marktkonforme Depression

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Endzeit-Poesie 4.0: „Mit klarem Falkenblick …“ – Cyranos Wein gegen Lahmenteritis

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Vor Kurzem ist mir ein kleiner Trinkspruch von Cyrano de Bergerac in die Hände gefallen, den ich gerne mit unseren Lesern teilen möchte, da er m.E. eine Ermutigung darstellt, die wir in Zeiten des Neobiedermeier gerade gut gebrauchen können. In solchen Zeiten, in denen uns ein „rülpsender Konsensmoloch“ (© Wolf Reiser) die herrschende Meinung in unsere Köpfe diktieren möchte, ist der Trunk, den uns Cyrano reicht, ein erfrischendes Gegenmittel. Es bewahrt uns vor der drohenden Mutation zu duckmäuserischen Konsum-Enten, einer von der WHO bisher noch nicht offiziell diagnostizierten Pandemie (siehe eifelphilosoph).

Eigentlich reiche ich diesen Trunk nur von unserem neuen Kollegen Wilfried Schmitz weiter, der ihn mir als Wahlspruch geschickt hat. Mit seinen laufenden Initiativen und Klagen gegen die völkerrechtswidrigen Machenschaften der Merkel-Regierung und gegen die bellizistische Berichterstattung unserer „Leitmedien“ (siehe rechtsanwalt-wilfried-schmitz.de/aktuelles) beweist er, dass er nicht nur Wasser predigt, sondern Cyranos Wein auch selbst trinkt.

In diesem Sinne: Schlagen auch wir das Fass Cyranos an und lassen wir es sprudeln – auf dass die eigentlich kaum noch erträgliche Lahmenteritis in unseren marktkonformen Landstrichen einfach weggespült werde:

Cyrano:
Wie soll ich’s halten künftig? 
Mir einen mächtigen Patron entdecken 
Und als gemeines Schlinggewächs dem Schaft, 
An dem ich aufwärts will, die Rinde lecken? 
Durch List empor mich ranken, nicht durch Kraft? 
Nein, niemals! Oder soll ich, wie so viele, 
Ein Loblied singen auf gefüllte Taschen, 
Soll eines Hofmanns Lächeln mir erhaschen, 
Indem ich seinen Narren spiele? 
Nein, niemals! Oder soll ich Kröten schlucken, 
Auf allen vieren kriechen, gleich dem Vieh, 
Durch Rutschen wund mir scheuern meine Knie, 
Kreuzschmerzen leiden durch beständ’ges Ducken? 
Nein, niemals! Soll ich einem Schäfchen gleichen, 
Um selbst mir eins ins Trockene zu bringen? 
Soll Honig streun, um Zucker einzustreichen? 
Und unermüdlich Weihrauchfässer schwingen? 
Niemals! Soll ich als lust’ger Zeitvertreiber 
Nach großem Ruhm in kleinem Kreise spähn, 
Damit sich von den Seufzern alter Weiber 
Des Dichterschiffleins schlaffe Segel blähn? 
Niemals! Für meine Verse dem Verleger, 
Der sie mir druckt, bezahlen runde Summen? 
Niemals! In der Verbrüderung der Dummen 
Gefeiert werden als der Bannerträger? 
Ein einziges Sonett wie ein Hausierer 
Vorzeigen, statt noch andre zu verfassen? 
Niemand talentvoll nennen als die Schmierer? 
Vor jedem Literatenklatsch erblassen 
Und eifrig forschen: Werd ich anerkannt? 
Hat der und jener lobend mich genannt? 
Niemals! Stets rechnen, stets Besorgnis zeigen, 
Lieber Besuche machen als Gedichte, 
Bittschriften schreiben, Hintertreppen steigen? 

Nein, niemals, niemals, niemals!   Doch im Lichte 
Der Freiheit schwärmen, durch die Wälder laufen, 
Mit fester Stimme, klarem Falkenblick, 
Den Schlapphut übermütig im Genick, 
Und je nach Laune reimen oder raufen! 
Nur singen, wenn Gesang im Herzen wohnt, 
Nicht achtend Geld und Ruhm, mit flottem Schwunge 
Arbeiten an der Reise nach dem Mond 
Und insgeheim sich sagen: Lieber Junge, 
Freu dich an Blumen, Früchten, selbst an Blättern, 
Die du von deinem eignen Beet gepflückt! 
Wenn dann vielleicht bescheidner Sieg dir glückt, 
Dann musst du nicht ihn teilen mit den Vettern; 
Dann darfst du König sein in deinem Reiche, 
Statt zu schmarotzen, und dein Schicksal sei, 
Wenn du der Buche nachstehst und der Eiche, 
Nicht hoch zu wachsen, aber schlank und frei.

(Edmond Rostand, aus: „Cyrano de Bergerac“, 1897)

 


Allgemeines zur Kolumne „Endzeitpoesie 4.0 – Brennholz gegen Robotisierung und drohenden Erfrierungstod“:

Da in unserer aus den Fugen geratenden Welt vieles nicht mehr rational verstehbar und auch kaum noch ertragbar ist, brauchen wir dringend ein Gegengewicht aus dem Reich der Poesie … mit diesem geistigen Gegengift in den Adern wird vieles Unverständliche plötzlich wieder verständlich und Unerträgliches wieder ertragbar – oder noch besser: gestaltbar!

Denn die größte Lüge, die uns heute beigebracht wird, ist: dass der Einzelne ohnehin nichts tun kann. – Das genaue Gegenteil davon ist wahr: Es kommt auf jeden einzelnen an und das mehr als jemals zuvor. Und wie uns schon Dostojewskij erklärt hat, ist im Leben auch niemals etwas umsonst, selbst wenn eine Bemühung keinen sichtbaren Erfolg zeigt: „Alles ist wie ein Ozean, alles fließt und berührt sich; rührst du an ein Ende der Welt, so zuckt es am anderen.“

Gerade unsere geistlose Zeit braucht philosophische Gedanken wie eine Wüste das Wasser. Dieses Wasser – die Gedanken der großen Geister der Menschheit – gibt es schon lange. Aber die scheinbar alten – in Wirklichkeit ewig jungen – Gedanken bleiben nicht dieselben: Jeder, der sie aufgreift und verinnerlicht, färbt sie mit seiner individuellen Persönlichkeitsnote ein und bringt dadurch wieder ganz neue Farben in die Welt, die bisher noch nicht existiert haben. Und solche Farben braucht unsere grau gewordene Welt (siehe 1000 Gestalten.de) heute dringend – sie saugt sie auf wie ein trockener Schwamm das Wasser … damit wieder Neues, Kreatives, Menschliches entstehen kann.

In diesem Sinne wollen wir der pseudopragmatischen Alternativlosigkeit (siehe „Der Führer 4.0 – Er ist schon längst da“) die Gefolgschaft in den Grand Canyon verweigern und es lieber mit Ilija Trojanow halten: „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“. – Dann kann die scheinbare Endzeit zu einem neuen Anfang werden.

 

 

Foto: pixabay/CC0

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