Judentum

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Heinrich Schirmbeck und der Untergang der Zivilisation: ketzerische Gedanken zu Karfreitag.

Heinrich Schirmbeck und der Untergang der Zivilisation: ketzerische Gedanken zu Karfreitag.

Freitag, 18.4.2014. Eifel. Heute ist Karfreitag. Heute vor über zweitausend Jahren starb der Sohn Gottes an einem Kreuz, hingerichtet vom römischen Imperium. Die Legende sagt: er starb, um unsere Sünden zu tilgen – eine Botschaft, deren Wichtigkeit man erst versteht, wenn man sich anschaut, welche Lasten die Religionen der Welt den Menschen sonst aufbürdeten, um sich von ihren Sünden (oder Schwächen) zu befreien, um Erleuchtung oder Erlösung zu finden. Deshalb nennt man die Legende von Christus ja die „Frohe Botschaft“. Was man von ihr allerdings in Kirchen und an öffentlichen Plätzen sehen kann, ist etwas anderes: ein Leichnam, hingerichtet von den Mächten und Gewalten der damaligen Gegenwart – nicht das geschickteste Symbol für eine „frohe Botschaft“, möchte man meinen.

Die frohe Botschaft? Ja – durch den Kreuzestod Jesu wurde – der Legende nach – die Menschheit befreit von der Herrschaft der „Mächte und Gewalten“.

„Mächte und Gewalten“? Zweitausend Jahre nach dem Kreuzestod wissen wir so gut wie gar nicht mehr, was damit gemeint war. Die Zeitgenossen Christi wussten das noch sehr gut. Sie repräsentieren die gefallene Seite der Schöpfung, zwar auch von Gott geschaffen, aber nicht gerade freundlich zu Menschen. Sie bringen Tod, Hass und Angst in das Leben der Menschen, Sünde, Tod und Teufel sind ihre Manifestationen. Sie gleichen jenen falschen Göttern, vor denen Gott selbst einst das Volk Israel gerettet hatte. Auch das war nichts Neues: die älteste menschliche Existenzweise ist die der nomadischen Stammesgesellschaften – und die hatten nur einen Gott, der im Himmel wohnte und sie behütete. Mit den Städten begann dann die Vielgötterei, es gab Götter für jede Gelegenheit, Mächte und Gewalten, die sich in alle Bereiche des menschlichen Lebens einmischten. Der Legende nach waren es – von Griechenland über Rom bis nach Germanien – vor allem die jungen, hübschen Töchter der Menschen, nach denen ihnen der Sinn stand: der Feudalstaat schuf sich so ein Abbild im Himmel.

Ja – der heutige Tag sollte eine große Befreiung mit sich bringen – schon vor zweitausend Jahren. Hat er ja auch. Niemand fürchtet sich mehr davor, dass ein blitzwütiger Odin die eigenen Töchter schändet, dass ein hintertriebener Loki die Ernte misslingen läßt oder ein wütender Thor das Gehöft mit seinem Hammer in Stücke schlägt. Was muss das für ein Leben gewesen sein, damals. Überall versteckten sich mächtige Götter, die übermächtigen, unsichtbaren, allgegenwärtigen Königen gleich über das ganze Erdenrund herrschten, unten auf der Erde hingegen der kleine, hilflose Bauer, gefesselt an die Scholle, jeden Launen seiner göttlichen Herren hilflos ausgeliefert.

Ich denke, man muss das mal erlebt und gelebt haben, um so ein Lebensgefühl nachvollziehen zu können.

Wir modernen Menschen können das gar nicht mehr. Wir sind vollkommen Herren über unser eigenes Schicksal, keine Mächte und Gewalten dirigieren unser Verhalten in unserem Leben, wir gestalten unseren Alltag ganz nach unserem eigenen, freien Willen: wie sollen wir nachempfinden können, wie es ist, das Niederste vom Niedersten zu sein, Gewürm unter den Stiefeln der mächtigen Germanengötter?

Nun – einer konnte das. Heinrich Schirmbeck war sein Name. Starb neunzigjährig im Jahre 2005 – am amerikanischen Unabhängigkeitstag. Auf der Internetseite der Heinrich Schirmbeck Gesellschaft findet man ein Zitat von ihm:

„Und wie dem Schöpfer seine Schöpfung, nämlich der Mensch, durch die Hybris der Erkenntnis gewissermaßen entglitt, so begann dem Menschen seine Schöpfung zu entgleiten, nämlich die Gesellschafts-, die Staaten-, die Institutionen- und Apparatenwelt. Wie Gott des Menschen nicht mehr Herr zu werden scheint, so wird der Mensch seiner Schöpfung nicht mehr Herr: sie entwickelt eine Eigengesetzlichkeit, die ihn in seiner Freiheit und Existenz bedroht“.

Eine Schöpfung, die uns in unserer Freiheit und Existenz bedroht? Unglaublich, oder?

Sie als moderner, aufgeklärter Mensch stehen dieser angedeuteten Rückkehr der alttestamentarischen „Mächte und Gewalten“ selbstverständlich skeptisch gegenüber. Wir leben in einer aufgeklärten Demokratie, haben seit bald siebzig Jahre Frieden und sind frei wie nie ein Mensch zuvor!

Schauen wir mal genauer hin. Schon mal überlegt, wo Ihr Essen herkommt?

Klar – aus dem Supermarkt. Wir alle bekommen es aus dem Supermarkt.

Wer füllt die Märkte? Wissen Sie das überhaupt noch?

Fünf – bis sechs „Konzerne“. Mehr nicht. Gigantische Institutionen mit unglaublicher Macht, reicher als die meisten Staaten, liefern Ihnen das Essen – jenes Essen, das früher von ganz allein im Wald und auf den Feldern wuchs – umsonst. Der „freie“ Mensch wurde so zu dem einzigen Wesen, das für seine Existenzs auf Erden bezahlen muss – als ob er ein fremdartiger Eindringling ist, der bloß geduldet wird.  Egal wie reich Sie nun sind, wie reich Sie sich fühlen: in Ihrer ganzen Existenz sind sie auf Gedeih und Verderb diesen Konzernen ausgeliefert.  Haben die Konzerne mal keine Lust mehr, ihre Arbeit zu machen (was SOFORT geschieht, wenn die Rendite zu niedrig ist), dann stellen sie ihre Arbeit ein, die Regale bleiben leer und Sie verhungern. Wer kontrolliert diese Gebilde, die uns auch mit Öl, Baustoffen, Waffen, Automobilen und enorm viel Unterhaltung versorgen?

Theoretisch: Menschen. Praktisch: Niemand. Diese Kapitalballungen haben ein Eigenleben. In dem kanadischen Film „Corporation“ wurde dies im Detail beschrieben, hier bei Facebook:

The Corporation ist ein kanadischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2003. Der Film analysiert das Verhalten von Großunternehmen im Geschäftsleben. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass solche Unternehmen in der Regel alle Kriterien für einen Psychopathen erfüllten, wenn Bewertungsmaßstäbe für menschliches Verhalten angelegt würden. Zudem wird dargelegt, dass solch ein Vergleich durchaus seine Berechtigung habe – weil Unternehmen als juristische Personen rechtlich größtenteils mit Menschen (Natürliche Personen) gleichgestellt seien. Einer der wesentlichen Aspekte des Films ist, dass Großunternehmen nur die eigenen Interessen verfolgen und dabei prinzipiell keinerlei Interessen anderer Personen – insbesondere von Menschen – berücksichtigen. Der Film wurde vom Rechtswissenschaftler Joel Bakan geschrieben und von Mark Achbar und Jennifer Abbott produziert.

Sie haben einen einzigen Zweck: soviel Geld wie nur irgend möglich aus dem Markt zu pressen – ohne Rücksicht auf Verluste. Selbst verantwortungsbewusste Geschäftsleiter scheitern an den Automatismen dieser künstlichen Konstrukte, die durch Verträge und Gesetze geschaffen wurden.

Gewaltige Psychopathen, mit gottähnlicher Macht ausgestattet – das hatten wir schon mal. Die Menschen hatten sie damals Odin, Zeus und Jupiter genannt.

Gehen wir weiter zu Ihrem politischen Leben. Sie haben ja mal einen Staat geschaffen, um vor solchen geistlos plündernden unmenschlichen Horden geschützt zu werden. Die Kräfte der Menschen sollten geeint werden, um selbst eine Macht zu bilden, die größer ist als das Schicksal selbst. Hungersnöte, Armut, willkürliche Not, Folter, Krieg – all das sollte für immer der Vergangenheit angehören. Zur Jahrhundertwende (1899) war man auch der Meinung, das Kriege in Europa völlig ausgeschlossen sind – man sei zu zivilisiert, um sich solcher Barbarei zuzuwenden.

Zwei Weltkriege später steht das inzwischen durch und durch demokratische Europa wieder am Abgrund eines Krieges, Truppen werden an die Ostfront verlegt, ein weiterer Krieg mit Russland steht bevor, federführend hier: die NATO und die STAATEN, weitere von Menschen geschaffene Mächte und Gewalten. Klar – die Nato und Deutschland: das sind WIR. WIR wählen unsere Abgeordneten, die wählen die Bundeskanzlerin und die schützt uns mit der Gewalt des Staates vor Not und Elend – und erst recht vor Krieg. So dachten wir jedenfalls, bis wir merkten: die Kanzlerin ist ja völlig hilflos – so hilflos wie der germanische Bauer angesichts der Allmacht seiner Götter. Das hat sie selbst zugegeben … und deshalb wurde „alternativlos“ zum Unwort des Jahres 2010 (siehe Spiegel). Sind Entscheidungen alternativlos, ist der Mensch hilflos … fremden Gewalten ausgeliefert. Momentan müssen wir hoffen, dass der Krieg gegen Russland nicht auch alternativlos ist.

Heinrich Schirmbeck übrigens hat diese „Alternativlosigkeit“ angesichts der Mächte und Gewalten schon früher kennenlernen dürfen. Als Gründungsmitglied der Grünen und Mitglied der Friedensbewegung durfte er eine ganz besondere Erfahrung machen – er, der 1991 noch eine umfangreiche Studie zum Völkerrechtsbruch durch die USA und die Vereinten Nationen im ersten Irakkrieg an alle wichtigen Politiker verschickte, erlebte, wie die einst so friedliebenden Grünen „alternativlos“ den ersten Einsatz deutscher Kampfbomber im Ausland seit 1945 befahlen – und bejubelten.

Die Sorge, dass die gleichen Automatismen einen weiteren Weltkrieg ins Leben rufen werden, scheint begründet – erst recht, seitdem die Politik auch ihre Hilflosigkeit gegen die agierenden Mächte und Gewalten eingestanden hat … ohne jedoch auch nur im Geringsten den Versuch zu unternehmen, sich die politische Macht zurück zu erobern: gegen Götter kämpfen halt selbst Könige vergebens.

Ja – sie sind wieder da, die Götter. Der Kreuzestod Christi scheint sinnlos, ja, das Symbol des Gottessohnes am Kreuz scheint ein höhnisches Symbol des Triumphes von Menschen geschaffener Imperien über Gott selbst geworden zu sein, Imperien, die sich selbst ganz offen als Gott ausgeben … oder haben Sie etwa noch nie von den „Märkten“ gehört, die mit „unsichtbarer Hand“ Ihr Leben dirigieren, ihren Arbeitsplatz nach China verlegen, ihren Sozialstaat vernichten (wobei das „Soziale“ der einzige legitime Grund für den Schutzbund „Staat“ ist), die Krümmung ihrer Banane vorschreiben oder die Art der Beleuchtung in ihrem Schlafzimmer bestimmen?

Die Herausforderung der Menschheit des 21. Jahrhundert erinnert an die Herausforderung vorchristlicher (und vorjüdischer) Zeiten. Auch damals war der Normalbürger unsichtbaren Mächten und Gewalten ausgeliefert, die ihn wie Spielzeug hin- und herschubsten. Wenn der Kriegsgott zur Feier rief, gab es keine Diskussionen mehr … jedenfalls so lange nicht, bis sich der alte Gott der Nomadenvölker mit seinen zehn Geboten durchsetzte, jener Gott, der letztlich vor 3000 Jahren die biblische Geschichte inspirierte und ein für allemal dem idiotischen Treiben der Mächte und Gewalten ein Ende setzte: es gab nur ein einen Gott – und der war lieb und gerecht und verbot das Töten.

Heute sind sie wieder da, die Mächte und Gewalten. Anders als Zeus und Ares haben sie jedoch reale Macht – Supermacht, sozusagen.

Als Staatenbünde, Wirtschaftskonzerne, Regierungsorganisationen, Parteien, die den Menschen seiner Freiheit berauben und in seiner Existenz bedrohen – doch anders als der Götterterror der Vergangenheit verfügen diese Mächte und Gewalten über reale Macht: Atomwaffen (die schon in den nächsten Wochen in Europa zum Einsatz kommen könnten), gentechnisch veränderte Nahrungsmittel (die von der Kanzlerin gegen den erklärten und erkannten Willen des Volkes eingeführt werden – alternativlos), chemisch und biologisch bis auf zelluläre Ebene hinab verseuchte Umwelt (man denke nur an … Plastik): die Bilanz unserer Zivilisation ist vernichtend – ihr Untergang scheint unausweichlich, so jedenfalls erklärt uns dies aktuell eine Studie der Nasa (siehe    N 24):

Fünf Risiko-Faktoren für den Kollaps der menschlichen Zivilisation haben der Mathematiker Safa Motesharrei und sein Team ausgemacht. Die Analyse der Entwicklung von Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Wasserversorgung, Landwirtschaftsentwicklung und Energieverbrauch gibt Rückschlüsse auf die Stabilität unseres Wohlstandes.

Wenn diese fünf Faktoren so zusammenwirken, dass zwei bestimmte Entwicklungen einsetzen, ist der Kollaps unausweichlich. Diese beiden Entwicklungen sehen die Forscher als bereits eingetreten an: die Überlastung der Ökosysteme durch zu hohen Verbrauch der globalen Ressourcen bei gleichzeitiger Aufspaltung der Gesellschaft in reiche Eliten und den armen Rest. Beim Untergang aller großen Hochkulturen in den letzten fünftausend Jahren haben diese beiden Dynamiken eine zentrale Rolle gespielt.

Das ist die Erfahrung der Menschheit in den letzen siebentausend Jahren: Hochkulturen rotten sich selber aus. So sind wir bei ein paar Überlegungen zu Karfreitag mitten in den laufenden, alternativlosen Untergang unserer Hochkultur geraten.

Wie wir sehen, können wir eigentlich doch ganz gut nachempfinden, wie sich der kleine Bauer vor Ort gefühlt haben muss, in seiner Existenz ständig bedroht von großen, unsichtbaren Mächten und Gewalten.

Der Unterschied zu uns?

Er brauchte nicht von Konzernen durchgefüttert zu werden, durfte noch von dem leben, was das Land hergab. Und seine Götter hatten keine Nuklearwaffen, produzierten keine künstlichen Seuchen, verwüsteten ganze Landstriche oder rotteten in nie dagewesenem Maße Pflanzen und Tiere der natürlichen Umwelt des Menschen aus.

Letztendlich bleibt nicht viel übrig von unserem kulturellen Überlegensheitsgefühl, oder? Wir gleichen eher den Luxuspassagieren einer sinkenden Titanic, die noch Musik und Tanz pflegten, als die ersten Menschen in den weniger gut versorgten Gebieten des Schiffes schon ertranken.

Hören wir nochmal Heinrich Schirmbeck dazu, hier aus einer Rede zu seinem 90. Geburtstag auf Literaturkritik:

„In unserer Zeit vollzieht sich ein Vorgang, der wesentlich mehr zu sein scheint als die Bereicherung des Wirklichen um einen neuen Aspekt: es ist der Einbruch der Naturwissenschaften in unser Leben. Dieser Einbruch zeigt sich einmal in der Überflutung unseres Alltags mit technischen Geräten, in der Beschleunigung aller materiellen und informativen Prozesse. Er zeigt sich aber noch viel unheimlicher in der Entsinnlichung aller traditionellen Lebensverhältnisse. Es ist, als werde ihnen die Substanz zunehmend entzogen, so daß nur ein abstraktes Skelett von Funktionen übrigbleibt.“

Das schrieb er 1964.

Da gab es noch keine Handys, kein Privatfernsehen und keine Alternativlosigkeit in politischen Entscheidungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Heilige Geist, die Angst, Hartz IV und das Wohlstandsevangelium

Heute ist Pfingsten. Kaum einer weiß noch, was wir feiern, aber alle wollen Montag frei haben. Pfingsten ist - neben Ostern - das wichtigste Fest der Christenheit, die allerdings lieber Weihnachten feiern. Was Pfingsten ist, ist schwer zu erklären, ohne auf die weltfremde Terminologie der Christen selbst zurückzugreifen, die sie oft benutzen, wenn sich Worte machen wollen, ohne etwas zu sagen. Der Tag hat mit dem "Heiligen Geist" zu tun, eines jener Momente der "Heiligen Dreifaltigkeit" des christlichen Gottes, wird aber auch als Geburtstag der Kirche verstanden. Letzteres verstehen wir, Ersteres eher nicht.

Heute ist Pfingsten. Kaum einer weiß noch, was wir feiern, aber alle wollen Montag frei haben. Pfingsten ist – neben Ostern – das wichtigste Fest der Christenheit, die allerdings lieber Weihnachten feiern. Was Pfingsten ist, ist schwer zu erklären, ohne auf die weltfremde Terminologie der Christen selbst zurückzugreifen, die sie oft benutzen, wenn sie Worte machen wollen, ohne etwas zu sagen. Der Tag hat mit dem „Heiligen Geist“ zu tun, eines jener Momente der „Heiligen Dreifaltigkeit“ des christlichen Gottes, wird aber auch als Geburtstag der Kirche verstanden. Letzteres verstehen wir, Ersteres eher nicht.

Im Prinzip erlaubt der „Heilige Geist“ uns Menschen, Gott erfahren zu können – jedenfalls einen Teil von ihm, den er der Welt zu Verfügung stellt. Viele Menschen lehren (auch außerchristliche) Traditionen, in denen die direkte Erfahrung Gottes in der Welt möglich ist – wie zum Beispiel der Mönch Willigis Jäger, der östlichen Wegen der Meditation den westlichen Weg der Kontemplation entgegenstellt. Das ist ein Teil der Welt, in der wir leben: auf der einen Seite Atheisten, die die Existenz Gottes ablehnen, auf der anderen Seite Menschen, die Gott erfahren.

Mittendrin, völlig verwirrt: wir.

Prinzipiell möchte ich sagen, das ich dazu neige, eher den Theisten zu lauschen. Sie haben eine Theorie und führen täglich praktische Beweise für ihre Richtigkeit an. Einfach mal Willigis Jäger lauschen. Es wäre ja auch schön, wenn es im Jenseits oder am Urgrund des Seins etwas gäbe, das uns vor den Gewalten der Welt schützen kann – oder einfach über den Tod hinweg hilft. Und wenn man das persönlich erfahren kann – dann sehe ich den Beweis als gegeben an. Ich würde keinen Nutzen darin sehen, hier überkritisch zu werden, weil ich weiß, das der Verstand schon überfordert damit ist, die Existenz des Stuhles zu beweisen, auf dem ich sitze – einfach mal Descartes und Kant lesen, dann weiß man, welche Probleme da auf einen zukommen können.

In einer recht alten Schrift, an deren Titel ich mich nicht erinnern kann, wurde mir in meiner Jugend plausibel nahegelegt, das das Judentum in die Welt kam um den Menschen die Angst zu nehmen. Die Angst vor Göttern (denen damals noch wöchentlich geopfert wurde, gerne auch Kinder), aber auch die Angst vor den unbezähmbaren Mächten der Welt, die damals als erste militärische Großmächte anfingen, Angst und Schrecken zu verbreiten.

Diese Sichtweise fand ich ganz in Ordnung.

Heute sind es Christen selbst, die Angst und Schrecken verbreiten – oft völlig umsonst. Götter, die Menschenfrauen vergewaltigen, haben wir abgeschafft – oder sie mussten dem Einen weichen, lediglich der ägyptische Ritus der Freimaurerei gestattete noch Verkehr mit Engeln, jedenfalls bis Rudolf Steiner ihn offiziell abgeschafft hatte. Die Mächte der Welt jedoch … sind schlimmer geworden als je zuvor. Einfach mal aus dem Fenster schauen – selbst im superreichen Deutschland kann man es erkennen:

jeder Quadratzentimeter ist verteilt, jeder Apfel, jede Beere, jeder Bach gehört irgendjemandem. Und den vielen, denen nichts gehört, leben in ständiger Angst davor, das man ihnen das fortnimmt, was ihr Körper zum funktionieren braucht: der Horror des willkürlichen Hungertodes in diesem Land hat unter dem Stichwort „Hartz IV“ Gestalt angenommen.

Nun will man uns einreden, das die Angst der Deutschen so etwas wie ein genetischer Defekt ist, womit man natürlich nebenbei sagt: es gibt gar keinen Grund für eure Angst. Wer Angst hat, ist bescheuert.  Angst vor dem Atom ist ja gerade weit verbreitet, ebenso die Angst davor, was denn passiert, wenn das Atom keinen Strom mehr liefert, was für manche das Ende Deutschlands bedeuten könnte.

Was nun die genetische Disposition der Angst der Deutschen angeht, so kann ich den Streit der Genetiker vielleicht schlichten: ich zum Beispiel brauche keine Gene, die mir die Schrecken der NS-Zeit nahebringen, ich hatte genügend Verwandte in einer sehr großen Familie, die Liveberichte vor Ort von sich gaben – in einer Zeit, wo man sein Leben noch nicht vor dem Fernseher verbrachte, waren die Geschichten der Großväter oft das Nachtmittagsprogramm. Die Ängste, die sie erleiden mußten, konnten sich noch ungefiltert übertragen, der Geschichtsunterricht lieferte dann die passenden Rahmendaten dazu. Wer so etwas erleben durfte, braucht keine Gene mehr, die ihm sagen, was Lampenschirme aus Menschenhaut in Vernichtungslagern wirklich bedeuten … und das in dem Land, das sich kulturell so hochstehend wähnte. Wenn denen das passieren konnte … was bedeutet das erst für uns heute und den Rest der Welt?

Es kann jederzeit wieder geschehen. Keine große Entwicklung seit dem Zeitpunkt, als die ersten babylonischen und sumerischen Imperien die friedlichen goldenen Zeitalter beendeten … nur ist die Macht der weltlichen Gewalten viel größer geworden, der Wahnsinn hat Dimensionen angenommen, die wir uns früher nicht hätten vorstellen können. Man muss sich das mal überlegen: wie beziehen Energie durch die Spaltung von Atomen … und wissen bis heute eigentlich nicht, was das ist, so ein „Atom“. Wir wundern uns nur jedesmal aufs Neue, was sich darin alles so tummelt und wie weit wir uns von den Modellen von Nils Bohr eigentlich entfernt haben.

Und was geschah mit dem Christentum seitdem, mit der Bewegung, die die elitäre Stellung des Judentums auflösen und den Heiligen Geist für die gesamte Menschheit zugänglich machen sollte?

Sie machen auch Angst … mehr allerdings als nur durch Weltuntergangsphantasien.

Das „Wohlstandsevangelium“ prägt weite Teile der Christenheit in den USA, taucht in verschiedensten Formen auf (manchmal auch ganz unreligiös als Psychologie getarnt oder völlig esoterisch als Mischmasch aus Wunschdenken und Physik) und predigt eine Religion der Macht: wer immer auch Erfolg hat – vor allem finanziellen Erfolg – der hat den Segen Gottes. Im Umkehrschluss ist derjenige des Teufels, der arm ist. Es ist eigentlich DIE Religion der USA: der Erfolg gibt einem Recht.

Es ist auch die Religion, die sich mit Hartz IV in Deutschland ausgebreitet hat: wer keine Arbeit hat, ist selber Schuld; die Tatsache, das er sich mit zehn anderen Arbeitslosen um einen einzigen Arbeitsplatz kämpfen muss, spielt in diesem irrationalen Weltbild keine Rolle. Es ist kein Zufall, das der Chef der Bundesagentur für Arbeit – neben unserem Bundespräsidenten – in der US-gefärbten Bewegung „Pro Christ“ aktiv ist … im Gegenteil: man braucht so eine Religion, um die Irrationalität von Hartz IV ertragen zu können. Wer nun aber noch reale Erinnerungen an die NS-Zeit hat, bekommt zurecht Angst: das Wohlstandsevangelium befördert den Glauben an lebensunwertem Leben – und was damit im Rahmen eines naturwissenschaftlich orientiertem Weltbild geschehen kann, ist uns allen noch gut im Gedächtnis.

Dort, wo Leben nur noch Materie ist und seine ihm eigene Heiligkeit verloren hat, gibt es kaum noch einen Grund, es bei vermuteter Dysfunktionalität nicht aus dem Alltag wegzusperren und in Umerziehungslagern zu verwalten, bis einem die Endlagerung dann doch zu teuer wird.

Es kann einem da schon Angst und Bange werden, wenn man merkt, was sich da ganz nebenbei ganz offensiv in unserer Gesellschaft ausbreitet:

Pro Christ veranstaltet Mega-Events im Stil der amerikanischen Evangelikalen mit Tausenden von Teilnehmern und Satellitenübertragung. In den Leitlinien heißt es: „Wir beten kontinuierlich, damit wir erkennen, welche Wege und Methoden wir wählen sollen.“ Dazu gehört ein Gebetsnewsletter. Auch hier gibt es keine Berührungsangst gegenüber Geld: „Pro Christ for business“ wirbt dafür, Geschäftsfreunde mit Jesus bekannt zu machen, und schlägt dazu Veranstaltungen in edler Atmosphäre vor, als Beispiele werden genannt: „Bentley-Salon, Ferrari-Halle, Edel-Werkstatt, Oldtimer-Ausstellung.“

Vergleicht man ihre „Gebete“ mit denen von Willigis Jäger, so findet man zwei vollkommen verschiedene Welten, erkennt aber auch scharf ihre Abgrenzungen: die einen instrumentarisieren Gott für ihre Geschäfte, die anderen bitten um eine Gnade … um eine Begegnung mit dem heiligen Geist.  Hochmut und Demut in klarer Abgrenzung zueinander….und Hochmut ist in christlicher Sicht eine Hauptsünde … jene Sünde, die den obersten Engel Gottes zum Teufel (und Herren der Welt) werden ließ.

Wie man das nun als Christ leben kann, erschließt sich mir nicht, ich vermag aber schon zu sehen, welche Probleme die Philosophie des Wohlstandsevangeliums mit sich bringt: wenn es so ist, das der Erfolg einem Recht gibt … dann kann es doch nur der Wille Gottes sein, der die Symbole des Teufels in Brand setzt:

In diesem Jahr registrierte die Polizei in Berlin nach aktualisierten Angaben bereits 70 politisch motivierte Brandanschläge auf Autos in der Hauptstadt. Dabei seien 85 Wagen direkt angegriffen worden, 58 weitere Fahrzeuge, die etwa in der Nähe standen, wurden beschädigt. Die meisten Brandstiftungen gab es im Mai. Oft gehen hochwertige Limousinen oder Firmenwagen nachts in Flammen auf.

Sofern die Herren und Damen Brandstifter Erfolg haben und nicht erwischt werden, sind sie wohl vom heiligen Geist beseelt und tragen Gottes Segen in sich, was ja auch logisch ist: sie zerstören die Symbole des Hochmutes, die als solche nur dem Teufel dienen. Wenn die jetzt noch ein „Tue Buße“-Schild an jedem Wrack anbringen, dann könnten sie sich fast als Kreuzfahrer wider das Reich Satans ausgeben und ihrem Vandalismus einen heldenhaften Anstrich geben … solange der Erfolg auf ihrer Seite ist, versteht sich.

Lassen sie sich erwischen, entzieht auch das Wohlstandsevangelium ihnen seinen Segen … womit man sagen kann: es ist wohl nicht der „Heilige Geist“, der als Ausfluss Gottes in der Welt diese selbstgefällige Religionsform inspiriert hat.

Im Rahme der christlichen Theologie ist es eher der … Andere, der Gegenspieler und Widersacher. Und das der sein Evangelium nun sogar unserem Bundespräsidenten predigen darf, sollte zu denken geben – man weiß ja letztlich nie, was für „Antworten“ die auf ihre „Gebete“ erhalten, welche „Wege“ und „Methoden“ ihnen da eingegeben werden … Hartz IV scheint ja eine davon gewesen zu sein.

Vielleicht sollte ich doch deren „Gebetsnewsletter“ abonieren?

Man sollte sich ja vielleicht für den Zeitpunkt wappnen, an dem die beschliessen, das unwürdige Gesochse aus ihrem „Reich Gottes“ zu entfernen, damit das Paradies Einzug halten kann.

 

 

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