Gewerkschaft

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Streik

Am 25.02.2013 findet ein ganztätiger Streik bei den Verkehrsbetrieben in Dresden statt. Nein gegen einen Streik kann man eigentlich nichts haben, wenn man für gerechte Löhne und anständige Arbeitsbedingungen ist. Aber das was ver.di hier in Dresden veranstaltet, ist nach meiner Ansicht nach zu hinterfragen, und zu kritisieren. Ich kenne keinen Mitarbeiter der DVB in Dresden, welcher am Monatsende zum Jobcenter gehen muss, um aufzustocken oder sich bei der Dresdner Tafel anstellen muss. Hier wird eine ganze Stadt in „Geiselhaft“ genommen und ältere Menschen und Schwerbehinderte durch ver.di für ihre Ziele „missbraucht“, Arztbesuche verhindert und unter „Hausarrest“ gestellt. Schulkinder sind gezwungen (egal in welchem Alter) zu Fuß zur Schule zu gehen, egal wie weit der Weg zur Schule ist und das  unter den derzeit schwierigen Witterungsbedingungen. Das  hat mich veranlasst, meine Meinung den Tarifpartnern mal mitzuteilen. Ich bin mir bewusst, dass meine Ansicht nicht unbedingt auf Verständnis treffen wird und deshalb gehe ich schon mal in Deckung.

An die Stadt Dresden und ver.di Sachsen!

Betrifft: Streik der DVB am 25.02.2013 in Dresden

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit Empörung haben wir den ganztätigen Streik der DVB am 25.02.2013 zur Kenntnis genommen und es muss ganz klar gesagt werden, dass dieser Streik unverantwortlich ist. Vor allem werden Schulkinder „genötigt“ zu Fuß zur Schule zu gehen, egal wie weit der Weg zur Schule ist, wie alt die Schulkinder sind und das  unter schwierigen Witterungsbedingungen.

Auch ältere Menschen und Schwerbehinderte werden durch ver.di für ihre Ziele „missbraucht“, Arztbesuche verhindert und unter „Hausarrest“ gestellt. Ein unglaubliches Vorgehen ist das. „Fahrlässig“ wird hier mit der Gesundheit und Sicherheit von Kindern und Älteren und Schwerbehinderten umgegangen. Sind Sie sich darüber bewusst? Ist Ihnen das egal?  Nicht zu vergessen, die tausende von Bürgerinnen und Bürgern, welche nicht wissen, wie sie zur Arbeit kommen sollen und nicht auszuschließen ist, dass sie dadurch ihr Arbeitsplatz in Gefahr gerät. Mit einer Dreistigkeit werden die um ihr Geld „betrogen“, die bereits Fahrscheine (Monatskarten, Jahreskarten) gekauft haben, einfach nur unglaublich ist das. Nein, dieser ganztätige Streik, ist unangemessen und nur zu verurteilen. Eine Gewerkschaft, welche ganz Dresden in „Geiselhaft“ nimmt, hat jedes Maß an Moral und Verantwortung gegenüber den Kunden der DVB verloren. Wer Tarifforderungen, über Gesundheit und Sicherheit von Kindern, älteren Menschen und Schwerbehinderten und die bereits bezahlte Dienstleistung, von tausende von Bürgerinnen und Bürgern stellt, kann kein Verständnis erwarten und handelt verantwortungslos.

 

Frank Ullrich

Vom Mittelstand direkt nach Hartz IV … auch dann, wenn man wirklich alles richtig macht und beim Jobcenter selbst arbeitet

Samstag, 29.12.2012. Eifel. Bei der Hitliste der größten Lügen der deutschen Bundesregierung in den letzten zwanzig Jahren ist sicherlich die Lüge über die wahren Arbeitslosenzahlen auf Platz 1 zu setzen. Nirgendwo wird mehr gelogen als in diesem Bereich - unter Mitwirkung der gesamten schreibenden Nachrichtenzunft in Deutschland. Das hat auch seinen guten Grund: würden wir wirklich realisieren, das nur noch 17 Millionen Menschen in der echten Wirtschaft Unterschlupf finden (und schon ab einer Arbeitszeit von nur 21 Stunden als "Vollzeitkräfte" gelten - was die Zahl der wirklich noch "echt" arbeitenden Menschen nochmal deutlich reduziert), dann hätten wir Unruhe an den Märkten. Das können wir aber gerade gar nicht gebrauchen - das können wir eigentlich nie gebrauchen. Wenn sich ein Georg Diez im Spiegel über die Tagesschau aufregt und sie zum "Volkserziehungs-TV" erklärt, dann ist das sicher richtig, verkennt aber den eigentlichen therapeutischen Wert der Sendung: sie ist dazu da, die Märkte zu beruhigen. Unsere wahren Herrscher, unser wirklicher Souverän, unsere Hoheiten sind nämlich leicht zu beunruhigen - und wenn die unruhig werden, wird es schlimm für alle: Arbeitsplätze werden in Massen abgebaut, damit das richtig weh tut, wird der Sozialstaat (gerade dann, wenn man ihn mal braucht) abgeschafft und der Druck auf Arbeitslose nimmt zu ... so lange, bis sie alle zusammenbrechen. Da das keiner will, müssen die wahren Daten über die wirtschaftliche Situation Deutschlands verschleiert werden ... ebenso wie die wahren Geschichten über Menschen, die in die Hartz IV-Falle geraten.

Samstag, 29.12.2012. Eifel. Bei der Hitliste der größten Lügen der deutschen Bundesregierung in den letzten zwanzig Jahren ist sicherlich die Lüge über die wahren Arbeitslosenzahlen auf Platz 1 zu setzen. Nirgendwo wird mehr gelogen als in diesem Bereich – unter Mitwirkung der gesamten schreibenden Nachrichtenzunft in Deutschland. Das hat auch seinen guten Grund: würden wir wirklich realisieren, das nur noch 17 Millionen Menschen in der echten Wirtschaft Unterschlupf finden (und schon ab einer Arbeitszeit von nur 21 Stunden als „Vollzeitkräfte“ gelten – was die Zahl der wirklich noch „echt“ arbeitenden Menschen nochmal deutlich reduziert), dann hätten wir Unruhe an den Märkten. Das können wir aber gerade gar nicht gebrauchen – das können wir eigentlich nie gebrauchen. Wenn sich ein Georg Diez im Spiegel über die Tagesschau aufregt und sie zum „Volkserziehungs-TV“ erklärt, dann ist das sicher richtig, verkennt aber den eigentlichen therapeutischen Wert der Sendung: sie ist dazu da, die Märkte zu beruhigen. Unsere wahren Herrscher, unser wirklicher Souverän, unsere Hoheiten sind nämlich leicht zu beunruhigen – und wenn die unruhig werden, wird es schlimm für alle: Arbeitsplätze werden in Massen abgebaut, damit das richtig weh tut, wird der Sozialstaat (gerade dann, wenn man ihn mal braucht) abgeschafft und der Druck auf Arbeitslose nimmt zu … so lange, bis sie alle zusammenbrechen. Da das keiner will, müssen die wahren Daten über die wirtschaftliche Situation Deutschlands verschleiert werden … ebenso wie die wahren Geschichten über Menschen, die in die Hartz IV-Falle geraten.

Wir haben nun schon einige dieser Fälle veröffentlicht … und ich habe mir die Kritik an diesen Fällen sehr genau angeschaut. Manchmal ist mir geradezu schlecht dabei geworden. Ist schon irgendwann mal jemand aufgefallen, wie Hartz-IV-Abhängige in diesem Land öffentlich dargestellt werden? Sie sind die Aussätzigen der Neuzeit. Als mein Onkel Rentner wurde (ziemlich früh allerdings, mit 54 Jahren und einem Berg von Geld als Abfindung), hat er sich in der vornehmen Gesellschaft der Familie seines Schwiegersohns als „Arbeitsloser“ vorgestellt – er neigt zu solchen derben Scherzen … wofür ich ihn sehr mag.

Der Effekt war durchschlagend, er hätte auch sagen können: „Guten Tag, mein Name ist Klaus-Dieter Schwurbel, ich habe Aids, Lepra, Hepatitis B und einige durch die Luft übertragbare Geschlechtskrankheiten, die der Medizin noch nicht bekannt sind, außerdem sitze ich normalerweise wegen unkontrollierbarer  Gewalttätigkeit infolge wahnhafter, psychotischer Schübe in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie in Bonn ein und bin wegen meiner notorischen Kleptomanie bekannt, die nur durch meinen Alkoholismus gebremst wird“.

Wer so in der Gesellschaft wahrgenommen wird, der hat bald keine andere Chance mehr, als sich Gesellschaft in Form von Tieren zu verschaffen. Aktuell greift Siybille Berg diese Menschen im Spiegel auf … in einer wohlgemeinten Phantasie, die erkennen lässt, das sie viel Verständnis für jene Menschen hat, die finanziell so weit unter ihr stehen:

Da sind andere wie ich, von keinem gemocht, von der Welt nicht benötigt, vom Kapitalismus aussortiert. Alleine in einer Wohnung hockend, aus dem Fenster starrend. Ich bin nicht alleine, die Welt hat sich nicht gegen mich verschworen. Ich bin ihr nur einfach egal.

Man wird vielen egal, wenn man ganz unten ist. Tiere sind da besser als Menschen – sie achten nicht auf die Kontostände, wenn sie Zuwendungen verteilen – das kann manchmal Leben retten. Psychologen und Psychiater empfehlen deshalb einsamen Menschen, sich ein Tier anzuschaffen, für das man da sein kann. Es ist also wahrlich nichts Besonderes, wenn Arbeitslose sich Tiere halten: über drei Millionen der 42 Millionen Jobcenterkunden haben schon überhaupt keine Chance mehr, wie der Spiegel aktuell berichtet.

Eine dieser Arbeitslosen möchte ich heute mal vorstellen. Sie hat keine vier Kinder, kämpft nicht gegen das System, will einfach nur eins: Arbeit. Diesen Text hat sie  zwischen ein paar Bewerbungen verfasst, ich habe ihn nicht verändert (es gab allerdings ganz wenige Flüchtigkeitsfehler … die sind jetzt fort).  Es ist die Geschichte eines ganz normalen Menschen, wie es sie in diesem Land zu Millionen gibt … und wie man sie nie in den Medien zu lesen bekommt. Es ist die Geschichte eines Menschen, der sogar beim Jobcenter selbst gearbeitet hat … und so nebenbei ein paar Einblicke vom Innenleben des Jobcenters vermitteln kann.

Dieser Mensch bleibt absolut anonym. Auch wenn jetzt tausend Leute helfen wollen – ich gebe die Adresse nicht heraus. Sucht andere Wege. Und jetzt: eine ganz normale Geschichte, wie der deutsche Mittelstand sich mit Fleiß, Tüchtigkeit, überdurchschnittlichem Einsatz und Arbeitswillen direkt nach Hartz IV vorarbeitet:

 

Am Anfang muss ich erst mal ein wenig ausholen, denn wie mir irgendwann klar geworden ist, fing da Ganze ja schon vor ein paar Jahren an:

Damals arbeitete ich für eine bekannte Autoverleihfirma in der Buchhaltung. Es hätte mich vielleicht misstrauisch machen sollen, dass es dort keine Angestellten gab, die in irgendeiner Gewerkschaft waren und nur zwei Angestellte (von ca. 40 allein in dieser Filiale) die Kinder hatten.

Wie auch immer, ich machte meine Arbeit gut und brachte mich voll ein, im Glauben an einen sicheren Arbeitsplatz und daran, dass sich Fleiß und Einsatz lohnen würden. Eine Zeitlang übersah ich einfach was wirklich los war: immer wieder mittags durcharbeiten, Überstunden ohne Ende, Bossing, das Betriebsklima unter aller Kanone.

Eine Kollegin und ich hielten zusammen und solange sie noch in der Firma war, war es auszuhalten. Doch dann wanderte sie aus und ich blieb zurück und hielt weiter durch (nebenbei suchte ich einen neuen Job, das war sehr schwer). Mir blieb auch nichts anderes übrig, als weiter durchzuhalten, denn der Verdienst war nicht gerade üppig und ich wollte nicht arbeitslos werden um mit noch weniger Geld da zustehen. Irgendwann sagten mir Bekannte wie schlecht ich doch aussehen würde, ob ich etwa krank wäre. War ich, doch das war mir damals nicht bewusst. Meine Seele litt, ich rutschte mit Riesenschritten in eine Depression, aber selbst wenn ich das bemerkt hätte, hätte ich es nicht zugegeben. In der heutigen Zeit muss man funktionieren oder man geht unter.

Meine Arbeitsleistung selbst ließ seltsamerweise nicht nach, aber zu Hause hatte ich kaum noch Kraft für den Haushalt, geschweige denn für solche Dinge wie Ausgehen, oder Freunde…. Auch hatte ich auf Arbeit nicht erkannt, dass eine neue Kollegin gegen mich integrierte. Im Nachhinein war es vielleicht besser so, denn sie schaffte es, dass ich gehen musste. (Ein halbes Jahr später wurde sie selbst gefeuert, wie ich erfuhr.)

 

Die Arbeitslosigkeit dauerte nicht lange und ich fand über eine Zeitarbeitsfirma wieder eine neue Stelle, vom Regen allerdings in die Traufe. Als Zeitarbeiter war man in dieser Firma ein Mitarbeiter zweiter Klasse, das bekam man deutlich zu spüren. Gleichzeitig wurde aber erwartet, dass man höhere Leistung brachte als die Festangestellten, obwohl man nur die Hälfte an Gehalt bekam. Mobbing? Natürlich, obwohl seit über vier Jahren kein Zeitarbeitnehmer mehr in eine feste Stellung übernommen worden war. Außerdem lauerte bereits ein anderer Konzern diesen Teil der Firma zu übernehmen und es wurde mit Windeseile daran gearbeitet den „Laden“ aufzuräumen. Jeder wusste es, in spätestens einem halben Jahr würde jeder Leiharbeiter gehen müssen. Wir waren nur Lückenbüßer. Also wieder einen neuen Job suchen.

 

Ich fand diesen auch, allerdings nur halbtags mit dem Versprechen, dass diese Stelle zu Vollzeit ausgebaut werden würde. Dann kam die Krise…. Schneller als ich dachte, wurde aus dem Stellenausbau ein Stellenabbau.

 

Nach wenigen Jahren wieder arbeitslos. Na gut, egal, ich würde schon wieder etwas finden. Ich wollte ja schließlich arbeiten und Geld verdienen. Und ja, nach kurzer Zeit fand ich eine Stelle in der Kindergeldkasse, allerdings befristet auf ein halbes Jahr. Ein paar Jahre früher, hätte ich eine befristete Stelle nicht mal in Betracht gezogen. (Und wie ich heute weiß, werden im öffentlichen Dienst die Stellen so gut wie immer nur befristet besetzt.) Zumindest die meisten Kollegen waren klasse. Die waren sogar selbst gefrustet, dass die Leute nur befristet wurden, denn das machte ihre eigene Arbeit auch nicht gerade leichter. Es kostet Zeit immer wieder neue Leute anzulernen. Übernahmen in eine feste Stellung erfolgten äußerst selten. Für mich bedeutete das: die Stelle antreten und nebenbei gleich wieder auf Arbeitssuche gehen.

 

Und ich war natürlich so naiv nicht zu erkennen, in welcher Spirale ich mich befand: Zeitarbeit, befristete Stellen…prekäre Jobsituation.

 

Danach, und ich schäme mich es zuzugeben, landete ich für ein weiteres halbes Jahr in einer anderen Behörde, die Arge. Nicht als Vermittlerin (obwohl auch hier die Neuen nur befristet eingestellt werden, so die Personalpolitik), ich hatte ja kein Studium vorzuweisen. Nein, in der Verwaltung fand ich sozusagen Verwendung. Ich fühlte mich auch nicht wohl, war ich doch seit Anfang an gegen Hartz IV gewesen, und jetzt arbeitete ich auch noch für diese Behörde. Aber ich behandelte die „Kunden“ wie ich auch selbst behandelt werden wollte, freundlich. Viel Kontakt hatte ich zwar nicht mit diesen Menschen zu denen ich später auch zählen sollte, aber für mich ist zumindest selbstverständlich freundlich zu grüßen und weiterzuhelfen, wenn jemand eine Frage hat. Uns als „Kunden“ zu bezeichnen, finde ich übrigens falsch, man wird ja nicht so behandelt. Alles geschieht unter Zwang. Gerne verwendet wird das Wort „Freiwillig“, zwei Sätze später wird dann mit Sanktionen gedroht. Was denn nun? Entweder etwas ist freiwillig, dann kann man ohne Konsequenzen ablehnen, oder es ist ein „Muss“, dann muss man mit Konsequenzen bei Nichteinhalten rechnen.

Wie auch immer, es gab hier durchaus Kollegen die auch die andere Schreibtischseite kannten und die Hilfesuchenden freundlich behandelten. Aber es gab leider mehr als genug Kollegen, die auf diese Menschen hinabblickten und sie entsprechend behandelten. Wenn ich dann bemerkte, dass man ja gar nicht wüsste, was diese Menschen mitgemacht hätten und weshalb sie in dieser Situation steckten, ja dass die meisten mit Sicherheit lieber einen guten Job hätten, wurde ich verständnislos angeschaut. Heute weiß ich, dass die Mitarbeiter der Jobcenter von oben indoktriniert werden, dass jeder Hartz-IV- Empfänger ein Schamrotzer sei, der sich Leistungen erschwindeln möchte, auf gut Deutsch: Jeder Hartz-IV-Empfänger will nur „bescheißen“! Auch dass die Hilfesuchenden bereits beim Eintreten in das Gebäude vom Sicherheitsdienst unfreundlich und abweisend behandelt werden, ist so gewollt!

 

Nun es kam, wie es kommen musste: Mitte 2010 trat ich meinen Gang zur Agentur für Arbeit an. Auf meine Bitte wurde mir zumindest ein 2-monatiger Weiterbildungskurs in SAP bewilligt, den ich auch sehr erfolgreich abschloss. Half nur leider nicht. Bewerbung um Bewerbung: erfolglos. Dass es nicht einfach werden würde, hatte ich ja geahnt, ich war ja bereits über vierzig, da gilt man in der Arbeitswelt inzwischen als zu alt. Das ist natürlich völlig lächerlich, vor allem im Büro. Ehrlich gesagt, inzwischen frage ich mich, ob ich mir nicht einfach mal einen Rollator leihen sollte und mit diesem zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen…

 

Je mehr Zeit verstrich, desto depressiver wurde ich. Es konnte doch nicht angehen, dass ich keinen Arbeitsplatz fand. Schließlich wollte ich doch arbeiten, und jeder der arbeiten will, bekommt doch auch Arbeit. Lag es wirklich an meinem Alter, war ich zu dick oder zu dumm? Meine Zeugnisse waren schließlich gut, daran konnte es nicht liegen, oder doch? Meine Selbstzweifel wuchsen mit den Monaten, und die Angst vor Hartz IV.

 

Allein die Vorstellung Hartz IV beantragen zu müssen, war der pure Horror.

 

Dazu muss man vielleicht auch wissen, dass ich bereits als Jugendliche für ca. 3 Jahre in die Fänge der Sozialbehörden geraten war. Als ich 12 Jahre alt war, hatten sich meine Eltern getrennt und ließen sich scheiden. Mein Vater hatte daraufhin den Job geschmissen um nicht für Frau und Kinder zahlen zu müssen und so standen wir vor dem Nichts.

 

Obwohl es damals noch nicht so schlimm wie heute mit Hartz IV war, hatte ich mir geschworen, dass mir so etwas nie passieren würde (na ja, in dem Alter hat man noch viele Illusionen). Aus diesem Grund habe ich dann meine Ausbildung zur Bürokauffrau sehr ernst genommen und später auch Gelegenheiten zur Weiterbildung genutzt, war fleißig und mir auch nicht für Überstunden zu schade. Tja, das half dann am Ende auch nicht und es ärgert mich wahnsinnig, wenn sich Politiker hinstellen und es so darstellen, als wenn nur Menschen ohne Ausbildung in diesem menschenverachtenden System feststecken würden.

 

Dazu kam natürlich die Tatsache, dass ich, wenn auch nur kurz, für diese Behörde gearbeitet hatte. Man wurde vom Ex-Kollegen zum „Kunden“. Wie schon erwähnt, gibt es auch in den Jobcentern Mitarbeiter, die nicht jeden Hilfesuchenden für „Schmarotzer“ halten. Sie wissen dann auch, dass die wahren Schmarotzer jene Arbeitgeber sind, die so wenig Lohn zahlen, dass die Menschen „aufstocken“ müssen. Nicht zu vergessen jene, die sich Eingliederungshilfen zahlen lassen, um Menschen Arbeit zu geben. Wenn diese Hilfen dann wegfallen, die werden ja nur für einen gewissen Zeitraum bezahlt (meistens für ein halbes Jahr), werden diese Menschen vielleicht noch einen Monat weiterbeschäftigt (reines Alibi) und dann entlassen. Schwupps, sofort wird ein neuer Arbeitnehmer gesucht, der natürlich wieder nur „mit Eingliederungshilfe eingestellt werden kann“. Das wirklich Skandalöse dabei ist, dass die Jobcenter-Mitarbeiter wissen, dass diese Eingliederungshilfen skrupellos ausgenutzt werden. Eigentlich müssen diese Gelder nämlich zurückgezahlt werden, wenn die Menschen nicht mindestens um denselben Zeitraum weiterbeschäftigt werden, für den diese Eingliederungshilfen gezahlt wurden. Die meist fadenscheinigen Gründe für die Entlassung werden erst gar nicht angezweifelt oder untersucht. Da geht man einfach drüber hinweg. Die meisten Arbeitgeber kommen damit durch.

 

Aber auch nicht alle Mitarbeiter der Jobcenter kommen ungeschoren davon. Diejenigen, die noch sozial engagiert sind und sich auch für die Hilfesuchenden einsetzen möchten, werden entweder psychisch krank (wie meine Freundin, die über ein Jahr brauchte um wieder auf die Beine zu kommen und sich dann versetzen ließ), oder bewerben sich nach kurzer Zeit wieder auf andere Stellen. Jetzt sollte sich auch niemand mehr über die Mitarbeiter der Jobcenter wundern, es bleibt ja meist nur der „Bodensatz“ zurück. (Okay, das ist jetzt vielleicht gemein).

 

Jetzt sind ein wenig die Pferde mit mir durchgegangen. Entschuldigung dafür, aber ich habe mich entschieden, dies jetzt so zu belassen.

 

Also, vier Wochen vor offizieller Beantragung von Hartz IV (an dem ich beantragen müsste) und ich falle in ein tiefes Loch. Muss mich anstrengen und zusammenreißen. Schließlich brauchen mich meine Katzen und meine Mutter. Vielleicht findet sich ja doch noch rechtzeitig ein neuer Job. Meine (einzig verbliebene) Freundin drängt mich, zur Behörde zu gehen, sonst bekäme ich nicht rechtzeitig Geld.

Ich kann nicht.

 

Ein Tag vor dem offiziellen Termin. Ich schaffe es immer noch nicht zum Jobcenter zu gehen. Meine Mutter und meine Freundin bedrängen mich weiter. Es geht trotzdem nicht. Seit einer Woche denke ich unentwegt über Selbstmord nach.

 

Drei Wochen nach dem offiziellen Termin. Meine Mutter und meine Freundin nehmen mir das Versprechen ab, am nächsten Tag zum Jobcenter zu gehen. Mir ist kotz übel. Ich denke an meine Katzen und weiß, ich habe keine Wahl mehr. Sie müssten hungern.

 

Nächster Tag. Ich konnte kaum schlafen und habe Kopfschmerzen. Meine Hände zittern und mir ist schlecht, aber ich fahre. Ich habe es versprochen und ich halte meine Versprechen.

Der Sicherheitsdienst, ein Kahlkopf mit stechendem Blick, ist ausgesprochen unfreundlich. Dies löst sofort eine Abwehrhaltung in mir aus. Das ist ein Neuer wie ich erfahre, der ist so. Irgendwie schaffe ich es durch diesen Behördengang. Als ich nach Hause komme bin ich völlig erschöpft.

 

Seitdem muss ich mit Hartz IV leben. Ich habe seitdem diverse Mitgliedschaften bei Tierhilfsorganisationen kündigen müssen, das ging ja nicht mehr. Zeitungen und Zeitschriften kann man sich auch nicht mehr leisten, da muss dann das Internet herhalten. Man kann auch nicht das essen, worauf man Lust hat (wobei das auch schon vorher keine Luxus-Lebensmittel waren), man achtet eigentlich nur noch auf den Preis. Klamotten? Das ist gar nicht mehr drin. Handy? Vertrag gekündigt, ist nicht lebensnotwendig und kostet zu viel. Meinen alten Corsa habe ich versucht solange wie möglich zu halten. Schließlich verlangen die meisten Arbeitgeber heutzutage, dass man ein Auto hat, selbst wenn man nur im Büro arbeitet. Doch dann war der TÜV fällig und mit ihm notwendige Reparaturen. Das war nicht bezahlbar, also Auto ade.

 

Das sind nur einige Dinge die einem mit Hartz IV blühen. Ich lebe in ständiger Angst, dass ein wichtiges Gerät seinen Geist aufgeben könnte. Eine Reparatur des Kühlschranks oder Computers etwa oder gar eine Neuanschaffung. Das könnte ich niemals stemmen. Oder noch schlimmer, wenn eine meiner Katzen krank würde.

 

Das einzig Gute in meiner Situation ist meine Freundin. Wenn sie mich nicht mal auf einen Kaffee oder auch zum Essen einladen würde, hätte ich gar keine Teilhabe am öffentlichen Leben mehr.

 

Und so geht es Millionen von Menschen in diesem unserem Lande. Vielen geht es sogar noch schlechter als mir. Ich meine zum Beispiel die chronisch Kranken, die von den Jobcentern fertig gemacht werden.

 

Zumindest konnte ich den beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben und meinen Katzen eine Kleinigkeit zu Weihnachten gönnen, in dem ich eine kleine technische Spielerei (gekauft in besseren Zeiten) verkauft habe. Ein Baum war nicht mehr drin, aber ein Adventsgesteck bietet auch ein wenig Lichterglanz.

 

Du siehst, lieber Eifelphilosph, meine Geschichte ist wirklich nicht besonders drastisch oder dramatisch. Es gibt weit schlimmere Schicksale. Das Tragische ist, meiner Meinung nach, dass es Millionen Menschen so oder ähnlich ergeht, und dass es zur Normalität verkommt. Noch schlimmer ist, dass Menschen wie wir gebrandmarkt sind als Taugenichtse, Nichtskönner, Faulenzer und Schmarotzer. Das ist menschenunwürdig. Und deshalb bin ich froh, dass es doch noch Menschen wie Dich gibt, die sehen, dass Hartz-IV-Empfänger auch Menschen sind.

 

Wäre ich allein, würde ich stärker dagegen angehen, aber ich habe eine große Verantwortung meiner Mutter (mit kleiner Rente) und meinen Katzen gegenüber. Wie schon in einer e-mail beschrieben, wird es mir oftmals zu viel, aber dann mache ich doch wieder weiter. Mein Seelenleben hat jedenfalls sehr gelitten und mir wurde nahe gelegt, mir doch Hilfe von einem „Seelenklempner“ zu suchen. Doch das ist mir nicht sehr geheuer…

Vielen Dank für diese Zeilen – und wieder mal ein persönlicher Dank an jenen Leser, der bis hierher durchgehalten hat. Mich hat dieses Schicksal sehr fasziniert, weil es so normal ist. Die Geschichte ist nicht drastisch oder dramatisch … sie ist völlig normal. Die Mehrheit der Deutschen kennt dieses gewerkschaftslose Arbeitsleben, in dem man alles gibt, weil man den Leitsatz der Zeit verstanden hat:

In der heutigen Zeit muss man funktionieren oder man geht unter.

Die Mehrheit der Deutschen merkt auch, das Depressionen zur Volkskrankheit werden, weil alle die gleichen Arbeitsbedingungen haben. Ich halte diese Lebensgeschichte für eine sehr wichtige Geschichte, darum ein Aufruf an die Leser hier – vor allem an diejenigen, die für den „Spiegel“ und die „Welt“ arbeiten (ja, ich weiß das ihr hier lest. Seit doch heute mal mutig, und veröffentlicht diese Geschichte. Doch doch … „Analysetools“ haben Euch zweifelsfrei ausgemacht, jetzt versteckt euch mal nicht, hat keinen Sinn mehr): verbreitet sie weiter.

Das ist kein bedauerlicher Einzelfall, sondern das TYPISCHE DEUTSCHE ARBEITNEHMERSCHICKSAL im Jahre 2012. Ein Mensch, der alles richtig gemacht hat, ein Mensch, der genau die richtige Einstellung hat, keine Kinder, keine Freunde, keine teuren Hobbys – jemand, der NUR FÜR DIE ARBEIT LEBT … und dafür – wie alle anderen auch – einen sehr hohen Preis bezahlt hat. Gut, dieser Mensch pflegt noch seine Mutter … aber ein paar Fehler darf man ja wohl noch haben: schließlich ist er bzw. sie auch nur ein Mensch.

Das ist der Weg, der inzwischen allen droht: Vollzeitjob-Leiharbeit-Arbeitslos – drei Schritte zur völligen sozialen Vernichtung.

Und ich will jetzt kein Gemecker hören, weil da noch Katzen leben: Menschen haben in diesem Leben schon längst keinen Platz mehr – ist halt das normale Hartz IV-Schicksal – das Schicksal eines ganz normalen Menschen, der einfach nur arbeiten will, alles richtig macht und trotzdem aussortiert wird.

Ja … „über 40“ zu sein war schon vor zehn Jahren ein Makel.

Heute ist dies kein Makel mehr … sondern ein existenzgefährdender Zustand, ebenso wie die Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft oder die Tatsache, das man Kinder zu versorgen hat.

 

 

Heißer Herbst abgesagt! Obdachlosigkeit und Müllberge vorausgesagt!

Der deutsche Gewerkschaftsbund schrieb 2003 folgendes zur anstehenden Agenda 2010:

Positive Ansätze:Der DGB unterstützt einen Umbau der BA zu einem leistungsfähigenund kundenorientierten Dienstleister. Das Konzept der Job-Centerund einer verbesserten Betreuung aller Langzeitarbeitsloser “aus einerHand“ ist im Grundsatz richtig. Die Ansiedlung der Job-Center beider BA (neu: Bundesagentur für Arbeit) findet die Zustimmung des DGB, stößt aber – auch nach Vorlage des Gesetzentwurfes – noch auf Organisations- und Verfahrensfragen. Die Beauftragung der BA mit einer umfassenden Beratung, Betreuung und Vermittlung der bisherigen erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger sowie ihrer Familien droht die BA zu überfordern, wenn die Kommunen nicht ausreichend eingebunden sind (siehe Ausführungen im speziellen Teil). Der DGB begrüßt, dass der Gesetzentwurf ausdrücklich das Erfordernis von mehr Vermittlungs- bzw. Betreuungspersonal konstatiert, einschließlichdes anzustrebenden Fallschlüssels von 1:75. Damit wird in Übereinstimmung mit der Arbeitmarktforschung, den Erfahrungen in anderen EU-Staaten und den Empfehlungen der Hartz-Kommission eingestanden, dass eine aktive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zunächst mit höherem Aufwand verbunden ist. Der DGB findet diesen höheren Betreuungs- und Aktivierungsaufwand aber in den Finanztableaus des Gesetzentwurfs nicht wieder. Hier steht die finanzielle Entlastung von Bund und Kommunen im Vordergrund.

Also – auf gut Deutsch gesagt – Hartz IV ist im Prinzip toll. Betreuungs- und Aktivierungsaufwand sind jedoch zu gering. Noch mehr gewerkschaftliche Seminare täten den Arbeitslosen sicher gut, noch mehr Kontrolle könnte sie aus der Passivität herausholen.

Nun hat ja mitlerweile auch der DGB gemerkt, das seine damalige bequeme Position (Im Prinzip JA, aber …) unbequem geworden ist. Ihm laufen die Mitglieder davon. Mitgliederschwund bedeutet Beitragsschwund, Beitragsschwund bedeutet weniger Geld für Gaudi. Das stört dann doch. Zudem haben jene Gewerkschaftler, die noch nicht ihr Gehirn an der Garderobe abgegeben haben gemerkt, das Hartz IV ja auch Nebenwirkungen hat: die Arbeitnehmer werden erpreßbar. Das sollte ja wohl auch so sein. Wäre Hartz IV ein Zuckerschlecken – dieses Land würde anders aussehen und ganz anders mit Steuer versorgt werden, weil die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze eben Grundlage unsere ganzen Systems sind und steigende Löhne braucht, um wachsen zu können.  Für diese Löhne könnte man kämpfen, anstatt die ganze Zeit vor der ARGE (d.h. dem naiven Bewerbungstraining vor laufender Kamera, den „Tschakka“-Seminaren, dem Ein-Euro-Job und dem Gabelstaplerfahrerschein) davon zu laufen.

Nun sollte ja der heiße Herbst kommen … und er läuft ja auch schon. Angeblich 100000 demonstrierten in Berlin gegen Atomkraft, immerhin 7000 (oder 1800) demonstrierten am 16.10 in Berlin gegen die Regierung.  Und dann war da ja noch diese hier:

Für den 10. Oktober ruft ein Bündnis aus Erwerbslosengruppen und gewerkschaftlichen Netzwerken zu einer bundesweiten Demo nach Oldenburg auf. Im Mittelpunkt soll die Forderung nach sofortiger Anhebung der Hartz-Regelsätze stehen.

Teilnehmerzahl: 3000.  Es gibt 6,5 Millionen Hartz IV-Abhängige in diesem Land … und ein weiteres Millionenheer, das ständig ´raus und ´reinrutscht.  Und dann kommen zur bundesweiten Demo nur 3000?

Die geplante Bankenblockade vom Georg Büchner Kreis wurde ganz abgesagt … die „physische Mobilisierbarkeit“ war ein Problem. Letztlich … interessiert sich kaum noch einer für die Krise. Niemand nimmt sie ernst. Die Krise  …. ist fort, woanders, draußen und war nie da.

Es ähnelt dem Verhalten der Bewohner einer belagerten Burg … der dekadenteren Bewohner einer belagerten Burg … die  – während der Feind schon durch Dorf und Burghof tobt – in ihrem Burgturm (dem Zentrum der Anlage) sitzen, fein speisen und plaudern und einfach davon ausgehen, das der Feind bis hier niemals durchdringt.

Den Stimmungswandel vor den Sommerferien (›Wir zahlen nicht für eure Krise‹) in die Zeit danach (›Die Krise ist vorbei‹), den auch wir zu spüren bekamen, fällt derzeit vielen AkteurInnen, die gegen das Verarmungsprogramm mobilisieren, in den Rücken – auch wenn die Fakten genau das Gegenteil belegen. Doch die Zeit, diese Verunsicherung auszuräumen, dieses Zögern zu überwinden, lief uns davon.

So die Stellungnahme vom Georg Büchner Kreis zur Absage der Bankenblockade.

Und damit ist der heiße Herbst … vorbei. Jetzt gibt es noch einen lustigen „Veranstaltungsreigen“ des DBG, so gefunden in den Lokalnachrichten aus Lüdenscheid:

„Gerecht geht anders!“ Unter diesem Motto kündigt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) einen „Heißen Herbst“ an. Wie DGB-Regionalvorsitzender Michael Hermund gestern sagte, sei ein „umfangreicher Veranstaltungsreigen vorbereitet“.

Hören wir nochmal die Aktionsgruppe Georg Büchner dazu, hier bei Jungle World:

Die Aktionsgruppe Georg Büchner sieht die Blockaden dagegen als Teil solcher Sozialproteste und hofft darauf, dass sie Nachahmer findet. Dass die Proteste aber wirklich genug Dynamik entwickeln, um »Druck auf einer ganz realen Ebene« zu erzeugen, wie Rätz es formuliert, scheint nicht eben wahrscheinlich. Zu viel hängt vom DGB ab, der zweifellos unter den Protestierenden über die meiste Macht verfügt. Doch anders als in den romanischen EU-Ländern wirkt der Gewerkschaftsapparat hierzulande zu angepasst, als dass er seine Mitglieder auch zu politischen Protesten animieren könnte.

Zudem ist das Verhältnis des DGB zu den sozialen Bewegungen nicht das beste. Häufig schreckt der Gewerkschaftsbund davor zurück, mit unabhängigen Organisationen zusammenzuarbeiten, und wo er sich doch auf sie einlässt, neigt die Bürokratie schnell dazu, die Bewegung zu vereinnahmen. Bei der letzten Kooperation zwischen DGB und Gruppen der sozialen Bewegungen bei der Stuttgarter Krisendemonstration im Juni erntete der DGB scharfe Kritik – auch aus den Reihen der Gewerkschaftslinken. Der Gewerkschaftsbund habe die Krisendemonstration dominiert, das Bühnenprogramm und das Demonstrationsbild beherrscht und gar einen Polizeieinsatz gegen wütende Demonstranten zu verantworten, sagen die Kritiker. Vor allem aber ist frappierend, dass ein hochprofessionalisierter Gewerkschaftsapparat knapp vier Monate benötigt, um seine Mitglieder zu nennenswerten Protesten zu bewegen. Wenn die Gewerkschaftsproteste stattfinden, ist das sogenannte Sparpaket so gut wie verabschiedet.

Na, politisch was bewegen möchte man ja auch nicht. So einen Veranstaltungsreigen machen, etwas Protest spielen … und das war es da schon.

Der Brüderle hat das verstanden und sorgt deshalb jetzt schon dafür, das der heiße Herbst ein laues Lüftchen wird, so gestern in der WELT:

Brüderle erwartet größtes Lohnplus seit 18 Jahren

Die Wirtschaft legt kräftig zu. Wirtschaftsminister Brüderle erwartet daher einen kräftigen Anstieg der Löhne und der Kauflaune.

Alle kriegen mehr, nur die aussätzigen Asozialen und ihre stinkenden Blagen nicht. Die haben es ja auch – seien wir mal ehrlich – nicht anders verdient.  Und damit die jetzt nicht auf die Idee kommen, völlig auszurasten wie die Franzosen, gibt Brüderle gleich noch eins drauf, ebenfalls in der WELT:

Brüderle verspricht Mini-Arbeitslosigkeit für 2011

Zuversicht ohne Ende: Wirtschaftsminister Rainer Brüderle glaubt, dass die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr so niedrig wie zuletzt 1992 sein wird.

Und während das Volk schon in einen tosenden Jubel ausbricht, setzt der Kauder heute im Spiegel noch einen drauf:

Die Wirtschaft wächst kräftig – das könnte sich auch auf den Gehaltszetteln bemerkbar machen. Unionsfraktionschef Kauder stellt mittelfristig Steuersenkungen in Aussicht und fordert im Interview mit SPIEGEL ONLINE ein ordentliches Lohnplus bei den nächsten Tarifrunden.

Das war es dann mit dem heißen Herbst….der laut Frankfurter Rundschau nächste Woche beginnen sollte:

Am kommenden Dienstag soll es losgehen mit der ersten Protestaktion in einem Metall-Betrieb. In welchem Unternehmen sie geplant ist, wollte Michael Erhardt von der Verwaltungsstelle Frankfurt der IG Metall allerdings noch nicht verraten. Dafür nennt er die folgenden Schauplätze: Einen Tag später, am 27. Oktober, wird es nach dem Willen der Gewerkschaft den Flugzeugzulieferer Nord-Micro in Bergen-Enkheim sowie den Bremsenhersteller Continental Teves in Frankfurt-Rödelheim treffen.

Wollen wir hoffen das der bunte Reigen etwas bringt. Es wäre die letzte Hoffnung für dieses Land, das in eine soziale Katastrophe schlittert, die Obdachlosigkeit für eine große, noch nicht nennbare Zahl von Menschen bringen kann. Noch spricht – seltsamerweise – kaum jemand davon.  Noch spricht man von anderen Dingen … die niemanden mehr interessieren, wie hier bei News.de :

Der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, mahnte SPD und Grüne zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Reform. «Die Glaubwürdigkeit von SPD und Grünen misst sich jetzt daran, ob es zu einem gemeinsamen Vorgehen der Oppositionsparteien gegen die Hartz-IV-Pläne kommt.»

Als ob sich jemand noch für die Glaubwürdigkeit von Parteien interessieren würden, die dieses Monster ins Leben gerufen haben.  Als ob man noch viel von einer Gewerkschaft erwarten könnte, die dieses Monster begrüßt hat.  Als ob die deutschen Gewerkschaften nicht schon längst der verlängerte linke Arm der Korporatokratie wären, der jetzt ein schöne Marionettentheater aufführt um allen zu suggerieren: es ist alles fein in diesem Land, die soziale Gegenkontrolle der Macht funktioniert super. Wenn wir erstmal den Flugzeugzulieferer Nord-Micro in Bergen-Enkheim für eine Stunde blockieren, dann zuckt die Kaste der Ausbeuter sowas von zusammen, das wir schon gewonnen haben.

Dabei sind den deutschen Gewerkschaften laut Legal Tribune schon allein gesetzlich die Hände gebunden:

Das Streikrecht ist durch das Grundgesetz garantiert. Aus der Verankerung der Arbeitskampffreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG ergibt sich, dass ein Streik nur um den Abschluss oder die Abwehr eines Tarifvertrages geführt  werden kann.

Um rechtmäßig zu sein, muss ein Arbeitskampf durch eine Gewerkschaft organisiert werden, das Kampfziel muss auf eine tarifvertragliche Regelung beschränkt sein und ein Streik darf nicht zu einem Zeitpunkt geführt werden, zu dem noch eine tarifliche Friedenspflicht zwischen den Parteien besteht.

Schließlich kann zu einem Arbeitskampf durch die Gewerkschaften erst aufgerufen werden, wenn alle anderen Möglichkeiten der Verhandlung mit den Arbeitgebervereinigungen ausgeschöpft sind.

Hier kann keine Gewerkschaft gegen Hartz IV kämpfen. Hartz IV kann nie Bestandteil eines Tarifvertrages werden – und für den Rest gibt es in Deutschland de Fakto ein Streikverbot.

Fern von dem heißen Herbst in Deutschland geht es in Italien laut Spiegel wirklich heiß her:

Im süditalienischen Terzigno lieferten sich Hunderte Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei. Sie protestieren gegen überlastete Mülldeponien, die den Nationalpark am Vesuv zu verpesten drohen. Profitgier und Mafiageschäfte stürzen die Region ins Chaos.

Das führt uns zum eigentliche Thema des nächsten Jahres:  der Pleitewelle der Kommunen … die letztlich auch uns Müllberge wie in Italien beschehren wird.  Noch sind es Meldungen, die man aktiv suchen muß und nicht groß in den Medien auftauchen … aber den Kommunen geht es schlecht, auch wenn die Bautätigkeiten ein anderes Bild zeichnen.  Unter anderem sind es die Mietkosten für Langzeitarbeitslose, die den Kommunen Sorgen bereiten … weshalb man sie ja schon mal auf 25 m2 lagern wollte.

Gibt es jetzt noch höhere Mieten dank Energiesanierung und weiterhin massiven Städterückbau, so wird der Wohnraum für Hartz IV Abhängige sehr knapp. Wer in dieser Situation mit offenen Augen in die Welt schaut, der weiß, das ihm kaum damit geholfen ist, wenn wohlversorgte Gewerkschaftler ein bischen Revolution spielen (in den erlaubten Grenzen, versteht sich): ihm droht Obdachlosigkeit und ein sehr kalter Winter.  Hoffnung … macht da nur der Brüderle, der ARBEIT und damit GELD verspricht.

Mit solchen Perspektiven vor Augen hat man was anderes zu tun, als Spielchen zu spielen um den Schein des funktionierenden demokratischen Sozialstaates zu wahren, während die Verursacher der Krise weiter gegen alle Regeln wirtschaftlicher Vernunft laut Handelsblatt an Macht und Einfluß gewinnen:

Von wegen Schrumpfkurs: Anstatt kleiner zu werden, wie weltweit von Regulierern gefordert, haben Europas Banken ihre Bilanzsummen im Vergleich zum Vorjahr kräftig erhöht – allen voran die Deutsche Bank.

Aber Hauptsache die Gewerkschaft kann ihr Gesicht wahren.

Na ja, nehmen wir noch ein wenig unsere Beruhigungspillen und warten weiter ab. Wird schon alles gut … und  immer schön lächeln.

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