länder hat, in denen die Christenverfolgung am schlimmsten ist: Saudi-Arabien und Afghanistan? Das alles ficht den Deutschen jedoch momentan nicht an, selbst das Wunder, wie wir bei steigenden Arbeitslosenzahlen auch immer mehr arbeitende Menschen haben, lässt ihn kalt, die Rente mit 69 erschüttert ihn auch nicht – er fragt sich nur eins: wer hat Angst vor dem bösen Wulff?
In der Tat ist es müssig, sich über dieses Thema Gedanken zu machen – es überschwemmt trotzdem alle Nachrichtenmagazine. Süddeutsche Zeitung, Fokus, Wirtschaftswoche – alle wollen ihm an den Kragen, siehe Pressespiegel im Handelsblatt oder im Spiegel. Jetzt will die Bildzeitung sogar seine Mailbox-Nachricht veröffentlichen.
Das eigentliche Wunder dabei ist: Keiner fragt sich, warum die Elite der neoliberalen Klatschblätter auf einmal zum Präsidentenkegeln aufruft. Mal ehrlich: was soll denn das? Haben die die letzten Jahre verschlafen, ist der neoliberale Putsch, der Umsturz zugunsten des Geldadels denn spurlos an ihnen vorübergegangen? Wohl nicht, wenn ich die Welt lese:
Auch Christian Wulff gehört zu Deutschland. Fragt sich nur, zu welchem.Denn Deutschland ist ein tief gespaltenes Land. Nicht nur zwischen Arm und Reich, Bio-Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund, Ost und West, sondern vor allem zwischen jenen, die arbeiten und denjenigen, die ihr Geld arbeiten lassen.
Zwischen den Schnäppchenjägern, die Geiz geil finden, und denjenigen, die wissen, dass Qualität ihren Preis hat; zwischen den Gutmenschen, die von einer Party zur nächsten hopsen, um sich gut zu fühlen, und den guten Menschen, die keine Charity-Galas und keine Benefiz-Konzerte besuchen, wenn sie hungernden Kindern in Afrika helfen wollen.
Dass dieses Land noch so erstaunlich gut funktioniert, hat es nicht den „Freunden“ von Christian Wulff zu verdanken, sondern den Müllmännern und den Feuerwehrleuten, den Polizisten und den Krankenschwestern, den Handwerkern und den Malochern auf dem Bau, den Arbeitern bei Ford und den Kassiererinnen bei Aldi.
Sprüche, die man eigentlich in der „Roten Fahne“ verorten würde, die gerade wieder einmal die Revolution der Werktätigen vorbereiten, nicht aber in einem Magazin, das gerne auch mal jene wirklichen Leistungsträger Deutschlands fallen lässt, wenn sie mal wieder arbeitslos werden, weil die Putschisten gerade eine neue Heuschrecke mit frischem Kapital füttern wollen.
Wenn Rechts und Links sich in ihrer Kritik immer ähnlicher werden, scheint das ein Indiz dafür zu sein, das man sich dem Kern des Problems jenseits aller Ideologien nähert: einem Putsch von oben, der sehr erfolgreich war. Insofern wundert es nicht, das Wulff – ohnehin in interessanten Kreisen verkehrt , Geld, Geschenke, Reisen und Urlaubsangebote bekommt, es verwundert viel mehr, warum man sich auf einmal so darüber aufregt.
Gut – die Welt hatte ebenfalls schon mal unangenehme Erfahrungen mit Wulff gemacht:
Um die Veröffentlichung eines Artikels zu verhindern, habe das Bundespräsidialamt laut „Welt“ massiv interveniert – nicht nur beim Chefredakteur, sondern auch an höchsten Verlagsstellen. „Einer der Autoren wurde in der Sache ins Schloss Bellevue gebeten“, heißt es in der Zeitung. Dort habe Wulff dem Redakteur persönlich mit „unangenehmen und öffentlichkeitswirksamen Konsequenzen“ gedroht, sollte der Artikel veröffentlicht werden.
So etwas erwartet man vom Kreisvorstand der NPD – aber doch nicht vom Bundespräsidenten. Es sei denn … er ist so etwas gewohnt, er rechnet damit, das man – wie üblich – seinen Wünschen Folge leistet, wie im aktuellen Fall:
Schließlich rief er auch noch den Vorstandschef der Springer AG, Mathias Döpfner an und kontaktierte sogar Mehrheitsaktionärin Friede Springer selbst und bat um Intervention.
Das für Wulff augenscheinlich Unerwartete trat ein: Das Blatt druckte die Geschichte trotzdem, und am Ende gelangte auch noch der Inhalt der Mailbox-Aufzeichnung, für den sich Wulff zwei Tage später bei Diekmann entschuldigte, an die Öffentlichkeit.
Das Unerwartete trat ein … und hier sind wir beim Kern des Problems. Jemand, der keine Probleme mit einer intimen Nähe zu Kapital, Glanz und Gloria hat, jemand, der seit jahrzehnten deutsche Innenpolitik erlebt und gestaltet hat, sollte, doch wissen, was geht … und was nicht.
Offensichtlich dachte er, das ginge jetzt mal locker eben durch.
Womit er nicht gerechnet hatte … das sich der Wind gedreht hat.
Erklärungsversuche hierzu füllen gerade das Netz. War es wirklich seine Verfassungstreuer, die ihn stürzen ließ? Oder hatte Merkel ihren letzten innerparteilichen Rivalen eliminieren wollen? Hat er beim Bundespresseball mit den falschen getanzt – oder war erst gar nicht erschienen?
Wulff ist der Präsident der Partyhopser, Schnäppchenjäger, Laumalocher – so soll ich das ja wohl verstehen. Warum lassen die jetzt einen der ihren fallen?
Der Welt fällt auch das auf – aber nur als rhetorische Frage:
Was für ein Menschenbild muss ein Bundespräsident haben, der ernsthaft glaubt, missliebige Journalisten könnten von der Suche nach der Wahrheit durch Intervention des Präsidenten beim Chef gebremst werden? Wer so denkt und handelt, interessiert sich nicht sonderlich für die Meinungsfreiheit und das mitunter unangenehme Wühlen einer unangepassten, freien Presse, sondern hat ein hierarchisches Verständnis von Gesellschaft.
Wer so denkt und handelt, dürfte es – gerade in dieser Stellung – für ganz normal halten, das er das tut, was andere vor ihm auch schon getan haben. Sogar die Kanzlerin hat – in großem Stil – direkt Einfluß auf viele Medien genommen, siehe Freitag:
Ein paar Monate zuvor, am 8. Oktober 2008, hatte es ein sonderbares Treffen gegeben, das in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll. Die Bundeskanzlerin hatte an jenem Tag die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Es war die Zeit, in die der Ausbruch der großen Finanzkrise fiel. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.
Sie haben sich daran gehalten, die Chefredakteure. Noch im Februar 2009, vier Monate später, wunderte sich die taz über die Medien: „Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten.
Aber sonst hat sich keiner über diese direkte Einflussnahme auf die gesamte Presse gewundert? Aber wenn der Bundespräsident dasselbe macht, gibt es einen Aufstand?
Wulff gilt als zielstrebig – und überraschte deshalb einst mit einer indirekten Absage für eine mögliche Kanzlerkandidatur. Dafür fehle ihm der „unbedingte Wille zur Macht und die Bereitschaft, dem alles unterzuordnen“.
So sieht es der Spiegel.
Wenn ein Kanzler einen unbedingten Willen zur Macht braucht und die Bereitschaft dem alles unterzuordnen … wieso ist dann Mauerblümchen Merkel Bundeskanzlerin geworden? Ihre Karriere ist ja nicht gerade eine politische Bilderbuchkarriere – glänzt aber mit überraschender Förderung durch interessante Menschen.
Vielleicht hat aber auch niemand Angst vor dem bösen Wulff – zumindest die Presse hat deutlich demonstriert, das sie keine Angst vor ihm zu haben braucht, weder vor ihm, noch vor den Eigentümern der Zeitungen, deren Rechtsanwälten oder Chefredakteuren. Da wähnt man sich wohl sehr sicher. Vielleicht hilft uns ja ein Blick in die Rede des Herrn Ziegler, die Affäre Wulff zu verstehen – ja, jene nun preisgekrönte Rede, die er auf dem Ball der Putschisten nicht halten durfte … siehe Hintergrund:
In seiner 18-minütigen Ansprache erinnerte Ziegler daran, dass alle fünf Sekunden ein Kind verhungert und rund eine Milliarde Menschen permanent an Unterernährung leiden, obwohl die Weltlandwirtschaft heute problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren könnte – knapp das Doppelte der derzeit auf der Erde lebenden Bevölkerung. Die reichen Geberländer des UN-Welternährungsprogramms , vor allem die westlichen Demokratien, hätten ihre Unterstützung für die Hungerbekämpfung drastisch reduziert, einige sogar eingestellt, skandalisierte Ziegler, weil sie tausende von Milliarden Euros an „Spekulanten und Halunken“ des Finanzkapitals zahlen müssten, obwohl der „Banken-Banditismus“ selbst für die Krise verantwortlich zeichne. „Die Verursacher dieser kannibalischen Weltordnung“, forderte Ziegler, gehörten vor ein „Tribunal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
So verfährt man mit wahren Kritikern des Systems – sie werden erst mal eingeladen … und dann wieder ausgeladen, weil man gewissen Dinge in gewissen Kreisen einfach nicht hören will. Wie Wulff – erst eingeladen, jetzt ausgeladen.
Das nun Wulff wegen kritischer Worte gehen mußte, denke ich nicht, auch wenn sie sich noch so wahr anhören:
Angesichts dessen müssen wir uns fragen: Leidet nicht die elementare Grundbedingung unseres Verfassungssystems – die
Rechtstreue der Bürger –, wenn rechtliche Bindungen beiseite geschoben werden, von Wirtschaftseliten Verträge missachtet werden
oder von der Politik bestehende Regeln ausgesetzt oder Fristen, die das Bundesverfassungsgericht setzt, nicht beachtet werden? Das
beschäftigt viele Bürgerinnen und Bürger.
Diese Worte schreibt er doch nicht selber – da gucken doch zehn Experten drüber, bevor er die vorlesen darf.
Was ich mir aber vorstellen kann, ist: der Mann ist einfach zu peinlich für den Bankenbanditismus geworden.
Ehrlich – was ist denn das für ein Präsident, der sich Geld leihen muss?
Was ist das in Zeiten der Schuldenkrise überhaupt für ein Symbol, wenn man einen Präsidenten hat, der sich wie ein ganz normaler Staat einfach verschuldet – und dann noch für einen geistlosen Klinkerbau?
Wulff wußte genau, wo er lebt: in jenem Land, das weniger Pressefreiheit hat als Bolivien. Er hat sicher auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachgelesen:
Medienbarone zeichnen sich dadurch aus, dass sie die eigenen, meist partikularen wirtschaftlichen sowie gesellschaftspolitisch konservativen Zielsetzungen in den Vordergrund rücken und unternehmerische Strukturen schaffen, welche – intern und extern – die Herausbildung von Medien- und Meinungsvielfalt erschweren. Die selektive Auswahl des Führungspersonals und die forcierte Durchsetzung von Loyalität im Arbeitsalltag führen zu einer durch Medienbesitz gesteuerten Pressefreiheit, die der modernen Demokratie massiven Schaden zufügt.
Die forcierte Durchsetzung von Loyalität im Arbeitsalltag, die selektive Auswahl des Führungspersonals hat ihm die Sicherheit geben, zu tun, was er getan hat. Immerhin sind es nur noch vier große Verlagshäuser, die in Deutschland das Sagen haben, alle sind abhängig von guten Beziehungen zur Politik, die ja immerhin die Nachrichten erstmal produzieren muss, über die man dann schreiben kann.
Was er nicht wusste, war, dass es eine neue Devise der Putschisten gab, von denen die Journalisten wissen – nur er noch nicht:
Wer Schulden hat, fliegt ´raus. Das gilt für Spanien, Griechenland und Präsidenten.
Bertelsmann kommt ja jetzt ins Gerede. Die meisten kennen Bertelsmann ja gar nicht – außer in Gestalt schlecht gekleideter Aussendienstler, die einem einen Brockhaus verkaufen oder uns in einen Buchclub hineinloben wollen.
Dabei ist Bertelsmann – sprich: der politische Wille der Frau Mohn – ja schon in vielem drin: Stern, Geo, Ntv, RTL, SuperRTL … alles Produkte aus dem Hause Bertelsmann, die kräftig an einem Ziel arbeiten: wir sollen alle früher mit dem Arbeiten beginnen und später damit aufhören:
Mit dem Programm „Zukunft der Beschäftigung“ wollen wir dazu beitragen, dass junge Menschen erfolgreicher und früher als heute in den Arbeitsmarkt integriert werden und älter werdende Arbeitnehmer bei guter Gesundheit und Bildung länger als heute produktiv am Erwerbsleben teilhaben können. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in einer Verbesserung der individuellen Ausbildungs- und Beschäftigungsfähigkeit.
Quelle: Bertelsmannstiftung
Die sagen auch ganz offen, das sie ein Neues Deutschland wollen:
Beschäftigungsmisere, Sozialstaatskrise und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zeugen von Verkrustungen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Um einen Ausweg aus dieser Unbeweglichkeitsfalle zu finden, müssen bestehende Denk- und Handlungsblockaden aufgelöst werden und die Menschen Veränderungen und deren Auswirkungen mittragen. Nur so kann eine grundlegende Neuorientierung in Politik und Wirtschaft stattfinden.
Quelle: Bertelsmannstiftung
Wie gut, das wir jetzt die Wirtschaftskrise, die Beschäftigungsmisere und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit ohne großartigen gesellschaftlichen Umbau beendet haben – falls das nicht wieder eine Medienlüge wie die Schweinegrippe war. So dürfen wir unser Denk- und Handlungsblockaden weiterhin behalten, die uns daran hindern, Kinderarbeit oder gemeinverträgliches Frühableben in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen.
Dabei ist die Selbstdarstellung der Bertelsmannstiftung ja eigentlich ziemlich neutral gehalten – seltsam allerdings, denn man kann nicht neutral sein, wenn man in dem Gegenüber Denkblockaden erkennt:
Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für das Gemeinwohl ein. Sie engagiert sich in den Bereichen Bildung, Wirtschaft und Soziales, Gesundheit sowie Internationale Verständigung und fördert das friedliche Miteinander der Kulturen. Durch ihr gesellschaftliches Engagement will sie alle Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich ebenfalls für das Gemeinwohl einzusetzen. Die 1977 von Reinhard Mohn gegründete, gemeinnützige Einrichtung hält die Mehrheit der Kapitalanteile der Bertelsmann AG. Die Bertelsmann Stiftung arbeitet ope rativ und ist unabhängig vom Unternehmen sowie parteipolitisch neutral.
Quelle: Bertelsmannstiftung
In dem Zusammenhang versuchen die auch was Soziales:
Die Soziale Marktwirtschaft galt lange als Erfolgsmodell. Vielen Bürgern war sie Garant für Wohlstand und Gerechtigkeit. Seit einiger Zeit ist die Soziale Marktwirtschaft jedoch ins Gerede gekommen, und viele Bürger verlieren ihr Vertrauen in ihre Zukunftsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund haben die Bertelsmann Stiftung, die Heinz Nixdorf Stiftung und die Ludwig-Erhard-Stiftung einen Zukunftsdialog mit Bürgern angestoßen. Das BürgerForum Soziale Marktwirtschaft hat nach einer Zufallsauswahl 350 Bürger aus ganz Deutschland eingeladen, ihr eigenes Bild einer zukunftsfähigen Sozialen Marktwirtschaft zu entwerfen. Im Austausch mit Politikern und Experten haben die Teilnehmer ein Programm erarbeitet, das am 60. Jahrestag der Sozialen Marktwirtschaft allen Bundestagsparteien sowie an politsch Handelnde und Entscheider übergeben worden ist.
Quelle: Bertelsmannstiftung
Das ist natürlich ein spannendes Experiment, obwohl die Voraussetzungen dafür schon falsch ist: die soziale Marktwirtschaft als Deutsches Erfolgsmodell ist nicht „ins Gerede“ gekommen – sie ist nicht mehr da. Und die Bürger haben das Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit dessen verloren, was gerade aktuell ist und sich immer noch „soziale Marktwirtschaft“ nennt.
Fast 90 Prozent fordern demgegenüber eine neue Wirtschaftsordnung, in der der Umweltschutz einen höheren Stellenwert hat als bisher und die den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft anstrebt. Weiterhin glauben die Befragten, dass diese Anforderungen prinzipiell miteinander vereinbar sind.
Und wie setzt Bertelsmann diese Erkenntnisse um?
„Die Soziale Marktwirtschaft ist über Jahrzehnte eine stabilisierende und ausgleichende Kraft in unserem Land und damit auch ein Garant für den sozialen Zusammenhalt. Auf ihrem Fundament muss jetzt eine langfristige Strategie zum Umgang mit Krisen entwickelt werden. Vertrauen, Nachhaltigkeit und sozialer Ausgleich müssen die Grundpfeiler einer solchen Strategie sein“, so Dr. Gunter Thielen, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung.
Die wollen auch eine neue Wirtschaftsordnung, in der wir alle – wie oben beschrieben – von der Wiege bis ins Grab arbeiten. Ist ja auch irgendwie … sozial, wenn alle das machen. Wie gut, das wir ja öffentlich gar keine Krise mehr haben, dann brauchen wir ja auch keine langfristigen Strategien, die auf dem Fundament der sozialen Marktwirtschaft etwas anderes aufbauen, denn merke: was unter der Erde als Fundament liegt, ist meistens tot. Habe ich durch diverse Mafiafilme gelernt
Quelle: Bertelsmannstiftung
Zurück aber zum Bürgerforum, das sich ja mit der Sozialen Marktwirtschaft befassen sollte. 350 Bürger, eingeladen von RTL nach dem Zufallsprinzip. So kommen auch in der Zeitung des Bürgerforums drei Rentner (einmal Teilzeit) und fünf Akademiker (zwei Studenten) zu Wort, deren Meinungen … nun ja…irgendwie auch die von Bertelsmann sind: weniger Staat, mehr privat. Ein Ingenieur aus dem Iran darf noch sagen, das die sozialen Lage wegen der High Society immer schiefer wird aber – na ja, der ist ja auch Ausländer.
Ich habe mal einen Bürger herausgegriffen: Hanna Volkmann, Paderborn. Europawissenschaftlerin. Sie findet sich heute wieder bei den Machern von Morgen:
Mit dem Programm Macher von Morgen wollen wir junge Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung und Potentialentfaltung voran bringen und auf bevorstehende Herausforderungen und ihre individuelle Verantwortung vorbereiten.
Um der Umsetzung dieses Vorhabens die nötige Kraft zu verleihen, haben sich die Familienunternehmerin Dr. Beate Heraeus als Initiatorin, die GROW Beratung als Inhaltsgeber und Spezialist für Persönlichkeitsentwicklung sowie die INTES Akademie für Familienunternehmen zusammen getan.
Wow. Äh … Grow. Macher von Morgen. Es gibt spannende Leute dort:
Prinz Asfa-Woffen Asserate wurde als Großneffe des Kaisers Haile Selassie von Äthiopien geboren und lebt seit 1972 in Frankfurt. Er ist begeisternder Redner und Autor der Bestseller „Manieren“ und „Ein Prinz aus dem Hause David“. Dr. Asserate ist als Unternehmensberater für Afrika und den Mittleren Osten tätig und Gründungsmitglied der GROW-Akademie.
Adele Landauer – Schauspielerin, Coach und Buchautorin – ist eine der gefragtesten Beraterinnen für Topmanager und Politiker. In vielen unterschiedlichen Rollen und Engagements an großen deutschen Bühnen und im Fernsehen hat sie gelernt, Körper, Stimme und Inhalte in Einklang zu bringen und ihr Wissen adäquat weiterzugeben.
Dort ist unsere Hanna jetzt Referentin für neue Medien.
Verbindungen zwischen Bertelsmann und der Initiatorin von Macher von Morgen, Beate Hereaus? Alles „Stifter“. Was sich aber Wohltätig anhört, hat knallharte Hintergründe:
Dass gerade jetzt in der Wirtschaftskrise so viele Familienunternehmer, Teile ihres Firmenvermögens in gemeinnützige Stiftungen umschichten, hat nicht nur mit Mildtätigkeit zu tun. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten steigt vielmehr die Gefahr, dass Familienmitglieder dem Unternehmen von der Stange gehen und plötzlich ausbezahlt werden wollen.
„Ein Damoklesschwert, das vor allem über Familienunternehmen der dritten und vierten Generation schwebt“, sagt Rechtsanwalt Mark Binz von Binz & Partner in Stuttgart. „Familienclans, die es schaffen, auch als Unternehmerfamilie bis in die fünfte Generation zusammenzuhalten, wissen in der Regel, wie man Krisen und Konflikte übersteht und pflegen ganz bewusst Rituale und Instrumente, die den Zusammenhalt stärken.“ Kein Wunder also, dass Traditionshäuser wie Bertelsmann, Heraeus oder Haniel sich schon seit Jahrzehnten als Stifter engagieren. Sie wissen, welche Zugkraft Institutionen der guten Tat auf das Gemeinschaftsgefühl der Gesellschafter haben können.
Quelle: Handelsblatt
Und nebenbei kann man ganz toll Politik machen – zum Beispiel, in dem man gezielt die Macher von Morgen auswählt, die jene Politik machen, die man selber gerne hätte.
Im November 2009 starteten die Macher von Morgen als Kooperationsprojekt der GROW AG, Zürich und der INTES Akademie, Bonn.
Quelle: Macher von Morgen
Die Intesakademie wiederum … berät Familienunternehmer – wie Beate Heraues, Liz Mohn (Bertelsmann)
Wer als Familienunternehmer langfristig erfolgreich sein will, muss Fragen beantworten, die über das Unternehmen weit hinausreichen. Häufig handelt es sich um Themenstellungen, die den Unternehmer selbst, die Eigentümerfamilie oder ihr Vermögen betreffen. Mit diesen Fragestellungen fühlt sich der Unternehmer in der Regel allein gelassen, weil überzeugende Konzepte zu ihrer Beantwortung und vor allem kompetente vertrauensvolle externe Gesprächspartner fehlen.
Quelle: Intes-Akademie
Sie arbeiten in engem Verbund mit den „Familienunternehmern“:
„Die Familienunternehmer – ASU” sind die starke Stimme des Unternehmertums in Deutschland. Als politische Interessenvertretung der Familienunternehmer haben Sie sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten zu einem anerkannten und gefragten Ratgeber der Politik sowie zu einem bedeutenden Unternehmernetzwerk entwickelt. Der Familienunternehmer repräsentiert das verantwortliche Unternehmertum. Er führt seine Firma eigenständig und haftet mit seinem Kapital, ist in seiner Region verwurzelt und steht für einen motivierenden und menschlichen Umgang mit seinen Mitarbeitern. Im Gegensatz zu einigen Aktiengesellschaften in Streubesitz streben Familienunternehmer den langfristigen Erfolg des Unternehmens an. „Die Familienunternehmer – ASU” vertreten konsequent ihre Ansichten zu allen relevanten Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie der Sozial- und Wettbewerbspolitik gegenüber Regierung, Parlament, Verwaltung und Öffentlichkeit.
Quelle: Intes-Akademie
Die Familienunternehmer selbst verstehen sich auch gerne als Botschafter der Sozialen Marktwirtschaft.
Quelle: Familienunternehmer
Womit sich der Kreis zu der Bertelsmannbefragung schließt. So … gewinnt man Einfluß, macht Politik, so wählt man Bürger aus und spart auch noch Steuern:
Eine Besonderheit der Bertelsmann AG ist die Bertelsmann-Stiftung, die gut drei Viertel des Konzernkapitals hält, was dem Milliardärsclan Mohn Steuerersparnis im zehnstelligen Millionenbereich verspricht. Die Mohns beherrschen sowohl den Konzern wie dessen Stiftung und haben bislang den Börsengang vermieden. Die Bertelsmann-Stiftung ist heute mit einem Gesamtetat von zirka 65 Millionen Euro die größte deutsche Unternehmensstiftung. Mit über 300 Mitarbeitern, die etwa 100 Projekte betreuen, hat sie sich in den 90er Jahren zu einem führenden neoliberalen Think-tank entwickelt. Sie ist in zahlreiche neoliberale »Reform«-Projekte (Hartz IV, Studiengebühren, Controlling in Schulen etc.) als Stichwortgeber und Konzeptentwickler verwickelt, übt aber auch in Kampagnen wie »Du bist Deutschland« politische Macht im Sinne Reinhard Mohns aus.
Quelle, jungewelt zitiert bei Kommunisten-online
Und das Bürgerforum? Fort. Von den Beteiligten beendet:
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des BürgerForums Soziale Marktwirtschaft haben sich für den Abschluss des Projekts zum 31.12.2008 entschieden. Hier das detaillierte Ergebnis.
Ein sehr heterogenes Bild. Machen wollten nicht mehr, andere schon. Anderen war alles egal. Und es geht ja auch irgendwie weiter:
Die Regierung Schröder verlagerte eine Reihe von Entscheidungen in Kommissionen, die aus zahlreichen ExpertInnen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Unternehmensberatungsfirmen zusammengesetzt waren, unter ihnen sehr häufig auch VertreterInnen von Bertelsmann.
Eigeninitiative und Selbstverantwortung jedes und jeder Einzelnen sind laut Stiftung die zeitgemäßen Formen von Solidarität und Menschlichkeit: „Der anonyme Wohlfahrtsstaat hat ausgedient, an seine Stelle tritt der soziale Staat, der vom bürgerschaftlichen Engagement und vom solidarischen Verhalten aller lebt.“
Quelle: Bertelsmannkritik.de
Eigeninitiative und Selbstverantwortung sind seltsamerweise immer dann gefragt, wenn man für das Geld, das man jahrzehntelang eingezahlt hat, auch Leistung möchte. Gesundheit, Rente, Arbeitslosigkeit … für all das investiert man in seinem Leben in höhe der Kosten eines Einfamilienhauses und das Kassieren macht den entsprechenden Institutionen sichtbar Spaß. Aber wenn es dann ans Bezahlen geht … na ja. Man wird als Unternehmen nicht groß, wenn man all das wieder ausgibt, was man eingenommen hat. Vielleicht sind es diese Geheimnisse, die mit führenden Wirtschaftsjournalisten in vertraulicher Runde diskutiert werden:
Im Mai 2001 hat die Gemeinschaftsinitiative eine vertrauliche Dialogrunde „Soziale Marktwirtschaft heute“ mit den führenden deutschen Wirtschaftsjournalisten ins Leben gerufen, welche seitdem dreimal jährlich in der Bertelsmann-Repräsentanz in Berlin tagt und dort im Gespräch mit Gästen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aktuelle Reformthemen fach- und sachbezogen diskutiert und bewertet.
Quelle: Bertelsmannstiftung
Hanna Volkmann findet übrigens, das Studiengebühren eine klasse Sache sind und findet, das Bürger auch eine Bringschuld haben.
Bertelsmann – die Botschafter der sozialen Marktwirtschaft. Und wir haben ja schon gelernt: sozial ist, was Arbeit schafft, Arbeit von der Wiege bis ins Grab – für den Profit der deutschen Familienunternehmen.