Mittwoch, 27.6.2012. Eifel. Das Leben ist schon etwas Wunderbares und Schönes. Sicher, es kostet Arbeit, gleicht nicht immer einer Seifenoper mit Auffanggarantie bei Sendeschluss, aber dafür kann man als Mensch eine Menge Triumphe erleben, sehen, was man leisten kann. Da zieht man hinaus in die Wildnis, rodet das Land und legt Felder an, erschließt Fischgründe, pflanzt und pflegt Obstbäume und in jeder freien Minute werkelt man an seinem Haus und bastelt an seiner Familie, damit man im Alter auf eine zufriedenstellende Lebensleistung blickt und versorgt ist. Hört sich doch schön an, oder? Selbstbestimmt, frei, sicher und geborgen dank der eigenen Leistungsbereitschaft, der planerischen Qualität und der Durchsetzungskraft des eigenen Willens hinterlässt man seinen Kindern einen Platz zum Leben, von dem aus sie sich entfalten können. Schön wär´s … doch schauen wir jetzt mal auf die Wirklichkeit, die von diesem Traumbild einer Leistung, die sich lohnt, meilenweit entfernt ist.
Wir modernen Menschen, die wir uns als Speerspitze der Zivilisation begreifen, sollen vor allen Dingen eins sein: flexibel. Wer nicht flexibel ist, sondern alt, krank oder mit Kindern am Bein verflucht, ist schneller arbeitslos als ein Apfel vom Baum fällt. Darum bauen wir ja auch immer mehr Kinderlager für Kleinstkinder, um diese Bürde, Schande und Last von den Schultern der Eltern zu nehmen. Wir arbeiten nicht so hart wie der Mann auf dem Acker – in Wirklichkeit sind die meisten Jobs in Deutschland weit entfernt von dem, was man vor hundert Jahren noch Arbeit genannt hätte, die meisten sitzen sicher und trocken in irgendwelchen Büros und versehen „Dienstleistungen“ und bekommen dafür Ansprüche auf kleine bedruckte Papierscheine, die man augenblicklich noch an vielen Orten gegen vielerlei überflüssige und erstaunlich billig produzierte Waren eintauschen kann.
Das machen wir, bis wir 40 – 50 Jahre alt sind, dann entsprechen die meisten von uns einfach schon äußerlich nicht mehr dem Ideal vom jungen, gut ausgebildeten, hochmotivierten und komplett ungebundenen „High Potential“ – möglicherweise kommt auch der eine oder andere von sich aus auf die Idee, das nicht mehr viele Jahre übrig bleiben, um mal das eigenen Leben zu leben, und nicht nur das, was einem von Werbung, Chef und Nachbarn vorgeschrieben wird … könnte ja sein, das jenseits der lückenlos durchstrukturierten Norm ganz tolle Erlebnisse auf einen warten, die man mit Geld nicht kaufen kann.
Spätestens jenseits der fünfzig merken wir, das sich unserer Gesundheit nicht mehr mit den Anforderungen des modernen Arbeitslebens in Einklang bringen läßt – wir waren letztes Jahr schon vier Tage krank geschrieben und dieses Jahr droht gar eine OP – das lässt sich mit den legitimen Interessen der Kapitalgeber nicht länger vereinbaren. Wir sind im gleichen Alter wir der primitive Siedler, aber was haben wir vorzuweisen?
Wir haben viel Zeit investiert in das, was im modernen Leben Arbeit genannt wird (soviel Zeit wie der Siedler, kann man annehmen) – aber wo sind unsere bleibenden Werte, die wir mit dieser Arbeit geschaffen haben? Das Weizenfeld, die Obstwiese, die Rinderzucht, der Schweinestall, die Fischfarm – jene Dinge, die uns im Alter absichern und unseren Kindern Zukunft geben sollten? Wenn wir Glück haben, gehört uns ein kleiner Handwerksbetrieb, der jederzeit dicht vor dem Bankrott steht, wenn die Auftragslage sich mal ändert …. oder ein Großkonzern mit (ergaunerten) Bankengeldern McElektric und McMetzger hochzieht, um bundesweit flächendeckend den gleichen Standard zu besseren Preisen bieten zu können.
Auf jeden Fall haben wir am Ende unserer Arbeitskraft eins vorzuweisen: Ansprüche. Riesenansprüche. Angesichts dieser Ansprüche ist es verwunderlich, das sich aus dieser „bürgerlichen“ Schicht klagende Stimmen gegen Sozialhilfeempfänger erheben, deren Ansprüche dergestalt sind, das sie nicht nackt und hungrig unter einer Brücke landen möchten, weil der Kapitalismus so erfolgreich am Wohlstand aller gearbeitet hat … ja, das Sozialhilfe nur die Minderleistung und das Versagen des Kapitalismus ausgleicht wird heute nicht mehr erwähnt – er ist Selbstzweck geworden. Bevor wir aber wieder zu der Erkenntnis kommen, das wir alle nur noch für die Rendite kriminellen Kapitals auf Offshore-Konten arbeiten, bleiben wir lieber bei unserem Siedler, der dummerweise in die Stadt gezogen ist und in der Mitte seines Lebens merkt, das er den Anforderungsprofilen nicht mehr gewachsen ist: der ideale Arbeitnehmer hat keine Familie, keine Hobbys, keine Freizeit, kein eigenes Leben und wird vor allem nicht alt oder krank. Er lebt und stirbt für die Firma, die seine Heimat ist – und wenn er selbst ungesund für die Firma wird, geht er gerne und freiwillig … im Idealfall löscht er sich einfach selber aus, um der Firma nicht weiter zur Last zu fallen.
Dort draußen, jenseits der Firma, merkt er dann, wofür er wirklich gearbeitet hat: für NICHTS. Sicher, er hat Ansprüche auf kleine bedruckte Papierchen, die die Druckereien gerade in großen Mengen produzieren. Je nach Zuteilungsquote werden die Ansprüche auf diese Papierchen eingeschränkt … das es weltweit viel mehr Ansprüche als reales Geld gibt, merkt man erst später. Viele Menschen haben diese Ansprüche – die größten davon nennen sich RENTE, andere nennen sich KAPITAL. Klar ist – wenn alle ihre kleine bedruckten Papierchen von der Bank holen würden, gäbe es gar nicht genug davon. Das weiß man – aber denkt nicht gleichzeitig daran, was das für den Wert unserer Ansprüche bedeutet: sie unterscheiden sich in Nichts – aber auch in gar nichts – von den Ansprüchen jedes Sozialhilfeempfängers dieses Kontinents. Klar: wir fühlen uns sicher in unseren Ansprüchen, weil es Gesetze gibt – und übersehen dabei, das die Arbeitslosen sich ehedem auch wegen dieser Gesetze sicher fühlten.
Dann waren die Gesetze von heute auf morgen anders – der Arbeitslose musste seine von der versagenden Wirtschaft, dem zusammenbrechenden Kapitalismus und der Globalisierung verschuldeten Arbeitslosigkeit mit seinem mühsam angespartem Kapital selbst finanzieren, man nannte das HARTZ IV – nach einem verurteilten Verbrecher und Kanzlerfreund.
Ja – das geht heute: Verbrecher schreiben Gesetze.
Vielleicht wähnen wir uns noch sicher, weil wir ein eigenes Haus haben – oder eine eigene Wohnung. Sagte ich nicht, das Flexibilität unsere größte Stärke ist? Wie stark ist man mit einem Haus am Bein? Das merken gerade immer mehr Menschen in Deutschland, die die Löcher in den Haushalten ihrer Gemeinden stopfen müssen: gerade der Häuslebauer ist hier ein idealer Kandidat für die Kassenwarte der Gemeinde: er kann nicht weg.
Während die städtischen Leistungen schrumpfen (z.B. Oberhausen und Duisburg, siehe Welt), werden immer mehr Kosten und Arbeiten auf die Bürger umgelegt: Kanalsanierung, Straßenreparatur, Winterdienst – in zunehmenden Maße überlässt uns der Kapitalismus unserem Schicksal und bürdet uns die Schuld für sein Versagen auf: das „grausame Endspiel“ (siehe Zeit) beginnt, die großen Systeme kollabieren, weil allein ihre Größe schon unnatürlich und ungesund war: Leonard Kohr (siehe Zeit) hat recht behalten.
Und was haben wir als Waffe gegen dieses System?
Unsere Ansprüche – erbärmlicherweise.
Lange Zeit haben wir uns in diesen Ansprüchen gesuhlt – und ganz vergessen, das es immer jemanden gab, der uns die Leistungen zugesprochen hat. Kein Arzt erwirtschaftet wirklich eine Million Euro im Jahr (in Marokko verkaufen die Potenzmittel auf dem Wochenmarkt, um zu überleben … nur mal als Beispiel erwähnt) – es gibt jemandem, der ihm das zuteilt, für Boni und Gehälter gilt genau das gleiche wie für Sozialhilfesätze. Wir alle – wirklich ALLE – sind so autark wie jeder beliebige Sozialfall in Deutschland – der Kapitalismus hat uns alle zu Sozialfällen gemacht … nur erlauben sich manche noch wirklich Ansprüche, die über jedes vernünftige und bezahlbares Maß hinaus gehen. Manche merken es – andere schauen noch gar nicht ins Internet (siehe Welt) und genießen lieber weiter die Erfolgsparolen eines sterbenden Wirtschaftssystems. Viele bekommen noch immense Ansprüche genehmigt, um den Sterbeprozess hinauszuzögern oder zu vertuschen – die Medienmillionäre des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und des privaten Nutzviehfunks könnten ein Lied davon singen, wie man mit der gezielten Bespaßung des Volkes superreich werden kann … ich glaube aber, die reden nicht gerne darüber.
Wäre zu blöd, wenn die hart arbeitende Bevölkerung merken würde, das sie am Ende ihres Schaffens keine Werte besitzen, sondern nur Ansprüche … Ansprüche, über die die Kapitaleigner nur lachen und deren Wert die EZB durch heiß laufende Druckpresse beständig weiter gegen Null laufen lässt.
Auf gut Deutsch: wenn der nächste Verbrecher Gesetze schreibt, die die Auszahlung der Rente um 90% kürzen (weil man gemerkt hat, das Rentner auch nur Arbeitslose sind – zudem auch noch ziemlich alte), gleichzeitig aber die Grundsteuern um 1000 % erhöht werden, dann … wird man merken, das die ganze Arbeit, die man sich im Leben gemacht hat, wirklich keinen Sinn hatte. Die wirklichen Werte sind im System des Kapitalismus woanders gelandet – uns bleiben nur Ansprüche und Schulden – weshalb beispielsweise Strom für uns im Alter ein sehr kostbares und rares Gut werden wird: schon jetzt können 800 000 Deutsche ihre Rechnungen nicht bezahlen, siehe Welt.
Anstatt das wir am Ende unseres Lebens auf den erwirtschafteten Reichtum zurückblicken, blicken wir auf ein langes Leben völlig sinnloser Arbeit zurück, sinnlos deshalb, weil sie für uns und unsere Kinder keine Werte geschaffen hat. Genauso gut hätten wir unsere Zeit damit verbringen können, Rilke-Gedichte unter Autobahnbrücken zu rezitieren. Noch können wir uns leisen Spott auf Bauer Gottfried leisten (siehe Welt), jenen Menschen, der versucht, frei und ökologisch sinnvoll (völlig jenseits der romantischen grünen Hochpreisvariante das Öko-Spaßspießertums) sein Leben zu gestalten oder insgeheim von einem solchen Aussteigerleben träumen – bald jedoch werden wir merken, das auch diese kleinen Fluchten geschlossen werden.
In den USA ist es schon soweit: öffentliche Parks werden versteigert, die Zugänge durch Preise limitiert, siehe WSWS. Die Zeit, in der Bauer Gottfried aufgrund immenser Steuerschulden sein Grund und Boden an McDonalds verkaufen muss, rückt näher. Dann darf er mit uns anderen Globalisierungsleichen zusammen in den zerfallenden Großstädten leben, während die Funktionselite des Kapitalismus noch ein wenig Natur schnuppern darf – es sei denn, sie werden alt, krank oder gründen eine Familie.
Zu dunkel, diese Zukunft?
Was verbirgt sich denn sonst hinter den Plänen der Privatisierung von Staatseigentum … was nichts anderes ist als ein groß angelegter Raubzug auf das Volksvermögen, ein Raubzug, der augenblicklich in Italien für großen Unmut sorgt (siehe Welt) und wohl letztlich dazu führt, das wir Deutschen den Urlaub im Ausland vergessen können, weil wir – mal wieder – zu den meistgehassten Subjekten des Kontinents gehören (siehe George Soros im Spiegel).
Und was macht die Politik in diesen Zeiten, in denen wir als Gemeinschaft vor historischen Herausforderungen stehen?
Sie erlaubt sich, hart durchzugreifen um das Übel bei der Wurzel zu packen, siehe Spiegel:
Die neue nordrhein-westfälische Landtagspräsidentin Corinna Gödecke (SPD) etwa kritisierte jüngst das modische Niveau der Abgeordneten. Unangemessene Bekleidung war der Präsidentin offenbar in den ersten beiden Sitzungen des neuen Landtags unter die Augen gekommen.
Schön zu sehen, das unsere Politiker den Dresscode der Lumpenelite für bedeutsamer hält als die Freiheit des Bürgers – und ein schönes Beispiel für die unglaubliche Dekadenz unserer politischen Kultur. Noch eins? Der Spiegel hat noch mehr davon:
Auch in Berlin sorgten die Piraten mit einem Stilbruch für Aufsehen, wie die Boulevardzeitung „BZ“ berichtet. Demnach zeigte der 31-jährige Abgeordnete Fabio Reinhardt in einer Sondersitzung des Innenausschusses am Freitag ziemlich viel Bein: Er erschien zur Sitzung in beigefarbenen Shorts. Prompt fing er sich der Zeitung zufolge eine Beschwerde von SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber ein. „Seitdem die Piraten da sind, verfallen die optischen Sitten, das ist unwürdig“, sagte er.
Was „optische Sitten“ sind, erschließt sich wohl nur weltfremden Parlamentariern, die einen Kunstbegriff schaffen müssen, um zu begründen, was sie wirklich tun: sie wollen, das auch die Neuparlamentarier optisch einen Schulterschluss mit den steuerfinanzierten Objekten des Lobbyismus vollziehen und so dem Bürger demonstrieren, das er wählen kann, was er will: es kommen immer nur neue Lumpen dabei heraus – Lumpen in feiner Seide.
Wäre schlimm, wenn der Mensch auf die Idee käme, das seine Arbeit wieder Sinn machen, Leistung wieder Anerkennung finden und Werte anstatt Ansprüche schaffen sollte und das die Staatsgewalt wieder vom Volke ausgehen muss, weil man sonst mit tödlicher Sicherheit aufgrund eines komplett versagenden kapitalistischen Systems in die Altersarmut rutscht und zu einer Gesellschaft wird, die ihre Frauen an reiche Chinesen verschachert, weil die Frauen brauchen (siehe Welt) und wir sonst nichts mehr haben, was die nicht selber billiger bauen können.
Am Ende unseres kapitalistischen Weges werden wir zu einem europäischen Thailand – mit perfekt gekleideten Politikern, deren luxuriöses Dressing sich nur noch durch Rekordschulden halten lässt.
Ach ja, ich biete eine Kiste Bier für die Rechte an einem Bild von Lady Wagenknecht mit offenen Haaren.
Ich würde gerne mal „unter den Tisch“ gucken. Dorthin, wo alles gekehrt wird, was nicht paßt. Ich denke, dort wird man ein kleines Wunder erleben: ganz ganz viele Dinge auf ganz wenig Platz. Zum Beispiel die Tatsache, das es eine ganze Reihe von blutrünstigen Diktatoren in der Welt gibt, denen wir unsere Arbeitsplätze verdanken, das unser Kaffee mit Kinderblut gedüngt wird sowie eigentlich unser ganzer Lebensstil von der Ausbeutung von Frauen und Kindern abhängt, genau wie vor einhunderfünfzig Jahren. Nur wohnen die inzwischen so weit weg, das ihr Elend uns nicht mehr täglich in die parfümierte Nase steigt.
Was ganz neu unter dem Tisch zu finden ist – neben Kunduz, dem Verlust des Afghanistankrieges oder den sinkenden Aufträgen der deutschen Industrie ist … der Amoklauf von Winnenden.
Amokläufe sind neu für uns, Amokläufe in Schulen erst recht. In den USA sind sie schon seit langem fester Bestandteil der Kultur, gehören dazu wie der zerquetschte Industriearbeiter oder das zerfetzte Unfallopfer. Das ist halt der Preis, den man für eine bestimmte Kultur zahlen muß.
Wir kannten so etwas vorher nicht. Dann kamen McDonalds, Privatfernsehen, Hartz IV und … Amokläufe. Alles Erscheinungen, die in einem direkten Zusammenhang stehen, weil sie eine Kultur repräsentieren, die den „Lebensberechtigungsschein“ nur noch gegen Höchstleistung an Menschen unter vierzig vergibt. Wer nicht mithalten kann, kriegt die Bürgerrechte beschnitten.
In dieser Kultur wachsen Kinder auf.
„Ich reiße Dir ein Auge ´raus und zwinge es Dich zu essen, während Du mit dem anderen Auge zuschaust“. Ein Filmzitat von gestern. Zombie 4? Nein, Scooby Doo 2, Altersfreigabe ab 6 Jahren. Über Tom und Jerry möchte ich gar kein Wort mehr verlieren, der brutale Krieg zwischen Katze und Maus (Altersfreigabe: ab 6 Jahren) hat schon genug pädagogische Kommentare bekommen.
Es ist eine gigantische Industrie, die derartige Machwerke mir äußerster psychologischer Raffinesse auf ihr Publikum zuschneidet – so wurde aus Disney ein Weltkonzern, der bestimmt, was Unterhaltung ist – und noch viel mehr, was gesellschaftliche Mindestwohlstandsnorm zu sein hat: ohne eigenes Haus, eigenes Auto und Spitzenjob kommt man kaum als Filmfamilie auf die Leinwand.
Im Inneren ist diese Kultur hohl und leer … doch das wird nicht gezeigt. Auch das findet man nur unter den Tischen, wie heute in der Zeit:
Eine Gallup-Studie aus dem Jahr 2010 belegt, dass nur elf Prozent der deutschen Beschäftigten engagiert arbeiten. Ganze 66 Prozent spüren ihrem Arbeitgeber gegenüber keine Verpflichtung und machen Dienst nach Vorschrift.
89 Prozent der deutschen Beschäftigen machen eine miesen Job – aber sind dabei total gut drauf, weil das eben total „in“ ist und man sich die Beschallung durch den Motivationscoach ersparen möchte, der häufig das Niveau des Nachtmittagsfernsehens nur mit Mühe erreicht.
Und so … macht sich langsam eine Spaltung im deutschen Leben breit: man jubelt die dunkle Wirklichkeit weg, anstatt sie fortzujagen. Dabei wäre es einfach gewesen, nun eine Chance wahrzunehmen, die selten kommt: die Chance zur Umkehr. Die Chance, zu erkennen, das wir gezielt in eine narzistische Gesellschaft hineingetrieben werden, deren Straßen mit Leichen gepflastert sein werden. Narzisitische Gesellschaft? Findet man sogar schon bei Wikipedia:
Auf der kulturellen Ebene werden in einer narzisstischen Gesellschaft Werte des Eigennutzes propagiert unter Vernachlässigung von Werten des Gemeinnutzes. Die in dieser narzisstischen Kultur lebenden Menschen brauchen eine willentliche Entscheidung oder alternative Vorbilder, um nach Werten zu handeln, die nicht im Rahmen gesellschaftlich akzeptierter Verhaltensnormen und Werte liegen. Sie müssen dann oft auf Privilegien verzichten.
Eine komplexe Formulierung, die man auch anders ausdrücken kann: die Helden einer narzistischen Kultur sind arm, müssen arm sein und arm bleiben. Das ist der Preis, den man für Gemeinnutz zahlen muß. Man kann ihn aber auch gut zahlen, wenn man weiß, das Kinderblut an all den bunten Waren klebt.
Wer will, kann auch den kulturellen Selbsttest machen und die Diagnosekriterien mit der Selbstdarstellung unserer Kultur in den Medien vergleichen … Wetten Dass … man fündig wird?
(Anmerkung des Übersetzers: Die folgende Auflistung entspricht im englischen Original (bis auf allergeringste Abweichungen) wörtlich dem entsprechenden Text der DSM-IV.)
Die gesamte Agenda 2010, die gesamte Berliner Sozialpolitik findet sich in diesen Vorraussetzungen wieder und unsere ganze Kultur wird in diese Richtung gepreßt, eine Richtung, wo auf einmal wieder – wie schon in der Steinzeit – nur noch der Fitteste überleben kann.
Wo da der Fortschritt sein soll, erschließt sich mir noch nicht so ganz.
Einer der Amokläufe kommt ja gerade nochmal in den Medien hoch. Das hätte eine Chance werden können. 89 % der Deutschen finden das System und seine Entwicklungen mies. Jetzt hat es nochmal Tote gegeben – und die Täter kommen gerade aus dem Kreise jener Menschen, die „alles richtig gemacht haben“, wie die Welt zitiert:
Amoktäter kommen häufig aus Elternhäusern, die unauffällig wirken. „Es sind in keiner Weise ‚broken homes‘, sondern kleinbürgerliche Elternhäuser oder Mittelschichtfamilien, in denen ein gemeinsames Familienleben mit geregelten Mahlzeiten und Sorge um das Wohlergehen des Kindes festzustellen ist“, schreibt die Gießener Strafrechtlerin Britta Bannenberg im Buch „Amok“.
Und man findet auch noch eine gemeinsame Ursache:
Neuere Untersuchungen zeigen, dass es bei jugendlichen Tätern tatsächlich viele Parallelen gibt. Praktisch alle litten unter einer narzisstischen Störung.
Da produzieren angepaßte Eltern in einer narzistischen Kultur Kinder narzistische Störungen bekommen. Wo ist da das Wunder, wo kann man da Staunen?
Eher gibt es etwas zu fürchten, weil man damit rechnen muß, das der Amokläufer ein Standardmodell des Deutschen Alltags wird. Jeder weiß es. Wir laufen offenen Auges ins Messer, produzieren eine selbstzerstörerische asoziale Leistungsgesellschaft … und tun dann so, als kämen die Amokläufer vom Mars. Es geht ja noch weiter:
Auffällig war das Verhältnis zum Vater. In einigen Familien wird er als eher abwesend beschrieben. Die Folge ist laut Psychologen ein gestörtes Männlichkeitsbild.
Der Vater will halt kein Hartz IV und arbeitet die karrierefreundliche 60-Stunden-Woche. Ein wahrer hochgelobter Leistungsträger, der alles richtig macht … bis er merkt, das es zu spät ist. Dann merkt man, das Adorno recht hatte: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Manchmal ist Hartz IV der richtige Weg, um seine Kinder vom Amoklauf abzuhalten und ein anderes Leben zu leben. Anstelle von „Ich bin arbeitslos“ könnte man auch sagen: „Ich arbeite im Amokschutzprogramm“ …. oder im Widerstand gegen eine Kultur, die mit Vollgas in die Hölle rauscht.
Warum das Amokschutzprogramm finanziell so gering ausgestattet wird … sollte man die Politik fragen. Die werden immerhin dafür bezahlt, eine Kultur zu erhalten, in der Frieden herrscht und wo man sich als Lehrer nicht vor den Schülern fürchten muß. Aber offensichtlich verrichten die ihre Arbeit wie 89 % der anderen Deutschen: Dienst nach Vorschrift. Pflichtübungen. Die Kür bezahlt dann der Lobbyist für ein gewisses … geringes … Entgegenkommen.
Die Chance ist verpaßt, man hat wieder den bequemen Weg genommen: der Vater wars. Der hatte die Waffe nicht weggeschlossen. Wären als Mordwerkzeuge Molotowcoctails mit Muttis Milchflaschen benutzt worden, wäre es halt Mutti gewesen. Mutti und der Narzissmus … ist für Analytiker ein bequemes Thema.
Das Kinder auch Produkte der Umwelt sind … ist eine Erkenntnis, die schon lange unterm Tisch bei den anderen unbequemen Wahrheiten liegt.
Also wird es weiter knallen. Zwei Tage – so das Gerücht in der Eifel – brauchen Jugendlich mitlerweile, um sich eine Waffe zu besorgen. Der Vertrieb läuft über die normalen Drogenkanäle – jene Kanäle, aus denen auch das Kokain für die Prominenz kommt.
Ich erzähle nicht gern aus meinem Berufsleben. Anfangs dachte ich: „wow – Blogger. Da kannst Du die häßlichen Interna jetzt mal ins Netz stellen.“
Mitlerweile … habe ich mich wieder eingearbeitet in die politischen Wirklichkeiten, meine langjährige Medienabstinenz zurückgefahren und bin in einer Wirklichkeit gelandet, die schlimmer ist, als ich sie mir vorgestellt habe.
Wenn ich sehe, wie wir in den siebziger Jahren mit Konflikten umgegangen sind und was wir heute tun … wir degenerieren in einem unglaublichem Tempo. Wie alle denegenierenden Kulturen gibt es für uns dann allerdings nur ein Ende: das Dicke. Es scheint, als könnten wir uns nur noch die Art des Endes aussuchen.
Früher gab es Friedens- und Konfliktforscher, man hatte aus dem zweiten Weltkrieg, dem Koreakrieg und dem Vietnamkrieg heilsame Lehren gezogen – und wenn es irgendwo krachte, dann schaute man, das man die Ursachen der Spannungen beseitigte und nicht versuchte, die Kontrahenten auszulöschen.
Heutzutage schickt man wieder Panzerhaubitzen anstatt Konfliktforscher, fährt die Entwicklungshilfe zurück und erhöht die Waffenproduktion … Wahnsinn ersetzt weltweit politische Vernunft. Was sollen da die Veröffentlichungen der kleinen Abscheulichkeiten der Pharmaindustrie auf Kosten der Beitragszahler noch verändern? Sie verunsichern nur zusätzlich den Alltag des „kleinen Mannes“, der von der Lumpenelite schon längst nur noch als Nutzvieh angesehen wird, das beschäftigt werden muß, dessen Tag Struktur braucht damit es nicht auf die Straße macht.
Aber nun … gibt es wieder mal einen kleinen Einblick in die Welt, die für mich mal Alltag war.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,688162,00.html#ref=top
Die Hälfte des deutschen Top-Managements stammt aus den reichsten Familien des Landes – und benimmt sich auch so. Dabei zeigt die Bankenkrise, dass jeder Imbissbudenbesitzer den Job genauso gut machen könnte. Wenn die Unternehmen fairer arbeiten wollen, brauchen sie eine Kulturrevolution.
In der Welt dieser Leute ist vor allem eins wichtig: das Schuhwerk. Ob man dazugehört oder nicht, hängt davon ab, wieviel man für Schuhe ausgibt. Wer hunderte von Euro für italienische Maßschuhe ausgibt, der zeigt seinen unbeugsamen Willen. Wer bei Deichmann einkauft, gilt als Verräter, der sich eingeschlichen hat, um Geld für seine Familie beiseite zu schaffen.
Es scheint Wahnsinn zu sein – aber der gleiche Wahnsinn macht sich ja auch in der Politik breit. Wahnsinn … und eine unglaubliche Asozialität.
Es sind die kleinen Gesten, die unbedachten Äußerungen, an denen man den deutschen Spitzenmanager erkennt: Das kurze Zögern, wenn ihm der Name der Mitarbeiterin nicht einfällt, die seit Jahren für ihn schuftet; der abschätzige Blick auf die etwas zu billige Krawatte des Referenten, der dessen Karriere beendet; der Ausruf „Oh, noch keiner da!“, wenn er den Konferenzsaal betritt – in dem bereits die Vorstandsassistentin sitzt.
Dort, wo Menschen noch Menschen sind – z.B. in jeder beliebigen Duisburger Eckkneipe – hätte so ein arroganter Schnösel sofort was auf die Knabberleiste bekommen. Aus rein erzieherischen Gründen. In der Welt des Wahns jedoch … machen solche Häßlichkeiten Karriere – wegen der Schuhe.
An den Schuhen erkennt man sich und danach vergibt man Pöstchen.
Es ist dieses „Wer-kennt-wen?“-Prinzip, nach dem die Führungs-Posten vergeben werden. Es ist dieser Wortnebel aus „Verschlankung“ und „Freisetzung“, mit der Entlassungen von „Kostenfaktoren“ begründet werden, als habe man sich einer ansteckenden adipösen Krankheit entledigen müssen.
Es ist schier unglaublich, wie lange sich absolut unfähige Nullen in Führungspositionen halten können, wieviele Firmen sie ruinieren dürfen, bis sie endlich … in Rente gehen. Sie fallen nie nach unten – wenn sie eine gewisse Höhe erreicht haben und sich zu den Schuhen auch noch den passenden Maßanzug leisten können.
Hier haben wir die Wurzel aller Krisen, aller Unkultur und allen Wahns. Sie ist genau benennbar und wäre leicht zu beheben – wenn man nur wollen würde. Ob nun Agenda 2010, Medienlügen, Wählerverachtung … alles krankt daran, das „oben“ ein paar Kleiderpuppen sind, die sich in der Kleiderpuppenallianz zusammengeschlossen haben und sie gegen die echte Leistungselite mit Händen und Füßen verteidigen, so wie sich die Bischöfe der Kirche gegen kritische Theologen wie Eugen Drewermann verteidigen.
Ihr Antrieb kommt aus der sicheren Erkenntnis ihrer persönlichen Unfähigkeit heraus, darum haben sie die sichere Beherrschung des „Dresscodes“ als einziges zulässiges Elitekennzeichen gesetzt. Kaum zu glauben, aber wahr … ich habe diese Menschen selbst erlebt. Jeder Pommesbudenbesitzer könnte ihren Job machen, aber kein Pommesbudenbesitzer würde den Job mit dieser Arroganz und Verachtung ausfüllen. Bräuchte er auch nicht, weil er Leistung bringen kann und selbstbewußt ist. Die Lumpenelite weiß über sich selbst nur eins: ohne Papas Geld und das Erbe der Generationen währen wir verhartzt auf Lebenszeit.
Darum pflegen sie ein gewisses Weltbild, das sie quasi heilig spricht:
‚“Es gibt Menschen, die sind oben; das sind Gewinner. Und Menschen, die sind unten; die Verlierer.“ Und wenn man sich weigert, das zu akzeptieren? „Dann“, sagte der Coach, „heißt es schnell EDEKA: Ende der Karriere.“
Die „Verachtungskultur von oben“, die eine Direktorin von Siemens einmal in einer Podiumsdiskussion beklagte, kommt „unten“ an. Neun von zehn deutschen Arbeitnehmern fühlen sich laut einer Gallup-Umfrage emotional mit ihrer Firma nicht verbunden, sieben von zehn beklagen, am Arbeitsplatz „nicht als Mensch“ behandelt zu werden.
Die „Verlierer“, für die schnell „Edeka“ ist, sind dann die, die im Ausland mit innovativen Produkten Karriere machen. Günter Ogger hat in „Nieten in Nadelstreifen“ das Thema schon 1995 zur Sprache gebracht -genutzt hat es nichts. Ich las das Buch während einer Nietentagung und dachte mir: „gut, das dieses Land so reich ist. Sonst könnten wir uns diese intellektuellen Schimpansen nicht leisten“. Beliebt war bei den Herren, die mich umgaben, der Autoaufkleber: „Eure Armut kotzt mich an“. Wer sich sowas leistete, bekam auch mehr Boni, weil er das System verstanden hatte, während Geisteswissenschaftler unter dem beständigen Verdacht standen, sie würden heimlich Bücher lesen und sich Bildung aneignen. Wer braucht schon so etwas?
Man kann es weder oft genug noch deutlich genug sagen: dort sitzt die Keimzelle der Krankheit, die dieses Land befallen hat. Nicht nur die Raffgier der Superreichen ist es, die unseren Untergang besiegeln wird, sondern die Tatsache, das sie ihre verzogenen soziopathischen Schnösel auch noch mit aller Gewalt in Wirtschaft, Partei und Politik mit Pöstchen versorgen möchte.
Wäre das nicht so … wären wir wirtschaftlich die Nummer eins. Weltweit. Hightech käme aus Deutschland, nicht aus Japan oder den USA. Armut, Arbeitslosigkeit, Altersarmut wären Horrormärchen in Geschichtsbüchern. So jedoch … leben wir im Horror.
Wenn wir in der Wirtschaft wirklich etwas bewegen wollen, brauchen wir eine Kulturrevolution auch innerhalb der Unternehmen. Wir sollten uns nicht länger dem Menschenbild selbstherrlicher „Leistungsträger“ unterwerfen, die Mitarbeiter unterhalb bestimmter Gehaltsgrenzen als Dispositionsmasse betrachten, und ihren Hass gegen die „Verlierer“ immer unverhüllter auch in die politische Sphäre einbringen. Wir sollten zeigen, dass wir auch anders können. Und besser.
Und dieser Haß wird geprägt durch das sichere Wissen um die eigene Inkompetenz, denn dieses Wissen macht Angst. Diese Angst fordert sichere Grenzen, starre Strukturen, viel Kokain und Alkohol, sonst frißt sie einen auf….und so breitet sich die Kultur der Angst von den Führungsetagen der mächtigsten Institutionen des Landes auf das ganze Land aus. Und darum ist es eine Kulturrevolution, die Änderungen bringen kann. Eine politische Revolution … ändert nur den Inhalt der Kleiderpuppen.
Und so einfach kann es anfangen: die Werte umwerten und nicht mehr Kleiderpuppen als Leistungsträger ansehen.
Jeder Popanz kann sich an das Steuer eines Schiffes stellen, aber nur ein selbstbewußter „Leistungsträger“ rammt den Eisberg. Und so gibt´s dann wieder Erwarten doch noch mal Wirtschaftskrise.