Auch wenn ich damit den Rest meiner Leser vergraule, aber reden wir doch einmal ausnahmsweise nicht über Banalitäten, sondern packen wird den guten & gernen Schweinehund am Schopf. Viel Zeit ist ja vielleicht nicht mehr, sogar die Mainstreammedien schwadronieren von Blackout und Internetaus. Außerdem: Lambda ist im Anmarsch … Doch reden wir einmal über die katastrophalste aller Krankheiten, die alle Viren und Toxine, die uns heute plagen, in den Schatten stellt. Eine Zivilisationskrankheit, die zu mittlerweile unübersehbarer Gehirnerweichung geführt hat und mit der wir nun zum erweiterten Suizid an unserer gesamten Spezies ansetzen: Der Narzissmus, die gute und gerne Selbstliebe und Egozentrik. Vorgelebt und bis zur Spitze entwickelt von unseren Promis, Politikern und vor allem von den Influenzern, die wir uns täglich reinziehen, all den Heidis, Lobos, Tilos, Walulus und sonstigen Böhmermännern und -frauen. Besoffen von der eigenen Großartigkeit brauchen sie jeden Tag eine noch größere Dosis an Applaus und Likes, um high zu bleiben. Das Tolle: Dafür müssen sie nichts anderes machen als die Segel aufspannen und relaxed den Rückenwind des herrschenden Wahnsinns nutzen. Gegen diesen Wind ansegeln und damit über Nacht 80% der Follower droppen?: Alter … ja lol ey.
Diese Krankheit, gegen die nicht nur die griechischen Stoiker, sondern der Kulturmensch aller bisherigen Epochen hart angekämpft hat, wird heute schon von Kindheit an gehätschelt und zum Ideal erhoben. Alle großen Philosophen haben vor ihr gewarnt, sie sogar mit Fäulnis und Verwesung gleichgesetzt, da sie letztlich zum Gleichen führt, was auch ein Heroinjunkie durchmacht: Erst ein fulminantes Highgefühl, in dem man unfähig ist, die Realität und die eigene Situation zu erkennen. Dann Gehirnerweichung, Verlust der Zähne und Absturz in die Gosse.
Da wir hier nicht nur philosophieren, sondern auch pragmatisch sein wollen, zur Frage: Wie bekämpft man diesen Narzissmus? (Jeder, der ehrlich ist, weiß, dass er selbst zu einem gewissen Grade von dieser Krankheit gepackt ist.) – Nun, das geht sehr effektiv, indem man sich z.B. vornimmt, den Mund nicht mehr merkel- oder rezolike schneller plappern zu lassen als der Kopf mit dem Denken nachkommt. Nicht mehr planlos Zeugs zu brabbeln, wie einem der Schnabel gewachsen ist, sondern sich vornehmen (zunächst mal für ‘nen Tag oder ‘ne Woche, länger wird man es anfangs meist nicht durchhalten): nur Sinnvolles und Notwendiges aussprechen. Die griechischen Stoiker sprachen vom „Notwendigen“ als dem Not-Wendenden, alles andere als das Notwendige sei eitles Beiwerk, das es zurückzustutzen gilt. Vor allem: Die Atemluft nicht dafür verschwenden, um sich selbst zu rechtfertigen und subjektive Gefühle nach außen zu trompeten. Wer anderen pausenlos „sein Herz ausschüttet“, macht sich in Wirklichkeit unglücklich. Die Atemluft, die dafür aufgewendet wird, ist nicht nur verschwendet, sondern verursacht eine stumpf-schwüle Atmosphäre, in der frei liegender Käse schnell zu schimmeln beginnt. Auch das erst seit Mitte der 1990er Jahre auftretende und bisher von Chemikern immer noch nicht abschließend geklärte Phänomen des „Fogging“, auch bezeichnet als „Magic Dust“, bei dem sich Innenraumwände ohne erkennbaren Grund schwarzgrau färben und mit einem ölig-schmierigen Belag überziehen, kommt vielleicht nicht von ungefähr.
Und umgekehrt ist es in unserem Zeitalter des narzisstischen Wellnessfurzes eines der bestgehütetsten Geheimnisse: Glücklich ist man dann, wenn man etwas aussprechen kann, was nicht einen selbst betrifft, sondern was dem Gegenüber nützt und hilft. Dazu muss man sich natürlich auf die Situation des Anderen einstellen können – was uns zunehmend schwer fällt, wir haben es vielfach verlernt. Aber wer es schafft: Sofort klärt sich die Luft. Der Andere und auch man selbst kann wieder aufatmen, wenn es endlich einmal nicht um Banalitäten und den eigenen Hintern geht. Und als Nebeneffekt wird man im Übrigen bemerken, dass man ab nun auf andere wirklich attraktiv wirkt, während der Andere in Wirklichkeit jedesmal innerlich die Augen verdreht und am liebsten wegrennen möchte, wenn man ihm wieder mit seinen persönlichen Befindlichkeiten und Bedürfnissen kommt. Denn im Innersten sehnt sich jeder Mensch nach Freiheit. Und das Zelebrieren der persönlichen Gefühle und Konsum ist in Wirklichkeit das Gegenteil von Freiheit: absolute Bindung (insofern auch die Lifestyle-Werbung, die täglich auf uns einprasselt, absolute Lüge ist), die letztlich nur zu Gehirnerweichung führt, in der dann „die hirntoten Risikopiloten durch die Aerosole zischen und es ganz viele noch erwischen wird“ (Udo Lindenberg). Auch „die kollektive Mega-Power, also: Maske auf“ (ebd.) wird dann nichts mehr helfen.
Wer sich frägt, wie wir aus der derzeitigen, scheinbar vollkommen verfahrenen und dekadenten Situation wieder hinauskommen: Das wäre eine Option, bei der sich die Wolken schnell wieder lichten könnten. Die Luft, die wir atmen, wäre eine vollkommen andere, wenn sich jeder vornähme, auch nur 10% seiner losgelassenen Worte in diesem Sinne zu kultivieren. Und selbst wenn die Anderen nicht mitmachen, sondern man das nur in der eigenen Wohnung bzw. im eigenen Umfeld praktiziert: Man wird dann zumindest hier für bessere Luft sorgen, die jeder, der zu Besuch kommt, gerne inhaliert. In einer Wüste haben auch kleine Oasen ihren unschätzbaren Wert.
Das Ganze ist natürlich nichts für Weicheier. Wer diesen Kampf gegen die Logorrhoe („Sprechdurchfall“) aufnimmt, wird ordentlich ins Schwitzen kommen. Der bislang im Keller verkrochene Narzissmus wird quietschen, sich winden und pinkeln wie eine von der Katze gefasste Maus. Wer ihn dennoch nicht mehr aus der Hand lässt, kann ihn zur Strecke bringen. Und wer das schafft – eigentlich ist es eher ein Herkuleskampf mit dem Minotaurus als mit einer Maus –, der wird merken: Ab jetzt gibt es niemanden mehr, der im Keller ständig den Käse und sonstige Lebensmittel auffrisst und zum Verschimmeln bringt. Man ist endlich wieder Herr im Haus. So wie es immer das Schlusswort einer beliebten Bildungssendung der 80er war: „Die Sendung mit der Maus – ist aus.“
Fotos:
Oben links: Jan Böhmermann live on stage (Wikimedia Commons, Franz Richter / User:FRZ / CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)
Oben mitte: Jan Böhmermann bei der Grimme-Preis-Verleihung 2018 (Wikimedia Commons, © JCS / Fotoausschnitt / Lizenz: CC-BY-SA-3.0 / GFDL)
Oben rechts: Tilo Jung, Jugendpresse Deutschland, Jugendmedientage 2015 (Flickr/ CC BY 2.0 / Foto: Florian Timpe / Bildausschnitt)