Harald Welzer erscheint im Fernsehen immer dann, wenn das Wachstum und der Konsum kritisiert werden sollen. In seinem neuen Buch plädiert Welzer dafür, dass wir einfach aufhören sollen – mit dem Wachsen, dem Konsumieren und Arbeiten.
Was uns dadurch aber volkswirtschaftlich blühen würde, verrät der Sozialpsychologe und Bestsellerautor nicht. Schließlich mache er es doch vor, mit 62 Jahren tritt er nun kürzer, entspannt monatelang auf einer Insel und genießt den Meerblick – und schreibt an seinem nächsten Buch.
Auch sonst sind Welzers Analysen des Kapitalismus – gelinde gesagt – recht naiv. Dass diesem Wirtschaftssystem ein Wachstumsdrang innewohnt, möchte Welzer nicht sehen. Vielmehr versteift er sich auf kulturkritische Apelle oder flüchtet in wohlfeile Abstraktionen. Die Gesellschaft solle man wie Lego-Klötzchen neu zusammenbauen.
Kein Wunder, dass man mit einer solch braven Kapitalismuskritik überall ein gern gesehener Vortragsreisender ist – denn wirklich weh tut dieser Moralismus nicht.
In der neuen Folge von „Wohlstand für Alle“ sprechen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt über den falschen Propheten.
Literatur:
Pepe Egger/Harald Welzer: “Die Lebenslüge: Nichts muss sich verändern”,
online verfügbar unter: https://www.freitag.de/autoren/pep/di….
Harald Welzer:
Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen, S. Fischer.
Harald Welzer:
Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens, S. Fischer.
man munkelt, …dass wir gestern Abend ein Interview bzw. Gespräch mit Dr. Bodo Schiffmann führen konnten.
Es ist immer besser MIT als ÜBER Menschen zu reden.
Dies ist in diesen schwierigen Zeiten wichtiger denn je…
Mit Dank an Herrn Langemann für den Tip
Roger Willemsen sprang 2012 auf der lit.COLOGNE als Interviewer spontan ein, weil Lagerfeld Elke Heidenreich als Gesprächspartnerin ablehnte. In der Presse kam das Gespräch damals sehr gut an, beide sehr belesen haben sich die Buchtitel nur so um die Ohren gehauen. Ein kurzweiliges Vergnügen.
Sicherlich kein gewöhnliches Gespräch, da man das aber auch weder von Lagerfeld noch Willemsen sagen kann, überrascht dies jedoch nicht wirklich. Es zeigte sich, dass dieser Audiomitschnitt viel gesucht aber nirgends gefunden werden konnte. Selbst Willemsen meinte, später noch bei Harald Schmidt in der Sendung befragt, dass er es bedauere, keinerlei Aufzeichnung davon zu haben. Nun hier ist sie. Willemsen starb im Februar 2016 mit 60 Jahren, Lagerfeld im Februar 2019 mit 85 Jahren, beide an Krebs.
Beide waren viel zu intelligent, um sich ihrer Wirkung auf die Zuhörer in jenem Rahmen nicht bewusst zu sein, man spürt aber ihre Freude und ihren Enthusiasmus im weiteren Verlauf deutlich, hier haben sich zwei Seelen gefunden, die sich gegenseitig erfreuten und pushten und ich bin sicher, sie haben sich im Jenseits für eine Fortsetzung jenseits aller Kritiker getroffen.
Gisela Elsner ist die große Außenseiterin des deutschen Literaturbetriebs: Nach ersten Erfolgen in den 1960er Jahren und Auftritten bei der legendären Gruppe 47 schrieb Elsner zwar immer weiter, doch das Publikum für diese bissige, grelle und radikallinke Literatur wuchs nicht.
Mehr und mehr zog sich Elsner aus der Öffentlichkeit zurück, immer bizarrer muteten ihre seltenen Auftritte an, bis sie 1992 in München ihrem Leben ein Ende setzte.
Einige Jahre zuvor versuchte sie literarisch noch einmal etwas Neues: Sie schrieb den Roman „Otto, der Großaktionär“, in dem sie nicht wie sonst die Perspektive der herrschende Klasse einnahm, sondern einen Arbeiter in den Mittelpunkt rückte, der immerhin ganze fünf Aktien an dem Konzern hält, für den er schuftet. Otto ist Arbeiter in einer Ungeziefervertilgungsmittelfabrik, aber er zählt sich nicht zur Arbeiterklasse, er meint der bürgerlichen Mitte anzugehören, denn schließlich fährt auch er wie seine Vorgesetzten einen Mercedes, wenn auch einen uralten, klapprigen.
Zudem hat er die liberale Ideologie – die erst später in Deutschland, in den 1980er Jahren aber bereits in Großbritannien und in Amerika propagiert wurde – völlig internalisiert: Jeder Bürger soll ein Aktionär sein, um am Erfolg der Unternehmen partizipieren zu können.
In der neuen Folge von „Wohlstand für Alle“-Literatur sprechen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt über Gisela Elsners bitterböse Satire.
Wer sich heute (noch) mit Goethe befasst, genießt für gewöhnlich den Ruf des langweiligen Spießers – und das meist, weil ein Goetheleser wohl kaum ein BILD-Leser ist, und die sind nunmal deutlich in der Überzahl.
Dabei ist Goethe ungemein spannend.
Er ist ein unglaublich starkes Stück deutscher Kultur und auf dieses Stück Deutschland dürfen wir mal so richtig vorbehaltlos einfach mal stolz sein. Einfach so.
Natürlich ist er nicht „einfach“. Nein, er bietet keine leichtverdauliche Kurzweil wie irgendein „Bestseller“ vom Bahnhofskioskgrabbeltisch, den man nach seiner Fahrt zwischen zwei (Vor-) Orten bedenkenlos und ohne schlechtes Gewissen wie eine leere Eispackung auch in die Tonne kloppen könnte. Nein, Goethe ist schwierig.
Er selbst schließlich entstammte einer kulturell spannenden Zeit und formte sie kräftig mit; vieles was er schrieb, ist bis heute von einem sehr modern anscheinenden Freiheitswillen beseelt. Im Grunde kann man ihn für einen regelrechten Freiheitskämpfer halten, er hielt große Stücke auf andere, ja konkurrierende Meinungen und kannte nur eine ultimative Forderung an sie: sie mussten begründet sein. Und somit konnte echte Freiheit für Goethe nur aus Können und Wissen entstehen; ein Gebot, dem er sich selbst Zeit seines Lebens unterworfen hatte. Er versuchte stets, alles selbst gründlich zu erlernen und auch zu beherrschen, worüber er sich eine Meinung erlaubte. Dazu rang er sich eine teilweise harte Disziplin ab und so galt für ihn, dass freie Meinung nur durch Disziplin zu erarbeiten sei. Die Verachtung Goethes als literarischem Donnergott zog sich zu, wer anders handelte und so sparte er nicht mit beißendem Spott über die, die ihn mit ihrem Unvermögen langweilten, aber fragen wir ihn selbst:
Sie peitschen den Quark, ob nicht etwa Crème daraus werden wolle.
(Zitat: „Über Kunst und Altertum, Zweites Bandes drittes Heft“, 1820)
Johann Wolfgang von Goethe zählte schon früh als etablierter Literat zur Avantgarde einer damals völlig neuen („Sturm und Drang“-) Strömung, die anarchistisch mit überkommenem Kunst- und Literaturverständnis hart ins Gericht ging. Bestehende Konventionen schubste er mühelos um und benutzte beliebte Gestalten der Poesie wie etwa altgriechische Götter ganz nach seinem Geschmack. Obschon sein Hauptwerk ein sehr hohes Maß an Vollkommenheit in der Anwendung der deutschen Sprache enthält, beherrschte er in anderen Stücken jedoch auch durchaus das damals bekannte „Gassendeutsch“, schaute dem einfachen Menschen draußen auf der Straße aufs Maul und verarbeitete diese Spracheindrücke in seinen Texten.
Er war ein regelrechter Tausendsassa, Hansdampf in allen Gassen, als Künstler unduldsamer, unruhiger Revolutionär. Wenn wir ihn uns heute als gemütlichen, aber arroganten Spießeropa in einsamer Kemenate mit ständig heruntergezogenen Mundwinkeln vorstellen, so irren wir uns gewaltig. Vielleicht erinnert ein Marcel Reich-Ranicki unserer Tage ein wenig an ihn, wenn ersterer auch das entschieden schwerere Pfund war. Immerhin war Goethe längst nicht nur als Poet, sondern auch als Wissenschaftler mit riesigem, stets produktiven und richtungsweisenden Output bekannt und anerkannt. Die einzige echte Pleite und Fehlleistung seines Lebens, die ihn allerdings bis zu seinem Tode empfindlich getroffen hatte, war seine mangelhafte „Farbenlehre“, die zum Spott seiner Zeitgenossen genüsslich auseinandergenommen worden war.
Der Verfasser dieses Textes gibt gern zu, auch in anderer Hinsicht als unsterblicher Fan Goethes zu gelten: immerhin pflegte Goethe den Verdacht gegen ihn, Muslim zu sein, selbst immer wieder zu nähren. Er hat sich allerdings mit erstaunlich starken Stücken, Worten, Handlungen, Briefen und harten Redegefechten extrem um den Islam verdient gemacht; streckenweise sind seine schriftlichen Hinterlassenschaften harsche Attacken gegen das Christentum und seine Hinwendung zum Islam gipfelt in zwei ganz besonders bemerkenswerten Punkten.
Als wieder einmal anlässlich der Veröffentlichung eines seiner Texte öffentlich darüber nachgedacht wurde, ob Goethe eigentlich überhaupt (noch) Christ sei, da schrieb er mit eigener Hand auf eine Ausgabe seines Buches: „Der Verfasser lehnt den Verdacht nicht ab, selbst Muslim zu sein.“
In einem privaten Brief, den er anlässlich einer grassierenden Krankheit in seinem Heimatort schrieb, ist die Textzeile zu finden: „Wir halten uns hier im Islam so gut es geht“
Neben Geistesakrobaten aber bediente Goehte auch den deutschsprachigen Verbalerotiker aufs Beste. Seine Wortbilder zählen ganz sicher zu dem Vollendedsten, wozu unsere Muttersprache fähig ist (Reich-Ranicki würde begeistert nicken, läse er das jetzt!). Tempo, Semantik und Geschmack finden so oft in eine Harmonie, die sich kaum erdenken lässt. So textete er zum Beispiel angesichts eines Mannes, der abends in großer Erregung nach Hause kommt:
Der Major, als er in sein Zimmer trat, fühlte sich wirklich in einer Art von Taumel, von Unsicherheit seiner selbst wie es denen geht, die schnell aus einem Zustande in den entgegengesetzten übertreten. Die Erde scheint sich für den zu bewegen, der aus dem Schiffe steigt und das Licht zittert noch im Auge dessen, der auf einmal ins Finstere tritt.
(Zitat: „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ ,1829)
Goethe hasste Ausgrenzung, er hasste Herabsetzung, er hasste Diskriminierung. Ziel seines Denkens war Zeit seines Lebens immer der Mensch, von ihm erwartete er unterschiedslos und ihm widmete er grundsätzlich sein ganzes Schaffen. Selbst kleinliches Zuordnen und Wegsortieren von Menschen konnte er nicht leiden:
Es hat mit Euch eine Beschaffenheit wie mit dem Meer, dem man unterschiedliche Namen gibt und es ist doch endlich alles gesalzenes Wasser.
(Zitat: „Zu Lebzeiten gedruckte Maximen und Reflexionen“)
Der Verfasser wirbt mit ganzem Herzen für das kantige Stück deutscher Kultur – denn Goethe verkörpert bis heute ein gutes und starkes Stück Deutschland. Er selbst warb immer für die Hinwendung zur Hochantike und für die intensive Beschäftigung damit. Seiner unerschütterlichen Auffassung nach gibt es kein Jetzt ohne das Gestern und für ihn lag eine große Gefahr darin, bereits errungene Leistungen einfach dem Vergessen zu überantworten. Sie waren oftmals moderner, aktueller als man denkt und so sollten wir uns heute mit ihm befassen.
© 2010 Echsenwut.