Gemeinschaft

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Gunnar Kaiser – Eine Gemeinschaft in der Gesellschaft | Giorgio Agamben

Ganzer Text auf deutsch: https://kaisertv.de/2021/10/15/giorgi…

Wie Werte die Welt verändern … und die Wirtschaft.

eifelphilosoph_200

eifelphilosoph_200Dienstag, 14.10.2014. Eifel. Sieht schlimm aus in der Welt, oder? Schreibe ja oft genug darüber. Über Krieg will ich gar nicht reden, dass habe ich mit Blick auf die Ukraine schon oft genug getan – und inzwischen begreifen ja auch genug Menschen, dass wir da unnötigerweise dicht an einem finsteren Abgrund entlang schrammen. Ich schaue alleine auf die Wirtschaft … und erschaudere ob der Summen, die der Euroraum braucht, um wirtschaftlich wieder in Fahrt zu kommen. „Ein- bis zwei Billionen“ (also 10-20% der Gesamtwirtschaftsleistung des Raumes) braucht die Eurowirtschaft, erläutert Wolfgang Münchau im Spiegel. Ich breche das gleich wieder auf die Bürger herunter und sehe, dass Rentnerinnen mit einem Gesamteinkommen von 400 Euro auf einmal 80 Euro zur Rettung des Wirtschaftsraumes auftreiben sollen. Arbeitslosen geht es ähnlich … allerdings zahlt man denen noch Miete, Heizung und Wasser. Oder der Niedrigöhner mit seinen 800 Euro – zahlt erstmal 160 Euro für die Rettung Europas – zusätzlich zu allen anderen Zahlungen, die er sowieso schon leistet.

Wahnsinn, oder? Das alles entwickelt sich so Aufgrund eines einzigen Wertes: des Ego. Frank Schirrmacher hat darüber vor seinem frühen Tod ein ganz dickes Buch drüber geschrieben – und nein, ich deute jetzt keine Verschwörungstheorie an, die darauf verweist, dass er beseitigt wurde, weil er den zentralen Motor der westlichen Kultur angegriffen hat: den Traum von der hemmungslosen Befriedigung aller von der Industrie künstlich hervorgerufener Bedürfnisse, einen Traum, den wir niemals bezahlen könnten.

Die Konzentration auf das Ego zerstörte letztendlich alles, was über Jahrhunderte aufgebaut wurde … letztlich sogar die Familie: auch wenn die nicht aufgrund der immensen Belastung auseinanderbrach, so rannten doch fortan Papa und Mama in der Arbeitswelt herum (zu immer niedrigeren Löhnen und immer längeren Arbeitszeiten), um noch halbwegs den von der Wirtschaft festgesetzten Bedürfniskanon herunterbeten zu können – zu Lasten der vernachlässigten Kinder.

Ein einziger Werteschwerpunkt zerstört eine ganze Volkswirtschaft auf einem Verbrauchsniveau, für das wir mehrere Planeten bräuchten – die wir leider nicht haben.

Ziemlich doof, oder?

Früher – galten andere Werte. Ja,  ich spreche hier jetzt von einem sehr idealisierten früher, weil ich ganz frech behaupte, dass wir dieses idealisierte „früher“ ganz einfach praktisch in der Zukunft leben können. Ich nehme einfach mal einen Wert heraus:

Vertrauen

Ein ziemlich fremder Wert, oder? Eigentlich schon ein Unwert, denn wer vertraut, ist blöde und wird über´s Ohr gehauen … ein Echo dieser Einstellung vernimmt man bei der Deutung des Begriffes durch Wikipedia – was ich hier mal wegen massiver Verfremdung durch die Ego-Perspektive nicht zitieren möchte. „Vertrauen“ ist das Gegenteil von „Misstrauen“ – jenes Misstrauen, dass durch den überkritischen Verstand in die Welt gekommen ist. Ja – dieser Verstand war (siehe z.B. Descartes) in der Lage, die Existenz der ganzen Welt in Frage zu stellen (was der Buddhismus schon vorher getan hatte) – wie soll man da noch Vertrauen. Und überhaupt: im Geschäftsleben lauern überall Gangster – siehe Lehman-Brothers.

Ja – das ist die Egokultur, da wird jeder zu jedermanns Feind – künstlich hochgezüchtet. Deshalb sitzen die Menschen dann so oft wir möglich hinter ihren verschlossenen Wohnungstüren und wagen sich nur noch via Bildschirm mit der Realität auseinander zu setzen. Man geht nicht mehr aus – es sei denn, im Rudel.

Wissen Sie, wie die Alternative aussah? Ich erinnere daran, wie die Wikinger mit Schiffen in der Größe von Beibooten den Atlantik überquert  haben. Sie stürzten sich in ein gigantisches Nichts … und bewältigten es. Das war „Vertrauen“ – angefüllt mit Misstrauen hätten die sich noch nichtmal zum Bootsbau zusammengefunden. Sie haben auch darauf vertraut, dass am nächsten Tag (trotz der Präsenz der allmächtigen Götter und der fürchterlichen Eisriesen, die sie zusätzlich ängstigten) wieder die Sonne aufging und nicht etwa das allgegenwärtige apokalpytische Ragnarök (der Untergang der Welt durch den Kampf der Götter gegen die Riesen) begann.

Das war Vertrauen – Vertrauen in die Stabilität der Welt, Vertrauen in die eigene Leistunsfähigkeit – und Vertrauen in die Vernunft der Mitmenschen, mit denen man zum Abenteuer aufbrach. Diese Vertrauen entsprang aber nicht einer „Vermutung“, sondern der sicheren Gewissheit, dass alles so läuft, wie es schon immer gelaufen ist. Hierzu bedarf es aber eines weiteren Wertes:

Verantwortung

Damit Vertrauen gelebt werden kann, muss sich jeder an seine eigene Verantwortung erinnern. Das ist schwer heute, denn der Begriff „Verantwortung“ wird in Politik und Wirtschaft leicht missbräuchlich verwendet. Gerne lastet man heute Menschen „Verantwortung“ auf, die sie gar nicht mehr tragen können: viele Arbeitslose können davon ein Lied singen. Mitte fünfzig werden sie auf einmal mit der Tatsache konfrontiert, dass die Firma, der sie dreißig Jahre lang treu gedient haben, sie nicht mehr haben möchte und sie in die „Selbstverantwortung“ entläßt. Angesichts des Bestrebens der Wirtschaft, bald alle Kassen zu automatisieren, dürfen bald sämliche Verkäufer in Deutschland diese Erfahrungen machen. Verantwortung heist, dass jemand in der Lage ist, zu erläutern, warum beim Erfinden der automatisierten Kassen niemand an die Verkäufer und Verkäuferinnen gedacht hat. Verantwortung heist, dass man sein Bestes gibt, dass in einen gesetzte Vertrauen auch zu erfüllen – und nicht beständig nach Möglichkeiten sucht, seinen Partner zu hintergehen: weder als Kapitän des Wikingerbootes, der einfach nur mal Wasserski fahren wollten, noch als Ruderer des Bootes, der sich auf Kosten seines Nachbarn schont.

Da wir gerade auf einem Boot sind … da gibt es noch einen weiteren Wert:

Beständigkeit

Egal, was man nun in Angriff nimmt: die Fahrt in einer Nussschale über den stürmischen Atlantik, die Rodung eines Felds zum Weizenanbau oder die Spezialisierung auf den Beruf des Schäfers – Beständigkeit ist ein wichtiger Wert, um zum Ziel zu kommen. Wir brauchen Vertrauen, um das Ziel realisieren zu können, wir brauchen Verantwortung, um die Genossen auf das gemeinsame Ziel verpflichten zu können – und Beständigkeit, um es erreichen zu können. Zwischendurch auf die Idee zu kommen „ich würde aber jetzt doch lieber nach Afrika“ – ja, das geht dann nicht. Aber was rede ich von Wikingern: jeder Familienvater und jede Mutter (und vor allem: JEDES KIND) schätzt diesen Wert, weshalb viele gerne Beamte werden. Familien brauchen – wie alle anderen Firmen auch – Planungssicherheit und die resuliert aus der Beständigkeit zentraler Umwelfaktoren, in denen das eigene System eingebettet ist – und hier ist nicht nur die Ökologie gemeint, sondern auch die Ökonomie. Beständigkeit ist ein wichtiges Element, damit man seiner Verantwortung nachkommen kann und dem Vertrauen, das in einem gesetzt wurde, gerecht werden kann.

Ach ja – gerecht.

Gleichwertigkeit

Ein Wert, der oft unterschätzt wird. Für uns Demokraten ist das selbstverständlich … aber wie demokratisch sind eigentlich unsere Firmen? Bleiben wir einfach bei unserem Schiff, unsere Nussschale von wahnsinnigen Wikingern. Ja, vorne steht Olaf der Starke auf dem Weg in einen ungewissen Zukunft … doch seine Mitreisenden sind nicht weniger Wert als er. Sie haben andere Funktionen (rudern, während er die Sterne beobachtet, um den Kurs zu bestimmen), aber sind gleichwertig. Ohne dieses Gleichwertigkeit – kein Vertrauen, keine Verantwortung, keine Beständigkeit.  Ohne diese Gleichwertigkeit … könnte Olaf der Starke sich auch schnell auf einer einsamen Insel wiederfinden – oder allein im Atlantik, weil die anderen kurz vergessen haben, dass auch er den gleichen Wert wir alle anderen hat. Nun haben wir vier Werte … und einen ganz wichtigen fast vergessen.

Austausch

Um Vertrauen leben zu können, brauchen wir beständigen Austausch auf allen nur erdenklichen Ebenen. Olaf der Starke ist gehalten, beständig zu erläutern, was er hinter dem Horizont vermutet, zu zeigen, wie beständig der Kurs die letzten Monate war, wie sehr er in die Mannschaft vertraut. Aber – hier verlassen wir mal das isolierte Schiff – Austausch ist ein zentrales Element der ganzen Schöpfung, „Austausch“ läßt den menschlichen Körper überhaupt lebendig werden, Austausch als „Handel“ ist DIE Grundlage allen produktiven Reichtums. Wir lernen zwar regelmäßig alle Kriege der Menschheitsgeschichte auswendig – es waren aber nicht die Kriege, die den Wohlstand gebracht haben, es waren die Händler, die im Austausch der Überschussproduktion der Menschheit einen enormen Reichtum bescherten. Und auch Olaf hat diesen Austausch im Sinn, wenn er ferne Länder aufsucht, um dort mit Gewinn zu handeln (dass Wikinger in erster Linie Händler waren, wird in der profanen Geschichtsschreibung ebenfalls weniger berücksichtigt): um Äxte aus Eisen gegen Gold zu tauschen … Gold, dass nur Sinn macht, wenn es eine Heimat gibt, in die man vertrauensvoll zurückkehren kann, um dort erfolgreich handeln zu können. Haut dort Erik der Grausame den Olaf einfach um und nimmt ihm das Gold weg … wird niemand jemals mehr aufs Meer hinausfahren. Bringt Olaf aber nur Katzengold aus der Eifel zum Tausch, werden die daraus folgenden Turbulenzen ebenfalls den produktiven Schiffsverkehr zum Erliegen bringen.

Wir merken: ein Wert fehlt noch, um den Kanon rund zu machen:

Zusammenarbeit

Ja – ich weiß: wir predigen andere Werte in der modernen Welt. Der heldenhafte Einzelkämpfer (in verschiedenen Versionen immer von einem Herrn Schwarzenegger auf die Leinwand gebracht) ist das momentane Vorbild des selbstverliebten, in omnipotenten Fantasien schwelgenden Egomanen. Aber wie haben wir damals das Mammut erlegt? Durch Zusammenarbeit. Wie haben wir viele Jahrtausende lang alle Probleme der Menschheit aus dem Wege geräumt? Durch Zusammenarbeit – und nicht dadurch, dass alle in ihren eigenen Zelten sitzen und ins Feuer starren (das war die früheste Version von TV – allerdings eine, die das Denken und die Fantasie anregten). Was wäre denn, wenn wir – angesichts der gewaltigen Probleme der Menschheit – mal nicht darauf vertrauen, dass Conan der Barbar alles mit einem Faustschlag löst, sondern wir mal wieder zur Zusammenarbeit finden – politisch, wirtschaftlich, ökologisch und gesellschaftlich?

Anfangen sollten wir mit … Wirtschaft. Das machen wir auch, wenn wir versehentlich auf einer einsamen Insel stranden. Erstmal sorgen wir für Wärme und Obdach, dann für Wasser – und letztlich auch für Nahrung. Dazu brauchen jene, die Wasser holen, dass Vertrauen auf die anderen, die währenddessen für Obdach sorgen – während die beiden wiederum auf jene vertrauen, die für Nahrung sorgen.

Warum tun wir nicht einfach so, als wären wir schon gestrandet? Als wäre die Wirtschaft schon zusammengebrochen?

Wolfgang Münchau will Billionen … und ich prophezeie, dass die auch nicht ausreichen werden. Wir müssen das System hinterfragen, dass den Einsatz dieser Unsummen nötig macht – unser Schiff hat ein Loch. Wir werden es nicht mit immer schnelleren Ruderbewegungen stopfen.

Bevor wir uns jedoch in Bewegung setzen, um der egomanen Weltuntergangsbewegung Widerstand entgegen zu setzen, sollten wir uns an die Werte erinnern, die seit Jahrtausenden für jeden Siedler einer arbeitsteiligen Gesellschaft so selbstverständlich waren, dass kaum drüber geredet werden brauchte (obwohl man diese Werte zur Sicherheit als göttliche Gebote setzte … mehr oder weniger weltweit, doch das ist ein anderes Thema).

Nun wissen Sie, was uns in sichere, blühende Zukünfte führen kann: VVBGAZ. Jedenfalls – wenn wir nur egoman die Zukunft Deutschlands im Auge haben. International hört sich das anders an:

Trust/Vertrauen + Responsibility/Verantwortung + Endurance/Beständigkeit + Equivalence/Gleichwertigkeit + Exchange/Austausch + Cooperation/Zusammenarbeit.

TREEEC.

Hört sich besser an.

Versteht man weltweit … wie man auch die unabänderliche Gültigkeit dieser Werte anerkennen wird, die selbstverständlich für jede Dorfgemeinschaft sind … und jedes Wikingerboot.

Also … bleiben wir nun mit unserer Stammesgemeinschaft in der Höhle sitzen, starren auf die Schatten an der Wand und fürchten das Brüllen des ökonomischen, ökologischen oder politischen Ungeheuers vor der Tür … oder gehen wir zusammen als Team hinaus und erlegen das Vieh?

Und keine Sorge: Menschenleben sind dabei nicht in Gefahr. Vor der Tür lauern nur degenerierte unproduktive Werte, die verschwinden, wenn man nicht mehr an sie glaubt: Misstrauen, Verantwortungslosigkeit, Unbeständigkeit, zunehmende Ungleichheit, Wagenburgmentalität und der „Krieg aller gegen alle“ … der (streng nach Hobbes) uns wieder ganz direkt in die Zeiten der absoluten Monarchie zurückführen wird. Kein vernunftbegabtes Wesen würde sich nach einer Phase der ruhigen Besinnung für diese Unwerte sein Leben riskieren.

Für die anderen schon.

Und jetzt stelle man sich mal vor, wie der Handel die Welt verändern könnte (und die Lebensqualität aller Menschen), wenn diese Werte Grundlage jedes Wirtschaftens werden.

Da würde es nur noch Gewinner geben.

Schön, oder?

Jedenfalls besser als jetzt, wo 99 Prozent auf ganzer Front verlieren – so sehr, dass die ganze Menschheit kaum noch Zukunft sieht.

PS: auch heute gilt: eine abschließende Kontrolle der Rechtschreibung war mir aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Wer hier mithelfen möchte – im Sinne von Vertrauen, Verantwortung, Beständigkeit, Gleichwertigkeit, Austausch und Zusammenarbeit ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen.

Band 1 - Die Herrscher der Welt und ihre Widersacher - Reiner Dammann

„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht!“ – Gedanken zum Weltkrieg und seinen geistigen Ursachen

eifelphilosoph_200

eifelphilosoph_200Freitag, 19.9.2014. Eifel. Das ein Krieg in der Gesellschaft läuft, ist Ihnen klar, oder? Nein, ich meine nicht den Krieg links gegen rechts, der eigentlich nur unserer Unterhaltung und Ablenkung dient. „Linke“ und „Rechte“ wurden durch kalte Soziopathen ersetzt, Wahlkämpfe drehen sich in erster Linie nur um die eine Frage: wer steht beim Krieg gegen „die da unten“ vorne an der Front, wer darf in der Etappe ausruhen. Ja – ich ziele erstmal auf den Krieg „Reich“ gegen „Arm“ ab, wobei es hier nur um einen begrenzten Reichtum gilt: den Reichtum an Geld. Freude, Liebe, Glück, Freiheit, Seelenruhe werden in diese Gleichung nicht mit aufgenommen, was schade ist: am Ende des Reichtums erleben sich reiche Wesen als arme Socken.

Noch nie gehört? Noch keinen Milliardär gesprochen? Ach – ich bitte Sie: wir leben in der Zeit der größten Tratsch- und Klatschblase der Menschheitsgeschichte, dem Internet. Da liegen arme Milliardäre an jeder Ecke herum. Hören wir dazu Dennis Gastmann, der ein ethnologisches Werk über die Superreichen geschrieben hat und weiß, wonach sie sich sehnen (siehe Karriere.de):

Nach Liebe und einem offenen Ohr. Das klingt kitschig, aber einige meiner Interviews mit Vermögenden verliefen wie Therapiesitzungen. Ich versuchte, den Menschen zuzuhören und vertraute ihnen Intimes aus meinem Leben an. Dafür bekam ich auch etwas zurück.

Nicht nur das – es gibt sogar eine Krankheit, die durch Geld verursacht wird, dass „Sudden Wealth Syndrom“:

Schnelles Geld kann angeblich zu Depressionen, Schuldgefühlen und Paranoia führen. Die Betroffenen fürchten, alles wieder zu verspielen, und fühlen sich verfolgt: von Freunden, von ihrer Familie, von der ganzen Welt. Ihr halbes Leben haben sie sich gewünscht, mehr Zeit mit Frau und Kindern zu verbringen, doch jetzt isolieren sie sich und alles ist viel schlimmer als zuvor.

Wer kein schnelles Geld bekommt, sondern Erbe von altem Geld ist, wird von diesem gefressen, sein Leben wird geraubt. Superyachten, Hotelketten, Konzernwelten – das kann man alles haben, wenn man sich fügt. Einfügt, sozusagen. Sich aufgibt, seine Hoffnungen, Träume und Wünsche im Keller der Supervilla vergräbt, um als Funktionselement des Kapitals zu leben.

Ich weiß, ich gehe jetzt ein Risiko ein: nachdem „Versteher“ auch ein Schimpfwort geworden ist (siehe „Putinversteher“, „Frauenversteher“, „Moslemversteher“), werde ich wohl bald als „Reichenversteher“ auf den Scheiterhaufen der Armen landen, aber das ist Berufsrisiko: der Philosoph soll nun mal Arzt der Seele sein – und die Seele von Reichen ist da nicht weniger Wert als die Seele von Armen. Zudem ist „verstehen“ die hohe Kunst der Philosohie, ihr eigentlicher Lebenszweck, ja, sogar die ganze Geisteswissenschaft dreht sich nur um ein Ziel: den Menschen zu verstehen bevor er den Planeten völlig vernichtet.

Ja, kümmern Sie sich doch einfach mal um die Dimensionen der Hermeneutik, die sich anschickte, auf wunderbare Weise Frieden in die Welt zu bringen, in dem man den Feind verstand, bevor man ihn erschoss: eine Grundlage für jeden Diskussion. Kurz nachdem Dilthey diesen Prozess angestoßen hatte, fing man den ersten Weltkrieg an – drei Jahre nach Diltheys Tod. Was hätten wir für eine große, friedliche, kooperative Zivilistion werden können, wenn wir auf Dilthey anstatt auf den Kaiser gehört hätten. Wir hätten heute Hermeneutiker in die Ukraine geschickt, die die Genese des Konfliktes analysieren und konkrete, friedliche Lösungen anbieten können, die für beide Seiten einen Gewinn darstellen! Übrigens ist diese Art der Problembewältigung die Grundlage jeder Marktwirtschaft und des gesamten Handels, der so über Jahrtausende den Reichtum der Welt gemehrt hat: durch fairen Tausch und faire Geschäfte.

Haben Sie schon mal so über Handel nachgedacht? Nein? Schauen Sie mal in Ihren Kühlschrank: was sie dort sehen, ist das Ergebnis einer Philosophie, das Ergebnis von angewandter Hermeneutik – nur versteht das heute kaum noch einer. Da liegen Kiwis aus Neuseeland, Butter aus Irland, Joghurt aus Griechenland und ein Steak aus Argentinien, weil Menschen über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg MITEINANDER gearbeitet haben, sie haben ihre gegenseitigen Bedürfnisse VERSTANDEN und Geschäfte ausgehandelt, die für beide Seiten einen Gewinn darstellen.

Schon erstaunlich, welche Dimensionen Philosophie erreichen kann, wenn man sie praktisch anwendet, oder? Nur leider lernen wir das nicht mehr in den Schulen und Universitäten, wir lernen nichts über die produktive, friedensstiftende Kraft des Verstehens und die daraus stringend folgenden Segnungen des Handels – dafür lernen wir die Geschichte als lückenlose Abfolge von Schlachten und Gemetzeln kennen, die im historischen Alltag der Menschen einen erstaunlich geringen Stellenwert haben … wenn man genau hinschauen würde: die Phasen des Friedens waren immer größer als die Phasen des Krieges – sie interessieren nur nicht so.

Nun – versprochen war ja, dass wir uns um den Krieg kümmern wollten, der um uns herum tobt … und manch einer wird sich wundern, welch´ lange Vorrede den Gedanken vorausgeht – und wohin uns diese Vorrede geführt hat. Der Krieg, um den es mir geht, ist viel heißer als die Kriege, die sonst unseren Alltag beherrschen, er wird jeden Tag geführt – und hat schreckliche, tödliche, vernichtende Folgen … und fängt mit einem einzigen, harmlosen Satz an:

WENN JEDER AN SICH DENKT, IST AN ALLE GEDACHT.

Sicher schon mal gehört, den Satz? Ein Freund hatte mich gestern gebeten, mal ein paar Worte dazu zu verlieren.

Im Juli stand er mal im Stern, es gab eine Bertelsmannstudie, die die große Solidargemeinschaft im Westen Deutschlands lobte … und ein wenig abfällig auf den „Ossi“ blickte, der sich so wenig nach „westlichen Standards“ richten wollte. Holger Witzel studierte diese Studie genau – und kam  zu erstaunlichen Erkenntnissen:

„Vertrauen“ war auch in „gesellschaftliche und politische Institutionen“ gefragt – mit anderen Worten: Um die führende Rolle des Kapitals und seiner Parteien. Es mag skurril wirken, aber 61 Prozent der Hamburger empfinden die „Verteilung der Güter in der Gesellschaft“ trotzdem „als gerecht“. In Sachsen-Anhalt nur 22 Prozent – aber schließlich wurde ihr Volkseigentum ja nicht mal unter allen Westdeutschen gerecht verteilt.

Spannend auch parallele Beobachtungen dazu:

Insgesamt scheint sich der im Westen bei der „Gemeinwohlorientierung“ eher am Wohl der Gemeinen zu orientieren. Wie anders soll man erklären, dass ausgerechnet Hamburg mit 14 vorsätzlichen Körperverletzungen pro 1000 Strafmündigen und Jahr – gegenüber vier in Sachsen – am Ende Bundes-Sieger im Zusammenhalten wurde?

Unangenehme Wahrheiten gibt es auch dazu:

In der DDR hieß das: „Arbeite mit, plane mit, regiere mit!“ Arbeiten dürfen manche Ostler zwar noch – geplant und regiert wird aber auch bei ihnen von Westdeutschen. Und ja, die halten zusammen.

Die DDR scheint von Demokratie und ihrem alten Ziel „Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung“ noch viel Respekt gehabt zu haben.

Und – Hoppla: wir sind schon mitten drin im Krieg … im Krieg der Systeme um den Inhalt unserer Köpfe. Der Krieg tobt jeden Tag – und vor allem mit Hilfe platter Sprüche. Er wurde gezielt geplant – von Militärs und Wissenschaftlern – um einen Homo Oeconomicus zu züchten, das nützliche Subjekt des Kapitalismus, einen Homunkulus, der die gesamte westliche Hemisphäre bevölkert. Gerade deshalb ist der Blick auf Deutschland interessant: hier traf er nämlich mit dem zur Solidarität verpflichteten Menschen aus den „Neuen Bundesländern“ zusammen und entlarvte sich als unangenehmer Zeitgenosse:

Der homo eoconomicus ist ein Soziopath – so Lynn A. Stout, „Juristen an der Cornell-Universität, Expertin für Corporate Governance und Finanzmarktregulierung“ (siehe Frank Schirrmacher, Ego, Karl Blessing Verlag 2013, Seite 29).

Die Ursache es Ost-West-Konfliktes: der Homo Sapiens trifft auf den Psychopathen und wird vernichtet wie dereinst der Neandertaler.

Erschreckend, oder?

Ein Satz, den jeder schon einmal gehört hat – und ein Satz, den viele schon oft ausgesprochen haben, ohne darüber nachzudenken, entpuppt sich schon bei oberflächlicher Betrachtung als Propagandainstrument eines (abgeschlossenen) Krieges von Wirtschaftssystemen … und ist noch sehr viel mehr.

Wissen Sie, was Sie in dem Moment tun, wenn Sie diesen Satz öffentlich aussprechen, wenn Sie – meist im Rahmen sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Problembewältigung – Menschen mit der Erkenntnis konfrontieren, dass an alle gedacht ist, wenn nur jeder an sich selbst denken würde?

Sie töten den homo sapiens in sich – im Namen eines Kunstgeschöpfes von Militär und Wissenschaft (jedenfalls ist das die Quintessenz der Überlegungen des Frank Schirrmacher im oben erwähnten Buch „Ego“).

Sie führen Krieg gegen sich selbst – und im Weiteren gegen ihre Art, gegen ihre Gesellschaft, gegen ihre Wirtschaft und gegen den ganzen Planeten … ein Krieg, der wesentlich folgenreicher ist als der Krieg arm gegen reich, der nur eine kleine Ausprägung des Krieges zur Ausrottung des Homo Sapiens ist.

Schauen Sie sich die Geschichte der Menschheit an: erfolgreich waren wir da, wo wir zusammengearbeitet haben. „Wo jeder an den anderen denkt, ist nichts mehr unmöglich“ – war die Devise bei der Jagd auf den Höhlenbären, bei der Gründung von Stämmen, Städten und Staaten. Erst das Zusammenlegen der Kräfte es Einzelnen, die Verbindung einzelner zu einem größeren Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile hat den Menschen (den „nackten Affen“) zum Herrscher des Planeten gemacht. So haben wir die Tiefen der Ozeane erreicht, haben die Lüfte erobert, sind zu den Sternen geflogen und haben die Grundfesten der Schöpfung erschüttert.

Sicher, wir haben die Wissenschaftler, die ebenfalls einen Feldzug gegen den Homo Sapiens führen – mit Argumenten, die an Stumpfsinn nicht zu übertreffen sind (siehe Focus):

Aus evolutionsbiologischer Sicht ist Egoismus das Grundprinzip schlechthin. „Wer egoistisch ist, kann sich besser durchsetzen“, erklärt der Evolutionsbiologe Josef Reichholf, Abteilungsleiter der Zoologischen Staatssammlung und Professor an beiden Münchner Universitäten: „Das egoistische Grundprinzip gilt für jedes Lebewesen, egal ob Bakterium, Baum oder Mensch.“

Stumpfsinn? Nun ja – ich bleibe streng bei der Biologie, schaue nur als Hermeneutiker und Philosoph. Wir kennen in der Biologie die Erscheinungsformen des Satzes „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“, Erscheinungsformen des Egoismus. Sie sind uns allen bekannt und töten jährlich Millionen von Menschen, manche meinen, es nimmt sogar ständig zu.

Wir nennen es Krebs.

Ja – so ist es, wenn biologische Einheiten machen was sie wollen, nur an sich denken und nicht an ihre Umgebung. Ja, diese „entarteten“, „soziopathischen“ Zellen setzen sich besser durch. sie „verwirklichen sich selbst“ – mit verheerenden Folgen, wenn zum Beispiel eine Zelle im Gehirn beschließt, dass sie ab heute lieber Magensäure produzieren möchte und ihre Umgebung verdaut.

Erschreckend, wenn man es so sieht, oder?

Krebs als Konsequenz der Realisation des homo oeconomicus – passt irgendwie zu Themen wie Finanzkrise, Steuerhinterziehung, Steuerverschwendung, Missmanagment, Betrug, Kriminalität, Diktatur, Terror und Weltkrieg.

Ja – all das wird aus diesem einzigen Satz geboren: „Wenn jeder an sich selbst denkt, wird an alle gedacht„.

Denken Sie bitte daran, wenn Sie ihn das nächste Mal aufsagen, um sich aus ihrer Verantwortung als Mensch zu stehlen. Ja – nichts anderes wollen sie doch, seien wir doch mal ehrlich: ihrer eigenen Bequemlichkeit huldigen, dem „Inneren Schweinehund“ einen eigenen Altar bauen und ihm ganztätig huldigen.

Ich merke nun: Sie sind empört – und immer noch vom Gegenteil überzeugt. Immerhin funktioniert der Satz doch! Außerdem verdienen tausende von „Business-Trainern“ ihr Geld damit (siehe zum Beispiel den Artikel über „Positiven Egoismus“ … eine Art gutmütiger Krebs, der im Hirn trotzdem tödlich sein kann … bei Evidero oder die esoterische Version mit einem extrem hinkenden weil einfach nur aufgrund der Einengung der Perspektive funktionierendem Bergsteigerbeispiel bei Leben-ohne-Limit).

Doch wofür bezahlen Sie diese Leute wirklich? Was machen die konkret?

Sie bezahlen sie dafür, dass sie klatschen, wenn Sie Ihren Kult um ihren „inneren Schweinehund“ zelebrieren, ihn anbeten, huldigen, verehren … anstatt ihn einfach zu verjagen.

Natürlich funktioniert der Satz. Nur auf sich selbst bezogen funktioniert jede Krebszellen hervorragend – nur die langfristige Überlebenschance des Körpers sinkt, je mehr Zellen sich aus dem Verbund ausgliedern und eigene Wege gehen.

Hätten Sie jetzt nicht gedacht, dass Sie durch Sprücheklopfen direkt persönlich Schuld sind an der Staatsverschuldung, oder?

Der Egoist ist seit Jahrtausenden die Krebszelle der Gemeinschaft, vernichtet Familien, Stämme, Dörfer, Städte, Länder und ganze Imperien. Das ist der Krieg, von dem ich sprach, und er findet genau jetzt statt: in ihrem Kopf. Tausend Stimmen fordern dort die Vorherrschaft über Werte … und ich hoffe, ich bin jetzt eine davon, die Ihnen klar macht, worum es geht: um einen Menschen zu verstehen, muss man nicht nur NUR an ihn denken, sondern sogar GENAU WIE ER … und das eigene Ego völlig ablegen.

Die Alternative dazu ist der „Krieg aller gegen alle“, der einen nützlichen Nebeneffekt hat: er fordert eine straffe Führung, wie Hobbes nahelegte, sogar durch einen allmächtigen König.

Wer könnte wohl daran ein Interesse haben … und wollen Sie sich wirklich daran beteiligen???

 

 

 

 

Echte Geschichten aus echten Kriegen … für die kriegsfernen Entscheider der Gegenwart

Echte Geschichten aus echten Kriegen ... für die kriegsfernen Entscheider der Gegenwart

Sonntag, 30.12.2012. Eifel. Es ist Sonntag. Es ist Krieg. Zum Beispiel in Afghanistan. Auch Deutsche Soldaten sind daran beteiligt. Auch sie sterben da. Zu meiner Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten (die der Gauck glaube ich nicht vorgelesen hat, oder? Ich schaue nicht fern … ) habe ich den Kommentar eines Lesers stehen lassen, der sich wünschte, das die Verdienste der Soldaten in Afghanistan gewürdigt werden. Das hat mich etwas irritiert und ich wollte harsch antworten, bis ich das Geburtsjahr des Menschen sah: geboren 1949. Da war eigentlich alles klar: einer jener Menschen mit der „Gnade der späten Geburt“, der überhaupt keine Ahnung davon hat, was „Krieg“ bedeutet – wie die meisten Menschen hier. Krieg, das sind für diese Menschen Bilder: Bilder von Kampfflugzeugen, die über wilde Hügel donnern, Bilder von rasenden Panzerkollonnen, die durch die Steppe fegen, Bilder von fein gekleideten Soldaten, die mit sicherem Körperschutz wachend und kontrollierend so für die Kamera posieren, als wolle man später ein ritterliches Modell germanischer Götter aus ihnen machen. Krieg: das ist für sie der einsame Tigerpanzer im Kampf gegen die Sherman-Horden der Alliierten, Krieg, das ist der einsame Jagdflieger in seiner Focke-Wulf-190, der sich todesmutig den alles vernichtenden Bomberstürme entgegenwirft, Krieg, das ist der Landser mit der Panzerfaust, der die Horden russischer T 34/85 fast ganz allein aufhält. Der Landser erzählt solche Geschichten seit einem halben Jahrhundert.

Menschen, die noch weiter von der Wirklichkeit entfernt sind, haben nur noch Landkarten mit Fähnchen drauf im Sinn, die man lustig hin- und herschieben kann. Ich will an dieser Stelle nicht über den Afghanistan-Einsatz diskutieren. Was würden wir davon halten, wenn afghanische Truppen bei uns einmarschieren, ein paar Straßen, Schulen und Krankenhäuser instand setzen (oh – ich kenne da allein in der Eifel viele Objekte, um die man sich mal dringend kümmern muss) und nebenbei ein paar unserer Landsleute erschießen, die ihnen unethisch vorkommen? Man braucht nicht groß drüber nachzudenken – ganz schnell gäbe es hier Widerstand gegen die Besatzer, der dann wiederum der Beleg dafür ist, das wir Deutschen besetzt werden müssen.

Ich möchte lieber ein wenig über jene Menschen sprechen, die im Krieg immer Opfer sind – IMMER – und dafür NIE für ihren Heldenmut gewürdigt werden: die Kinder.

Mein Vater ist 1930 geboren. Den Krieg hat er in Norddeutschland erlebt – ganz weit hoch im Norden. Da war wenig los. Einmal griff ein Tiefflieger einen Zug an, der Minen geladen hatte, mein Vater stand daneben. Der Flieger traf nicht – aber beschäftigt hat diese Szene meinen Vater bis zu seinem Lebensende: er hat den Krieg verabscheut.

Meine Mutter – geboren 1934 – war da schlechter dran. Meine Großeltern hatten ein Gut an der polnischen Grenze – größer als ein Bauernhof, aber kleiner als ein ritterliches Landgut. Sie kam eines Morgens zu den Nachbarn zu Besuch: alle vier Kinder waren von den polnischen Partisanen mit ihren Zungen an den Tischen festgenagelt worden, die Eltern ebenfalls – sie waren zu freundlich zu Deutschen gewesen. Nur vor dem Hintergrund dieses Erlebnisses kann man verstehen, wie groß ihre Ängste waren, als sie einen ganzen Tag lang mitten im schlangenverseuchten Partisanenwald auf einer Decke verbrachte, um auf zwei Kleinkinder aufzupassen, während die Erwachsenen die Wälder nach Beeren absuchten.

Meine Mutter erzählt nicht gerne über den Krieg, ihr Gesicht versteinert, wenn sie darüber spricht. Am Meisten haben ihr die Jagdbomberangriffe zugesetzt. Nach der Flucht aus dem Osten hatten sie im Ruhrgebiet Zuflucht gefunden und den Bombenterror erlebt, erlebt, wie sich nach und nach die Schulklassen leerten, weil die Kinder in Einzelteilen zerfetzt über die Ruinen verteilt waren. Schlimmer als den Bombenterror fand sie aber die Tiefflieger, die auf alles schossen, was sich bewegte – auch auf Kinder. Auch auf sie. Mehrfach ist sie nur durch Glück entkommen. Sie weiß aber auch, wie glücklich sie war, als die Amerikaner kamen. Die gaben Kindern Schokolade … das waren noch jene Soldaten, die noch nicht gezielt zu völlig durchgeknallten Leichenschändern, Folterern und Körperteilsammlern umerzogen worden waren, die heute das Bild der US-Armee prägen. Der Einmarsch der US-Armee bedeutete: Schluss mit dem Bund Deutscher Mädels und jeglichem NS-Terror im Alltag.

Ich respektiere die Meinung meiner Mutter, das sie die Kriegsgräuel vergessen und verdrängen möchte. Es hilft wenig, wenn man beständig darin herumwühlt. Deshalb bin ich froh, eine weitere, ausführliche Darstellung von Kriegserlebnissen präsentieren zu können. Sie war für mich persönlich gedacht, eine Leserin hat sie mir geschickt – und ich wusste sofort: das muss irgendwie an die Öffentlichkeit. Offiziere und Historiker waren da ebenso meiner Meinung. Und da die Person heute Geburtstag hat, dachte ich mir: eine ideale Gelegenheit. Hier ist sie also, eine weitere Geschichte von dem, was Krieg wirklich ist:

Ich wurde am 30. Dezember 1938 in Hamburg geboren, also 8 Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Krieg und die Situation in Hamburg brachten mir die ersten bewussten Erlebnisse meiner Kindheit.

Meiner nachtblinden Mutter musste ich ab dem 3. Lebensjahr den Weg zum nächsten Luftschutzkeller oder Bunker zeigen, in dem wir mit unseren Nachbarn gemeinsam den Sirenenton „Entwarnung“ abwarteten. Gemeinsam mit unseren Nachbarn erlebten wir den weiteren Schrecken, wenn wir feststellten, wer ausgebombt war, gemeinsam wurden Notquartiere bei denen, die verschont geblieben waren, eingerichtet. Das Wort „Gemeinsamkeit“ wurde für uns alle wichtig.

Dann wurden die Leichen, die teilweise stark verkohlt waren durch die Phosphorbomben der Engländer, identifiziert. Unsere Bäckersfrau wurde beispielsweise an den angeschmolzenen Ohrringen erkannt. Der englische Rundfunk wurde von den meisten unter Bergen von Kissen gehört, weil er genau voraussagte, wann die nächste Bomberflotte angreifen würde. Da es verboten war „Feindfunk“ anzuhören, standen zu jener Zeit die „Volksempfänger“ unter Decken und Kissen, denn die nationalsozialistischen Blockwarte verrieten jeden, der nicht die Verbote beachtete.

Das waren Menschen, die ihren Patriotismus auf eigenartige Weise auslebten. Allerdings waren die meisten von denen auch Organisationstalente, die die Wege zu den Bunkern und Kellern wiesen, sich um die Bergung der Verletzten und Toten kümmerten und Ausbrüche von Panik verhinderten und die Feuerlöscharbeiten koordinierten. Da sie wussten, wie viele Leute die Keller aufgesucht hatten, konnten sie danach auch sehr genau sagen, wie viele Verschüttete geborgen werden mussten.

Es gab vor etlichen Jahren einen Bericht von Wolf Biermann, dessen Beschreibung der schlimmsten Bombennacht Hamburgs 1943 haargenau auf meine Kindheitserinnerungen passte. Die durch die Hitze entfachten Feuerstürme tobten noch, als wir die Bunker verließen. Der Geruch von Phosphor quält mich noch heute – fast 70 Jahre später – in vielen meiner Träume.

 

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,258522-2,00.html

 

Unser Haus stand noch, als wir Ende August 1943 Hamburg verließen. Wir planten unseren Umzug zu meinen Großeltern nach Schneidemühl in Westpreußen. Dorthin kamen keine Flugzeuge der Engländer.

Meine Großmutter war eine kleine energische Person, die allerlei Kräuter und viel Gemüse im eigenen Garten anbaute, Marmeladen kochte, Bonbons herstellte, Seifen kochte. Die Weckgläser im Keller waren immer gut gefüllt.

Schneidemühl war ein riesiger Bahnverkehrsknotenpunkt. Mein Großvater war Lokomotivschlosser bei der Reichsbahn. Nach etlichen Jahren als Lokführer wurde er in den Innendienst versetzt, um dort seinen erlernten Beruf wieder auszuführen. Er arbeitete zusammen mit vielen russischen, halb verhungerten Zwangsarbeitern, um die notwendigen Reparaturen an den Lokomotiven auszuführen.

Ich erlebte mit, wie bei meinen Großeltern ein Mann einquartiert wurde, der eigentlich ganz nett war. Er brachte mir Kunststoffkistchen mit, in denen ich meine kleinen Schätze aufbewahren konnte. Eines Tages riet er meiner Großmutter, doch nicht immer so viel Butterbrote und Obst mitzugeben, weil mein Großvater das überwiegend an die Fremdarbeiter verteilte. Oma war ein Dickkopf, die meinen Großvater gegen den Willen ihrer Familie geheiratet hatte. Der Clan bestand aus vielen kaiserlichen Räten, ihre Heirat wurde als Mesalliance betrachtet. Und so antwortete sie dem Agenten, dass Opa so viele Brote mitbekam, wie er wünschte. Er sei schließlich der Mann, der das Geld heimbrachte. Außerdem hätten sie viele Kaninchen gezüchtet, so dass niemand Hunger litte. Und sie habe genug Vorräte gesammelt.

Eines Tages sehe ich meine Mutter und meine Großmutter am Fenster stehen (wir wohnten auf der dritten Etage) und höre sie rufen: Otto, komm rauf, Otto sag‘ nichts! Im Hauseingang hörte ich meinen Großvater brüllen: „Wenn ich wüsste, dass einer meiner Söhne an solchen Taten beteiligt wären, wollte ich, sie wären tot!“ Er meinte damit meinen Vater und meine beiden Onkel, die alle als Soldaten an der Front standen. Was hatte der fremde Informant meinem Großvater gesagt? Er hatte ihm die Situation des Judenaufstandes im Warschauer Ghetto und dessen blutige Niederschlagung erzählt. Siehe den Bericht

http://www.kerber-net.de/literatur/deutsch/reflexio/klemperer_lti/Ghetto_Aufstand_ard_txt.pdf

Ein Nachbar im Parterre hatte diesen Ausbruch verfolgt, mein Großvater wurde von der Gestapo zum Verhör abgeholt. Zusammen mit der Verpflegung für die Russen war das wohl zu viel Kritik am System. Ich habe meinen Großvater sehr vermisst und nicht mehr wiedergesehen. Er starb in 1948 in Schneidemühl. Nach der Befreiung durch die Russen und Polen wollte er mit Deutschland nichts mehr zu tun haben.

[Als mein Vater nach der Flucht im März 1954 in Berlin auf Flüchtlingsanerkennung wartete, traf er seine alte Sandkastenfreundin, die Tochter des Nachbarn zufällig auf der Straße in Berlin. Nach der ersten Wiedersehensfreude bat sie meinen Vater, ihrem Vater nichts zuleide zu tun. Der sei sehr schwer krank und wisse, dass er Unrecht getan habe. Dies war uns Bestätigung genug, dass es Herr Kleist gewesen war, der meinen Opa verraten hatte. Natürlich hat mein Vater nichts unternommen, aber von ihm weiß ich um die Ergänzung dessen, was ich damals in Schneidemühl im Spätherbst 1943 erlebt hatte.]

Fortan lebten wir ohne meinen Großvater, aber meine Großmutter pflanzte weiterhin Kräuter, nahm mich nachts mit in die großen Wälder Schneidemühls, um Heilkräuter und -wurzeln zu sammeln. Wir sangen Volkslieder und bewunderten den Mond. Dies waren schöne Kindheitserinnerungen.

Am 6. Januar 1945 wurden wir in einem Flüchtlingstreck gen Westen zusammengestellt. Ich hatte gerade meinen 6. Geburtstag gefeiert. Oma entschied sich, zwei Weidenkörbe mit etwa 20 Paar Schuhen zu packen, die Kleider, Jacken und Mäntel trug sie übereinander. Als Nachbarn sie fragten, ob sie nicht noch rasch die Weckgläser und Marmeladenvorräte, das Sauerkraut in Steinkrügen usw. zerschlagen wolle, bevor sie in Feindeshände fielen, meinte sie: Das werde ich nicht tun. Auch Feinde haben Hunger. Und vielleicht finden meine Söhne irgendwo auch noch etwas, was sie vor dem Hunger bewahrt. Ja, so war meine Oma. Ich liebte sie sehr und bin heute mehr als je zuvor stolz auf sie.

Der Winter 1944/1945 war einer der eisigsten des letzten Jahrhunderts. Die alten Männer im Treck schlugen abends Tannenzweige, um Hütten zu bauen, damit Frauen und Kinder vor Eis und Schnee Schutz fanden, schlugen vereiste Bäche auf, um Trinkwasser zu gewinnen. Im Januar und Februar 1945 wurde der Treck noch halbwegs von den älteren deutschen Männern versorgt. Streckenweise konnten wir in Viehwagen transportiert werden, jedoch kamen jetzt Fliegerangriffe aus dem Osten, die die Bahnlinien bombardierten. Die Front kam näher und der Kanonendonner wollte nicht enden. Die Stalinorgel, ein Raketenwerfer, bestehend aus vielen Einzelraketen, zermürbte die Gemüter.

Meine Großmutter, das Kräuterweiblein, konnte mit ihrem Wissen vielen Menschen auf der Flucht helfen. Erfrorene oder wundgelaufene Füße, Magenprobleme, Durchfälle, Fieberausbrüche, Flohstiche und Wanzenbisse, Arthrosen: Sie schien gegen alles ein Kräutlein zu kennen. Wir ernährten uns von Melde, Brennnesseln, Wurzeln.

Hier ein Bericht aus jenen Tagen, als die Fronten ständig wechselten:

http://alfreddezayas.com/Chapbooks/Flucht_de.shtml

Unsere Flucht endete zunächst in Steinwehr, einem Dorf bei Königsberg/Neumark. Die Bauerfamilie Bussian mit dem alten Großvater und zwei Söhnen der jungen Generation nahmen uns auf und teilten ihre Vorräte mit etwa 15 Leuten aus dem Flüchtlingstreck. Der Duft von geräuchertem Speck, Bratkartoffeln mit Rührei war himmlisch.

Die Front war jetzt eindeutig klar, die Russen waren angekommen. Als die Bäuerin an einem Frühlingsmorgen die Klappläden öffnete, schloss sie sie sofort wieder, holte ein weißes Betttuch und hängte es aus dem Fenster, als die Laden erneut geöffnet waren. Eine russische Kanone war direkt auf das Fenster gerichtet.

Etwa eine Stunde später kamen zwei russische Offiziere ins Haus, die hervorragend deutsch sprachen. Sie erklärten uns, die wir rund um den Kachelofen auf der Ofenbank saßen, dass der Krieg vorbei sei. Es werde noch einige Schwierigkeiten geben, aber dann sollten wir rasch auf die Kommandantur kommen und Hilfe holen. Die Anwesenden waren erleichtert: „Das sind ja Menschen“, meinten sie, denn das war nach all der Propaganda nicht erwartet worden. Später las ich bei Lew Kopelew (auch er war einer dieser Politoffiziere die die Menschen beruhigen sollten), wie er sich für das schämte, was danach allgemein geschah: Die Horden wurden von Stalin losgelassen.

Wir erlebten es dann so:

Lastwagen voller schlitzäugiger russischer Soldaten wurden herangekarrt. Sie liefen in die Häuser, holten sich die jungen Mädchen und Frauen heraus und vergewaltigten sie. Um unsere Mütter zu schützen, verbargen wir sie in den Kartoffelmieten unter den Fallböden der Scheune und schaufelten dann Stroh darauf. Dann warteten wir Kinder ab, dass der wilde Haufen weiterzöge. Einmal hatten wir die Mütter zu spät warnen können. Wir häuften Stroh auf und waren nicht sicher, ob die Frauen noch den Weg in die Fallgrube geschafft hatten. Als die Russen mit aufgepflanztem Bajonett in die Strohhaufen stachen, drehten wir uns um und liefen davon. Kein Schrei war hörbar, unsere Mütter hatten es noch einmal geschafft.

Der Begriff Tataren verband sich bei mir immer mit dem Anblick von Schlitzaugen, die bewusst von Stalin für solche Taten eingesetzt wurden, weil ihr in Deutschland ungewohnter Anblick Terror verbreitete.

Der alte Bauer Bussian war zusammen mit anderen alten Männern auf den Dorfanger verbracht worden. Wir hörten die Gewehrsalven und danach wurden die Söhne der Familien aufgefordert, die Leichname zu begraben.

Das Bauernhaus wurde beschlagnahmt für Offiziere. Wir mussten sofort hinaus, die Anwesenden wurden ihrer letzten Habseligkeiten beraubt, ein paar Kettchen, Pässe, Sparbücher, Kleidung wurden fortgenommen. Omas Schuhe waren schon vorher weggenommen worden. Eine alte Frau, die noch einmal in das Haus zurück ging, wurde erschossen. Die Leiche wurde von dem Erker aus auf die Straße geworfen. Das Aufklatschen des Leichnams werde ich nie vergessen.

So ist also der Krieg, wenn er vorüber ist, dachte ich bei mir. Aber es kam noch schlimmer. Unserem Treck schlossen sich jetzt auch die Einwohner des Bauerndorfes an. Wir wurden nach Wildenbruch, der Nachbargemeinde abgeschoben, wo wir im Herrenhaus zusammengepfercht wurden. Die Nahrungsmittel waren jetzt nicht mehr vorhanden. Wovon wir lebten? Keine Ahnung. Immerhin gab es vorerst Milch von den noch verbliebenen Kühen, die von den bäuerlichen Familien betreut wurden. Aber das Milchvieh war auch nicht mehr lange da.

Meine Mutter und ein jüngerer Sohn der Bussians, der nach einer Kinderlähmung verkrüppelt war, wurden zum Viehtreiben eingesetzt. Den siegreichen Russen wurde die Frischfleischbeute in Form von Kühen, Schweinen, Schafen nachgeschickt. Und meine Mama war eine der Viehtreiberinnen. Am 8. Mai 1945 war der Krieg offiziell vorbei. Meine Mutter war in Berlin, sah dort die Siegesfeiern der Alliierten und kehrte im Juni zu uns nach Wildenbruch zurück. Sie war eine seelisch zerbrochene Frau.

Unsere Flucht setzten wir von dort, also ziemlich verspätet, erneut fort. Wieder zumeist in Viehwagen. Bei einem Stopp auf freiem Feld, sprang ich aus dem Wagen und klaute unter den Augen der bewachenden Russen ein paar Kartoffeln. Meine Großmutter und Mutter waren gelähmt vor Angst, aber die Russen taten mir nichts. Oma verwendete die Kartoffeln, um für ein paar Leute Umschläge herzustellen. In unserem Waggon hatte man sich provisorische Kochstellen eingerichtet, die mit Zweigen und Laub beheizt wurden. Das war also wieder nichts mit ein paar Pellkartoffeln zum Abendessen!

Ich erinnere mich an den ausgebombten Bahnhof in Stettin. Irgendwo in der Nähe ging es über die Oder. Der Fluss war reißend und führte Hochwasser. Auf provisorischen Flößen wurden wir auf die westliche Oderseite übergesetzt. Und dort hörte ich eine Nachricht, die ich für eine große Lüge hielt: Es wären vor einigen Tagen zwei schlimme Bomben in Japan gefallen, die Millionen von Menschen getötet hätten. Da ich aus meinen Hamburger Erlebnissen wusste, dass es größerer Mengen an Bomben bedurfte, um Tausende von Menschen zu töten, empfand ich das, was ich da hörte, als Lüge. Damit dürfte diese Floßfahrt über die Oder zeitlich Mitte August 1945 stattgefunden haben.

Kurz vor Berlin trennten sich die Wege meiner Mutter und Großmutter. Sie wollte direkt weiter nach Westen, um von dort nach Cuxhaven zu kommen. Meine Mutter hatte zuvor gehört, dass die Amerikaner in Schwerin stünden. Dass die sich bereits längst nach Westen zurückgezogen hatten, wusste sie nicht.

In Schwerin angekommen, wurden wir in ein Sammelquartier im ehemaligen Hagel-Versicherungsgebäude (Wismarsche/Ecke Arsenalstraße) mit etwa hundert anderen Flüchtlingen zusammengepfercht. Es gab einen Wasserhahn, eine Toilette und ein Krankenzimmer im ersten Stock, in das man meine Mutter mit Typhus-Verdacht verlegte. Eine Krankenschwester namens Johanna Prepenz betreute die Kranken auf der Isolierstation, Frau Dunst und meine Mutter. Sie kümmerte sich um die Entlausung der Flüchtlinge, denn Haar- und Kleiderläuse waren unvermeidbar. Und sie kümmerte sich um mich. Mittags holte ich die Krankenkost für meine Mutter in der Krankenküche Schwerins ab. Den größten Anteil gab Schwester Johanna mir, weil meine Mama nicht mehr essen wollte. Nahrung, die einmal auf der Isolierstation war, wurde als kontaminiert entsorgt.

Wenn ich trotz aller Verbote meine Mutter besuchte, erhielt ich danach schon mal eine Tracht Prügel von den anderen Flüchtlingen, die Angst vor Ansteckung hatten. Und dann traf ich ein Mädchen, als ich vor dem Versicherungsgebäude auf den Stufen umher hüpfte. Sie fragte mich, wo meine Mutter sei und erzählte mir von ihren Puppen. Ich könne doch mit ihr gehen, sie wohne gerade um die Ecke in der Lübecker Straße. Natürlich wollte ich endlich mal wieder mit einer Puppe spielen, also ging ich mit. Es war nicht weit. Sie erzählte mir, dass ihre Großeltern im Keller wohnten, wo auch ihre Puppen seien. Ich müsse keine Angst haben, es sei halt dunkel dort.

Das Haus war ein Bau aus der Jahrhundertwende. Von der Straße aus ging man zur Rückfront des Flures und links davon öffnete das Mädchen eine Tür. Im Keller war es nachtschwarz. Ich stieß das Kind zurück und flüchtete. Als ich an der Treppe am Eingang vorbei lief, kam eine Frau von ca. 30 Jahren die Stufen herunter mit einer Axt in der Hand.

(Einige Jahre später hörte ich, dass man etliche Frauen und Männer in der Lübecker Straße verhaftet habe, die 1945 Kinder ermordet hatten. Das Fleisch dieser Kinder habe man eingekocht und als Kalbfleisch verkauft. Die Hungersnot war zu der Zeit riesengroß. Dies erzählte uns eine alte Schwerinerin.]

Ich war sehr verstört, auch weil ich dem Befehl meiner Mutter nicht gehorcht hatte, niemals mit Fremden mitzugehen. Als ich zur Hagelversicherung zurückkam, stand der Seuchenwagen vor der Tür. Bei dessen Anblick brach ich schreiend zusammen und warf mich in die Gosse. Eine Gestalt im Dunkel des Wagens richtete sich auf: „Kind, ich bin´s. Deine Mama ist noch oben, sie bleibt hier“. Frau Dunst starb einige Tage später im Seuchenkrankenhaus am Lewenberg. Ich rannte hoch zu meiner Mutter, und natürlich erwischte man mich, als ich ihr Krankenzimmer verließ. Meine Prügel von den anderen bezog ich erwartungsgemäß.

Mama war zum Skelett abgemagert. Dennoch ging sie mit ein paar ungebrannten Kaffeebohnen auf Hamsterfahrt nach Muess zu den Bauern, um etwas Nahrung zu besorgen. Die Krankenkost gab es ja nicht mehr. Die Straßenbahn fuhr bis Zippendorf. Den Rucksack hatte sie sich vor die Brust geschnallt, weil sie im Rücken zu schwach geworden war. Sie hatte etwas Brot, einige Getreidekörner, etwas Butter und Speck zurückgebracht von dieser Hamsterfahrt.

Es ist schade, das die Kunst der Kräuterfrauen in unserem Technik-Mittelalter ebenso ausgerottet wurde wie zu Zeiten der Hexenverbrennungen – wir könnten sie gut gebrauchen.

Persönliche Daten habe ich auf Wunsch gelöscht, die Namen von Helden des Alltages habe ich beibehalten, um ihr Andenken zu würdigen – was sonst wahrscheinlich noch nicht geschehen ist.

Gemeinschaft, Gemeinsamkeit, gegenseitige Hilfsbereitschaft – auch meine Mutter erzählt mir davon … und ist heute noch begeistert darüber, wie die Menschen damals waren, als die nationalsozialistische Kultur zusammenbrach. Heute muss ich ihr sagen, das diese Kultur wieder wächst – man schaue doch nur mal die Kommentare hier an, wenn ich die Lebensgeschichten von Arbeitslosen erzähle: da kommen die neuen Blockwarte sofort – und merken wahrscheinlich gar nicht, was sie da gerade tun.

Was mich an dieser Geschichte aber besonders ansprach, das sie den Krieg aus der Perspektive eines Kindes betrachtete – eines Kindes mit einer wunderbaren Großmutter. So erleben alle Kinder den Krieg – auch die Kinder aus Afghanistan, aus Syrien, aus dem Irak, aus Lybien und den anderen „Feindländern“ der Nato.

Als Zivilgesellschaft waren wir schon mal so weit, das wir das erkannt hatten. Die UNO sollte uns helfen, den Krieg selbst zu bekämpfen – jetzt ist sie ein Instrument geworden, das den Krieg gesellschaftsfähig macht – wieder einmal.

Und wieder einmal leiden Kinder darunter. Millionen Kinder – an die niemand dabei denkt, wenn er seine Fähnchen auf den Karten hin- und herschiebt. Sie sind „Kollateralschäden“ geworden, werden als solche verbrannt, verstümmelt, zerfetzt, zermalmt und in ihre Einzelteile zerlegt.

Eine Kultur, die so etwas pflegt, muss zwangsläufig den Atheismus predigen, den Antitheismus leben, sie muss den ganzen Tag inbrünstig beten, das es KEINEN Gott gibt und alles wirklich mit dem Tode zu Ende ist.

Es mag aber sein, das diese Gebete nicht wirken … dann Gnade Gott jenen, die Kinder bei lebendigem Leibe verbrannt haben – ich denke nur, er wird es nicht tun.

Nicht bei denen.

Die finden – wie andere Kindermörder auch – noch nicht mal Gnade im Knast für Schwerverbrecher … wo man heutzutage noch mehr Ethik findet als in den Generalstäben der Nato.

Ich denke, man sollte Geschichten wie diese jedem „Entscheider“ in Politik, Regierung und Generalstab zu lesen geben und sie offen fragen: sind Sie bereit, Kindern das anzutun?

Aber wahrscheinlich ist es dafür schon zu spät, die Weltfremdheit zu groß – und man bekommt als Antwort nur:

Unerträglichstes Sozialgewinsel.

Und diese Antwort hatte ich schon mal hier erhalten.

 

Deutschland zerbricht. Das schleichende und unnötige Ende einer großen Zivilisation

Donnerstag, 1. November 2012. Eifel.  Der reichste Mensch, den ich persönlich kennengelernt habe, war Mister Akihiko Otsuka. Ein feiner Kerl. Er hätte gerne ein eigenes Leben gehabt, aber wie viele reiche Erben war es ihm nie vergönnt, ein eigenes Leben zu haben. Ein paar Momente als langhaariger Hippie, dann holte der Reichtum ihn ein und das Leben war vorbei. Sein Vater hat einige feine Dinge getan, die nicht so renditeträchtig sind - zum Beispiel eine Luxushotelkette für seine Mitarbeiter gebaut, wo die für ganz wenig Geld einen Spitzenurlaub erleben können.  Mister Otsuka hatte selbst nie Zeit, über sein Leben selbst bestimmen zu können, er lebt das Leben seines Vaters und seines Großvaters sowie seine Kinder und Enkel sein Leben leben werden. Das ist so im goldenen Käfig des Reichtums: Freiheit gibt es da nicht, dafür aber das beständige Gefühl der Bedrohung - nur einmal ohne Unterhose auf dem Balkon gewesen und schon sieht das die ganze Welt. Ähnlich bespitzelt wie die Reichen werden bei uns nur Hartz-IV-Empfänger. Die ärmsten Menschen die ich kennengelernt habe lebten in Wellblechvorstädten von Johannesburg - eine der mordreichsten Städte der Welt. Schon die Mittelständler dort sind superarm, weil sie in kleinen Gefängnissen wohnen - hohe Mauern, Stacheldraht, Suchlichter: so etwas kennen wir nur aus dem Knast, nicht aber aus Wohngegenden der Mittelschicht. Die Armen lebten damals in hastig zusammengebauten Wellblechhütten, die regelmässig von Bulldozern der Regierung niedergewalzt wurden. Manchmal blieb auch einer von ihnen unter den Ketten liegen. Hartz IV wäre für die der Traum: man hätte Wasser, Strom, Milch, Mehl, Eier, Zucker, Obst ... was für ein unglaublicher Reichtum.  Und es passiert in Kreisen von Hartz IV nur höchst selten, das der Nachbar an der Bushaltestelle mal eben kurz aus purer Lust am Morden mit einer Fahrradspeiche erstochen wird - was jener Mensch, der mich durch Johannisburg geführt hat, erst Tags zuvor erleben durfte.

Donnerstag, 1. November 2012. Eifel.  Der reichste Mensch, den ich persönlich kennengelernt habe, war Mister Akihiko Otsuka. Ein feiner Kerl. Er hätte gerne ein eigenes Leben gehabt, aber wie viele reiche Erben war es ihm nie vergönnt, ein eigenes Leben zu haben. Ein paar Momente als langhaariger Hippie, dann holte der Reichtum ihn ein und das Leben war vorbei. Sein Vater hat einige feine Dinge getan, die nicht so renditeträchtig sind – zum Beispiel eine Luxushotelkette für seine Mitarbeiter gebaut, wo die für ganz wenig Geld einen Spitzenurlaub erleben können.  Mister Otsuka hatte selbst nie Zeit, über sein Leben selbst bestimmen zu können, er lebt das Leben seines Vaters und seines Großvaters sowie seine Kinder und Enkel sein Leben leben werden. Das ist so im goldenen Käfig des Reichtums: Freiheit gibt es da nicht, dafür aber das beständige Gefühl der Bedrohung – nur einmal ohne Unterhose auf dem Balkon gewesen und schon sieht das die ganze Welt. Ähnlich bespitzelt wie die Reichen werden bei uns nur Hartz-IV-Empfänger. Die ärmsten Menschen die ich kennengelernt habe lebten in Wellblechvorstädten von Johannesburg – eine der mordreichsten Städte der Welt. Schon die Mittelständler dort sind superarm, weil sie in kleinen Gefängnissen wohnen – hohe Mauern, Stacheldraht, Suchlichter: so etwas kennen wir nur aus dem Knast, nicht aber aus Wohngegenden der Mittelschicht. Die Armen lebten damals in hastig zusammengebauten Wellblechhütten, die regelmässig von Bulldozern der Regierung niedergewalzt wurden. Manchmal blieb auch einer von ihnen unter den Ketten liegen. Hartz IV wäre für die der Traum: man hätte Wasser, Strom, Milch, Mehl, Eier, Zucker, Obst … was für ein unglaublicher Reichtum.  Und es passiert in Kreisen von Hartz IV nur höchst selten, das der Nachbar an der Bushaltestelle mal eben kurz aus purer Lust am Morden mit einer Fahrradspeiche erstochen wird – was jener Mensch, der mich durch Johannisburg geführt hat, erst Tags zuvor erleben durfte.

Solche Erlebnisse gönne ich jedem Menschen. Sie halten einen dazu an, das richtige Maß für sein Leben zu finden, zu schätzen was man hat und etwas weiser im Urteil zu werden – auch im Urteil über das eigene Land. Unter solchen Eindrücken fällt es auch schwer, im bedingungslosen Grundeinkommen die Lösung aller Probleme zu sehen – denn worin unterscheidet sich eigentlich der Anspruch auf immer mehr Geld für sich selbst von dem Anspruch raffgieriger offener Immobilienfonds? Nun – keine Sorge: hier folgt jetzt keine Generalabrechnung mit diesem neuen Traum einer solidarischen Gesellschaft. Der Schritt hin zu einem Grundeinkommen ist alternativlos.  Bei vielen Menschen – wie zum Beispiel der japanischen Familie Otsuka – würde er auf offene Ohren stoßen. Dort gibt es Menschen, die gerne anderen die Freiheit gönnen, die sie selbst für sich nie hatten … deshalb aber sehr wertschätzen. Im Prinzip ist es doch genau das, weshalb wir als Menschheit Zivilisation, Stadt und Staat gegründet haben: damit es uns alle besser geht, damit wir nicht mehr wie Conan der Barbar allein durch die Welt laufen, beständig bedroht von Krankheit, Winter, Hunger oder Raubtieren, sondern geschützt von einer Gemeinschaft, die deutlich stärker ist als alle Conans des Landes zusammen. Mag der Teufel auch als „Herr der Welt“ Legionen von Dämonen ausschicken, um sich beständig neue Plagen auszudenken: wir als Menschheit werden locker damit fertig.

Sicher, es ginge noch besser. Schlimm wird es nämlich, wenn Menschen selbst zur Plage werden. Das wußte schon Aristoteles, der eine Herrschaft von Reichen als deutlich schlimmer empfand als die Herrschaft durch einen Tyrannen. Die Reichen – und das ist gerade ein sehr aktuelles Thema – sind der schlimmste Fluch einer Gemeinschaft, weil sie der Zivilisation, der Stadt und dem Staat alle Lebenskraft aus den Knochen saugen und immer stärker saugen, je fetter sie sind. Mister Akihiko Otsuka würde das verstehen – er ist ja auch Milliardär. Er kann sich solche nüchternen, funktionalen Gedanken leisten, zudem hatte er das Glück, das Vermögen vererbt zu bekommen. Die Armen in den Wellblechhütten verstehen das auch: sie erleben tagtäglich, welchen gesellschaftlichen Zustand wir in Deutschland bekommen, wenn die Reichen keiner aufhält – oder sie selbst nicht zur Vernunft kommen und sich wieder in die soziale Gemeinschaft eingliedern, anstatt sich hemmungslos ständig neue Tricks einfallen zu lassen, wie sie den Reichtum der Gemeinschaft in ihre privaten Schatullen lotsen können.

Dabei wäre Zeit für Vernunft. Nach Ansicht mancher Historiker ist die Geschichte ein beständiger Kampf der reichen Familien gegen den König – mehr nicht. Das funktioniert wie ein Zweitaktmotor: haben die reichen Familien den Staat wieder bis zur Neige ausgeplündert, kommt ein neuer Führer, der dem Volk Würde, Achtung und Respekt verspricht und die Ordnung wieder herstellen will. Indianer nennen das dann den „Kriegshäuptling“ – und weil es um Krieg geht, kann es immer nur eine einzelne Führerpersönlichkeit sein. Hat der seinen Job erledigt und ist gescheitert (was die immer tun, weshalb die Kriegshäuptlinge der Indianer nach Beendigung des Krieges ihre Macht wieder völlig abgaben und ins Privatleben zurückkehrten), kamen die Familien wieder an die Macht: sie versprachen Demokratie, Freiheit, Bürgerlichkeit – jedenfalls solange, wie es nötig war, die neuen Überversorgungsstrukturen wieder aufzubauen, die der König sich selbst angeeignet hatte.

In diesem Zirkus wäre ein Grundeinkommen ein gewaltiger Schritt nach vorn: es würde eine gewisse Menge an Volkseinkommen definieren, das unantastbar ist und sich auch jeglichen Tricks und Schlichen (oder „Geschäften“) der Reichen entzieht. Wir haben auch schon ein Grundeinkommen – deshalb will ich hier auch kein großes Geschrei dagegen hören. Wer sich da entblößt, hat noch nicht verstanden, das Hartz IV Grundeinkommen ist – allerdings momentan nur für Arbeitssklaven und Befehlsempfänger, was überhaupt nicht tolerierbar ist.  Erst recht ist es ein tödliches Machtinstrument in den Händen der Regierung – das ist nun mal mit Menschenrechten und Demokratie überhaupt nicht vereinbar.

Das interessiert jedoch die Reichen nicht. Fünfzig Jahre lang haben sie gezielt an dem großen Geldstaubsauger gebastelt, der ihnen die Milliarden in die Taschen spülen sollte und der läuft jetzt gerade auf Hochtouren. Wir müssen ja auch die Millionäre verstehen, die lange Zeit neidvoll die Tiraden der Milliardäre ertragen mussten, ebenso wie die Besserverdiener die Millionärseskapaden bestaunen durften oder der Mittelstand die SUV´s der Besserverdiener zu tolerieren gezwungen war, der Niedriglohnempfänger die landraubende Häuslebauerkultur des Mittelstands ohnmächtig ertragen sollte, wie die Sozialhilfeempfänger den Reichtum der Niedriglohnempfänger vor Augen geführt bekamen. Und alle wollen auf den Zug aufspringen, ein Wahn wie im Dritten Reich: damals war alles Glück der Welt vom Tod der Juden abhängig, heute soll immer mehr Geld alles richten.

Wer zahlt letztlich? Der Staat. Die Gemeinschaft, die in großem Umfang zerbricht. Finanziell sieht man es an den explosionsartig wachsenden Staatsschulden (was dazu führt, das Staatsdiener unbezahlten Zwangsurlaub nehmen müssen), menschlich an der zunehmenden Degeneration der zwischenmenschlichen Strukturen (was zu Überlegungen führt, kranke Alte ins ferne Ausland abzuschieben – ein sehr häßlicher Skandal, der seltsam wenig Aufmerksamkeit nach sich zieht – oder aber zu ersten Auflösungserscheinungen bei Krankenversicherungen, die sich dem Prinzip verschreiben, das auch die Arbeitslosenversicherung vorgelebt hat: viel kassieren, nichts leisten) und wirtschaftlich an der schlichten Tatsache, das man mit dem Geld auf den Bahamas in Deutschland  den Firmen die Luft abdreht, weil die auf ihren Waren sitzenbleiben. Sogar Mercedes und die sonst so boomende Computerbranche in Deutschland bekommen Probleme … die sie, um ihr Überleben zu sichern, auf die übliche Art lösen:

Der Computerzubehör-Hersteller ringt mit den sinkenden Absatzzahlen klassischer Rechner. Der Umsatz verfehlt die Erwartungen der Analysten. Immerhin klettert dank Sparmaßnahmen und Steuereffekten der Gewinn.

„Steuereffekte“ sind nichts weiter als ein schönes Wort für einen kräftigen Griff in die Gemeinschaftskasse – und „Sparmaßnahmen“ nichts weiter als ein Begriff für Entlassungen. Sogar die vom Steuerzahler mit phantastischen Beträgen geretteten Banken entlassen Zehntausende von Mitarbeitern, weil exorbitante Gewinne nur noch durch die Vernichtung von Leben und Lebensqualität zu erwirtschaften sind. Das Ende des deutschen Jobwunders – das sowieso nur ein Zwangsarbeits- und Niedrigstlohnwunder war – steht vor der Tür.

Schon jetzt erreichen uns die Warnungen der Geldhorter: Deutschland hat ein Problem mit schwachen Staatsfinanzen, unsicheren Börsen und kriselnden Banken. Wir wissen, was das heißt: Reformen müssen her, die kriselnden Immobilienfonds zerstören den Traum vom leistungslosem Einkommen für viele (mit großen finanziellen Verlusten), das darf nicht sein. Gleichzeitig werden aber Immobilien selbst immer unsicherer – eine kleine aber unangenehme Folge der Arbeit vieler dieser Fonds, die Preisblasen ohne Ende entstehen lassen und so die wichtigste Lebensgrundlage von Menschen zerstören: das Heim. Wir stehen dicht vor der Wellblechhütte als einzig bezahlbarer Alternative – und dicht davor, das der Hartz-Bagger die Hütte wegen ihren marktverzerrenden Eigenschaften wieder abreißt.

Wir wissen wo das Enden wird – logischerweise enden muss. Der König wird kommen, der neue Führer, der verspricht, das Volk vor den Wellblechhütten zu beschützen, die Arbeitslosen von der Straße zu holen und Gold vom Himmel regnen zu lassen. Wir wissen auch, aus welcher politischen Ecke der Führer in diesem Land der kleinen Mucker kommen wird – wir haben das alles schon mal durchgemacht. Die Reichen wissen das – und deshalb arbeiten sie mit Hochdruck an dem europäischen Superstaat, damit gezielter Widerstand aufgrund ethnischer Grenzen unmöglich wird … man schaut da einfach mal ´rüber zu den USA und lernt.

Währenddessen offenbart ein Bericht über die NPD, das die alles andere sind als der harmlose „Geschichte-von-Gestern“-Verein, als den man sie gerne darstellt. Im Gegenteil: taktisch und strategisch haben die dazugelernt und zeigen ziemlich intelligente Strukturen:

 „Unsere Kinderfeste bringen die Herrschenden ins Schwitzen und die Kinder und Eltern zum Lachen.“ 

Kinderfeste als Geheimwaffe der NPD – so weit sind wir schon. Das wirft ein schlimmes Bild auf unsere Gemeinschaft.

Je mehr der Staat sich aus der Gesellschaft zurückzieht, umso mehr werden die Anhänger des Führers das Volk übernehmen – Kinderfeste, Altenpflege, Krankenversorgung: die NPD kann schon jetzt mit Selbstverständlichkeiten punkten, während die Linken noch diskutieren, wer der beste, reinste Linke ist. Das einzige, was ihnen noch fehlt, ist ein neuer Führer, ein charismatischer Redner, ein politischer Saubermann, der aufräumen kann und will. Er wird nicht Hitler heißen – aber was heißt das schon. Er wird auch nicht der NPD zum Sieg verhelfen … aber die Massen hinter sich vereinen mit allen Folgen, die so etwas mit sich bringt: Uniformen, Aufmärsche, Fackelzüge, Verfolgung Andersdenkender, Vernichtung von „Staatsfeinden“, Abschaffung der bürgerlichen Gesetze – so ein Kriegshäuptling durfte noch nie zimperlich sein, wenn er die Macht der Reichen zerbrechen wollte. Insgeheim einigt man sich natürlich schnell – die neuen Volkskommissare/Gauleiter kriegen neue Pöstchen, der Geldadel protzt weniger herum und gibt was ab von seinem Reichtum, man einigt sich auf eine reiche Randgruppe als Feindbild, deren Vermögen hemmungslos geplündert werden darf – das letzte Mal waren es Juden, das nächste Mal werden es andere sein. Kann im Prinzip jeden treffen – außer den Superreichen, die wohnen woanders. Immer.

Wie ein Zweitaktmotor.

Und die Mittelschicht zahlt mal wieder die ganze Rechnung. Wie üblich … kommen die um ein paar Jahre in Wellblechhütten einfach nicht herum.

Gerade wir in Deutschland hätten eine Riesenchance gehabt, etwas ganz Neues zu gebären. Wir kennen den Horror des Dritten Reiches, wir kennen die lähmende Tristess des Kommunismus, wir haben die unterschiedlichen Zyklen der Geschichte im Detail erlebt – wahrscheinlich auch ein Grund, weshalb uns Politik immer weniger interessiert, weil wir das Versagen aller großer politischer Systeme am eigenen Leib erlebt haben.

Nur 1749 Wörter waren notwendig, um in groben Zügen den Verlauf der bisherigen und zukünftigen Geschichte zu skizzieren. Das haben viele andere auch schon getan. Noch weniger Worte braucht man, um eine Lösung zu präsentieren, die der gesamten Wirtschaft eine unglaubliche Dynamik verleihen würde: eine weltweite Strafgebühr fürs Geldhorten – inklusive der Einführung von zinslosen Banken ähnlich der schwedischen JAK-Banken, die seit 1965  produktiv mit zinslosen Darlehen wirtschaften. Würde man nicht fünf Prozent Zinsen dafür bekommen, das man wertvolles Tauschmittel auf fernen Inseln sinnlos hortet sondern müsste fünf Prozent Strafe dafür zahlen, das man das Geld dem Wirtschaftskreislauf entzieht – wir bräuchten uns keine Sorgen mehr zu machen. Arbeitsplätze wären in Massen da – denn lieber lasse ich mir drei mal täglich die Nägel maniküren anstatt mein Geld einfach sinnlos aus dem Fenster zu werfen. Geld – wäre auf einmal in Massen da … und jeder wäre froh, es loszuwerden. Dafür ist es aber auch da: zum Ausgeben. Nur so kommen Mercedes und Computer unter´s Volk.

Natürlich gibt es Risiken. Natürlich würde ein ganz neuer Wind durch das Land wehen und manch einem, der bislang auf dem Zinskissen vortrefflich geruht hat, wieder zur Arbeit motivieren. Leider sind dann für Banker, Politiker und Beamte nur Gehälter leicht unter dem Durchschnitt möglich, auch Manager müssten sich mit deutlich weniger zufrieden geben: ohne den Zinszirkus fehlt auch der ganze Druck im System. Wir hätten aber wieder Zeit für die Armen, Alten und Kranken in unserem Land und müssten nicht perverse Gedanken darüber hegen, wie wir sie möglichst preiswert im Ausland entsorgen können.

Warum das trotzdem nicht so kommen wird?

Einfach eine Frage der mangelnden Vernunft und Ethik im Volk. Ganz spannende Zeiten für Philosophen … und außerordentlich traurige Zeiten, denn das Ende dieser Zivilisation ist nicht alternativlos oder unvermeidbar. Faulheit, Dummheit und hemmungslose Egozentrik im Individuum – jahrzehntelang als Werte gepredigt, gewürdigt und gefeiert (einfach mal Programme von RTL anschauen, da geschieht das täglich), sind ursächlich verantwortlich für die Zerrüttung des Gemeinwesens. Wir verstehen das sofort, wenn wir das auf den Straßenverkehr übertragen: wenn es als richtig gelten würde, das für die schnellsten und stärksten Autos keine Regeln gelten und Mercedes immer eingebaute Vorfahrt hat … dann würden wir ganz schnell einen totalen Verkehrsinfarkt haben: die Blechlawine wäre Blechhaufen geworden.

Nur weil alle Individuen vernünftig, aufmerksam und der Situation angemessen reagieren, ist so etwas kompliziertes wie Straßenverkehr überhaupt lebbar.

Aber wir haben gezeigt, das wir es können. Wir tun es jeden Tag.

Das müssen wir jetzt nur noch wieder auf des Gemeinschaftsleben im Staat übertragen.

Oder wir übertragen wieder alle Macht dem Führer, damit der uns aus dem Mist herausholt. Wir können aber wissen, wie das wieder enden wird … wir hatten das schon mal. Mit ihm rechne ich zwei- drei Jahre nachdem die Discounter mangels Rendite die Tore geschlossen haben und man auch mit Geld in Deutschland keine Nahrungsmittel mehr bekommt. Zwanzig- dreissig Jahre später werden wir dann das Land wieder aus den Trümmern aufbauen und die großen „Unternehmerfamilien“ feiern, die uns angeblich den Wohlstand bringen, in Wirklichkeit aber nur erstmal sanftere Strukturen der Unterdrückung aufbauen – erst später werden diese Strukturen so unerträglich, das selbst ein Aristoteles den Schaden durch Tyrannen für geringer hält.

Daran sieht man, wie viele tausend Jahre das Problem schon besteht.

Selbstverständlich könnte man mit den Strafzinsen auch ein bedingungsloses Grundeinkommen erwirtschaften – für all´ jene, für die Aufgrund des Zahlungsmittelentzugs in der Volkswirtschaft kein Geld mehr da ist. Die können immerhin nichts dafür, das andere all das Vermögen der Gemeinschaft auf ihrem Privatkonto haben wollen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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