Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Kauflaune steigt, die Konjunktur brummt. So lauten regelmäßig die Schlagzeilen zum Monatsende. Nacheinander verkünden Gesellschaft für Konsumforschung, das statistische Bundesamt und die Bundesagentur für Arbeit ihre nach eigener Sicht positiven Zahlen. Die GfK machte am Dienstag den Anfang und gab an, herausgefunden zu haben, dass die Anschaffungsneigung der Deutschen wieder deutlich zugenommen habe.
Die ungebrochene Dynamik der deutschen Wirtschaft sowie die weitere Belebung auf dem Arbeitsmarkt haben die Konjunkturaussichten moderat und die Einkommenserwartungen der Bundesbürger stark ansteigen lassen. Auch die Anschaffungsneigung hat ihre Verluste aus dem Vormonat mehr als kompensiert. Damit gewinnen die guten Rahmendaten wie die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und das gute Wirtschaftswachstum wieder die Oberhand über die "Störfaktoren" Fukushima sowie die Situation im Nahen Osten und Griechenland.
Quelle: GfK
Nun ist klar, dass eine Neigung, die von Aussichten bestimmt wird, nicht wirklich einen substanziellen Kern aufweist. Eine Neigung hat grundsätzlich einen fiktiven Charakter. Und zwar solange, bis sie selbst in die Tat umgesetzt wird. Dann spricht man logischerweise auch von einer Tatsache. Wenn die Deutschen also der GfK gegenüber angeben, demnächst häufiger einkaufen gehen zu wollen, dann heißt das eben nicht, dass sie es auch tun, sondern höchstens, dass sie es gerne tun würden. Demzufolge ist die Feststellung, dass jene Anschaffungsneigung ihre Verluste aus dem Vormonat kompensiert habe einfach nur statistischer Unsinn, weil durch mehr oder weniger Anschaffungsneigung überhaupt keine Gewinne oder Verluste entstehen können. Oder fließt die Anschaffungsneigung etwa in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit ein?
Nein. Dort findet nur der tatsächliche private Konsum Beachtung und natürlich bilden die Umsätze im Einzelhandel einen wesentlichen Teil davon. Nun hat heute das statistische Bundesamt Zahlen veröffentlicht, die alles andere, aber nicht das bestätigen, was die GfK mit ihrer Kauflaune gemessen haben und die Menschen glauben machen will. Zwar führen die amtlichen Statistiker mit der Überschrift “Einzelhandelsumsatz im Mai 2011 real um 2,2% höher als im Mai 2010” die Öffentlichkeit einmal mehr in die Irre, doch im Text liest man dann die tatsächlichen Zahlen zu den Umsätzen.
Allerdings hatte der Mai 2011 mit 26 Verkaufstagen auch drei Verkaufstage mehr als der Mai 2010. Im Vergleich zum April 2011 ist der Umsatz im Mai 2011 unter Berücksichtigung von Saison- und Kalendereffekten (Verfahren Census X-12-ARIMA) nominal um 3,0% und real um 2,8% gesunken.
Quelle: destatis
In der Langzeitprojektion gleicht das Minus von fast drei Prozent zum Vormonat einem weiteren Absturz. Nachdem es im Mai noch so aussah, als ginge es wieder aufwärts, bestätigt sich nach Korrekturen bei den zurückliegenden Werten und den aktuellen Daten zum Mai 2011 die anhaltende Kaufzurückhaltung der Deutschen, die doch angeblich so gut kaufgelaunt sein sollen wie selten.
Den zuständigen Minister Rösler schenke ich mir an dieser Stelle, da seine Einschätzung der Lage wie immer dem Bereich der Fiktion zuzuordnen ist und nichts mit der Realität zu tun hat.
Fehlt eigentlich nur noch der Arbeitsmarkt, der vom Oberbefehlshaber der Nürnberger Arbeitslosenzählbehörde wie immer als sehr robust beschrieben wurde.
Der Arbeitsmarkt profitiert weiter vom stabilen Aufschwung der deutschen Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit ist im Juni im Zuge der auslaufenden Frühjahrsbelebung um 67.000 auf 2.893.000 gesunken. Das Saisonbereinigungsverfahren errechnet für den Juni ein Minus von 8.000.
Quelle: Arbeitsagentur
Wenn ich mich an den letzten Bericht zurückerinnere, dann scheint der Arbeitsmarkt doch vor allem dadurch zu profitieren, dass die Zählbehörde nicht wirklich zählt, sondern immer mehr schätzt und dazu einen sehr eigenen Begriff von Arbeitslosigkeit definiert. Wie sie inzwischen wissen, gilt nicht jeder Erwerbslose auch als arbeitslos. Durch die Klassifizierung der Betroffenen nach der Art ihres Leistungsbezugs ergeben sich Unterschiede zwischen der offiziellen Arbeitslosenzahl und der Zahl aller Leistungsbezieher, deren Gemeinsamkeit doch nach wie vor die Arbeitslosigkeit ist. Selbst auf Personen die ihre niedrigen Löhne aufstocken müssen oder sich in Arbeitsgelegenheiten befinden trifft das zu.
Insgesamt sollen laut Statistik 2.893.341 Personen im Juni erwerbslos gewesen sein. Gleichzeitig sollen laut Statistik 1.262.470 Personen im Sinne arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen beschäftigt gewesen sein. Im Bericht werden diese “ausgewählten Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik”, die man auch unter dem Begriff “stille Reserve” kennt wie folgt unterteilt:
Das ist natürlich keine Beschäftigung im Sinne einer Beschäftigung wie man sich das so vorstellt, aber es ist durchaus Absicht, dass die Öffentlichkeit das so missverstehen soll. Rechnet man diese Scheinbeschäftigten, aber im Grunde arbeitslosen Menschen, zur offiziellen Zahl hinzu, landet man bei 4.155.811. Das Amt selber weist eine Unterbeschäftigung ohne Kurzarbeit in Höhe von 4.079.599 (Quote: 9,6%) Personen aus.
D.h, dass Behörde und Bundesregierung allein durch das Weglassen der “stillen Reserve” zu einer Arbeitslosenzahl kommen, die im internationalen Vergleich zu einem der vorderen Plätze reicht. Würde man aber die ausgeklammerte Gruppe von defacto Erwerbslosen hinzuzählen, sähe es schon nicht mehr so rosig aus. Von einem Jobwunder einerseits oder einer Wirtschaftslokomotive andererseits würde dann wahrscheinlich niemand ernsthaft sprechen können.
Darüber hinaus ist der Anteil der Langzeitarbeitslosen wieder um einen Punkt auf 34 Prozent gestiegen. Damit dürfte Deutschland immer noch Spitzenreiter in Europa sein. Daneben entfiel rund ein Viertel der Beschäftigungszunahme einmal mehr auf die Arbeitnehmerüberlassung (+146.000 oder +23,3 Prozent), also einem Wirtschaftszweig, in dem prekäre Beschäftigungsverhältnisse und moderner Menschenhandel zum Geschäftsmodell geworden sind.
All das beschreiben die Aufschwungsge- und verblendeten natürlich nicht. Denn dann müssten sie sich eingestehen, was einige Wirtschaftsexperten und der Bundesfinanzminister bereits ahnen und zum Teil warnend vorwegnehmen. Demnach werde sich der Aufschwung im zweiten Quartal merklich eintrüben. Das DIW spricht sogar von einer Wachstumsdelle. Und das mitten im Aufschwung.
Gegenüber dem starken ersten Quartal dürfte die deutsche Wirtschaft zwischen April und Juni allenfalls um 0,4 Prozent zugelegt haben. Denn auch wenn die Stimmung in den Unternehmen weiter positiv bleibt: Die letzten „harten“ Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland deuten auf eine spürbare Abschwächung des Wachstums hin.
Quelle: DIW
Allerdings wagen auch die Forscher wieder einen Schuss ins Blaue und hoffen, dass sich durch Zuwächse bei Beschäftigung und Einkommen auch der Konsumbeitrag bessern werde.
„Die anziehende Beschäftigung und steigende Löhne werden den Konsum in den nächsten Quartalen voraussichtlich mehr und mehr anschieben.“
Da wären wir dann wieder bei den Neigungen und Launen, die bei der Kaffeesatzleserei der GfK herausgekommen sind. Denn es gibt schon einen qualitativen Unterschied zwischen Beschäftigungszuwächsen und der Art der Beschäftigung. Ein weiterhin von der Politik geförderter Niedriglohnbereich wird kaum zu einer Steigerung des Konsums beitragen und nominell unterhalb der Teuerungsrate steigende Löhne auch nicht. Denn das bedeutet noch immer reale Lohnkürzung.
Das statistische Bundesamt hat die detaillierten Ergebnisse zum ersten Quartal des Jahres bekanntgegeben. Bereits vor gut eineinhalb Wochen hatte die Behörde von einem „schwungvollen Start“ der deutschen Wirtschaft gesprochen und die Entwicklung des Binnenkonsums besonders betont. In der Meldung hieß es:
Sowohl die Investitionen in Ausrüstungen und in Bauten als auch die Konsumausgaben konnten zum Teil deutlich zulegen.
Quelle: destatis (13.05.2011)
Die Absicht war klar. Es sollte der Eindruck erweckt werden, als steuerten die privaten Konsumausgaben einen wesentlichen Teil zum Aufschwung bei. Die Regierung hätte schließlich ein Problem, wenn abermals sichtbar würde, dass das Wirtschaftswachstum spurlos an den abhängig Beschäftigten vorbeiginge.
In der ausführlichen Darstellung der Statistiker heißt es nun sehr klar und deutlich:
Positive Impulse kamen im ersten Vierteljahr 2011 vor allem von der Binnenwirtschaft: Sowohl die Investitionen als auch die Konsumausgaben konnten zum Teil deutlich zulegen. Insbesondere in Bauten (+ 6,2%) sowie in Ausrüstungen (+ 4,2%) – darunter fallen hauptsächlich Maschinen und Geräte sowie Fahrzeuge – wurde zu Beginn des Jahres 2011 deutlich mehr investiert als im Schlussquartal 2010. Die privaten Konsumausgaben legten im Vergleich zum Vorquartal leicht zu (+ 0,4%), die staatlichen Konsumausgaben etwas deutlicher (+ 1,3%).
Quelle: destatis (24.05.2011)
Noch immer wird behauptet, dass die deutsche Wirtschaft schwungvoll ins Jahr gestartet sei und die Konsumausgaben zum Teil deutlich zugelegt hätten, obwohl am Ende eine nur „leichte“ Zunahme aus den konkreten Daten konstatiert werden kann. Sie sehen an diesem Beispiel sehr schön die Absicht zur Verschleierung der tatsächlichen Entwicklung. Das Wachstum der Binnenwirtschaft hing im ersten Quartal ganz klar von einer nachholenden Investitionstätigkeit der Unternehmen ab sowie einer Zunahme der Bautätigkeit, was zu diesem Zeitpunkt keine sonderliche Überraschung ist.
Es hing aber in keinem Falle von deutlich höheren privaten Konsumausgaben ab!
Besonders amüsant wird es, wenn sich die Propagandaorgane selbst widersprechen. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) teilt einen Tag nach der Veröffentlichung der Quartalszahlen mit, dass sich die Kauflaune der Deutschen eingetrübt hätte.
Nach dem kleinen Dämpfer im Vormonat muss die Stimmung der Verbraucher auch im Mai dieses Jahres Verluste hinnehmen. Sowohl die Konjunktur- und Einkommenserwartungen wie auch die Anschaffungsneigung erleiden aktuell Einbußen.
Die Verschärfung der Schuldenkrise in Griechenland sowie die anhaltend hohen Energiepreise dämpfen den Optimismus, den die Konsumenten bislang an den Tag legten.
Quelle: GfK
Für den Wirtschaftsminister Rösler ist das natürlich kein Grund, seine Aufschwungseuphorie, die er von seinem Vorgänger anscheinend übernommen hat, zu dämpfen.
„Der private Konsum hat sich zu einer zuverlässigen Stütze des Aufschwungs entwickelt. Die Aussichten sind gut, dass dies auch im weiteren Jahresverlauf so bleibt. Die Zahlen zeigen, dass die Verbraucherstimmung trotz eines leichten Rückgangs weiterhin positiv ist. Damit runden sie das Bild nach den beiden günstigen Meldungen von gestern ab.“
Quelle: BMWi
Damit rundet sich aber gar nichts ab, sondern der Eindruck verfestigt sich vielmehr, dass das FDP geführte Wirtschaftsministerium nur dazu da ist, um gute Stimmung zu verbreiten, egal wie die Lage auch sein mag.
Dabei zeigt der Blick auf die Wachstumsbeiträge recht deutlich, auf welch tönernen Füßen die Behauptungen Röslers und der Statistiker stehen, der private Konsum sei zu einer Stütze des Aufschwungs geworden.
Von der 1,5 Prozent Zunahme entfallen ein Prozent auf binnenwirtschaftliche Impulse und 0,5 Prozent auf den Außenbeitrag (Export). Wie sie sehen, tragen die privaten Konsumausgaben aber gerade einmal 0,2 Prozent zum Wachstum bei, wohingegen die entscheidenden Beiträge wie immer vom Export und den oben bereits erwähnten Bruttoanlageinvestitionen beigesteuert wurden. An der Darstellung können sie auch sehen, warum die Investitionen zugenommen haben. Im letzten Quartal 2010 kam aus diesem Bereich nämlich nix. Ein Nachholeffekt, der von der weltweiten Konjunkturentwicklung befeuert wird, ist so gesehen die logischerer Erklärung, als fortwährend zu behaupten, die deutsche Wirtschaft befände sich auf einem stabilen von Binnenimpulsen getragenen Wachstumspfad.
Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor von der Entwicklung auf den Weltmärkten abhängig. Sollte die Konjunktur dort wieder einbrechen, was wahrscheinlich ist, wenn alle der verordneten Austeritätspolitik Folge leisten, stürzt die deutsche Lokomotive wieder ganz schnell in jenes Jammertal, in das sie schon 2009 fiel. Der Vergleich zum Vorquartal sieht übrigens auch deshalb so gut aus, weil es sich hierbei um den schwächsten Abschnitt des vergangenen Jahres handelt. Dennoch waren im vierten Quartal 2010 die privaten Konsumausgaben zum Beispiel noch um 0,6 Prozent gestiegen.
Mich stört allerdings nicht so sehr die amtliche Aufschwungspropaganda und auch nicht die blumige Kommentierung durch den neuen Brüderle. Anhand der Zahlen ist das ja leicht zu widerlegen. Was mich stört, sind die Medien, die diesen Quatsch einfach nur weitergeben und das Ganze noch mit der Kaffeesatzleserei vom ifo-Institut garnieren.
Sie müssen sich das einmal vorstellen. Auf der einen Seite wird die tolle Entwicklung der deutschen Wirtschaft gefeiert, sowie der Export, der sich wieder sehr positiv entwickelt und deutlich über den Importen abgeschlossen habe, und im nächsten Satz wird darüber berichtet, das Griechenland und der Rest der EU weiter in ernsten Problemen stecke. So als ob zwischen diesen beiden Sachverhalten kein Zusammenhang bestehen würde. Nichts gelernt aus der Krise, kann man da nur sagen.
Denn während Deutschland schon wieder dabei ist, Überschuss um Überschuss anzuhäufen, was Wirtschaftsminister Rösler wohl mit dem Ausdruck „glänzende Verfassung“ gemeint hat, bilden die europäischen Partner im gleichen Umfang weiter Defizite, die die Krise nur verschärfen.
Die deutsche Wirtschaft wächst schon wieder auf Kosten der anderen!
Das bestätigen aber nicht nur die Quartalszahlen des statistischen Bundesamts, sondern auch die Nachrichten zur Einkommens- und Gewinnentwicklung. Auf Jahnkes Infoportal können sie zu diesem Aspekt entsprechende Fakten zusammengefasst nachlesen.
Tatsächlich haben sich einerseits die Unternehmens- und Vermögenseinkommen erstaunlich rasch von der Krise erholt, wozu vor allem größere Gewinne nach Einsparung bei den Personalkosten und niedrige Finanzierungskosten sowie der Aufschwung an den Aktienmärkten beigetragen haben. So legten sie um weitere 9,0 % gegenüber dem Vorjahresquartal zu, was nach Abzug der BIP-Inflation immer noch 8,6 % waren.
Über den ganzen Zeitraum seit dem Jahr 2000 sind die Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer verbraucherpreisbereinigt um fast 3 % gesunken, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen trotz des Einbruchs in 2008 bereinigt um den BIP-Inflator um 47 % expandiert sind.
Der Aufschwung kommt vor allem in den Kassen der Anteilseigner an. Gewinne und Vermögen wachsen unaufhaltsam weiter. In diesem Jahr wurden bereits über 31 Mrd. Euro an Dividenden ausgeschüttet. Das Geldvermögen der privaten Haushalte soll inzwischen die fünf Billionen Grenze überschritten haben. Das kann man durchaus als schwungvoll bezeichnen. Mit der Realität der meisten Menschen, die in erster Linie Verzicht üben, um Banken zu retten, hat das aber rein gar nichts zu tun. Das müssten wache Journalisten eigentlich erkennen.
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Der neue Wirtschaftsminister Philipp Rösler ist gestern an seinen neuen Arbeitsplatz gezogen und heute darf er schon freudig verkünden, dass sich der Aufschwung der deutschen Wirtschaft kraftvoll fortsetze:
„Der Einstieg ins Jahr 2011 ist hervorragend gelungen. Der Aufschwung setzte sich im ersten Vierteljahr ausgesprochen kraftvoll fort. Die Zahlen belegen, dass die deutsche Wirtschaft weiter an Fahrt gewinnt. Deutschland ist der Wachstumsmotor unter den Industrieländern – und das nicht nur in Europa.“
Quelle: BMWi
Dabei hatte ich gedacht, Röslers erste Amtshandlung würde darin bestehen, Kisten mit leeren Weinflaschen zum Altglascontainer zu bringen. Offenbar ist das nicht der Fall. Dr. Philipp Rösler setzt auf Recycling. Er präsentiert uns nicht etwa alten Wein in neuen Schläuchen, sondern in den alten Flaschen seines Vorgängers. „Fürchtet euch nicht“, hatte dieser auf dem zur Stunde stattfindenden Parteitag der FDP den jungen Liberalen zugerufen. Man müsse zu den „Brot-und-Butter-Themen“ zurückfinden, so Brüderle.
Ausgangspunkt der Euphorie ist die Meldung des statistischen Bundesamts, wonach die deutsche Wirtschaft schwungvoll in das Jahr 2011 gestartet sein soll. Dabei kann von einem Schwung wohl kaum die Rede sein, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die letzten beiden Quartale davor mit 0,8 und 0,4 Prozent Wachstum in der Tendenz deutlich nach unten zeigten.
Die Statistiker führen einen schlechten Zaubertrick vor. Sie nehmen sich das schwächste der vier Quartale des XXL-Aufschwungjahres 2010 mit einem Wachstum von 0,4 Prozent und vergleichen es mit dem abgelaufenen Quartal 01/2011. Und schon ist wie durch Magie oder blumiges Zureden von Brüderle und nunmehr Rösler der (Auf)Schwung wieder da.
Er war ja auch nie weg. Der Aufschwung war nicht weg, als die Kommunen ein Rekorddefizit von 10 Mrd. Euro für das Jahr 2010 meldeten und der Staat eine Neuverschuldung von über 300 Mrd. Euro, weil er Geld für die Bankenrettung ausgeben musste. Der Aufschwung war auch nicht weg, als die erste Krankenkasse in der Geschichte Deutschlands Konkurs anmeldete, die zweite bereitet ihre Insolvenz gerade vor. Und der Aufschwung war auch nicht weg, als die Statistiker erneut einen Einbruch der Einzelhandelsumsätze vermelden mussten. Das ist gerade mal zwei Wochen her.
Trotzdem wird weiter behauptet, der Aufschwung stünde vor allem auf dem Bein des privaten Konsums. Alle Fakten sprechen dagegen. Selbst die Statistiker schreiben richtig.
Im vierten Quartal 2010 hatte es nur ein moderates Wirtschaftswachstum gegeben (+ 0,4% gegenüber dem dritten Quartal 2010), was allerdings zum Teil witterungsbedingt war und folglich auch den Anstieg im ersten Quartal 2011 positiv beeinflusst hat.
Quelle: destatis
Mit anderen Worten, hier wird nicht mehr als ein Nachholeffekt beschrieben. Das Wetter wird besser, die Bautätigkeit nimmt wieder zu. Und das soll jetzt ein Aufschwung sein?
Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft vom Außenhandel ist ja nicht über Nacht verschwunden. Sobald die Nachfrage unserer wichtigen europäischen Handelspartner aufgrund der Austeritätsverpflichtung im Zuge der Euro-Krise wegbricht, stürzt auch die angebliche Lokomotive der Europäischen Union wieder in jene tiefe Schlucht, in die sie schon einmal im Jahr 2009 fiel.
Maßnahmen zur Verhinderung dieser erneut absehbaren Katastrophe wurden nicht getroffen. Es gibt weder einen Mindestlohn, noch adäquate Erhöhungen der Einkommen sowie Sozialleistungen, die den Verlust der Massenkaufkraft über weit mehr als zehn Jahre auch nur ansatzweise ausgleichen könnten. Stattdessen erhöhen sich die Preise, obwohl die reale Nachfrage fehlt und die EZB steht Gewehr bei Fuss, die Konjunktur mit unnötigen Zinsschritten zusätzlich abzuwürgen. Bisher lebt das Binnenwachstum nur von Investitionen in Ausrüstungen und in Bauten, wie das statistische Bundesamt schreibt. Die privaten Konsumausgaben hätten darüber hinaus zum Teil deutlich zugelegt.
Wahrscheinlich haben sie deutlich zugelegt, weil durch die Beendigung der Kurzarbeit, die Beschäftigten wieder ihren normalen Lohn erhalten. Diesen Trick hatte schon Rainer Brüderle immer wieder angewandt, um eine Zunahme des privaten Konsums zu suggerieren.
In Wahrheit sollen die Tariflöhne laut Vorausschätzung der besten Ökonomen dieses Landes in diesem Jahr um gerade mal zwei Prozent steigen. Die Preise sollen sich nach Auffassung derselben Spitzendenker um 2,4 Prozent nach oben verändern. Das hieße aber, dass die Beschäftigten mit Tarifbindung, was in diesem Land auf nur noch 53 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse überhaupt zutrifft, erneut einen Reallohnverlust in Kauf nehmen müssten (siehe Michael Schlecht, MdB). Bisher hat es eine Erhöhung der Tariflöhne um 0,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gegeben. Die Teuerung lag zuletzt bei 2,4 Prozent.
Der Witz ist aber nun, dass dieselben Ökonomen der Auffassung sind, der Aufschwung würde plötzlich durch eine Ausweitung des privaten Konsums getragen. Wie soll das aber gehen, wenn erstens die Kaufkraft weiter sinkt und zweitens die Exporte beständig über die Importe dominieren?
Die Expansion von Exporten und Importen setzte sich ebenfalls fort
Deutschlands Wirtschaft setzt weiterhin auf die bestehenden Ungleichgewichte innerhalb der EU und profitiert davon auf Kosten der anderen. Damit ist eine der Hauptursachen der fortwährenden Krise nicht beseitigt. Für die stetige Verbesserung der Wettbewerbsposition können sich die deutschen Arbeitnehmer, Sozialleistungsempfänger, Rentner, Kinder usw. immer noch nichts kaufen, weil sie mit dem Engerschnallen ihrer Gürtel vollends beschäftigt sind. Schuldverschreibungen der Defizitländer kann man einfach nicht essen. Man muss sie am Ende sogar selber bezahlen, wenn die Handelsungleichgewichte fortbestehen und der Exportfetischismus unter dem Decknamen „Qualität, Made in Germany“ zum ideologischen Dogma erklärt wird.
„Was ist ein Aufschwung wert, wenn der Einzelhandelsumsatz im März um real 3,5 Prozent sinkt? Dieser Wirtschaftsaufschwung bestraft diejenigen, die durch ihre Arbeitsleistung die zusätzlichen Waren und Dienstleistungen hergestellt haben. Die ungleiche Verteilung bei Einkommen und Vermögen nimmt dadurch weiter zu. Ein solches Wachstum vergrößert die Außenhandelsungleichgewichte und verschärft so die Eurokrise weiter. Es ist ein Skandal, dass gerade sich durch die unsolidarische Politik der Bundesregierung der Außenhandelsüberschuss im März ausgerechnet gegenüber den EU-Partnern überproportional vergrößern konnte.“
Quelle: Sahra Wagenknecht (DIE LINKE)
Fürchtet euch nicht? Brüderle hat Recht, vor dem schwarz-gelben Ende brauchen wir uns nicht zu fürchten. Unsere Hoffnungen ruhen darauf.
Die deutschen Einzelhandelsunternehmen setzten im März 2011 nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) nominal 2,0% und real 3,5% weniger um als im März 2010. Beide Monate hatten jeweils 27 Verkaufstage. Im Vergleich zum Februar 2011 ist der Umsatz im März 2011 unter Berücksichtigung von Saison- und Kalendereffekten (Verfahren Census X-12-ARIMA) nominal um 1,8% und real um 2,1% gesunken.
Quelle: destatis
Was ist nur los? Am Mittwoch ließ Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle noch vollmundig und süffig verkünden, dass der private Konsum eine entscheidende Stütze der Konjunktur bleiben werde.
„Die Reaktorkatastrophe in Japan, steigende Energie- und Rohstoffpreise und die anhaltenden Unruhen in Nordafrika und der arabischen Welt haben zwar ein paar Wolken am Konsumhimmel aufziehen lassen. Gleichwohl zeigt aber das weiterhin hohe Niveau des Konsumklimas, dass die Verbraucher die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die deutsche Wirtschaft bislang als begrenzt beurteilen. Diese Einschätzung steht auch im Einklang mit Ergebnissen aus jüngsten Unternehmensbefragungen. Der Aufschwung in Deutschland steht auf einer soliden Grundlage. Der private Konsum wird in diesem Jahr eine entscheidende Stütze bleiben.“
Quelle: BMWi
Ich frage mich zwar noch immer, welche Auswirkungen die Reaktorkatastrophe in Japan und anhaltende Unruhen in der arabischen Welt auf den privaten Konsum in Deutschland haben sollen, aber vielleicht haben auch bei der GfK (Gesellschaft für Konsumübertreibung) und dem Brüderle ein paar Wolken oder sollte man sagen, eine trübe Suppe die Hirne vernebelt.
Demnach müsste man doch annehmen, dass der durchschnittliche deutsche Verbraucher Probleme mit der Umstellung seiner bisherigen Ess- und Trinkgewohnheiten hat. Denn natürlich war es doch bisher so, dass er mit Vorliebe japanische und arabische Importprodukte konsumierte, die nun ja wegen Fukushima einerseits und den Gadaffis andererseits nicht mehr den Weg nach Deutschland und in die Einkaufskörbe der Verbraucher finden. Denn laut statistischem Bundesamt sparen die Deutschen noch immer an Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren.
Der Einzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren setzte im März 2011 nominal 2,8% und real 4,8% weniger um als im März 2010. Dabei lag der Umsatz bei den Supermärkten, SB-Warenhäusern und Verbrauchermärkten nominal um 3,0% und real um 4,9% niedriger als im Vorjahresmonat. Im Facheinzelhandel mit Lebensmitteln wurde nominal 1,5% und real 3,2% weniger als im März 2010 umgesetzt.
Die Langzeitenwicklung spricht Bände. Von einer Konjunkturlokomotive, die der private Konsum nun schon seit Jahren sein soll, fehlt weiterhin jede Spur. Trotzdem geht das Aufschwunggerede unwidersprochen weiter. Vorgestern das Konsumwumder, gestern das Jobwunder und heute einmal mehr die Ernüchterung, die kaum kritisch beachtet werden wird.
In vielen Meldungen ist mal wieder von unerwarteten Rückgängen die Rede. Die Überraschung ist nicht zu verstehen, zumal jedem halbwegs wachen Journalisten ein simpler Zusammenhang hätte auffallen können. Joachim Jahnke weißt in seinem Infoportal auf einen Verlust der Massenkaufkraft hin.
Der Rückgang des Einzelhandelsumsatzes folgt dem realen Einbruch der Massenkaufkraft. Im Januar 2011 lagen die Tarifverdienste nominal nur um 0,9% über dem Vorjahr, während die Inflation bei 2,0% angekommen war, also ein realer Verlust von 1,1%.
Es ist noch keine Woche vergangen, als durch das statistische Bundesamt bekannt wurde, dass das Weihnachtsgeschäft und das gesamte letzte Jahr im Einzelhandel eine einzige Katastrophe war – keinen hat es interessiert – und heute darf die Gesellschaft für Konsumforschung schon wieder positive Konsumstimmung verbreiten. Deutschland sei im Höhenflug steht in der Überschrift zum Ausblick der GfK für das Jahr 2011 und die Medien berichten schon wieder unkritisch über die Konsumlüge, die sie als solche natürlich nicht erkennen wollen.
Die Deutschen finden immer mehr Gefallen am Geldausgeben.
Quelle: Reuters
Worauf begründet sich diese Aussage? Natürlich auf den absolut zuverlässigen Prognosen der GfK, die stets weit von dem entfernt sind, was tatsächlich durch reale Umsätze gemessen wird. Die Anschaffungsneigung befinde sich erneut auf Rekordniveau, heißt es. Doch was bedeutet das? Rein gar nichts. Angesichts der Tatsache, dass die Kauflaune ungebrochen hoch sei, die Umsätze im Einzelhandel aber stetig zurückgehen, müsste sich die GfK und vor allem die Medien doch einmal fragen, ob die Methode noch angebracht und das Ergebnis überhaupt aussagefähig ist. Besonders seltsam finde ich diesen Absatz in der Pressemitteilung der GfK:
Vom „Konsum-Muffel“ zum „Konsum-Optimisten“
Der europäische Vergleich zeigt deutlich, dass Deutschland derzeit eine Sonderstellung einnimmt. Der Aufschwung beflügelt nicht nur die Unternehmen, auch die Stimmung der Verbraucher hat sich nachhaltig gebessert. Galten die Deutschen früher als Angstsparer und äußerst preissensible Konsumenten, so achten sie heute immer stärker auf Qualität und geben ihr Geld gerne aus.
Im europäischen Vergleich zeigt sich vor allem, dass sich ganz Europa in einem Abwärtsstrudel befindet. Deutschland nimmt keine Sonderstellung ein, allenfalls bei der offiziellen Leugnung einer sehr deutlichen Kaufzurückhaltung. Im aktuellen Eurostat-Bericht findet sich demnach auch kein Vermerk über eine deutsche Sonderrolle. Dafür einmal mehr eine ziemlich eindeutige Tabelle:
Wie sie dort sehen können, steht bei Deutschland über das gesamte Jahr 2010 ein Wert unter 100 Prozent. Als Basis fungieren die Umsätze aus dem Jahr 2005! D.h, dass der deutsche Einzelhandel zu keinem Zeitpunkt eine Konsumparty erlebt haben kann. Im Gegenteil, wir liegen noch weit unter dem Niveau von 2005. Wenn es also eine deutsche Sonderrolle gäbe, wie es die GfK behauptet, dann besteht die zweifelsohne aus einer nach wie vor schwachen Binnennachfrage.
Es ist auch überhaupt nicht nachvollziehbar, woher die GfK und die berichtenden Medien die Gewissheit nehmen, dass im Jahr 2011 der private Konsum gerade in Deutschland an Fahrt gewinnen soll. Interessant ist dabei die Begründung, warum man das in anderen Ländern gerade nicht erwartet. Im Reuters-Bericht heißt es zusammenfassend:
Innerhalb Europas geht es den Deutschen der GfK zufolge derzeit sehr gut. Die Franzosen befürchteten, dass ihr Lebensstandard abnehmen werde. Auch die Italiener schränkten ihren Konsum ein. In Großbritannien bremse das scharfe Sparpaket der Regierung die Konsumausgaben, in Spanien die Immobilienkrise und die hohe Arbeitslosigkeit. Am stärksten seien aber die Griechen und Rumänen von der Krise getroffen worden. Ihnen stünden nun höhere Steuern und ein schwächerer Sozialstaat ins Haus.
So als ob es das 80 Mrd. Sparpaket der deutschen Bundesregierung nicht geben würde. Unsere Regierung streicht genau wie alle anderen vor allem im öffentlichen und sozialen Bereich. Bei allen anderen führt das, wie oben zu lesen ist, zu einem Konsumverzicht, nur bei uns Deutschen nicht. Sehr seltsam. Wahrscheinlich werden die Deutschen den Kosum jetzt richtig anfeuern, nachdem sich das schwarz-gelbe Pannenkabinett auf eine Erhöhung der Werbungskostenpauschale rückwirkend zum 1. Januar geeinigt hat. Bei einigen Steuerzahlern soll sich diese schwere politische Totgeburt mit zwei bis drei Euro bemerkbar machen. Wie gut, dass der Beitrag zur Krankenversicherung nur um 0,6 Prozentpunkte (etwa 10-20 Euro pro Monat mehr) gestiegen ist, da wirkt die Ersparnis aus der großen Steuervereinfachung, auf der sich vor allem die FDP besonders viel einbildet, etwas dämpfend auf den Netto-Verlust.
Es ist einfach nicht zu fassen!
Der Februar ist kurz, dennoch wird das Wunschdenken der harten Realität weiterhin vorgezogen werden. Beim privaten Verbrauch konnte man das gestern schon sehen. Trotz niederschmetternder Umsatzzahlen im Einzelhandel wird weiterhin die frohe Botschaft verkündet, dass die Kauflaune der Deutschen ungebrochen hoch sei und dass der Auschwung XXL bei allen ankäme. Dass die im Vorfeld geäußerten Erwartungen an eine stattfindende Konsumparty bitter enttäuscht wurden, verschwiegen nahezu alle Medien.
Das ist nur allzu verständlich, da man sich vor Weihnachten extensiv an der Verbreitung des GfK-Kaffeesatzindex beteiligt hatte, wonach die Verbraucherstimmung auf einem Höhepunkt sei. Hier noch einmal Tom Buhrows Kaufrausch-Propaganda in den Tagesthemen vom 18.12.2010. Ein ebenfalls trauriger Höhepunkt journalistischen Totalversagens.
Quelle: Michael Schlecht, MdB
Bei diesen Zahlen kann das Konsumklima noch so sonnig aussehen, aber was die reale Kaufkraft anbelangt, herrscht weiterhin eisige Kälte. Falls trotzdem mehr Geld in Lohnverhandlungen herausspringen sollte, was durchaus anzunehmen ist, wird man das sicherlich für steigende Gesundheits- und Pflegekosten sowie höhere Energiepreise beiseite legen müssen. Ich hatte ja bereits darüber berichtet, dass die Aufschwungsabsäufer in ihrer jüngsten Gemeinschaftsprognose davon ausgehen, dass die Einkommen um 1,4 Prozent steigen werden, aber auch die Verbraucherpreise um 1,4 Prozent bei gleichbleibender Sparquote. Wie unter diesen Voraussetzungen ein Aufschwung vom privaten Konsum getragen werden soll, bleibt nach wie vor ein Rätsel der Konsumklima- und vorweihnachtlichen Kaufrauschverkünder.
Die Debatte um globale Handelsungleichgewichte wird immer absurder. Inzwischen ist man in Deutschland schon auf dem geistigen Niveau der amerikanischen tea party Bewegung angekommen. Eine Begrenzung der Exporte bzw. ein erzwungener Abbau von Überschüssen wie die Amerikaner das fordern, wird hierzulande als planwirtschaftlich bezeichnet. Dabei spielt es doch überhaupt keine Rolle, wie man Überschüsse abbaut. Es ist nur entscheidend, dass sie abgebaut werden, weil sonst die Defizite auf der anderen Seite nicht verringert werden können. Manchmal hat man den Eindruck, dass unsere schwarz-gelben Kommunistenfresser und deren mediale Mietmäuler den Kapitalismus nicht verstanden haben.
Handelsüberschüsse sind doch nur möglich, wenn die Bereitschaft zur Verschuldung besteht UND: das ist jetzt ganz WICHTIG, auch die Bereitschaft besteht, verfügbares Kapital zu verleihen!!!
D.h. wo es Schuldner gibt, gibt es auch Gläubiger. Doch Deutschland tut gerade so, als hätte es nichts mit den Defiziten der anderen zu tun. Das stimmt einfach nicht. Wer rettet denn Griechenland? Deutschland und China haben sehr hohe Exportüberschüsse. Exportüberschüsse bedeuten zwangsläufig Liquidität. Was kann man nun mit diesem Kapital machen? Man könnte es nehmen und in die eigene Realwirtschaft stecken, in dem man in Bildung, Infrastruktur und Kaufkraft investiert. Das würde im Endeffekt die Nachfrage erhöhen und damit auch die Absatzmöglichkeiten für andere Volkswirtschaften, die auf diesem Wege selber Geld verdienen könnten, um die Verbindlichkeiten zu bedienen, die sie bei ihren Importen eingehen.
Oder man nimmt das Kapital und verleiht es an jene Länder zurück, die einen hohen Binnenkonsum haben, wie die USA z.B., damit die weiter deutsche Waren und Dienstleistungen kaufen können. Im Gegenzug bekommen die Gläubiger Schuldverschreibungen, die man natürlich nicht essen kann. Auf diesem Weg erhöhen sich Überschüsse in demselben Ausmaß wie die Defizite auf der anderen Seite. Das System scheitert zwangsläufig.
In einem freien Markt gibt es also einen Zusammenhang zwischen Ländern, die mehr exportieren und Staaten, die mehr importieren. Beide sind Teile derselben Bilanz. Rechnet man Überschüsse und Defizite zusammen, steht am Ende immer eine Null. Deshalb spricht man ja auch von Ungleichgewichten. Der springende Punkt ist nun, dass sich Überschüsse und Defizite nicht beliebig steigern lassen. Defizitländer müssen sich nämlich permanent refinanzieren. Sie sind also abhängig von unregulierten Kapitalmärkten, die darüber entscheiden, wie viel Zinsen ein Staat für Kredite zu zahlen hat, welche Bonität er besitzt. Die Erfahrung hat nun gezeigt, dass man mit der Bonität prächtig spekulieren kann.
Das Spiel mit dem Zusammenbruch ist ein einträgliches Geschäft. Hierauf sollten sich die Kommentatoren einmal konzentrieren. Dahinter steckt schließlich auch ein Plan. In Europa gibt es zum Beispiel einen dreistelligen Milliardenbetrag abzugreifen, der zur Verfügung gestellt wurde, um eine gesamte Währungszone zu retten. Das ist doch nach wie vor verrückt. Vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass die deutsche Bundesregierung zunächst durch zögern die Lage für die Realwirtschaften verschlimmert hat und für Spekulanten verbessert. Jetzt hat man auch noch ohne Not festgeschrieben, dass der beschlossene Krisenmechanismus, also Milliardenhilfen, von Dauer sein soll. Die Spekulanten freuen sich erneut, weil jetzt nicht nur deren Gewinne gesichert bleiben, sondern sie auch keinen Verlust ihrer Einsätze mehr zu fürchten brauchen.
Aber zurück zu den Ungleichgewichten. Den USA wirft man nun vor, dass sie Geld drucken. Europas Zentralbank druckt übrigens auch Geld, aber das nur nebenbei. Die Deutschen beschweren sich nun, dass die Amerikaner auf diesem Wege Währungsmanipulation betreiben und den Dollar absichtlich abwerten. Natürlich müssen sich die Deutschen darüber beschweren, weil deutsche Waren und Dienstleistungen in Amerika somit verteuert werden. Das ist schlecht für’s Wachstum. Im dritten Quartal gibt’s auf der Überholspur bereits ein Tempolimit. Gerade einmal 0,7 Prozent hat das Plus noch betragen, wie das statistische Bundesamt heute mitteilte. In Q2/2010 waren es noch +2,3 Prozent. Wenn man sich also vorstellt, dass neben schwacher Nachfrageentwicklung auch noch Währungsabwertungen hinzukommen, wird es eng für die deutsche Exportwirtschaft.
Was die Bundesregierung aber nun beklagt, ist genau das, was sie von Defizitländern einfordert. Sie werden nämlich wettbewerbsfähiger. Es ist doch völlig wurscht, ob Löhne gesenkt werden oder die Währung abgewertet. In beiden Fällen wird Kaufkraft gekappt. Gleichzeitig erhöhen sich die Chancen für den Außenhandel des Defizitlandes. Denn wenn deutsche Exporte nach Amerika teurer werden, werden im Gegenzug Importe aus den USA billiger. Die USA können also Marktanteile zurückgewinnen und somit Geld verdienen, das sie brauchen, um die Forderungen aus Deutschland wieder bedienen bzw. ihr Bilanzdefizit ausgleichen zu können.
Das Problem an dieser Lösung ist nur, dass hier eine Abwärtsspirale bewusst in Kauf genommen wird. Was passiert denn, wenn Deutschlands Exportwirtschaft heiß geliebte Marktanteile verliert? Dann kommen die neroliberalen Dummschwätzer wie Hüther, Hundt und Sinn lautstark aus ihren Ecken gekrochen und fordern weitere Sparpakete und Lohnzurückhaltung. Auch diese spezielle Form der Planwirtschaft ist uns doch bekannt und wurde bereits vor dem Ende des Ostblocks von den sog. Marktliberalen eingeführt und in guten wie in schlechten Zeiten als Dogma vor sich hingepredigt.
Ich sehe nur einen Plan. Und dieser Plan zeigt einen Weg von Abgrund zu Abgrund auf. Alternativen werden nicht diskutiert und zugelassen. Das Schlagwort „Alternativlosigkeit“ ist in diesem Zusammenhang nur eine nette Umschreibung für die Diktatur der Finanzmärkte.
Angela Merkel hielt heute Mittag eine Regierungserklärung. Morgen reist sie ja bekanntlich zu einem neuerlichen EU-Gipfel nach Brüssel. Ich will gar nicht so sehr auf die Blamage eingehen, die sich die Bundeskanzlerin eingehandelt hat, als sie mit dem Franzosen-Wicht in Deauville einen Deal schloss, in dem sie erklärte, auf den automatischen Sanktionsmechanismus für Defizitsünder, den sie zuvor vehement gefordert hat, einfach zu verzichten.
Natürlich war klar, dass die Position Merkels und in ihrem Gefolge der europäischen Union, die sich jetzt durch Merkel düpiert fühlt, nie und nimmer hätte umgesetzt werden können, weil damit offen Verfassungsbruch begangen worden wäre. Nicht so klar ersichtlich war aber, wie sich Merkel aus dieser Sackgasse befreien würde. Dass sie nun einfach gesagt hat, machen wir nicht mehr, ist schon ein starkes Stück. Als Erklärung für ihre 180 Grad Wende bot sie heute nur einen Satz:
„Eine deutsch-französische Einigung ist noch nicht alles in Europa. Aber: Ohne eine deutsch-französische Einigung wird vieles nichts.“
Ich würde sagen, bei Frau Merkel ist alles nichts!
Das Zugeständnis der Franzosen, die Deutschen bei dem Bestreben einer EU-Vertragsänderung zu unterstützen, darf dabei getrost als Nebelkerze bezeichnet werden. Denn Merkel selber war es doch, die den Lissabon-Vertrag wasserdicht geredet und als unabänderbar bezeichnet hatte, nachdem die Iren und Tschechen diesem neoliberalen Machwerk doch noch zugestimmt hatten. Die kleinen EU-Staaten werden zudem wohl kaum einer Änderung zustimmen, die besagt, dass sie weitere Kompetenzen abgeben sollen und im Zweifelsfall gar nicht mehr mitreden dürfen.
Aber das nur am Rande. In ihrer Rede ging sie unter anderem auch auf die Ursachen von Defiziten ein und wehrte sich einmal mehr gegen den Vorwurf, Deutschlands Exportüberschuss sei verantwortlich dafür. Sie sagte, dass die Handelsbilanzen den Marktgesetzen des Wettbewerbs unterliegen würden und ein künstlicher Eingriff durch den Staat unter allen Umständen zu vermeiden sei. Sie empfahl einmal mehr, dass andere Länder vom deutschen Beispiel lernen und ihre Wettbewerbsposition verbessern sollten. Damit unterstrich sie erneut ihre geistige Borniertheit.
Merkel hätte nämlich auch sagen können, dass die anderen Länder endlich kapieren sollen, dass wir Deutschen keine Massenkaufkraft brauchen. Die Unternehmen machen alles, konsumieren, investieren und exportieren. Wenn man sich das Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute anschaut, kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen. Demnach wird nämlich erwartet, dass die Einkommen im nächsten Jahr um 1,4 Prozent steigen werden. Die Preise aber auch um 1,4 Prozent. Nun soll aber bei unterstellter gleichbleibender Sparquote der Konsum ebenfalls um 1,4 Prozent steigen. Diesen Zaubertrick versteht man nur, wenn man fest daran glaubt, dass die Zuwächse bei Unternehmen und Vermögen, die sich in diesem Jahr auf unverschämte 14 Prozent und im nächsten Jahr auf noch einmal satte 3,6 Prozent belaufen sollen, in privaten Konsum umsetzen werden.
Heiner Flassbeck meinte dazu kürzlich auf den NachDenkSeiten:
„Wenn das in Europa die anderen Länder auch noch kapieren, müssen wir nur noch die Wesen vom Mars davon überzeugen, dass wir von nun an alles produzieren, was sie brauchen, und schon ist die Sache geritzt.“
So gesehen brauchen wir auch keine steigenden Löhne und schon gar nicht einen staatlichen Eingriff in die Handelsbilanzen, der dem freien, zügellosen und perversen Marktgeschehen zuwider läuft. Warum nur verteidigt Frau Dr. Merkel dann ihre zurückliegenden Konjunkturpakete als richtig und notwendig?
In gewisser Weise hatte Frank-Walter Steinmeier mit seiner Feststellung recht, dass der Widerspruch zum Markenkern der schwarz-gelben Regierung gehöre, weil das tatsächliche Handeln immer genau dem Gegenteil von dem entspricht, was vollmundig angekündigt wurde. Aber das ist ja nur die banalste aller Erkenntnisse. Viel treffender wäre ja die Zuspitzung, die Georg Schramm bei seinem Referat am Montag in Stuttgart vortrug. Die Regierung betreibe einen vorsätzlichen Missbrauch der Sprache und niemand hindere sie daran.