Kinder im Jobcenter

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Zeitenwende? Gedanken zu Pfingsten.

Zeitenwende? Gedanken zu Pfingsten.

Sonntag, 19.5.2013. Ich weiß: das Thema Kirche steht bei vielen auf der roten Liste der verbotenen Dinge. Man beschäftigt sich auch nicht gern damit, behält sein Kirchenbild aus dem 19. Jahrhundert (wo Kirche schon ziemlich fürchterlich war) und geht seines Weges. Kirchenbashing ist immer gern gesehen, wer ein echter rechter Linker ist, der gönnt sich das dreimal die Woche – so viel Zeit muss sein. Gleichzeitig transportiert man ein Gottesbild, das naiver als jede Kindergartenzeichnung ist – und ist natürlich empörter Atheist, weil mein sein eigenes naives Bild in der Welt nicht wiederfindet: Gott schwebt wirklich nicht auf einer Wolke über Wuppertal. Er hatte selbst – so die Überlieferung – das Anfertigen solcher Bilder sogar strikt untersagt. Eine Kirche, die so ein dämliches Gottesbild hat, gehört natürlich gehasst, gejagt, verfolgt und vernichtet – das ist jedem klar, der Kirche nur vom Hörensagen her kennt.  Das die Kirche im Prinzip solche Bilder streng zu meiden hat: wer weiß das schon noch außer den nordamerikanischen Indianern, die unsere moderne Kultur zuerst vernichtet hat.

Das die Kirche und die Religion auch Bewahrer von Werten sind, vergisst man schnell. Das sie insgesamt zum Abschuss freigegeben sind, auch. Einfach mal in die Kirchen gehen: sind so leer wie sonst nur der Bundestag.

Nun – wenn man diesen Hass nicht bremst, wird es bald zu Christenverfolgungen in Deutschland kommen – so harmlos, wie er dahergeplappert wird, ist Hass auf religiöse Menschen nicht.

Was aber viel schlimmer ist: mit dem unnützen und sinnlosen Krieg gegen religiöse Menschen verliert man jede Hoffnung, die Verhältnisse ändern zu können. Nun – will man ja auch nicht. Man will flott links sein, alle dazugehörigen Klischees erfüllen und sich als Antikönig der Welt fühlen: Mitglied einer kleinen, elitären Gemeinschaft besserer Menschen. Das Leid des Nächsten ist de fakto: scheißegal.

Währenddessen entfaltet sich das neue Zeitalter in all seiner Pracht. Wir haben noch keinen Namen dafür, wissen nur, dass es mit Menschlichkeit, Demokratie, Gerechtigkeit, Frieden, Wohlstand, Sicherheit und Freiheit nichts zu tun hat.  Ich hatte mal vorgeschlagen, es das Antichristliche Zeitalter zu nennen –  nur, damit nachher keine Klagen kommen, wenn Kinder wieder ins Feuer geworfen werden – einfach, weil es manchen kranken Typen tierischen Spaß macht.

Die großen Entscheider dieser Welt veranstalten schon Rituale, die zeigen können, wie man sich die Zukunft in dieser Welt vorstellen kann – im Bohemian Grove geht es richtig zur Sache.

Seltsamerweise finde ich in dieser Welt viele Atheisten, aber nur eine verschwindend geringe Zahl von „Antigrowern“. Ich erkläre mir das gerne so, dass man sich lieber mit der machtlosen Kirche anlegt als mit den machtvollen „Entscheidern“ dieser Welt. Alte Mütterchen sind halt für viele attraktivere Gegner als gestandene Multimilliardäre.

Ein antichristliches Zeitalter – man sollte diesen Namen öfter benutzen, damit alle eine Chance haben, zu verstehen, wohin die Reise geht. Wie so ein Zeitalter aussieht?

Nun – wir haben aktuell eine Demonstration gestartet, die aufgrund der Umstände und des Umfeldes zu der größten Demonstration in Deutschland werden kann. Sie sammelt Menschen, die sich hinter die Werte Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Wohlstand und Sicherheit stellen: Grundwerte unserer westlichen Kultur. Was uns das antichristliche Zeitalter beschert? Genau das Gegenteil. Das ist das Überraschende an dieser Geschichte: wertemäßig führt uns der Neoliberalismus in das totale Gegenteil der seit zweitausend Jahren gepredigten christlichen Werte.  Wir sollten uns die Hilfe der Kirche sichern, um gegen ihn vorzugehen. Lauschen wir der Tagesschau, die uns die Worte des neuen Papstes nahebringt:

„Wir haben uns neue Götzenbilder geschaffen. Die Anbetung des alten goldenen Kalbes findet sich heute neu und erbarmungslos wieder in einem Fetischismus des Geldes und einer Diktatur einer gesichtslosen Wirtschaft ohne jedes humane Ziel“

Es sind wahrlich historische Dimensionen, die hier angedeutet werden. Dimensionen, die das menschliche Begriffsvermögen sprengen – wer denkt schon dreitausend Jahre weit. Erst recht niemand in Deutschland: hier lernt man „Jude = pfui“, und da man das nicht mehr ungestraft sagen darf, ersetzt man es durch „Israel = pfui“ – schon kann man den alten Hass ungestört in die Moderne tragen.

Dabei ist die kulturgeschichtliche Bedeutung des Judentums eine ganz enorme: sie haben die Kinderopfer konsequent abgeschafft. Wir vergleichen jene Menschen vor dreitausend Jahren gerne mit unseren Zuständen und regen uns fürchterlich auf: ein Ergebnis  unserer mangelhaften Schulbildung. Unser Maßstab für die Behandlung von Sklaven und Frauen ist nicht vergleichbar mit dem vor 3000 Jahren – aber ein Ergebnis der Impulse, die damals gesetzt wurden. Gut – so stolz können wir auf unsere kulturellen Leistungen nicht sein: unsere Sklaven sind weit weg in ausländischen Fabriken (und somit aus unseren Augen, was uns meist genügt) und unsere Frauen werden immer noch selten als echte Menschen angesehen, auch wenn wir uns formal alle Mühe geben, die Regeln einzuhalten.

Tausend Jahre später kam mit Jesus Christus ein weiterer kulturgeschichtlicher Impuls in die Welt, der direkt gegen die Ausuferungen des römischen Imperiums gesetzt war – und gegen die Anbetung des Goldenen Kalbs. Egozentrischer, gewinnsüchtiger, menschenverachtender Materialismus war mit den alten Christen und Juden nicht zu machen, da gab es ein klares NO GO.  Allerdings – so möchte ich vorausschicken – sind nicht alle Juden oder Christen Heilige, im Prinzip sind es Menschen wie Du und Ich: es lassen sich also leicht Listen anfertigen mit bösen Juden, bösen Christen oder bösen Pfaffen. Ginge aber auch mit bösen Bürgermeistern, bösen Bauern oder bösen Kommunisten: Menschen sind leider nicht so perfekt und fehlerfrei, wie man sie sich denken kann.

Wir fühlen uns heute diese Alten so unglaublich weit überlegen … doch schauen wir in den Alltag einer Arbeitsagentur (modern: Jobcenter), so finden wir Millionen Kinder, die der modernen Arbeitsmarktpolitik sinnlos geopfert werden, siehe Inge Hannemann bei Altona bloggt:

Unberücksichtigt in der offiziellen Arbeitslosenstatistik bleiben die Kinder, die in einer Welt und Familie aufwachsen, ohne Chance für einen Start oder Neubeginn aus dem Scham- und Angstland Deutschland. Sie werden in eine Welt hinein geboren, wo sie spätestens im Kindergarten erfahren, dass diese Welt für sie keine Welt darstellen darf. Sie tragen den Stempel der Hartz-Hetze. Und dabei muss es nicht das äußere Erscheinungsbild sein, welches uns ebenfalls die Medien vorgaukeln. „Hartzer“ reden nicht von Hartz, von ihrer Scham und ihren Ängsten. Ein unausgesprochenes Verhalten, welches sich unbewusst auf die Kinder überträgt.

Wir machen uns keine großen Gedanken über diese Kinder. Sie haben sich ja auch schuldig gemacht: ihre Eltern waren arbeitslos oder schlecht bezahlt – das ist eine schlimme Straftat im Angstland Deutschland, eine Straftat, die nicht ohne Folgen bleiben darf:

Auch Reifen nutzen sich mit jeder Fahrt ab, das Profil wird geringer. In dieser Metapher bleibend, kann sich das Profil, die Persönlichkeit eines Kindes nicht frei entwickeln oder wird spätestens bei Eintritt in die Unmenschlichkeit der „Hartz-Maschine“ zurecht gestutzt. Dieses passiert zumeist schon dann, wenn sie unschuldig ihren 15. Geburtstag feiern und die Eltern als Aufstocker, trotz Vollerwerbstätigkeit durch den rasant steigenden Niedriglohnsektor, nicht mehr vom Lohn leben können. Ein Geburtstag der frei und fröhlich sein sollte. Sie wissen nichts davon, was einige Meter oder Kilometer von ihnen entfernt passiert. Sie ahnen zumeist nicht mal, dass mit wenigen Klicks im System der Jobcenter, aus dem ehemals 14-jährigen jungen unbekannten Menschen ein vielleicht zukünftig gebrandmarkter Mensch mit einer Kundennummer wird. Mag die Feier noch unbeschwert gewesen sein, wird ein Brief, zusammengesetzt aus vorgefertigten behördlichen Textbausteinen, sie ein paar Wochen später erreichen.

Das sind erste Ausprägungen des antichristlichen Zeitalters. Die große Hoffnung ist, dass die Kirche als (oft erbärmliche und total versagende) Hüterin des christlichen Zeitalters zur Besinnung kommt – immerhin steht ihre Vernichtung ebenfalls kurz bevor: organisierte Sozialromantik mit Anbindung an höchste Gedanken ist den neuen Mächten, den neuen Götzen und Göttern ein Dorn im Auge.

Was ein leichtes Lächeln verursacht: im großen Zeitalter des Atheismus entstehen absurdeste Götzen, die man gar nicht mehr wahr nimmt, weil der eigene Horizont dem einer Briefmarke gleicht: problemlos reden alle von der „unsichtbaren Hand des Marktes“, die alle Regierungen in die Knie zwingt. Keiner denkt sich was dabei, dass man hier gerade wieder einen neuen Gipfel der Irrationalität erreicht hat – von dem man aus aber problemlos Religionskritik übt. Man sieht den Splitter um Auge des anderen trotz des eigenen Balkens vorm Gesicht ganz genau.

Was geschieht aber nun mit Politikern, die von würdigen und entschlossenen Vertretern des christlichen Glaubens mit christlichen Werten konfrontiert werden?

Sie knicken ein, siehe nochmal Tagesschau:

„Wir erleben, dass Krisen daraus entstanden sind, dass die soziale Marktwirtschaft nicht gegolten hat, dass Staaten alleine keine Leitplanken eingezogen hatten“, erklärte die Kanzlerin. Deshalb sei die Regulierung der Finanzmärkte „ja auch unser zentrales Problem, unsere zentrale Aufgabe“.

„Wir kommen voran, aber wir sind längst noch nicht da, dass man sagen kann, eine solche Entgleisung aus den Leitplanken der sozialen Marktwirtschaft wird nicht wieder passieren“, sagte Merkel. Insofern werde dieses Thema auch auf dem G20-Gipfel in diesem Jahr wieder eine fundamentale Rolle spielen.

Das sind ja Worte, wie man sie auf einem Parteitag der Linken vermuten würde. Gesprochen wurden sie aber zwischen jenen Mächten von Religion und Politik, die wir so verachten und geringschätzen. Es kommt noch mehr:

Beim Gespräch mit der Kanzlerin forderte Franziskus in Zeiten der Krise ein starkes und vor allem gerechtes Europa. Merkel bestätigte dies: Wirtschaft müsse den Menschen dienen. Das sei „längst nicht überall der Fall“ gewesen, sagte sie.

Gäbe es jetzt eine starke Demonstration von Millionen von Menschen, die bereit wäre, sich für die Werte Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Wohlstand und Sicherheit starkt zu machen: die Zeitenwende wäre aufgehalten. Sofort.

Dazu braucht man keine neue Partei – es stünde wirklich schlimm um Europa, wenn die normalen Grundwerte einer jeglichen menschlichen Gemeinschaft (die sogar unter Räuberbanden und Piratenhorden Wertschätzung genossen) nur noch von einer kleinen Minderheit gewollt würden.

Leider gibt es momentan diese starke Gemeinschaft nicht … bzw. sie ist noch sehr klein. In Wirklichkeit ist sie viel größer als die kleine Schar skrupelloser Verbrecher, die ihre neoliberalen Gewaltphantasien in unserem Arbeitsalltag ausleben. Im Unterschied zu uns sind die aber straff organisiert und verfolgen diszipliniert ihre Ziele in Staat und Gesellschaft.

Findet sie sich zusammen, dann ist der Spuk des antichristlichen Zeitalters ganz schnell vorbei. Mit dem Papst auf unserer Seite wird auch die Kanzlerin mitmarschieren … und unsere Kinder bekommen wieder eine Chance, der Brandmarkung als Hartzer zu entkommen.

Ist fast wie vor dreitausend Jahren: auch dort sollen Kinder enorm gelitten haben, um den goldenen Götzen zufrieden zu stellen.

Das brauchen wir aber doch nicht wirklich, oder?

Ein privates PS noch: was ich wirklich gerne sehen würde, wäre, das Atheisten an christlichen Feiertagen durcharbeiten – oder zumindest demonstrativ vor dem geschlossenen Firmentor sitzen. Das würde mich von der Aufrichtigkeit ihres Anliegens überzeugen.

Noch ein PS: „Kirche“ gehört durch „Staat“ ebenso kontrolliert wie „Markt“, das zeigt die Geschichte. Ich fände es auch sehr spannend, wenn mir die Päpste erklären könnten, wie aus dem Gegenteil der christlichen Botschaft eine kirchliche Lehre werden konnte – könnte es nicht sein, dass Paulus immer Saulus geblieben ist? Lese ich seine Briefe, möchte ich meinen, er sei ein Agent des Imperiums, der die aufkeimende christliche Bewegung im Keim ersticken wollte – mit großem Erfolg. Nur mal so nebenbei bemerkt, damit hier kein Kirchenfunktionär meint, man könne jetzt mal wieder gezielt über die Strenge schlagen.

 

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