French American Foundation

This tag is associated with 1 posts

Bonjour, tristesse – Egalité, Liberté, Néo-libéralisme …

Eifel upside down (Foto: Luc Viatour / CC BY-SA 3.0 )

Der neue französische Präsident heißt also Emmanuel Macron. Nicht nur EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bekundete auf Twitter, wie „glücklich“ er darüber sei. Auch die Physikerin Angela Merkel wird aufatmen, dass ihr Gesellschaftsmodell der marktkonformen Demokratie nun auch jenseits des Rheins Rezeption finden wird, nachdem ihr der links-progressive Spitzenkandidat Jean-Luc Mélenchon vor Kurzem ausrichten ließ, was er von ihrer Vorgabe für Frankreich hält: „Maul zu, Frau Merkel. Frankreich ist frei“ (siehe Twitter).

Die von Mélenchon in den Raum gestellte Freiheit, dem marktkonformen Modell zu widersagen, ist nun ausgeträumt. Wer sich die brisanten Programmpunkte durchliest, die der von der Zeit als „französischer Bernie Sanders“ bezeichnete Mélenchon umsetzen wollte, der bekommt eine Ahnung darüber, welch schlaflose Nächte die Vorstellung einer möglichen Präsidentschaft Mélenchons in führenden Wirtschafts- und Militärmachtzentralen bereitet haben muss. Nicht nur vom Austritt Frankreichs aus allen Freihandelsabkommen, sondern auch aus der NATO war in diesem Programm die Rede. Auch eine Erhöhung des Mindestlohns und der Sozialleistungen sowie eine Reduktion der Arbeitszeit auf 4 Wochentage, Rente mit 60 und ein Veto-Recht für Betriebsräte bei Entlassungen waren angekündigt. Der kalte Angstschweiß muss insbesondere bei Spitzenverdienern ausgebrochen sein: Mélenchon kündigte an, Einkommen mit 33.000 Euro pro Monat zu deckeln und darüberhinausgehende Beträge mit 100% zu besteuern. Auch den außer Rand und Band geratenen Geheimdiensten wollte Mélenchon die Kompetenzen stutzen.

Mélenchon hatte durchaus Chancen, die Wahl für sich zu entscheiden und dieses Programm, bei dem einem durchschnittsdeutschen Tagesschau-/Spiegelbildbürger der Mund offen bleibt, auch in die Realität umzusetzen. Die Reden des Mannes, der 2008 aus der sozialistischen Partei ausgetreten war, weil diese zu sehr „an die Wirtschaft angepasst“ sei, begeisterten eine ganze Generation. Bei den jungen Menschen Frankreichs rangierte er laut Meinungsumfragen mit über 30% klar an erster Stelle.

Zum Glück ist aber innerhalb kürzester Zeit wie aus dem Nichts ein wundersamer Wirbelwind aus dem Erdboden erstanden und hat dem Sozialromantiker Mélenchon rechtzeitig den Wind aus den Segeln genommen: Die Scheinwerfer schwenkten auf den smarten Ex-Banker Emmanuel Macron, dessen Biografie sich wie ein Disney-Märchen liest. Obwohl er nicht einmal Wirtschaft, sondern Philosophie studiert hatte, stieg er bereits als 30-jähriger Jungspund und innerhalb von nur zwei Jahren in der Bank des Rothschild-Imperiums in schwindelerregende Höhen bis zum „Partner“, also zur höchsten Hierarchiestufe auf. In der Financial Times charakterisiert ein Banker seinen ehemaligen Kollegen Macron mit den kryptischen Worten: „Er wusste nichts, aber er verstand alles“ (Quelle: Spiegel). Erst vor einem Jahr wurde eine eigens für Macron gegründete Organisation namens „En Marche“ (übersetzt: „Vorwärts, marsch!“) aus dem Erdboden gestampft, deren Wahlkampfbudget fast doppelt so groß war wie das der anderen Kandidaten. Die Aufforderung des Sozialisten Benoit Hamon, seine Finanzquellen offenzulegen, wies Macron als „demagogisch“ zurück und hüllte sich über seine stillen Förderer in Schweigen.

Obwohl der Ex-Banker ein knallhartes neoliberales Programm in Talon hat, wird er in unseren DIN-ISO zertifizierten Qualitätsmedien (siehe „Die Götterdämmerung der Lügenpresse“) aus unerfindlichen Gründen stets als „Mitte-Links“-Kandidat bezeichnet. Dabei hat Macron bei einer Rede in Vendée bereits Klartext gesprochen: „Ich diene als Minister einer linken Regierung der Republik, aber die Ehrlichkeit zwingt mich zu sagen: Ich bin kein Sozialist“ (Quelle: Spiegel).

Anstelle von altbackenem Sozialismus wie sein Gegner Mélenchon lockt Macron junge Wähler indes mit etwas ganz anderem: Seiner Ansicht nach brauche Frankreich „mehr junge Franzosen, die Lust haben, Milliardäre zu werden“ (Quelle: Spiegel). Offensichtlich konnte er damit genügend jungen Franzosen den Mund wässrig machen. Denn obwohl viele Franzosen seine Reden als inhaltsleer bezeichnen, konnte der Ex-Banker laut Spiegel vor allem jene Wähler überzeugen, die „als dynamisch und mobil gelten: die Intellektuellen, die Bewohner der Großstädte, die Vertreter der jungen, digitalen Generation – urban, links und im sozialen Aufzug bereits auf dem Weg nach oben“.

Dass ihn der amtierende Präsident Hollande als bloßes „Medienobjekt“ bezeichnete und der ehemalige Premierminister Juppé als „politischen Titelbetrüger“, schadete seinem fulminanten Aufstieg nicht. In einem perfekt in Szene gesetzten medialen Auftritt und mit voller Schützenhilfe der Leitmedien, die seinen Konkurrenten Mélenchon als gefährlichen Querfrontler und Kommunisten diffamierten, konnte Macron schließlich auch das Rennen machen. Es war knapp, im ersten Wahlgang rangierte Mélenchon nur 2% bzw. 4%  hinter den Erstplatzierten Macron und Le Pen. Nach dem erwarteten Sieg über Le Pen in der gestrigen Stichwahl wird Macron nun mit 39 Jahren als jüngster Mann in die Geschichte eingehen, der jemals das französische Präsidentenamt bekleidet hat. Da soll noch jemand behaupten, in unserer Zeit gäbe es keine Zeichen und Wunder mehr.

Da es laut herrschender akademischer Lehre heute keine Wunder sondern nur noch nackte Notwendigkeit gibt, habe ich ein bisschen am glänzenden Lack gekratzt bzw. in die Tiefe recherchiert – und siehe da: Der von Jens Berger als „Posterboy“ bezeichnete Macron ist wirklich ein Backstreet Boy der ganz besonderen Art. Was man in der deutschen Qualitätspresse vergeblich sucht und worüber sich auch die französischen Leitmedien ausschweigen, erfährt man zumindest in einer französischen Modezeitschrift (siehe Grazia.fr) und auf einem Blog der als liste divers (weder rechts noch links) eingestuften, NATO-kritischen Partei UPR (siehe upr.fr):  Dass Emmanuel Macron in der gleichen Art wie Thomas de Maizière, Karl-Theodor zu Guttenberg  und Cem Özdemir von einer US Thinktank-/Lobbyorganisation gezielt als „Young Leader“ für eine zukünftige Funktion als Europapolitiker aufgebaut wurde. Die Organisation nennt sich „French American Foundation“ (siehe deren Homepage frenchamerican.org) und scheint das französische Äquivalent zur in Deutschland institutionalisierten Atlantik-Brücke zu sein – wobei der Übergang zwischen deutschen young leaders und französischen young leaders ebenfalls bereits nahtlos überbrückt scheint: Es existiert eine eigene Lobbyorganisation namens „German-French Young Leaders“ (siehe deren Website gfyl.eu mit dem bezeichnenden Untertitel „old friends, new leaders“), die sich nach eigenen Angaben „dynamischen jungen Multiplikatoren mit außergewöhnlichen Profilen“ widmet und die es zur Aufgabe hat, „hochmotivierte und begabte Nachwuchsführungskräfte aus beiden Ländern zusammenzubringen und zu fördern“.

(Quelle: upr.fr, 08.05.2017)

Ganz im Sinne dieser Lobbyorganisationen ist nun alles eitel Wonne. Während Melenchon in der Merkelschen Austeritätspolitik ein Krebsübel und die Ursache für zunehmende soziale Verelendung inmitten eines mörderischen Wettbewerbs ohne Sinn und Ziel in ganz Europa sieht, so hat Macron angekündigt, seine Politik ganz im Einvernehmen mit Merkel auszurichten und kündigt seinen Landsleuten bereits „Hartz-Reformen à la française“ an (Zitat aus Spiegel). In diesem Sinne wird Macrons erste offizielle Auslandsreise als Präsdent auch gleich nach Deutschland zu Angela Merkel gehen (siehe Zeit). Auch auf ein französisches Gegengewicht zu der sinnlosen und mittlerweile brandgefährlichen Russland-Konfrontation, wie sie von den in Deutschland amtierenden Young Leaders  der Atlantik-Brücke  vorangetrieben wird, wird man vermutlich vergeblich hoffen (weitere Intimissima zu dieser elitären Bruderschaft siehe free21).

Wie dem auch sei, in Frankreich werden sich die Dinge nun rasant ändern: War der marktradikale Zerberus im Land der Liebe bisher an einer zwar langen, aber eben doch noch an der Leine, so wird er nun vollends enfesselt und darf einen historisch einmaligen Aktionsradius entfalten. Bedrohten Arten wird es nun sogar in bisherigen Naturschutzgebieten und Biotopen an den Pelz gehen. Zerberus hat unbändigen Appetit und will Beute einfahren. In der in Kürze eröffneten Jagdsaison wird sich der neoliberale 4.0-Retriever durch die noch verbliebene Restpopulation an Feldhasen, Rehen und Kaninchen metzeln und den Leberpastetenfabriken Tonnen an feinsten Innereien apportieren – zu unschlagbaren Okkasionspreisen und mit Groß- bzw. Freihandelsrabatt natürlich. Die Aktienmärkte feiern die mit der Wahl Macrons in Aussicht gestellte Eröffnung der Jagdsaison bereits mit einem Kursfeuerwerk (siehe FAZ).

Unter denjenigen jungen Franzosen, die es als nicht realistisch ansehen, „Milliardäre zu werden“ (Macron), herrscht indes Katzenjammer. Viele haben Macron nur gewählt, um Le Pen zu verhindern, so wie schon 2002 die Losung der Linken lautete: „Nase zuhalten und Chirac wählen!“ Die darauf folgende Ernüchterung ist dem südfranzösischen Kanalarbeiter Fabién Léondre noch in guter Erinnerung: „2002 habe ich wie alle Linken Chirac gewählt, um Le Pen zu verhindern. Und anschließend hat er sich einen Dreck um uns geschert.“ Warum Macron in so kurzer Zeit so viel Erfolg hat, kann sich Léondre nicht erklären. „Keine Ahnung. Die Menschen sind verwirrt.“ (siehe Zeit) „Ich bin tieftraurig, dass seine humanen Ideen nicht gewonnen haben. Diesmal hätte es klappen können, eine ganz neue Vision zu entwerfen von einer Gesellschaft der Gleichen. Stattdessen soll ich nun einen ehemaligen Banker – Macron – wählen.“

Bemerkenswert ist, dass neben einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 65% sich mehr als 10% der Wahlberechtigten (=über 4 Millionen Franzosen) in die Wahllokale aufmachten, um dort mit einem leeren oder durchgestrichenen Wahlzettel ihrem Protest gegen die Alternativlosigkeit der Kandidaten Ausdruck zu verleihen. Sogar ein Korrespondent der Zeit berichtet: „In Paris, so scheint es, trifft man sowieso nur unglückliche Macron-Wähler und Nichtwähler.“ 

Repräsentativ für viele andere Menschen Frankreichs schildert etwa die 28jährige Französin Ariane in der Zeit ihren Eindruck von Macron: „Macron ist nur Marketing: Er hat einen guten Slogan und ist jung. Um die jungen Menschen in Frankreich kümmert er sich aber überhaupt nicht. Er ist nicht sozial, sondern extrem liberal. Die Medien stellen ihn als den neuen Wind in Frankreich dar, aber das wäre nur Mélenchon gewesen.“ Die Wirtschaftsstudentin Lotfi ergänzt, dass der Auftritt Macrons ihr zwar „zu amerikanisch“ sei und nicht zu Frankreich passe, sie ihn aber zähneknirschend trotzdem wählen werde, um Le Pen zu verhindern.

Der 23jährige Landsmann Benjamin beschreibt seine Gefühle seit dem ersten Wahlgang: „Am Wahlabend war ich im Hauptquartier der France-Insoumise-Bewegung in Paris. Zuerst hatten wir noch gehofft, dass die ersten Auszählungen nur vorläufig sind und sich noch etwas daran ändern würde. Aber langsam wurde klar, dass es nur Macron und Le Pen in die Stichwahl geschafft hatten. Seitdem geht es mir schrecklich.“

Auch die Lehrerin Maude Solivérès hätte sich für die Stichwahl einen Kandidaten mit Ideen für eine wirklich neue Gesellschaft gewünscht. „Wir wollen friedlichere, umweltbewusste Kinder – aber die Schulen sind dafür gemacht, um sie zu konkurrierenden Leistungsträgern zu formen.“ (Quelle: Zeit)

Eine marokkanische Migrantin, die dieses Jahr zum ersten Mal wahlberechtigt ist, berichtet am Wahlabend, dass sie mehr Angst vor Macron als vor Le Pen habe und deshalb womöglich der als ausländerfeindlich geltenden Le Pen ihre Stimme geben werde (Quelle: Zeit). Die Reporterin frägt nach, was sein werde, falls Le Pen ihre Drohungen gegen Muslime wahrmache und Moscheen schließe. An der Antwort der zweifachen Mutter merkt man, dass ihr der Abschied aus ihrer soeben erst erworbenen neuen Heimat im neoliberal verkleisterten Europa nicht sonderlich schwerfallen würde: „Dann gehe ich wieder nach Marokko zurück, und mein Mann, ein Franzose, kommt dann mit. Wir werden dort ein entspanntes Leben haben, nicht so stressig wie hier.“ 

 

***
passend dazu siehe auch: „Die Schnauze voll von Europa – ein afrikanischer Migrant lieber wieder barfuß am Nil“

+ Filmtip: „Obdachlos trotz Job – Überleben in Paris“ (in ARTE-Mediathek noch verfügbar bis 18.5.2017)

 

Die letzten 100 Artikel