Eine Gruppe von Abgeordneten der Grünen fordert in einem Positionspapier eine Änderung des Grundgesetzes und die Schaffung eines neuen Ministeriums. Das GG soll um einen Satz ergänzt werden: „Der Staat gewährleistet Schutz gegen jedwede gruppenbezogene Verletzung der gleichen Würde aller Menschen und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Klingt doch beim ersten Lesen gut, wo ist das Problem? Das Grundgesetz und die abendländische Rechtstradition setzen die Würde und Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt. Mit der geplanten Änderung würden sich die Gewichte hin zu mehr Kollektivismus im Sinne progressiver, amerikanischer Auslegung verschieben. Es drohen mehr Bürokratie und eine Prozessflut.
Mehr Demokratie wagen?
Nach der #Finanzkrise 2008 waren Karl Marx und sein Hauptwerk, das #Kapital, wieder in aller Munde. Doch weniger Aufmerksamkeit erhielt seine Klassenanalyse, die nach der Zähmung des Kapitalismus‘ im 20. Jahrhundert lange überholt schien. In der neuen Folge von „Wohlstand für Alle“ erklären Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt, wieso das Marx’sche #Klassenparadigma auch heute von Bedeutung ist – und wieso Kritik an ihm dennoch berechtigt ist.
Wer das Privatfernsehen einschaltet oder die größte deutsche Boulevardzeitung aufschlägt, kann täglich erleben, wie Arbeitslose angefeindet und verächtlich gemacht werden. Gern wird dabei so getan, als sei jeder Arbeitslose selbst dafür verantwortlich, dass er keine Arbeit findet. Und Politiker sind immer besonders stolz, wenn die #Arbeitslosenquote gerade besonders niedrig ist.
Dabei werden gern Statistiken geschönt, indem man einige Bürger ohne Arbeit einfach nicht als „arbeitslos“ auflistet. Auch springt durch #HartzIV der Staat in die Bresche, um Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor zu subventionieren. Überdies ist Vollbeschäftigung ohnehin eine schöne Illusion und entspricht im #Kapitalismus der Realität.
Dazu passt dieser Podcast:
„Sie haben die Finanzmärkte völlig dereguliert. Und es ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben organisiert worden. Und das ist die Hauptursache für die Banken- und Finanzkrise und damit auch für die hohen Staatsschulden. Sie retten keine Arbeitnehmerin und keinen Arbeitnehmer, aber jede Bank und jeden Hedgefonds retten Sie“
Ui, diesmal redet er ja mal nicht in Warp-Geschwindigkeit. Nicht nur deshalb hörenswert. Würde ich gerne mal von Gernod Hassknecht hören. Aber ich befürchte daß weder seine Puste noch sein Herz durchhält.
Natürlich distanzieren wir uns aufs Ausdrücklichste von diesem Machwerk „alternativen“ Journalismus. Oder doch nicht.
Ist es nicht schrecklich geworden, das Leben?
Im Schweiß gebadet wacht man am Morgen auf und ist erleichtert dass all die schrecklichen Dinge, welche uns den Schlaf raubten, nur ein Traum war und schon wird uns bei beim lesen und hören von Nachrichten die Keule der Angst über den Schädel gezogen. Angst, dass ist was unser Leben immer mehr bestimmt. Angst vor den Verlust der Arbeit, vor den sozialen Abstieg, vor der finanziellen Pleite.
Als würde das nicht reichen, kommt noch die Angst um den Euro hinzu. Und wer ist Schuld ? In Deutschland ist der Schuldige überschaubar, da kommt nur die „bildungsferne Unterschicht“ und „schmarotzende Hartz IV Empfänger“ in Frage, welche die Haushalte belasten und somit sich hemmend auf die Gier von Wirtschaft und Banken auswirken. Für die Angst um den Euro, sind natürlich die „faulen Griechen“ verantwortlich zu machen. Vorerst !
Als Alternative werden auch schon mal die Italiener, Portugiesen und Spanier genannt, immer gut wenn man mehrere Sündenböcke zur Auswahl hat.
„Der kalte Krieg ist zurück, es herrscht Klassenkampf“, zwischen den Mächtigen von Politik, Wirtschaft und Banken auf der einen Seite und den Pöbel, den Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite. Wie alle „Kriege, so ist auch dieser Krieg“ ein ungerechter und von Waffengleichheit kann auch keine Rede sein.
Die Mächtigen von Politik, Wirtschaft und Banken haben erfolgreich den „Sozialabbau als Massenvernichtungswaffe mit Codenamen Finanzmärkte“, Europaweit eingesetzt, welches sich als sehr effektiv herausgestellt hat, denn der Gegner kämpft mit leeren Mägen und Hoffnungslosigkeit eben nur mit halber Kraft. Um sicherzustellen, das dies auch so bleibt, kommen Armeen, von „psychologischen, politischer Meinungsmacher und Brandstifter“ zum Einsatz, welche soziale Gerechtigkeit als Gefahr für die Menschheit darstellen und Proteste für unsäglich lächerlich halten.
Da bleibt uns nur noch Eines !
„Wir müssen Krieg führen“, unbedingt und zwar schnell. Und um effektiv den „Krieg“ gewinnen zu können, brauchen wir eben die neue „Bombe“.
Der Sprengstoff der „Bombe“ muss die Würde des Menschen enthalten, Kampf gegen Hunger und Ausbeutung, Kampf gegen grenzenlose Gier, gegen Spekulanten, gegen Machtgeilheit der Politik. Und deshalb brauchen wir diese neue „Bombe“ und zwar die „Bombe für soziale Gerechtigkeit“.
Wir brauchen kein Flugzeug, keine Rakete oder sonstiges militärisches Gerät um die „Bombe für soziale Gerechtigkeit“ abzuwerfen, wir die Völker Europas halten selbst die Macht in den Händen um die „Bombe für soziale Gerechtigkeit“ zu zünden, wir brauchen den Aufstand der Anständigen, um diesen „Krieg“ gewinnen zu können. Das Schlachtfeld ist die Straße, denn die Mächtigen fürchten die Macht der Straße. Die Mächtigen der Politik und Wirtschaft fürchten sich, wenn Völker ihr demokratisches Recht wahrnehmen und ihren (Un)Willen auf die Straße bringen.
Seien die Mägen noch so leer und Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung noch so groß, die Straße und das Wort ist unsere größte und stärkste Waffe.
Immer öfter stößt man in den Nachrichten auf Merkwürdigkeiten, die einer Erklärung harren. So stolperte ich unlängst wieder über das Zitat eines bedeutenden Mannes, eines Mannes, von dem man erwarten kann, das er weiß, wovon er spricht, hier bei Indymedia:
„Es herrscht Klassenkrieg, richtig. Aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt. Und wir gewinnen.“ so der Multimilliardär Warren Buffet, Hedgefonds-Manager und drittreichster Mensch der Welt.
Wie kann es sein, das wir Krieg haben und nichts davon mitbekommen?
Das erinnert an einen Klassiker der Friedensbewegung: „Stell´ Dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“. Das scheint ist in diesem Lande mitlerweile Realität geworden zu sein – jedenfalls wenn es um den Wirtschaftskrieg geht. Seit der Wiedervereinigung wurde Deutschland das Ziel einer generalstabsmäßigen Kampagne, die die Vernichtung des Sozialstaates zur Erhöhung der Rendite zum Ziel hat. Die Süddeutsche Zeitung erwähnte Buffet 2004:
Buffett spricht in seinem Brief von einem Klassenkampf der unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten – auf der einen Seite die Vielverdiener und Großkonzerne, denen durch zahllose Schlupflöcher in der Steuergesetzgebung massive Geschenke gemacht würden, auf der anderen Seite die Mittel- und Geringverdiener, denen nichts anderes übrig bliebe, als klaglos und schlupflochfrei zu zahlen.
Wir befinden uns mittendrin in einem knallharten, skrupellosen Wirtschaftskrieg … aber gerade wir Deutschen weigern uns, ihn wahr zu nehmen, dabei zählen wir zu den großen Verlierern. Das … sagt man uns aber nicht. Man sagt es gelegentlich den Managern, den Frontkämpfern der Umverteilung von unten nach oben, damit die ihr Geld noch schnell ins Ausland schaffen können – hier eine aktuelle Warnung aus dem Manager-Magazin:
Nicht nur der Euro-Zone, dem gesamten Westen sind die Verbindlichkeiten längst über den Kopf gewachsen. Nach Rogoffs Berechnungen übersteigt der Stand der öffentlichen Schulden in den USA inklusive Verbindlichkeiten von Bundesstaaten und Kommunen inzwischen 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) – und damit den bisherigen Rekordstand unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Stadium, das Japan längst hinter sich gelassen hat. Mit Staatsschulden von 220 Prozent des BIP vor Fukushima lohnt es sich für die Politiker dort kaum mehr, über Tilgung nachzudenken.
„Wir werden noch im laufenden Jahr eine Mischung aus Währungszusammenbrüchen und Abwertungskriegen erleben.“
So die Prognose des Harvard Ökonom Kenneth Rogoff, laut Manager Magazin eigentlich kein „Schwarzseher“. Uns wird die gesamte Brühe bald mit einem großen Knall um die Ohren fliegen, aber bis dahin sollen wir uns in Ruhe der Sportschau widmen: der Tabellenplatz unserer Lieblingsmannschaft ist für unser Überleben als Demokratie auch wichtiger als erschossene Arbeitslose.
Möglicherweise sollte man einmal Jobcentermitarbeiter befragen, ob sie etwas von dem Krieg mitbekommen. Immerhin werden sie dafür bezahlt, das sie die wachsende Masse der Verarmten ruhig stellen. Oft richten wir unseren Blick auf die Verarmten – das auch zu Recht – doch sieht es hinter der anderen Seite des Schreibtisches nicht viel besser aus, siehe Berliner Umschau:
Dabei seien lautstarke Beleidigungen und Bedrohungen, Randalieren, Tritte gegen das Mobiliar und Geräte noch die harmloseren Vorfälle. Auch gegen Angriffe mit Fäusten, Messern und Gaspistolen müßten sich die Beschäftigten wehren. Sicherheitsdienste wurden schon engagiert, aber immer wieder muss auch die Polizei zur Hilfeleistung und zum Schutz der Beschäftigten anrücken. Bei einer Befragung von 500 Mitarbeitern im Jahre 2009 hätten knapp 25 % angegeben, bereits einmal Opfer eines solchen Übergriffs gewesen zu sein. Mehr als 10 % von ihnen haben bis heute mit psychischen Folgen zu kämpfen.
25% der Jobcentermitarbeiter Opfer von Gewalttaten? Ohne, das die Medien groß darüber berichten? Wäre das nicht das gefundene Fressen für die Hassprediger der Lumpenelite dieses Landes?
Nein. Darüber redet man besser nicht, denn wie dem Artikel der Berliner Umschau zu entnehmen ist, ist es die Gesetzeslage, die die Angriffe verursacht – und auf die sollte man besser kein großes Augenmerk richten, darum ist über den Jobcentermitarbeiter als Opfer ein Schweigetabu zu verhängen. Wird klar, in welchem Ausmaß er Opfer ist, wird das Märchen des faulen, bösen Arbeitslosen schnell aufgeweicht und ein System entlarvt, das die psychosoziale Vernichtung großer Teile der Bevölkerung praktiziert – auf beiden Seiten des Schreibtisches.
Es gehört zu den Grundsätzen dieses Klassenkampfes, möglichst viele Schichten des Volkes gegeneinander antreten zu lassen: so hat man oben seine Ruhe. Kaum verwunderlich, das es da keine großartigen Allianzen gegen ein Gesetz gibt, das im Grunde den Opfern des Klassenkampfes die Verantwortung dafür überträgt, das sie verloren haben und von ihnen erwartet, das sie ihren Zustand ohne Geld grundlegend verändern.
Machen wir uns auch nichts vor: eine Folge des Klassenkampfes ist, das die politisches Szene durchsetzt ist mit „Pöstchenjägern“. Das ist eine natürliche Folge der Akademikerarbeitslosigkeit, die ihre Fähigkeiten dazu missbrauchen, sich in jeder Organisation an die Spitze zu setzen – erst dort findet dann die politische Bewußtseinsbildung statt, die dann schon mal seltsame Blüten trägt, wenn der Amtsinhaber auf einmal seine eigentliche Berufung entdeckt.
Da wäre zum Beispiel der unsägliche Antisemitismus bei einer Partei, die eigentlich als Reaktion auf die Hartz IV – Gesetze entstanden ist. In kleinkarierter Schwarz-Weiß-Sicht werden hier Muster wiederbelebt, die an dunklere Stunden der deutschen Vergangenheit erinnern. Bobo Ramelow weist in der taz auf dieses Problem hin:
Der Fraktionschef der Linksfraktion im Thüringer Landtag, Bodo Ramelow, sagte der taz: „Wenn ein katholischer Kardinal einem schwulen Religionslehrer die Lehrerlaubnis entzieht, dann ist die Empörung in der Linkspartei zu Recht groß. Wenn aber Schwule im Gazastreifen um ihr Leben fürchten müssen, höre ich von den gleichen Empörten nichts. Das ist ein Problem.“
Viele deutsche Linke opfern sich auf im Engagement für die Vernichtung des israelischen Staates und glauben wirklich, das dabei kein Jude zu Schaden käme – man ist ja kein Antisemit, das versteht sich ja wohl von selbst. Darum sind von Islamisten ermordete Schwule auch ein Problem, das man nicht wahrnehmen kann: was nicht gegen Juden verwertbar ist, hat keinen Nutzen für die Bewegung.
Dabei ist Antisemitismus bei den Linken keine Besonderheit – erst recht nicht in Deutschland. Beim Thema Antisemitismus sind wir als Nation schon mal ganz vorne mit dabei gewesen, da stört es auch nicht, wenn man innenpolitisch andere Ansichten hat als die NPD. Man befindet sich hier in guter, alter Tradition, siehe Hagalil:
Ruth Fischer beispielsweise, ZK-Mitglied der deutschen KP forderte 1923 in einer Rede: „Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie!“
Eine andere Nebenfront, die von Linken (und anderen „aufgeklärten“ Denkern) immer gerne eröffnet wird, bevor man sich an die gefährliche Front des wirklichen Klassenkampfes wagt, ist die „Religion“. Gerne teilt man hier in voller Front aus … vielleicht in der geheimen Hoffnung, wenigstens hierfür vom Kapital ein Pöstchen zu ergattern, steht man doch dort in einer Reihe mit den neoliberalen Herrschern. Völlig verkannt wird dabei, das „Religion“ an sich in vielen Formen ein Hort des Widerstandes ist – und erst recht wagt man sich nicht an die Kernreligion des Neoliberalismus heran, die 1993 als Nebeneffekt des beginnenden Klassenkampfes nach Deutschland kam: mit „Pro Christ 93“ fasste der hochorganisierte und einflussreiche amerikanische Fundamentalismus Fuß in Deutschland, der Prediger Billy Graham fand unter anderem Anklang bei unserem Bundespräsidenten und dem Chef der Bundesagentur für Arbeit.
Das der Spiegel aktuell gegen die Weltuntergangsphantasien der Fundamentalisten spottet, deren Wirken in höchsten politischen Kreisen aber nahezu unkommentiert stehen läßt, mutet da schon seltsam an. Das dieses einst so kritisch geltende „Sturmgeschütz der Demokratie“ so blind wird, wenn das „Maschinengewehr Gottes“ feuert, mag daran liegen, das diese oft unkritisierte Form der Religion auf der gleichen Seite des Sturmgeschützes steht (und deshalb auch die gleiche Sprache verwendet).
Für die christlichen Fundamenalisten in den USA sind die USA das gelobte Land und ihre weißen, angelsächsischen Bewohner das auserwählte Volk Gottes. In älteren Arbeiten zu dem Thema wird das noch deutlich beschrieben. Welche Folgen so ein Denken für den Rest der Welt hat, erleben wir gerade in Form des Klassenkampfes von Oben. Das „auserwählte Volk“ braucht keine moralische Rechtfertigung mehr – sie sind heilig per Beschluss.
Verwundert es bei dieser Gemengelage, das sich der Zorn der Jugend in Spanien gegen all jene wendet, die irgendwo an den Fleischtöpfen des Grosskapitals hängen? Der Spiegel berichtet aktuell über sie:
Sie sind jung, und sie sind wütend: die Demonstranten, die seit Tagen zu Tausenden durch spanische Großstädte ziehen. „Indignados“ nennen sie sich, die Empörten. Sie protestieren gegen eine Jugendarbeitslosigkeit von knapp 45 Prozent, gegen soziale Einschnitte im Zuge der Wirtschaftskrise und gegen jene, die ihnen all das ihrer Meinung nach eingebrockt haben: Banker, Rating-Agenturen, Politiker.
Die jungen Spanier beziehen sich sogar auf die Revolutionen in arabischen Ländern. Ihr Protest folgt keiner festen politischen Linie, die spanischen Volksparteien lehnen die Demonstranten ab.
Der Autor des Artikels zeigt wenig Verständnis für die Demonstranten – wie auch. Die Erfahrungen, das Politiker keine Politik machen, sondern auf Pöstchenjagd sind, machen sicher nicht nur wir Deutsche. Das man dann auf einmal nur noch gegen Hartz IV sein darf, wenn man gleichzeitig auch gegen Israel und alle Religionen ist (ohne jedoch die Religion des neuen auserwählten Volkes anzugreifen, weil dort Pöstchen locken), sollte nicht verwundern.
Insofern ist „Schnauze gestrichen voll“ eine passende Zustandsbeschreibung der Jugend im Mittelmeerraum, während hierzulande im Schulterschluß von Parteien, Verbänden und Gewerkschaften die Situation völlig unter Kontrolle ist. Wir haben halt schon Hartz IV, bei uns hat jeder eine Nummer, 80000 Mitarbeiter der Jobcenter wachen darüber, das keiner aus der Reihe tanzt, der Rest wird vom Arbeitgeber überwacht, der mit jeder neuen Lockerung des Kündigungsschutzes immer mehr Macht über seine Angestellten erhält.
Und damit in Zukunft in Deutschland alles weiterhin so schön ruhig bleibt, bauen wir die Kitas aus – mit interessanten Nebenwirkungen, siehe Frankfurter Rundschau:
Wissenschaftler sind auf mögliche Ursachen für Hyperaktivität gestoßen: Offenbar hängt die Chance, dass ein Kind Aufmerksamkeitsstörungen entwickelt mit dem Alter des Krippenbesuchs zusammen.
Wir haben Klassenkrieg, aber keiner geht hin – weil wir ein Volk von Aufmerksamkeitsgestörten geworden sind?
Wie gut, das wir den Klassenkampf in Deutschland zwar verloren aber wenigstens mit aller Kraft auf das Ende Israels und die Vernichtung der Religionen hingearbeitet haben – da waren wir dann mit wichtigen Themen gut beschäftigt, während die Lumpenelite das Vermögen des Volkes ausser Landes schaffte und Deutschland in ein Arbeitslager verwandelte.
Arbeit ist auch nicht mehr, was sie mal war. Dasselbe gilt für den Tag der Arbeit. Es haftet ihm etwas Gestriges an, etwas Antiquiertes. Und die alljährlich ritualisierten 1. Mai-Kundgebungen sind in der Regel eher Folklore denn wahrhaftige Kampftage der ArbeiterInnenbewegung. Warum also nicht stattdessen am 1. Mai den Tag des Grundeinkommens ausrufen? – Ein Pamphlet.
Die Tradition, den 1. Mai als Tag der Arbeit zu feiern, geht auf die turbulenten Ereignisse auf dem Haymarket in Chicago zurück. Dort hielt August Spies, Chefredakteur und Herausgeber der Chicagoer Arbeiter-Zeitung, am Abend des 1. Mai 1886 auf einer Arbeiterversammlung eine programmatische Rede. Es kam daraufhin in Chicago zu mehrtägigen Streiks und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, die bald so weit eskalierten, dass es zu Toten auf beiden Seiten kam. Zwar wurden acht Organisatoren der Kundgebungen zum Tode verurteilt und fünf von ihnen, darunter auch August Spies, tatsächlich auch hingerichtet. Trotzdem – oder gerade deswegen – gelten die Haymarket-Vorkommnisse als Geburtsstunde des breiten Klassenbewusstseins der ArbeiterInnen.
Zeitgenössischer Schnitt der Tumulte auf dem Haymarket – die Geburtsstunde des Klassebewusstseins der Arbeiter (Bild: gemeinfrei).
Sozialdarwinismus statt Klassenkampf
Doch das ist Geschichte. Die ArbeiterInnenbewegung gibt es nicht mehr – weil es die ArbeiterInnen nicht mehr gibt. Nicht dass zwischen den Sozialpartnern heute die absolute Gerechtigkeit ausgebrochen wäre. Im Gegenteil. Doch die Ungerechtigkeit lässt sich nicht mehr am Begriff Arbeiter festmachen. Oder kennen Sie persönlich noch einen der seltenen Spezies der (Industrie-)Arbeiter, wie sie früher ganze Regionen bevölkerten und wie man sie damals, so stelle ich mir vor, von weitem als solche erkannte, an ihrer Kleidung, ihrem Gang, ihrem Gebaren.
Auch die Aufteilung in Klassen funktioniert nicht mehr so richtig, jedenfalls nicht entlang der herkömmlichen Klassengrenzen. Oder fühlen Sie sich eindeutig einer bestimmten Klasse zugehörig? Wenn ja, welcher? Womöglich ist heute jeder Mensch eine Klasse für sich. Und der Klassenkampf ist zu einem Kampf jeder gegen jeden mutiert: Sozialdarwinismus statt Klassenkampf. Das würde auch erklären, weshalb heute die Solidarität einen so schweren Stand hat. Die soziale Frage findet jedenfalls im Klassenkampf keine gültige Antwort mehr.
Ironische Darstellung der Klassengesellschaft aus dem Jahr 1911 (Bild: gemeinfrei).
Folklore statt Kampftag
Vieles ist in der Gegenwart uneindeutiger, zersplitterter. Man spricht nicht mehr von Arbeitern, sondern von Angestellten. Und wer ist heute noch in einer Gewerkschaft? Auch Industrie gibt es bei uns kaum mehr. Wir sind eine Dienstleistungsgesellschaft. Und wenn Dienstleister auf die Strasse gehen, dann gibt es allenfalls eine Art folkloristischer Umzug, bunt zwar, aber bestimmt keinen Kampftag – zumindest bis auf weiteres. Nicht nur die Industrie wurde ausgelagert, auch die allerhimmelschreiendste Ungerechtigkeit zog mit ihr fort – zumindest bis auf weiteres …
Weil mit dem Klassenkampf kein Staat mehr zu machen ist, bin ich für die Abschaffung der Nostalgieveranstaltung „Tag der Arbeit“. Vielmehr wünschte ich mir neue, zukunftgerichtete Konzepte, die von der Gegenwart ausgehen, nicht von der Vergangenheit. Und da kommt das bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel, gerade in Bezug auf die Arbeit. Denn das bedingungslose Grundeinkommen hebelt den fatalen Mechanismus aus, der Lohnarbeit letztlich zu einer Art Sklavenarbeit macht. Es schenkt dem Menschen einen Freiraum, indem seine Existenz wirtschaftlich gesichert ist. Das befreit ihn unmittelbar aus der Sklaverei der Lohnarbeit und geht weit darüber hinaus, was sich die Gewerkschaften unter Verbesserungen der Arbeitsbedingungen vorstellen. (Siehe dazu auch: Ketzerische Fragen zum Begriff der Arbeit.) Vielleicht zählen die Gewerkschaften deshalb zu den erbittertsten Gegnern eines bedingungslosen Grundeinkommens …
Tag des Grundeinkommens statt Tag der Arbeit
Denn das Konzept der (Lohn-)Arbeit selbst ist am Wanken. Seit Jahrhunderten wirkt der Mensch auf ihre Abschaffung hin. Wo immer möglich sollen Maschinen sie ersetzen. Doch was man sich einst als Segen vorstellte – die Befreiung von schwerer, mühsamer, stupider Arbeit –, ist heute zum Fluch geworden. Die Menschen werden einmal mehr über ihre Existenznot zu sklavenähnlicher Arbeit gezwungen. Sicher: Der Kampf um Mindestlöhne und besseren Kündigungsschutz – zum Beispiel – kann hier die grösste Not lindern. Doch der Einsatz für ein bedingungsloses Grundeinkommen schafft ganz neue Voraussetzungen und lässt die Not – zumindest die wirtschaftliche – geradezu ins Leere laufen.
Deshalb sollten wir am 1. Mai den Tag des Grundeinkommens begehen.
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Walter Bs Textereien
http://walbei.wordpress.com/