Donnerstag, 28.1.2016. Eifel. Er ist ja jetzt in aller Munde: der Hass. Ein ganzes Volk steht auf, vereint, im Kampf gegen ihn. Der Hass: er kommt aus dem Osten. Er ist männlich. Er ist bildungsfern. Er ist rechts. Er … gehört ausgerottet, mit Stumpf und Stil. So jedenfalls habe ich die Hasskommentare der Millionärspresse verstanden, die ich hier nicht umfänglich zitieren möchte – aber jederzeit zitieren könnte.
Hass war das erste philosophische Projekt meiner Jugend. Ich arbeitete während der Schulzeit in einer „Philosophie-AG“, gegründet von einem engagierten Studienreferendar, der merkte, dass man in der Schule und unter den Bedingungen von Schule keine Philosophie betreiben kann und deshalb privat aktiv wurde. Es war ein kunterbuntes Treiben in der AG, es waren interessante Menschen dort, dort habe ich meine Frau kennengelernt – und viele wertvolle Menschen, die alle im Meer der Zeit verschollen sind.
Es ist oft erstaunlich, wie einfach Philosophie sein kann – oder wie hilfreich. Eines der Erkenntnisse dieser Ag war: alle „All-Quanten“ sind Unsinn, d.h. alle Lehrsätze, die „Alle soundso sind soundso“ sind grober Unfug und falsch … eingeschlossen dieser Satz selbst. Versuchen Sie es mal selbst: sie werden erstaunt sein, wie oft diese „All-Quanten“ (der Begriff stammte von unserem Referendar, seitdem habe ich ihn nie wieder gehört) falsch sind … und ich hoffe sehr, Sie haben schon mal gehört, dass diese „All-Quanten“ politisch gefährlich sein können. Immerhin leben wir in einer Zeit, in der sie wieder aktiv werden, die groben Verallgemeinerungen: alle Rechten sind Nazis, alle Arbeitslosen faule Schmarotzer, alle Amerikaner Verbrecher, alle Flüchtlinge Vergewaltiger oder Invasoren, alle Juden nach wie vor aktive superreiche Weltverschwörer, alle Russen brutale Barbaren – besonders Putin, alle schönen und reichen Menschen edel, hilfreich und gut und alle anderen Menschen egoistisch, triebgesteuert und konsumorientiert….um nur ein paar der Vorurteile zu nennen.
Nun – dass dieser Satz selbst ebenfalls ein „All-Quantum“ ist, stört den Philosophen nicht sonderlich, es gibt ja Sprüche dagegen wie: „Ausnahmen bestätigen die Regel“. Natürlich hatte es mich auch nicht gestört, dass ich ebenfalls so einen allgemeingültigen Satz entwickelte, um Hass zu erklären. Hass – war mir fremd. Ein sehr seltsames Gefühl, dass Menschen zu Wesen machte, die wilder als das wildeste Tier waren, bösartig geradezu, Wesen, die nach Vernichtung trachteten und nicht nur zum Zwecke des Überlebens töteten. Damals – das war 1976 – war die NS-Zeit noch näher in Reichweite, oft Gesprächsgegenstand beim Mittagessen, immer noch nicht hatte man verarbeitet, wie eine Kultur des Hasses mitten in Europa wachsen konnte – und da die Lehrstühle noch voll waren mit den Kindern dieser Zeit (oder ihren ersten Zöglingen) war an gründlicher Aufarbeitung nicht zu denken.
Meine Erklärung für Hass war einfach – und eine erste Erfahrung mit einer der Wahrheitstheorien, denn: diese Erklärung „fiel mir einfach so ein“, ja – als sei sie vom Himmel gefallen. Sie war auf einmal da – und gilt heute als Standarderklärung für Hass bei Wikipedia:
„Hass entsteht, wenn tiefe und lang andauernde Verletzungen nicht abgewehrt und/oder bestraft werden können. Hass ist somit eine Kombination aus Vernunft und Gefühl. Die Vernunft ruft nach dem Ende der Verletzung und nach einer Bestrafung des Quälenden. Laut Meyers Kleines Lexikon Psychologie ist das Gefühl des Hasses oft mit dem Wunsch verbunden, den Gehassten zu vernichten. Das Gefühl des Hassenden ist das des Ausgeliefertseins, der Gefangenschaft, der Wehrlosigkeit.“
Ich hatte einfachere Worte, war ja auch noch jung: Hass entsteht, wenn Liebe verletzt wird. Eine Welt, in der Liebe das selbstverständliche Urgefühl war, gefiel mir – und es war mir auch klar, woher diese völlig fremdartige Judenhass in Deutschland stammte: immerhin hatten die der Legende nach Christus ermordet. Nun – ich war noch jung und arbeitete erstmal mit einfachen Hypothesen, die noch nicht im Alltag erprobt waren; heute – vierzig Jahre später – wundere ich mich immer noch, woher in einer atheistischen Gesellschaft dieser glühende Antisemitismus herkommt – doch das wird ein andermal Thema sein.
Ja – Liebe war für mich nicht der Gegensatz zum Hass, sondern das Urgefühl eines Menschen in der Welt – was wir heute gar nicht mehr verstehen können … oder wollen. Sehe ich die Definition von „Liebe“ bei Wikipedia, so stelle ich fest: sie ist inzwischen sehr verkürzt worden und beschreibt nur noch das Verhältnis zwischen Menschen. Im Alltag ist sie noch verkürzter und beschreibt jene Illusionen, die Männern Frauen vorgaukeln müssen, um an Sex zu kommen – wenn sie nicht dafür bezahlen wollen. Liebe jedoch – als Grundgefühl – geht weit über Sex hinaus: zum Beispiel kann man Liebe zu seiner Nation empfinden. Dort, wo Hass eine tiefe und andauernde Verletzung beschreibt, die nicht abgewehrt werden kann, beschreibt Liebe eine tiefe und andauernde positive Zuwendung, wie sie ein Kind von seinen Eltern erfahren kann – oder eben ein Mensch von seiner Heimat, die ihm Nahrung gibt, Wasser, Luft, Obdach, Wärme und Anerkennung, heute alles pervers konzentriert, verkürzt und verarmt auf einen „Job“ – den man auch lieben kann (oder sogar muss – weil Staat und Wirtschaft dies angeordnet haben).
Ein leichteres Beispiel für Liebe jenseits der menschlichen Sphäre ist wohl die Liebe zur Natur, gleichzeitig ist sie auch der Urgrund für die Liebe zur „Nation“ und zum „Job“, die sie im menschlichen Denken erfolgreich verdrängt haben, weil die Natur selbst auch „Feind“ wurde, gegen den man sich zu wappnen hatte – mit ensprechenden Folgen für die Umwelt, die wir heute auszubaden haben. Würden wir noch die Natur lieben – und nicht die Nation oder den Job – wir würden ihr nicht solche Gewalt antun und ihre Schönheit nicht breitflächig in Häßlichkeit verwandeln. Ebenso heftige Gefühle kann man für Musik empfinden, für Kunst, für Ideale (das ist uns jetzt schon sehr fremd geworden – ich denke, viele wissen gar nicht mehr, was das ist) – oder einfach nur für Licht.
Eine vernünftige Form von Hass wäre jene, die sich gegen die wendet, die Natur vernichten: sind sie erfolgreich, endet das Leben auf der Erde. In Deutschland wird das in 700 Jahren der Fall sein: hält uns nichts auf, dann ist bei der momentanen Baugeschwindigkeit dann das Land komplett zubetoniert – zum Wohle des Automobils. Da Natur aber als Quelle der Liebe der Welt zum Menschen (und als Quelle einer lebendigen Gotteserfahrung) nach 300 Jahren Massenvernichtung kaum noch erfahrbar ist und als Heimat erinnert wird, wendet sich der Hass gegen die Feinde der Nation oder des Jobs … und somit erklären sich viele gesellschaftlichen Verwerfungen. „Nation“ und „Job“ sind wirklichkeitsverzerrende Begriffe, die zu realitätsfernen Handeln führen – zum Beispiel zu Kriegen oder Bullshitjobs, die man beide wiederum zu Recht hasst – aber auch gleichzeitig im Dienste der Liebe zu Nation und Job (als Ersatzstoff für „Natur“) begeistert ausführt.
Testen wir das mal in der Realität. Im Internet gibt es ein Beichthaus, in dem Menschen ihre Sünden beichten können – einer von den Sündern beichtete seinen Hass (siehe Beichthaus): er würde die faulen Arbeitslosen, die sich beständig über die Umstände, das Unglück und die Schlechtigkeit des Lebens auslassen, im liebsten totknüppeln. Ja – lesen Sie selbst: sowas steht im Internet, ohne eine große politische Hassdebatte auszulösen – und es steht dort seit dem Jahre 2009. Nun – Menschen, die ihre Nation lieben (die können wir „rechts“ nennen) oder die, die ihren Job lieben (spricht was dagegen, sie „links“ zu nennen? Heutzutage?) „kotzt es an“, dass Arbeitslose ihren Liebesdienst verweigern – es folgt der Hass, weil man ihre Arbeitslosigkeit als bewussten Akt der Feindseligkeit gegen die geliebten Objekte interpretiert. Das ist jedoch eine willkürliche Deutung – in Wirklichkeit sind die Arbeitslosen die Beraubten (beraubt durch die „Privatheit“ von Räubern, die ihren Raub per Gesetz behalten dürfen – ja, der Lateiner weiß noch: privare steht u.a. für „rauben: siehe Wikipedia oder das Lateinlexikon im Bücherschrank): ihnen wurde das geraubt, was die Natur umsonst schenkte – weshalb man sie ja auch so liebte.
Zurück zum Hass, den wir – so hoffe ich – jetzt besser verstehen können. Hass kann – erinnern wir uns – sehr gefährlich sein. Tödlich. Er kann dazu führen, dass man als aufgeklärter, hoch gebildeter, technisch sehr versierter Mensch, der sich an der Spitze der menschlichen Evolution wähnt, Fabriken baut, um Menschen, die man gerade hasst (Juden, Sinti, Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten, Nachbarn die Feindfunk hören, Homosexuelle, Behinderte, Slawen – um nur ein paar zu nennen), systematisch in großem Stil umzubringen: eine Entwicklung, die weniger entwickelte Naturvölker nicht so in dem Ausmaß kennen und die wohl auch mit der Entwicklung zusammenfällt, dass „Technik“ nun „Arbeit“ alleine macht und wir die Arbeitskraft Mensch nicht mehr so dringend brauchen … also kann die weg.
Wir sehen also: der Kampf gegen den Hass ist wichtig – andererseits ist Hass auch eine logische vernünftige Folge von … Qual. Man hasst Folterer – zum Beispiel. Menschen, die einem tiefe und andauernde Verletzungen zufügen. Hass … ist also nicht unbegründet, entsteht nicht einfach aus der Luft – ist sogar in dieser Hinsicht an sich wertvoll. Darf ich nochmal erinnern?
„Das Gefühl des Hassenden ist das des Ausgeliefertseins, der Gefangenschaft, der Wehrlosigkeit.“
Was für eine wertvolle Erkenntnis. Sie führt uns doch gleich zu Maßnahmen im Kampf gegen den Hass, die wir sofort ergreifen müssen … bevor er wieder Lager baut. „Mitbestimmung“ statt „Ausgeliefertsein“, „Freiheit“ (oder besser: Gleichberechtigung) statt „Gefangenschaft“, „Teilhabe an der Macht“ statt „Wehrlosigkeit“. Natürlich könnte man auch „Liebe“ stärken … doch dieser Begriff ist den Menschen fremd geworden, ist kommentarlos durch „Sex“ ersetzt worden und funktioniert so kaum noch – Sexualität kann sogar zur Waffe des Hasses werden, ein Mittel, mit dem man seinen Hass ausdrücken kann (ich denke da – – ganz harmlos – an die Verwendung des Verbs „to fuck“, das auch als „Scheiße!“ verwendet werden kann – siehe z.B. im Wörterbuch bab.la).
Außerdem belehrt uns ja auch die Zeit in einem aktuellen Aufsatz darüber, dass Liebe im Kampf gegen den Hass völlig sinnlos ist (siehe Zeit):
„Man kann dem Hass nicht die Liebe entgegensetzen, denn man kann nicht jeden Menschen lieben. Es ist ja schon schwer genug, die wenigen zu lieben, die man liebt.“
Ja – wo kämen wir dahin, wenn wir versuchen würden, mehr Liebe in die Welt zu bringen (es wäre aber schon ein Fortschritt, das Wort „man“ durch „ich“ zu ersetzen – damit wäre man schon einen Riesenschritt weiter). Oder Verständnis. Verständnis für einen ostdeutschen Mann, der als Maurer arbeitet und die SED-Zeit in unangenehmer Erinnerung hat. Verständnis ist jene Geisteshaltung, für die wir einen ganzen Wissenschaftskosmos erarbeitet haben – die Geisteswissenschaften. Heute gerne als Sparschwein der Universität verwendet, hatten sie im 19. Jahrhundert eine klare Aufgabe: jene Kriege zu verhindern, die man dank der Naturwissenschaften immer brutaler und vernichtender führen konnte – man wusste noch, dass Kriege nicht vom Himmel fallen und plötzlich „da“ sind, sondern ausschließlich von Menschen gemacht werden. Man wusste noch, dass der Weg zum Frieden der Weg über das Verständnis war, das den „Feind“ als gleichberechtigt ansah, ihn an der Macht zur Lösung des Problemes teilhaben und mitbestimmen ließ … anstatt ihn als Unmenschen zu verdammen … weil er „bildungsfernen Schichten“ angehört oder ein „Nazi“ ist – oder weil gewisse Intellektuelle schon so sehr im Hass leben, dass sie schon Probleme haben, die wenigen zu lieben, die man halt so liebt.
Ja – im Jahre 2016 merken wir, wie erfolgreich es war, an Geisteswissenschaften zu sparen: der Hass ist wieder da (und der Krieg) – und kaum noch einer versteht, wie und warum er selbst daran mitarbeitet. Noch schwieriger wird es werden, klar zu machen, warum Auschwitz als Endpunkt des Hasses wiederkehren wird (und der Faschismus als jene politische Position, die das Ausleben des Hasses zur ersten Bürgerpflicht macht) – ganz logisch und alternativlos … als pure Folge der Auslöschung der Geisteswissenschaften. Hätten wir mehr Künstler, Philosophen und Dichter im Parlament: die Sozialgesetzgebung wäre eine andere – und die Bundeswehr würde auf deutschem Boden auf den Feind warten, wie es sich für Demokratien gehört.
Der Hass kann auch weiblich, gebildet, links sein und aus dem Westen kommen – ich kann da Beispiele für aufzeigen. Aber da stört er nicht so. Jedenfalls momentan nicht.
Sicher hülfe ein Verständnis von Liebe – wie oben skizziert, als jenes umfassende, entgegenkommende Gefühl, dass den anderen begeistert akzeptiert, wie er halt durch die Welt so geworden ist wie er ist und mit ihm gemeinsam Wege sucht, die Welt wieder so zu formen, dass sie liebenswerte Heimat für alle ist. Wenn man sieht, welche Energien Hass entfalten kann – wie große wären dann die Energien, die Liebe entfalten könnte?
Manche waren von der Erfahrung von Liebe so sehr begeistert, dass sie „Gott ist Liebe“ in die Welt schrien – doch die Machtelite dieser Welt schrie dagegen: „Gott ist tot“ – und schreit so bis heute. Und auch darum wird die Welt Hass: wo der Gott der Liebe tot ist, der Gott, der alle Menschen akzeptiert wie sie sind – dick, dünn, doof, weiß, rot, braun – tritt der Götze der Selektion (und der Gott des Hasses) auf den Plan, selektiert das vorhandene Material nach nützlichen Organquellen und gewinnbringenden Überleistern – wobei letztere Schritt für Schritt durch Maschinen ersetzt werden.
Es ist eine ganze Kultur des Hasses – und eine Kultur der Menschenfeindlichkeit, die nicht nur mehr gruppenbezogen ist, sondern den Menschen an sich als zu optimierendes (und notfalls als zu selektierendes und sanktionierendes) Mangelwesen begreift, dass „beständig an sich selbst zu arbeiten hat“ – um nicht in den Fokus des Hasses jener zu geraten, die nur noch ihre abstrakten Renditen und sich selbst lieben. Und diese Kultur des Hasses … erzeugt selber den Hass all jener, die die Welt lieben.
Es wird spannend zu sehen, wie diese Kultur nun gegen den Hass kämpfen will.
Ich fürchte nur: es wird mal wieder nichts Gutes dabei herauskommen – obwohl viele „Gutmenschen“ aktiv daran beteiligt sind. Menschen, die schon große Mühe damit haben, überhaupt ein paar wenige Menschen zu lieben – aber sich selbst für ganz unverzichtbar toll halten.
Ein wenig denke ich, dass die gelebte „Willkommenskultur“ von der Hoffnung getragen wird, dass diese Kultur des Hasses einfach fortgespült wird durch Millionen Menschen aus anderen Kulturen.
Wäre schön, wenn da so einfach wäre. Nur – so gesehen sind die begeisterten Träger der Willkommenskultur gar nicht so weit entfernt von den „Rechten“ – beide merken, dass da etwas gewaltig nicht stimmt im Lande.