Karfreitag, 3.4.2015. Eifel. Wie jedes Jahr: die besten Aprilscherze 2015, diesmal aus redaktionsinternen Gründen mit etwas Verzögerung. Ja, wieder einmal hat es die Medienelite geschafft, das Volk mit geschickt platzierten Falschmeldungen hinters Licht zu führen. Nicht, dass sie das nicht öfter machen: Beliebtheitsumfragen zur Kanzlerin, griechische Stinkefinger, Massenvernichtungswaffen im Irak und aller Welt – wir werden öfter an der Nase herumgeführt, als uns lieb ist, was aber gerade zum 1. April eine ganz besondere Herausforderung darstellt.
Mein Liebling ist dieses Jahr der Spiegel mit seiner Landkarte über Staatsverschuldung (siehe Spiegel): eine Weltkarte der Staatsverschuldung zeigt Deutschland im allerbesten Licht, während der Rest der Welt in Finsternis versinkt. Nun gut, das entspricht noch dem Duktus der Kanzlerin und ihres musikalischen Dauerbrenners „Deutschland geht es gut“, doch nur eine Karte weiter, bei der „Staatsschuldenquote 2015“ wird ganz dick aufgetragen: da soll es doch in der Tat Libyen, dem Tschad, Südsudan und sogar dem völlig verhassten Russland besser gehen als den Spitzen der kapitalistischen Marktwirtschaft? Frankreich, England, USA, Japan tiefrot wie Griechenland, aber Bulgarien, Rumänien, Polen und Weißrussland, Kasachstan, Usbekistan, Nepal, Burma und Bangladesh als Vorzeigeländer?
Ha ha ha – selten so gelacht.
Gleich darunter: der nächste Knaller. Obwohl man sich zuvor noch massiv über die maroden Finanzen der EU beschwert hat, die sogar Kambodscha erschauern lassen, behauptet man doch allen Ernstes, die EU würde sich Milliarden von Euro durch die Lappen gehen lassen, weil Konzerne nicht richtig besteuert werden (siehe Spiegel), ja, der Titel geht sogar davon aus, dass dies Absicht ist: „EU läßt Steuertrickser gewähren“. Fehlte nur noch ein Hinweis auf die tausenden von Konzernlobbyisten in Brüssel und wir hätten eine perfekte Verschwörungstheorie. Wie gut, dass wir wissen, dass es gar keine Lobbyisten gibt – und auch keine Konzerne, die unehrlich gegenüber ihren Gastländer sind.
Wer nun denkt, der Spiegel hätte damit sein Aprilpotential erschöpft, der irrt. Gleich die nächste Meldung zeigt, wie sehr man die Gunst der Stunde nutzt, um weitere Verwirrung zu stiften. Während jeder deutsche Bahnfahrer weiß, dass die Fahrpläne der deutschen Bahn nur unverbindliche Annäherungswerte darstellen, gegen die die Wettervorhersage für die nächsten zwei Monate ein außerordentlich präzises und zuverlässiges Unterfangen darstellt, wird nun der April benutzt, um ganz unterschwellig zu suggerieren, dass ja jetzt nur der Wind schuld hat, dass die Züge zu spät kommen (siehe Spiegel). Bin mir sicher, dass die Reisenden der nächsten Jahre diese Aussage dankbar aufnehmen und daraus ein geflügeltes Wort wird: „Die Bahn hat mal wieder „Niklas“!“.
Eher peinlich aber doch von feiner Ironie durchdrungen war die Meldung, dass Angela Merkel mal wieder die beliebteste Kanzlerin der ganzen Galaxis ist, diesmal, weil sie direkt nach dem Absturz der Germanwings-Maschine als „Kümmer-Kanzlerin“ zum Absturzort geflogen ist, um dort mit brav einstudierter Betroffenheitsmiene selbst nach DNA-Spuren des suizidalen Attentäters zu suchen. Anders als Hollande und Rayoi zeigt das Foto eine Kanzlerin, die sich keine Spur auf dem Boden entgehen läßt (siehe Spiegel): gut getroffen, aber mal ehrlich – wer glaubt dann noch wirklich den manipulierten Umfragen der merkeltragenden Medien? Na ja – 1.April ist 1. April.
Sehr cool war die geschickt platzierte Meldung um den Geniekult von Studienfächern wie Mathematik, Physik und Philosophie (siehe Spiegel), die man wirklich nur zum 1. April bringen kann: jeder Depp weiß, dass Mathematiker bei Versicherungen hängen bleiben, Physiker im Bankenbereich verrotten und Philosophen gleich nach dem Studium einen Dauerparkplatz in den Wartesälen der Jobcenter erhalten.
Noch besser aber – und hiermit hat der Spiegel mal wieder den Preis für das Aprilmonster des Jahres 2015 verdient – war die weit hinten versteckte Meldung, dass Frauen 23 % weniger arbeiten als Männer (siehe Spiegel), weil sie nach der Arbeit nach Hause fahren und sich um Haushalt und Kinder kümmern. Klar: Haushalt und Kinder sind Frauenarbeit und deshalb nicht als „Arbeit“ anzuerkennen. Das geht echt nur am 1. April.
Schlecht hat dieses Jahr die Konkurrenz abgeschnitten:
Allen ernstes will uns die Zeit klar machen, dass unsere Schulen marode sind und präsentiert zum Beweis … eine Leserumfrage, die zeigt, dass der überwiegende Teil der Eltern den Zustand der Schulen als eher gut bezeichnet (siehe Zeit). Ja – das nennt man auch Schweigespirale: die Kanzerlin startet 2008 und 2010 große Bildungsoffensiven … und die Zeit erwartet allen ernstes, dass im Jahre 2015 eine Mehrheit die Wahrheit über deutsche Schulen sagt … als gäbe es in der Republik der angepassten Duckmäuser auch nur einen, der Merkels Wirklichkeitsdeutungskompetenz in Frage stellen würde. Für den 1. April … auf jeden Fall sehr schwach, trotz mutiger Überschrift („Marode Schulen?“)
Besser war da schon die Meldung über den Amazon Dash-Button (siehe Zeit):
„Amazons neues Gerät sieht aus wie eine Türklingel, ist aber vernetzt: Der Dash-Button bestellt ausgewählte Produkte auf Knopfdruck. Shopping wird damit absurd einfach.“
Das wäre ja ein Aprilscherzknüller gewesen … nur leider ist die Meldung wahr. In der Adweek wird schon darauf hingewiesen, dass es sich hier wohl um einen absolut genialen Marketingstreich handelt: da wird eine Horrormeldung in die Nähe eines Aprilscherzes gerückt, damit die Menschen brav in ihren Wohnungen bleiben. So bleiben die Auswirkungen der vierten industriellen Revolution erstmal unbemerkt – dabei wird die Hälfte der Leser in Zukunft arbeitslos. Der Knopf ersetzt Aldi, Lidl und Norma durch Amazonpakete … ein paar tausend Menschen wird es dadurch super gehen, der Straßenverkehr wird entlastet (ein Amazon-Transporteur versorgt ein Dutzend Haushalte, deren PKW´s in der Garage bleiben), Millionen von Verkäufern werden arbeitslos und bekommen Versorgungsprobleme, weil sie sich die teuren Amazon-Möhren von Hartz IV nicht mehr leisten können.
Das verdient einfach einen Sonderpreis für die gruseligste Wirklichkeit im Schatten des Aprilscherzes.
Völlig daneben dieses Jahr die FAZ. Wirklich – da merkt man die Massenentlassungen in den Redaktionsstuben. Schauen Sie sich das mal an (siehe FAZ):
„Der deutsche Staat hat 2014 einen Milliardenüberschuss erwirtschaftet. Trotzdem sind die Schulden weiter gewachsen.
Obwohl der Staat im vergangenen Jahr 18 Milliarden Euro Überschuss verbuchte, erhöhte sich der Schuldenstand nach Angaben der Bundesbank vom Mittwoch gegenüber dem Vorjahr um 2 Milliarden Euro auf 2,168 Billionen Euro.“
Wie billig im Vergleich zum Spiegel, der uns mit der Meldung neckte, dass es Russland, Rumänien und Bangladesh so viel besser geht als uns Deutschen. Noch billiger die Erklärung: der Grieche ist schuld … bzw. die Eurorettung. Als würden unsere Politiker wirklich mehr Geld ausgeben, als sie haben. Wäre Deutschland wirklich so hoch verschuldet, hätte doch kein Bundestagsabgeordneter für die Erhöhung der Diäten gestimmt. Welcher Vater würde sich schon in Zeiten klammer Kassen das eigene Taschengeld erhöhen, während die Kinder hungern? Nein – so etwas Asoziales lasse ich mir nicht verkaufen … auch nicht am 1. April!
Einfach hat es sich dieses Jahr der Focus gemacht: er brachte gleich Juxmeldungen in Serie unter der Bezeichnung „Das ändert sich für Verbraucher am 1. April“ (siehe Focus). Angeblich soll jetzt bei verpacktem Fleisch (es sei denn, es kommt von der gemeinen Kuh) immer draufstehen, aus welchem Land es stammt und wo es geschlachtet wurde … also würde die Industrie das mitmachen. Man stelle sich mal vor, auf der Ziege steht: „geschlachtet in Namibia 1983“ – dass isst dann doch kein Mensch mehr. Wie soll man denn so sein Gammelfleisch loswerden? Nachher verlangen die noch, dass auch wirklich drin ist, was draufsteht … also in diesem Fall wirklich Ziege und nicht alter Hund. Ha ha ha – so funktioniert Rendite nicht. Dafür sollen EU-Landwirte wieder in den Milchsee investieren dürfen, den wir mit Mühe abgebaut haben – die Überflutung der Märkte mit Milch soll aber völlig preisneutral bleiben … ha ha ha. Der beste Joke – neben verkürzter Erste-Hilfe-Maßnahme für Führerscheinneulinge (eigentlich praktisch: bei Unfällen hält sowieso niemand mehr) und mehr Geld für Pelletheizungen vom Pleitestaat (geht der Staat auch pleite: Hauptsache, der Reiche hat´s warm) fand ich die Reduzierung der Rundfunkbeiträge um 48 Cent. Ha ha ha – wovon soll der Jauch dann Millionär werden und der Kleber sich seine Anzüge schneidern lassen? Ich meine: würde man die komplett abschaffen, wäre das eine glaubwürdige Meldung, nach den Klöpsen, die die in den letzten Monaten gebracht haben … aber eine Reduzierung um 48 Cent? Selten so gelacht. Viele Deutsche werden das geglaubt haben und spontan zum Griechen gegangen sein, um die Kohle zu verfressen. War aber nur ein Scherz.
Cool war die Tagesschau mit der Meldung, es gäbe schärfere Regeln fürs Fracking (siehe Tagesschau):
„Die umstrittene Fracking-Technologie soll künftig nur unter strengen Auflagen erlaubt sein. Nach einem Gesetzentwurf des Umwelt- und Wirtschaftsministeriums ist eine kommerzielle Nutzung ab 2019 aber nicht ausgeschlossen.“
Die strengen Auflagen? Die Arbeiter dürfen keine roten Strapse tragen, es darf nicht in der Nähe von Regierungsvierteln oder Nobelvororten gebohrt werden und der zuständige Lobbyist hat einmal die Woche bei den entscheidenden Stellen vorzusprechen, um seine aktuelle Statusmeldung in Form von Bargeld zu hinterlassen, gerne auch als Parteispende.
Selten so gelacht.
Völlig humorlos hingegen die TAZ mit dem oft durchgekauten Thema „Arbeitslosigkeit“. Angeblich seien die Arbeitslosenzahlen gefälscht, behaupten die, sagen, dass „Vergreisung“ die beste Jobmaschine sei. Wie fad. Wir wissen alle, dass deutsche Rentner noch nie so gesund waren – und noch nie so sehr auf ihren Nebenverdienst angewiesen waren, um dem Hungertod durch Minirente entgehen zu können. Sogar die Griechen sollen eine bessere Rente als die Deutschen bekommen … redet man so hinten herum. Aber deshalb wollen die Deutschen auch die griechischen Renten senken, weil sonst viele merken, dass hier was außerordentlich schief läuft. Nur: als Aprilscherz sehr schwach, gerade von der TAZ.
Besser war da die Dauermeldung der TAZ, man sei auf der Suche nach einem neuen Geschäftsmodell („Kann Journalismus im Netz kostenlos bleiben?“) – dabei ist klar, dass man heutzutage eigentlich dafür bezahlt werden muss, täglich einen dicken Papierstapel durchzuarbeiten, der voller stromlinienförmiger, konturloser Meinungsmache im Sinne der wenigen privaten deutschen Journalistenschulen ist. Das ist die Folge der vierten industriellen Revolution: wer Arbeit hat, hat keine Zeit, keine Muße und keine Kraftreserven mehr fürs Zeitung lesen, wer in Folge von Arbeitslosigkeit Zeit, Muße und Kraft für die Lektüre langweilig geschriebener, nichtssagender Pamphlete hat, hat kein Geld mehr, die Horrorpreise zu bezahlen, die dem Chefredakteur die Pferdezucht sichern sollen. Vierte industrielle Revolution ist kein Mythos – und hat nicht nur Folgen für Lidl-Regalreinräumer auf 450-Euro-Basis.
Ganz doof dieses Jahr: der Stern. Plumpe Kriegspropaganda mit einer aufgeblasenen Meldung über einen neuen, russischen Superpanzer a´la Star Wars. Kann fliegen, tauchen, den Mond umkreisen und wird von Jedirittern gesteuert. Zwei Mann sollen einen super High-Tech-Panzer steuern, der nahezu unbesiegbar ist – einige sollen schon nahe Bielefeld gesichtet worden sein. Gut – da übertreibe ich, aber wer das nicht als Aprilscherz erkannt hat, muss wirklich hinterm Mond leben. Als ob der doofe, böse, geistig zurückgebliebene Russe wirklich Supertechnik produzieren kann – das würde ja unser ganze Weltbild auf den Kopf stellen. Zudem wird behauptet, dass besonderen Wert auf den Schutz der Besatzung gelegt wird … da scheint ein Putin-Versteher durch.
Der schlechteste Aprilscherz jedoch kam aus dem Haus „Süddeutsche„. Völlig geschmacklos, bitter böse und ohne jedes Niveau wurde die Gründung einer neuen Partei angekündigt – ein Scherz, bei dem einem das Lachen im Halse stecken bleibt:
„Die Deutsche-Europäische – PhilosophInnen-Partei will die Philosophie als Liebe zur Weisheit wieder rehabilitieren, jenseits des Elfenbeinturms für alle nutzbar machen und die Gesellschaft durch mehr Weisheit in der Politik wieder lebenswerter machen. Das Motto der Partei: „Geist ist geil!“
DEPP will Weisheit und größtmögliches Glück für die größtmögliche Zahl als Staatsziel, Philosophie-Kurse in Kindergärten, Schulen, und auch nach dem Vorbild Frankreichs Philosophie als Pflichtfach im Abitur einführen. Ein neues Steuersystem soll eingeführt werden mit Bonuspunkten für geisteswissenschaftliches Studium, Belegung von Meditationskursen oder Arbeiten für das Gemeinwohl.
Glück – das sollte auch in der Politik im Mittelpunkt stehen. Bislang bedeuten die meisten politischen Entscheidungen doch mehr Bestimmungen, weniger Geld, weniger Freiheit. Das wollen wir ändern.“
Weisheit in der Politik? Ja, die könnte Frieden und Wohlstand sichern.
Größtmögliches Glück für eine größtmögliche Zahl an Menschen? War mal Ziel jeder demokratischen Bewegung.
Resistenzgewinn gegen jede Form von Medienmanipulation durch profunde Ausbildung in philosophischer Reflexion? Grundbaustein für einen jeden souveränen Charakter.
Weniger Bestimmungen, mehr Geld, mehr Freiheit – mehr Glück? Die würde ich sofort wählen.
Merken Sie, wie bösartig das ist? Ein Angriff auf die selbstbestimmte Meinungsbildung des Souveräns – sowie eine endgültige Abkehr von jeglicher für ihn vorgesehenen Lebensqualität?
Pelletheizungen für Renditepöbel, aber Dummheit als Pflichtzustand für die Masse?
Klar – nur so kann man erklären, wie der Spiegel Philosophie als „Genie-Fach“ darstellt, die Süddeutsche sich aber über die Ausbildung des Deutschen zum Genie öffentlich lustig machen darf.
DEPP … Deutsch-Europäische Philosophen-Partei … das bringt mich auf eine „geniale“ Idee. Nur ein Volk von Genies kann sich auf dem globalen Markt nach dem Ausbruch der vierten industriellen Revolution noch halten … so jedenfalls die Meinung des IBM-Managers Gunter Dueck („Aufbrechen – Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen“. Eichborn 2010). Der Amazon-Knopf zeigt, dass der Abbau der Dienstleistungsgesellschaft gerade beginnt … und bewusst als Aprilscherz getarnt wird.
Wie leicht könnte man dafür sorgen, dass dieser einzig echte Aprilscherz unter den Meldungen keiner mehr ist – und wir anfangen, ein Volk von glücklichen Genies zu züchten … anstatt von arbeitlsosen Frackingopfern, die sich aus lauter Angst vor russischen Star-Wars-Panzern weiter hemmungslos verschulden?
Immerhin: wer glücklich ist, konsumiert nicht – und braucht auch keine Schulden.
Und wie es scheint, brauchen wir mehr geniale, glückliche Deppen, um den Slums der Zukunft zu entkommen.
Konsumieren … können wir dann eh´ nicht mehr.
Donnerstag, 17.10.2013. Eifel. Sind Sie auch so erleichtert? Die USA können wieder zahlen – das sollte uns doch mal ein Glas Champagner wert sein! Seltsamerweise lese ich die Zeilen anders, übersetze sie gleich familiär: „Du, Schatz, ich glaube, wir geben zu viel aus – das Konto ist schon wieder maximal überzogen“ „Macht nichts, Darling, ich habe den Überziehungskredit erhöht“, „Ach so, na ja, dann ist ja alles in Ordnung“. Eigentlich ist nichts in Ordnung. Die fahren einen klaren Pleitekurs – und als Familienoberhaupt hätte man den Privatkonkurs klar vor Augen. Wäre alles nicht so schlimm, würden wir mit diesen Leuten keinen großen Freihandelsmarkt planen – doch das ist ein anderes Thema, das uns wieder vorgelegt wird, wenn der Staatsbankrott wieder vor der Tür steht. Wir sollten erstmal vor unserer eigenen Tür kehren, denn dort warten die nächsten Herausforderungen auf uns: eine neue, gewaltige Welle von Arbeitslosen, diesmal aus dem IT-Bereich, siehe Zeit:
Verwundbar sind gut bezahlte Angestellte im Service-Bereich, die lange geglaubt haben, ihr Job könne niemals automatisiert werden und die jetzt feststellen müssen: Das stimmt nicht. Es gibt mittlerweile Maschinen, die sogar Anästhesien übernehmen können. Das ist eigentlich ein sehr gut bezahlter Job, der aber in Zukunft verschwinden wird. Genauso gibt es Computer, die Examen benoten, und sie tun das nicht schlecht.
Viele, die heute Mittelschicht sind, sich gerade für ihre Familie ein Häuschen gebaut haben, gehen jetzt schon den Weg der USA: in Zukunft wird mit Sicherheit der Zeitpunkt kommen, wo sie sich die Raten für ihr Häuschen nicht mehr leisten können und auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Schlecht nur, dass der Staat zunehmend wie ein verantwortungsloser Unternehmer handelt, der viele Einnahmen hat, sich aber noch mehr Ausgaben leistet, um möglichst viele Menschen zu Millionären zu machen – aus dieser Ecke wird bald keine große Hilfe mehr kommen, hier greift schon die Lumpenelite (Regierungsdeutsch: Leistungselite) zu und privatisiert fortlaufend das Volksvermögen.
Selten hört man so deutliche Ansagen wie die von Tyler Cowen:
Aber zunächst hatten die Menschen Jahrzehnte schwieriger Anpassung vor sich. Ich glaube, die heutige Situation kommt dem sehr nahe. Die alten Technologien haben die Körperkraft ersetzt. Das führte dazu, dass Leute mehr und mehr in Berufe gewechselt sind, in denen sie ihr Gehirn benutzen. Die Technologien von heute ersetzen das Denken. Wohin die Leute jetzt ausweichen können, um neue Jobs zu finden, ist aber eine viel schwierigere Frage.
Tja – wohin sollen die Leute noch ausweichen? Körperkraft wird nicht mehr gefragt, Geist auch nicht. In Deutschland (dem Land, dass in dem Bereich „industrieller Massenmord“ international die besten Erfahrungen aufweist) haben wir schon sprachliche Regelungen, die Problemlösungen aufzeigen, den „Kosten auf zwei Beinen“ wird „sozialverträgliches Frühableben“ nahegelegt, oder, kurz gesagt: „wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“.
Die politische Klasse hat schon längst vor dem Problem kapituliert. „Jahrzehnte schwieriger Anpassung“ – das wissen die Leute auch. Sie haben das Vertrauen ins Leben verloren … und kriegen deshalb keine Kinder mehr; nichts bringt einen schneller in Hartz IV als noch ein paar Blagen am Hals zu haben.
Genau genommen unternimmt die Regierung schon Schritte, um sich abzusichern: DIE wissen ganz genau, was auf uns zukommt; Technik verdrängt Mensch. Das ist im Prinzip äußerst wünschenswert: dafür haben wir uns ja auf den Deal eingelassen, dafür haben wir unsere Parzellen aufgegeben und sind in die Fabriken gegangen, um bei der industriellen Revolution mit zu wirken. Was uns nur niemand gesagt hat: für unsere Enkel und Urenkel ist in dieser arbeitsteiligen Lebensform, die wir mit aller Kraft und großen Opfern errichtet haben, kein Platz mehr: der Fluss des großen Geldes hat so viele Räuber angezogen, dass in unseren Haushalten kaum noch etwas davon ankommt. Weil wir das irgendwann erkennen werden (spätestens, wenn die Regale bei Aldi einfach leer sind, weil denen die Rendite in Europa zu niedrig geworden ist), plant die Regierung schon mal die nächsten Schritte, siehe TAZ:
Die Sicherheitsbehörden können in prekären Situationen künftig auf militärische Unterstützung zurückgreifen, wenn polizeiliche Mittel nicht ausreichend erscheinen. Aktuell stellt die Bundeswehr neue Einheiten im Rahmen des sogenannten Heimatschutzes auf. Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) bestehen ausschließlich aus Reservisten der Bundeswehr. „In Bremen hat die Kompanie schon im Juni ihren Dienst aufgenommen“, bestätigt Oberstleutnant Uwe Roth vom Bundesverteidigungsministerium.
Es lohnt sich, mehr darüber zu lesen. Der Heimatschutz kann auch bei „zivilem Ungehorsam“ eingesetzt werden, bei politischem Generalstreik, sozialen Unruhen, Straßenblockaden – ich schäme mich ein wenig, dass ich wohl mit verantwortlich bin für diese Entwicklung: die Blockade von Autobahnen schwebte mir schon immer als letzte Möglichkeit gewaltlosen, zivilen Widerstandes vor. Jetzt aber erlischt auch diese Option, 27 neue Kompanien der Bundeswehr bereiten sich schon jetzt darauf vor, auch unbewaffneten Widerstand nieder zu schießen.
Bin ich der einzige, der das Denken der Planer jener Gesetze für ein kleines bischen pervers hält?
Nun – „Spiegelleser wissen mehr“ – weshalb es sich schon lohnt, täglich in dieses Blatt zu schauen, auch wenn es dadurch eine enorm systemstabilisierende Macht erhält. In einem Artikel über die Privatisierung von Krankheit durch den Kapitalismus finden wir einen bemerkenswerten Satz:
Die Folgen dieser Marktbürokratie sind vor allem auf der individuellen, psychischen Ebene spürbar. Denn das ständige Gefühl, gemessen und beobachtet zu werden, erzeugt eine Paranoia, die uns zu kafkaesken Sklaven unseres eigenen oder besser: fremdbestimmten Anspruchs macht. Damit sind wir längst in der „Kontrollgesellschaft“ angekommen, ein Begriff mit dem der Philosoph Gilles Deleuze eine Zeit beschrieb, in der die politischen und wirtschaftlichen Kontrollinstanzen weitgehend unsichtbar bleiben, dabei aber kaum an Macht einbüßen.
Deshalb haben wir Hartz IV bekommen, nur sind die meisten zu blöde, das zu merken: es ging nur darum, eine zusätzliche Kontrollbehörde zu bekommen, der Kapitalismus wollte eine Maschine, die auch jene nach neoliberalen Prinzipien kontrollierte, die nicht irgendwo von seinen Geldströmen abhängig und somit steuerbar waren. Gesellschaftliche Solidarität wird durch individuelle Verantwortung ersetzt – heißt es da: und so beschreibt man kurz und knapp die „Sozialpolitik“ der letzten Jahre.
Ein ganzes Volk wird durch äußere Zwänge in die Krankheit getrieben – und dort dann bar jeder Solidarität allein gelassen: auch eine Form von „Vernichtung durch Arbeit“ – wir wollen aber die historisch Ungebildeten jetzt nicht wieder durch Vergleiche aufbringen, die ihre romantischen Seifenblasenträume vom deutschen Wunderländle in Gefahr bringen.
Die Fakten in Deutschland sehen alles andere als rosig aus, siehe Spiegel:
Die Bundesregierung hat es geschafft, einen mühsam ausgehandelten EU-Kompromiss zum Klimaschutz zu torpedieren, um Ausnahmeregelungen für die mächtige heimische Autoindustrie durchzusetzen. Und danach für die eigene Partei Großspenden von Profiteuren eben dieser Regelung eingestrichen.
Die Bundesregierung ist eine Exekutive des Kapitalismus geworden, eines System, von dem ein Drittel aller Deutschen noch profitiert, während die Übrigen ihr eigenes Grab schaufeln dürfen. Dieses „System“ hat Deutschland seit 1945 im Griff, geplant wurde es schon im Dritten Reich – aber das will heute keiner mehr hören: Geschichten langfristiger Planungen überfordern den deutschen Geist der Gegenwart, der nur noch im „hier und jetzt“ lebt, wie es ihm tagtäglich von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gepredigt wird: nur solchen Deppen können die Einigung in den USA als großen Sieg begreifen, weil hier und jetzt wieder etwas Geld fließen wird … bis zum großen Knall, der sicher kommen wird: laut Handelsblatt am 15. Januar 2014.
Bis der kommt, bezahlt die Wirtschaft die Regierung für renditesteigernde Maßnahmen, während das Volk sich abstrampelt, der Enteignung zu entkommen: nichts anderes ist Hartz IV – ein gigantisches Enteignungsprogramm für die Mittelschicht, die selbst noch gar nicht weiß, dass sie in den nächsten Jahrzehnten keine Arbeit mehr bekommen wird, mit der sie die steigenden Kosten begleichen können, die die Wirtschaft ihnen aufbürdet.
Das wir hier Zeugen eines breit gefächerten Angriffes auf alle demokratischen Grundstrukturen werden, wird in den Medien nur sehr selten besprochen – und hat keinerlei Konsequenzen mehr. Es ist letztlich sogar ein Angriff auf die Menschheit selbst. Insofern ist es kein Wunder, wenn der Sprecher der Giordan-Bruno Stiftung die versammelte Leistungselite darauf trimmt, den Menschen in Zukunft ganz anders zu sehen (siehe Vortrag „Rationalität und Mystik“): wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, uns mit unseren ewigen Atomen zu identifizieren als mit unserem „Ich“, dass nur eine Illusion eins „blumenkohlförmigen Organs“ ist. Es kommt aber noch viel besser:
Wir sollten endlich akzeptieren, dass der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist, sondern bloß der Neandertaler von morgen, eine vorübergehende Randerscheinung in einem unendlichen Universum, das noch lange nach dem Ende unserer Spezies fortbestehen wird.
Der Mensch als Neandertaler von morgen – und das vor einer Rede der deutschen Lumpenelite. Die Frage, was denn in den nächsten Jahrzehnten auf die Bevölkerung zukommen wird, wie die „Anpassungsprozesse“ auszusehen haben, ist schon beantwortet: sie sollen aussterben, dem NEUEN MENSCHEN in einer NEUEN WELTORDNUNG Platz machen. Wir brauchen uns auch keine Sorgen um sie zu machen, ihre Atome werden ewig fortbestehen – auch wenn heute noch wirklich niemand weiß, was ein Atom überhaupt ist.
Das alles sind nur ein paar Informationen, die gestern Abend und heute Morgen auf meinem Schreibtisch eintrudelten. Setzt man sie ein wenig anders zusammen, erscheint jede einzelne Information in einem ganz anderem Licht: wir nähern uns der Zeit, wo sich der Kapitalismus seiner Neandertaler entledigen wird, wieder einmal ist „die Wissenschaft“ ganz vorne mit dabei … bei der Selektion. Wieso darf eigentlich so eine private Organisation fragwürdiger Herkunft (ein ehemaliger Kirchenmann und Unternehmer ist hier der Initiator) im Namen der „Wissenschaft“ vor der politischen und wirtschaftlichen Elite Deutschlands reden – und nebenbei ihre Perspektive der Welt manipulieren?
Die Antwort ist einfach: wir werden in Zukunft nur noch für einen Bruchteil der Bevölkerung GELD haben, also müssen wir uns schon jetzt Gedanken machen, wie wir das Problem angehen werden – und dafür brauchen wir ein moralisches Fundament, eine gemeinsame Metaphysik, die ein robustes Mandat gegen die eigene Bevölkerung nicht unethisch erscheinen läßt, sondern als alternativlose flexible Anpassung an geänderte Umstände begreift, ja sogar als wissenschaftlich abgesicherte logische Fortentwicklung im Sinne der darwinschen Evolutionstheorie.
Freuen wir uns also, dass es Menschen gibt, die die Auslöschung der gesamten Menschheit als Grund zum Jubeln ansehen, weil wir ja sowieso im ewigen Reigen der Atome fortbestehen.
Und deshalb – können wir auch Schulden machen als gäbe es kein Morgen.
Ein Morgen ist nicht mehr vorgesehen.