Soviele schöne spannende Themen liegen auf meinem Schreibtisch und doch zieht es mich zurück zu einem Bahnhof, den ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe. Der Grund? Die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 ist von der Bundeskanzlerin zum Schlachtfeld erkoren worden – und immer mehr stellen die Medien die Systemfrage: in welchem System leben wir eigentlich?
Schön ist, das sie nicht nur die Frage stellen, sondern die Anwort gleich mitliefern, so zum Beispiel das Handelsblatt:
Ähnlich äußerte sich der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. „Stuttgart 21 ist weit mehr als nur ein lokales Projekt, es wirkt einmal über die transeuropäischen Netze in seiner Infrastrukturbedeutung weit darüber hinaus, zugleich ist es ein Signal für die Machbarkeit großer Infrastrukturkonzepte im demokratischen Staat“, sagte Hüther Handelsblatt Online. Er äußerte generell die Sorge, dass der Wirtschaft bei Infrastrukturprojekten und Industrieanlagen dieser Größenordnung die Investitionssicherheit genommen werde und damit die Zukunftsfähigkeit Deutschlands auf dem Spiel stehe. „Ich teile die Befürchtungen, die viele vortragen, dass dann solche Projekte kaum noch durchführbar sind.“ „Denn wir nehmen den demokratischen Regeln ihre Grundlage, und wir entwerten gerichtsfeste Beschlüsse nach dem Willen der Straße.“
Mit solch einer Frechheit sollte man mal die Erhöhung der Hartz-Regelsätze um 1000 Euro pro Person fordern. Die Argumente können die gleichen sein.: Investitionssicherheit für Familien und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Der „Wille der Straße“ wird auch gleich näher definiert:
Hüther sprach daher den Projektgegnern das Recht auf Widerspruch ab. Die heutige Generation habe „wohl kaum“ das Recht, der künftigen solche Chancen zu verbauen. Es zudem inakzeptabel, „dass Schülerdemos während der Schulzeit den Takt für politische Entscheidungen vorgeben“.
Wer hier wem was verbaut, ist mal wieder die offene Frage: erstmal werden Milliarden verbaut, die sich ein hochverschuldetes Land gar nicht mehr erlauben darf.
Das Handelsblatt geht sogar noch einen Schritt weiter und stellt die Gegner des Projektes in eine Linie mit Terroristen:
Grube hat offenbar wegen des umstrittenen Bahnprojekts Morddrohungen erhalten. Die „Stuttgarter Nachrichten“ berichteten, dass Grube deshalb seit kurzem rund um die Uhr unter Polizeischutz stehe. Demnach sind sowohl die Polizei in Berlin als auch das Landeskriminalamt in Stuttgart eingeschaltet, die den Hauptsitz der Bahn in Berlin und Grubes Wohnhaus im Landkreis Calw bewachen.
Bahnkreise bestätigten laut Zeitung die Bedrohung, ein Sprecher Grubes machte jedoch keine näheren Angaben. Nach Angaben der Zeitung wurden im Umfeld des Wohnhauses zuletzt Aufnahmen der Familie gemacht und ins Internet gestellt. Grubes Frau und seine beiden Kinder wurden daraufhin zeitweise an einen geheimen Ort gebracht. Einige der Drohbriefe an den Bahn-Chef enthielten den Angaben zufolge ein weißes Pulver, das an den Milzbranderreger erinnerte, sich aber als harmlos entpuppte.
Das kennt man ja schon aus den USA. Das Pulver, das „an den Milzbranderreger erinnerte“. Ich habe mit diesem Pulver gestern Pfannekuchen gebacken, ich nehme an, damit gehöre ich auch in den Kreis der Terrorverdächtigen.
Mit welcher Frechheit die führenden Köpfe der Lumpenelite hemmunglosen Zugriff auf die Staatsfinanzen bei gleichzeitiger vollkommener Entmündigung der Bevölkerung fordern, zeigt, wie sicher sie sich im Sattel fühlen. „Stuttgart 21 wird kommen“ – da bin auch ich mit ganz sicher. Hier entscheidet sich nicht die Machbarkeit von Großprojekten (die wir Deutschen gar nicht mehr finanzieren können), hier wird demonstriert, wem das Land mitlerweile gehört.
Da stört es auch niemanden, das das Projekt immer teurer wird, so meldet das Handelsblatt unter Berufung auf den „Stern“:
Ständig ist nach den stern-Recherchen in den Projektanalysen die Rede von „Handlungsbedarf“, „Mehrkosten“, „erhöhten Kosten“, „Kostenrisiken“. So ist aus den Dokumenten ersichtlich, dass die offiziellen Kosten von S 21 in Höhe von 4, 088 Milliarden nach oben korrigiert werden müssen. In einer Analyse vor einigen Wochen heißt es lapidar, dass die vom Bauherrn gewünschte „Kosteneinsparung nicht in vollem Umfang erzielt werden“ kann.
Wie üblich bei diesen Projekten steht erstmal die Kapitalrendite der Anleger im Fordergrund, volkswirtschaftliche Interessen interessieren kaum jemanden mehr: das Volk darf zahlen und die Klappe halten: sonst gibts was aus der Pfefferspraydose. So stellt man sich Demokratie in der Wirtschaft vor: alle vier bis fünf Jahr darf man denjenigen wählen, den die Lobbyisten dann zurechtbiegen. Schön bequem, so ein System – nur leider nicht mehr finanzierbar. Das interessiert unsere Leistungselite natürlich weniger, da sie selbst sich und vor allem ihr Kapital schnell ins Ausland in Sicherheit bringen können wenn dereinst hier die Lichter ausgehen wie jetzt in den USA.
Vor allem das Handelsblatt bietet heute den Kritikern der Kritiker breiten Raum – die blockierte Republik wird ausgerufen.
Hans-Peter Keitel, Chef des Industrieverbandes BDI, fürchtet, dass wir uns zu einer „Dagegen-Gesellschaft“ entwickeln. Für Keitel geht es um die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit bei Innovationen – und staatliche Handlungsfähigkeit.
Auch Wirtschaftsforscher fürchten Schlimmes: „Wenn es die Politik nicht schafft, bei der Planung von Infrastrukturprojekten frühzeitig Transparenz zu schaffen und mit den Bürgern in den Dialog zu treten, ist das Wachstum gefährdet“, sagt der Ökonom Tilman Brück vom DIW.
Da hat man doch schon die Macht – da will man sie auch eingesetzt sehen:
Die Verbandspräsidenten der Wirtschaft aber drängen auf Härte. „Die Auseinandersetzung geschieht inzwischen in einer Art und Weise, die die Wirtschaft mit großer Sorge erfüllt“, sagt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt dem Handelsblatt. „Das gilt für die Konfrontation von Projektgegnern und Ordnungskräften, aber auch für die politische Auseinandersetzung.“ Wie Merkel sieht Hundt Stuttgart 21 als Symbol für Zukunftsfähigkeit und Rechtssicherheit politischer Entscheidungen.
Man ist sich einig: das Land ist in Gefahr – so die Autoren des Handelsblattes:
Die blockierte Republik, so viel lässt sich heute schon sagen, ist eine teure Veranstaltung. Bäume ergrünen, Lurche laichen: Die Ökobilanz fällt deutlich besser aus als die Arbeitsplatzbilanz.
Da werden jetzt die Umweltschützer im Handumdrehen zu Arbeitsplatzvernichtern. Da wird es sicher freuen, das wir vor dem größten Artensterben der Menschheitsgeschichte stehen – auch in Deutschland. Es scheint, es sind noch zuviel Arbeitsplätze übrig. Ob die wissen, das man Arbeitsplätze weder trinken noch atmen noch essen kann? Oder leben die jetzt schon völlig in Paralellewelten mit ganz anderen Prioritäten?
Die Parkschützer? Verlogene, undemokratische Terroristen, die sich nicht scheuen, milzbranderregerähnliches Pulver zu verbreiten. Wie gut, das der Fokus da ein Machtwort veröffentlicht:
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) forderte die Stuttgart-21-Gegner auf, die rechtsstaatlich getroffenen Entscheidungen für das Bahnprojekt zu respektieren. „Ich bin nicht besonders glücklich darüber, dass so getan wird, dass Demonstrationen rechtsstaatliche und demokratische Prozesse ersetzen sollen“, sagte der CSU-Politiker. „Ich frage mich, wo kommen wir in Deutschland hin, wenn diese nicht mehr geachtet werden.“
Den Vorwurf, die Behörden hätten mit falschen Fakten gearbeitet, wies Ramsauer zurück. „Ich weiß, dass nicht mit falschen Fakten gearbeitet worden ist. Wenn das so wäre, dann wären alle Beschlüsse und Genehmigungen hinfällig“, sagte er. Ein Stopp des Projektes würde bedeuten, dass der Stadt Stuttgart und dem Land Baden- Württemberg eine „riesige Zukunftschance“ abhanden käme. Außerdem gebe es verbindliche Verträge.
Maul halten oder aufs Maul bekommen … das ist die Wahl, die wir haben. Und deshalb sollten wir auch glücklich sein, das macht unsere Demokratie aus. In Diktaturen würde man ja schiessen.
Auch der Spiegel erlaubt sich, den Gegnern der Kritiker Raum zu geben:
Die Worte von Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster sind wohl nicht geeignet, um den Unmut der Bahnhofsumbau-Gegner zu mildern: Der CDU-Politiker attackiert die „Stuttgart 21“-Kritiker hart. Sie vermittelten den Eindruck, dass Häuser beim Tunnelbau einstürzen könnten, sagte Schuster am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Befürworter des Projekts würden „systematisch“ diffamiert, „jeden Tag“ „neue Gerüchte“ gestreut. Dadurch sei eine „sehr schwierige Stimmung“ entstanden.
Diese bösen verlogenen Kritiker aber auch. Diffamieren herum streuen Gerüchte, verbreiten Morddrohungen. Kaum auszuhalten.
Auf der anderen Seite: der gute, edle, selbstlose Leistungsträger, voller Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland bzw. um die Zugriffsmöglichkeiten auf das Volksvermögen, das sie inzwischen als ihr Eigenes und ganz Privates begreifen.
Mittendrin die Medien, die den Bürger informieren sollen, deren Privathäuser aber von den Werbeaufträgen der Lumpenelite bezahlt werden – oder von den Parteifreunden beim den öffentlich-rechtlichen Regierungsfunk.
Kein leichtes Geschäft, will ich meinen. Darum auch mal meine Meinung dazu: von mir aus können die Deutsche Bahn, die Planer und Befürworter der Megaprojekte der Gegenwart und Zukunft gerne nach China auswandern. Dort hat man für ihre Phantastereien noch Raum und Geld, außerdem sorgen Todesbusse für eine heile Welt. Wir hier – haben weder Raum noch Geld für solche Spinnereien und wollen einfach nur unsere alte bundesdeutsche Demokratie wiederhaben, die seit der Ära Kohl eine wundersame Wendung genommen hat.
Und jetzt fragt euch mal ehrlich … wo denn das ganze Geld geblieben ist …
Vielleicht liegt es ja dort, wo auch Kohls Leunaakten liegen. Die sind ja auch noch weg.