Sonntag, 14.7.2019. Eifel. Es gab einmal eine Zeit, da waren wir froh über die offene Gesellschaft. Sie war uns Deutschen ja einfach geschenkt worden – die anderen Völker hatten dafür kämpfen müssen. Natürlich hatte diese offene Gesellschaft mit ihrer Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit auch Kritiker – sie wende sich zwar gegen totalitäre Strömungen wie Faschismus, Kommunismus oder auch dunkle religiöse Kulte, doch sie gebe gleichzeitig ihren Feinden zuviel Freiheit, um am Ende dann von ihnen zerstört zu werden.
Wir können nun lange darüber reden, ob ein liberales Konzept im Zeitalter des Neoliberalismus überhaupt ein sinnvoller Diskussionsgegenstand sein kann, doch die offene Gesellschaft geht ihrem Ende zu – schon lange. Sie ist einer geschlossenen Gesellschaft gewichen, einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft zudem, in der sich jedes abgespaltene Teil mit größter Kraft von anderen distanziert.
Politisch gesehen haben wir inzwischen zwei große, verschiedene Lager: den „linksgrünversifften Gutmenschen“ auf der einen Seite, den „Nazi“ auf der anderen Seite, die einen findet man mehr im Westen, die anderen mehr im Osten. Die Fronten sind auch klar abgesteckt: die einen sind pro Wolf, die anderen dagegen. Die einen fürchten den menschengemachten Klimawandel, die anderen „leugnen“ ihn – wobei der „Klimaleugner“ schon an den „Holocaustleugner“ begrifflich angelehnt ist. Die einen leben „vegan“ – die anderen eben nicht. Die einen fürchten eine Allianz ultrarechter faschistischer Strömungen, die anderen sehen die Schaltzentralen der Macht von kulturmarxistischen Elitetruppen besetzt, die es trotz Berufsverbote geschafft haben, sich unerkannt durch das System zu bewegen und sich an seine Spitze zu stellen. Offen wählt natürlich niemand diese marxistischen Gruppen – die sind superultrageheim und gar nicht so einfach zu erkennen, regieren aber Europa. Die einen wollen gewaltsam einen Multi-Kulti-Staat errichten, die anderen träumen von der reindeutschen arischen Heldennation. Die einen halten Rezo mit seinem Supererfolg für einen geheimen Agenten dunkler Mächte, die anderen für einen normalen jungen Mann, der einen Überraschungserfolg hatte. Für die Themen, die er transportierte, interessiert sich kaum noch einer – dabei waren sie ja nicht unwichtig. Chancengleichheit, Drohnenmorde, Armut in Deutschland … sind ja auch unwichtige Themen.
Die Fronten verhärten sich von Jahr zu Jahr mehr, sachliche Diskussionen können nicht geführt werden – interessieren auch keinen.
Nehmen wir das Thema Klimawandel: eine reine Hypothesenkette, die vor „Ockhams Rasiermesser“ keinen Bestand hätte. Hypothese 1: es kommt zu einer Erderwärmung. Gut und schön, kann sein – kann aber auch nicht sein. Hypothese 2: diese Erwärmung ist menschengemacht. Kann sein – kann aber auch nicht sein. Hypothese 3: Hauptgrund für die Erwärmung ist ein Anstieg von Co2 – einem in der Atmosphäre sehr selten vorkommendem Gas. Man könnte dieser Hypothesenkette folgen, wenn es sich bei der momentanen Erwährmung wirklich um ein einzigartiges Ereignis handeln würde: aber … es gab schon höhere Temperaturen auf der Erde – ohne Menscheneinfluß: ich denke da an die Dürre 1540. Während sich zu diesem Thema nun pro und kontra ihre Parolen und Beleidigungen um die Ohren hauen, geschieht in Wirklichkeit jedoch: nichts. Gar nichts – außer, dass wieder eine Möglichkeit gefunden wird, per Steuer neue Belastungen für die Bürger zu schaffen. Und: aller Kritik zum Trotz darf wahrgenommen werden, dass ein menschengemachter Klimawandel möglich sein könnte und wir sicherheitshalber Maßnahmen dagegen ergreifen. Die Maßnahmen wären auch denkbar einfach und preiswert: mehr Bäume pflanzen. Viel mehr. Und versiegelte Flächen abreißen, die nicht genutzt werden. Aber was geschieht: gar nichts. Außer Debatten.
Kommen wir zum nächsten Thema, einem Riesenaufreger: Kapitän Rackete. War illegal in einen Hafen eingedrungen – eine Maßnahme, für die wir jedes US-Kriegsschiff streng gemaßregelt hätten, aber Kapitän Rackete darf das natürlich – weil ja auch ein Filmteam des öffentlich rechtlichen Fernsehens zufällig mit an Bord war (siehe NDR). Auch hier prallen Fronten aufeinander, die keine Diskussion möglich machen, denn es geht ja um „Flüchtlinge“. Das sei Menschlichkeit, sagen die einen – das sei ein Volksumtauschprogramm sagen die anderen. Konzentriert man seinen Fokus nur auf die Tatsache, dass dort Menschen aus dem Wasser geholt und vor dem Tode gerettet werden, kann man als soziales Wesen nur von normal menschlichen Regungen sprechen. Die anderen jedoch bemängeln, dass hier nur das Geschäft von Schleppern erledigt wird, die inzwischen professionell organisiert sind und ein Milliardengeschäft aufgebaut haben.
Die Zahl der Flüchtlinge steigt weltweit Rapide an – Grund sind oft von USA auf verschiedenen Wegen inszenierte „Regime-Changes“ oder auch Massenaufkäufe von Ackerland durch die Chinesen. 65 Millionen Menschen waren es 2016, Tendenz massiv steigend (siehe UN-Flüchlingshilfswerk) – womit wir beim zentralen Thema wären:
Die Flüchtlinge. Womöglich sind in der Sahara bisher schon eine Million Menschen umgekommen – die Meldung des Handelsblattes ist nun hinter einer Bezahlschranke verborgen. Im Mittelmeer ertrunken sind in den letzten Jahren immer weniger, insgesamt 20000 (siehe statista). Über die Toten in der Sahara, über die massive Kriminalität, die unsägliches Leid über die Menschen bringt, schreibt kaum einer (außer mal die shz) – obwohl für jeden, der im Meer ertrinkt, 50 in der Wüste verdursten. Aber Sozialdarwinismus war ja schon immer unser Ding: nur die Fittesten überleben – nur die, die Kapitän Rackete erreichen, werden erlöst. Was für ein rührender Heldenepos.
Selbst wenn die Zahlen übertrieben sind: 65 Millionen weitere Menschen sind auf der Flucht – unter anderem auch aus dem zerbombtem Jemen, dessen Feinden die Bundesregierung ja jetzt erstmal neue Waffen geliefert hat (siehe Spiegel). Es drohen also weitere Millionen Menschen auf der Flucht zu sterben – doch das interessiert erstmal keinen. Es sollen auch in Zukunft noch mehr werden, vor allem wenn die Theorie des menschengemachten Klimawandels richtig ist: was machen wir dann? Noch mehr Millionen in eines der dichtbevölkertsten Länder der Erde aufnehmen? Und was sagen wir dann den Eingeborenen? Deutschland soll per Beschluss der Mächtigen Migrationsland werden, so wie Kanada, Australien, die USA oder Neuseeland. Schon mal nachgeschaut, was das für die Ureinwohner bedeutete? Und jetzt kommen Sie mir nicht mit Parolen von „rechter Panikmache“ – in Städten wird der „Bio-Deutsche“ (nennt man den noch so?) zunehmend zur Minderheit (siehe NZZ) – in Frankfurt ist er es schon. Wo sind die Konzepte zum Schutz dieser Minderheit?
Und wo die Konzepte zum Schutz von Rezo und Kapitan Rackete? Ja – es gibt Mordaufrufe gegen den blauhaarigen You-Tuber und gegen die Kapitänin (siehe colourfull germany), letztere von besonders ekelhafter Art, untermalt mit dem Bild eines gevierteilten vierzehnjährigen Mädchens. Weimarer Verhältnisse manifestieren sich jeden Tag mehr: Netzwerke von Profikillern aus Militär und Polizei bereiten sich darauf vor, als Todesschwadrone nach lateinamerikanischem Vorbild durch die Land zu ziehen (siehe Tagesspiegel) und für Ordnung zu sorgen – als gäbe es nicht schon genug Kriminelle im Land.
Doch nicht nur die beiden brauchen Schutz – Europa erlaubt sich die Wiedereinführung der Sklaverei … ganz ohne großes Getöse inklusive täglicher Vergewaltigungen (siehe Freitag). Versklavt werden: Frauen aus Rumänien. EU-Mitglied. Natopartner, dessen Bürger in Italien Freiwild sind. Mit dabei in vorderer Front: die deutschen Supermärkte Aldi, Rewe und Lidl (siehe Spiegel). Unser Traum vom veganen Leben wird durch Sklavinnen so preiswert gemacht – aber da schweigt des Sängers Höflichkeit. Der Aufstand gegen den Fleischesser (seltsamerweise viel weniger gegen die Schlachthöfe und die Discounter) wird – wenn auch von einer kleinen Minderheit – mit aller Wucht und größter moralischer Verachtung geführt … doch woher nun das eigene Grünzeug kommt, interessiert weniger: das die geliebte Avocado schon ganze Landstriche verwüstet hat (siehe Tagesschau): wen interessiert das schon?
Und da geht sie hin, die offene Gesellschaft. Beispiele dafür könnten noch genug geliefert werden. Das ruhige, friedliche Miteinander weicht einem Bürgerkriegsszenario des Krieges aller gegen alle. Wir wissen auch, warum das so ist. Ist ja kein Geheimnis. Der läuft auch schon, der Krieg – im Hintergrund. „Die Armen in Deutschland, dem Tode so nah“ heißt ein lesenwerter Artikel, der die stille Vernichtung von Leben in diesem Land beschreibt (siehe Heise). Die Armen – sie sind selbst Schuld an ihrem Elend. Sie zieht auch keiner aus dem Wasser, noch gibt es Initiativen, die sich um sie kümmern: Arme, die nicht aus Syrien kommen, sind nicht mehr gern gesehen in diesem Land. Bei niemandem. Aktuell sind es 40 Prozent der Bevölkerung, die auf diesem Wege „outgesourct“ wurden, der Eigenverantwortung übergeben – ohne jegliche Ressourcen, dieser auch gerecht werden zu können. Der Unterschied zwischen ihnen und dem „Leistungsträger“? Der Leistungsträger hat immer jemanden bei der Bank, der ihm einen 20 Millionen Kredit besorgt, damit er ein Geschäft aufbauen kann. Der Arme hat diesen „jemand“ eben nicht, kann nur noch sich selbst verkaufen: doch seinen Platz haben schon lange die Maschinen eingenommen.
Arme werden mehr und mehr aus räumlich aus dem Weg geschafft: sie dürfen froh sein, wenn man ihnen noch einen Platz auf einem Campinggelände zugesteht: eine Wohnform, die zunehmend zur Norm für Arme wird (siehe Fr).
Wir wissen, was die Ursache für diese Misere ist, wir wissen genau, wer die offene Gesellschaft zerstört hat: der Kapitalismus. Till Eckert hat die „zehn Zwänge des Kapitalismus“ mal erläutert – es lohnt sich, sich damit mal auseinander zu setzen (siehe Ze.tt) – wir finden doch auch jene Momente, die uns aufzeigen, warum und wie wir nach zweihundert Jahren Demokratie und Aufklärung wieder zum Feudalismus und zum Klassensystem zurückkehren: die ganze Gesellschaft ist durchzogen von Hierarchien – ganz oben lauert der Investor. Und damit die Arbeitslosen sich diesen Machtgefilden nicht entziehen können, bekam jeder von ihnen einen Jobcentermitarbeiter als Vorgesetzten: mit der Lizenz zum Töten (also: die Lebensäußerungen per Sanktion gegen Null laufen zu lassen – um sprachlich korrekter zu bleiben).
Colin Crouch hat das in seinem Werk „Postdemokratie“ deutlich geschildert (in Deutschland eher ein Geheimtip für Eingeweihte, wie manche meinen) und ich würde gerne kurz daraus zitieren (siehe Tagesspiegel):
„Je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zulässt, dass diese in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände ihn – mehr oder minder unbemerkt – zu einem Selbstbedienungsladen machen.“
Dazu passt die Meldung, dass die Cum-Ex-Geschäfte, mit deren Hilfe „Leistungsträger“ die Gemeinschaft um 55 Milliarden Euro betrogen haben, immer noch fröhlich weiterlaufen (siehe Zeit) – unvorstellbar, aber wahr.
Wir haben eine Kaste, die „oben“ ist (und zu der nach Crouch die Spitzen aller Medien, Parteien, Verbände und Firmen gehören) und sich den Zugang zu den Fleischtöpfen einzementiert hat – und eine Kaste die „unten“ ist … wie schon seit den Sklavenaufständen des Spartakus. Zum besseren Verständnis auch für ältere Mitbürger würde ich die „oben“ gerne „politisch rechts“ nennen, deren Gegner politisch „links“ und deren Opfer Sklaven: doch damit komme ich nicht mehr durch. Das Märchen vom großen Erfolg der unsichtbaren, versteckten marxistischen Welteroberer hat schon längst die Hirne vernebelt wie einst das Märchen vom allmächtigen Juden: womit die Herren der Welt dafür gesorgt haben, dass sich keine Rebellionen mehr entwickeln, weil die Menschen nicht mehr miteinander reden können.
Dabei wäre die Lösung so einfach – im Kampf gegen Klima, Fluchtursachen und Armut: Regenvillages, regenerative komplett sich selbst versorgende Dörfer für alle. Ein Planet voller parkähnlicher Ökodörfer. Schöne, helle, lichtdurchflutete Häuser für jedermann, die ihre eigene Energie erzeugen und deren Gärten die Nahrungsversorgung sicherstellen. Platz dafür wäre da: bekäme jeder 6000 m2 Land und ein Haus geschenkt, könnten alle Menschen auf der Fläche der USA untergebracht werden: der Rest Amerikas und die anderen Kontinente könnten Nationalparks werden. Sicher: das wäre ein Jahrtausendprojekt – aber doch besser als die totale Vernichtung durch Klimawandel, Habgier oder nuklearem Holocaust.
Ich will auch gar nicht wissen, warum das jetzt nicht geht: Geld ist da, Maschinen sind da, Platz ist da, Arbeiter sind genug vorhanden. Normal ginge es: nur – wer bräuchte dann noch die neue Finanzaristokratie, die ihren Status mit feinen Stoffen und fetten Kutschen jedermann demonstrieren muss? Zudem – der Neoliberalismus macht einsam und krank (siehe Freitag), wir sind umgeben von dankbaren Sklavencharakteren. Und wenn sich mal jemand aus dem Kreis der Sklaven heraustraut – holen ihn die Sklaven selbst wieder zurück. Bloß kein Aufsehen erregen.
Nun: wenn wir die Gesellschaft nicht human und vernünftig gestalten würden – im Miteinander aller Bedenken und Meinungen, von denen ich heute ein paar skizziert habe – dann werden wir zunehmend die Feudalgesellschaft bekommen – mit 90 Prozent Ausgesourcten: wer heute für FFF agiert, hat eine gute Chance, das noch live mitzuerleben. Sexuelle Dienstleistungen für den Herrn und seine Büttel sind da inklusive – einfach mal nach Sizilien schauen, was wir heute da schon mit europäischen Bürgerinnen machen. Und die Kämpfe um die Rohstoffe für unser apokalyptisches Giersystem werden unsere Jugend weltweit auf die Schlachtfelder zwingen: die ersten sind ja schon da.
Vielleicht sollte man die Menschheit mal vor die Wahl stellen: RegenVillage oder Weltkrieg.
Ich kann schon jetzt Mehrheiten ausmachen.
Wenn ich jetzt aber mal eine Alternative zur Sprache brächte, die auch in den USA (sogar von Reichen) diskutiert wird und sage: wir sollten uns mal Gedanken über ein Mischsystem machen, wofür Deutschland prädestiniert ist, weil hier Menschen Kapitalismus und Kommunismus genau studieren konnten und dieses System „demokratischen Sozialismus“ nenne, so werde ich wahrscheinlich Feinde von allen Seiten haben – und womöglich auch schon auf einer Todesliste stehen.
Der demokratische Sozialismus wird aber kommen, weil Demokratie im Grundzug sozial ist und ohne gerechte Verteilung auch der Wirtschaftsmacht gar nicht denkbar ist.
Ich rechne aber damit, dass wir jetzt erstmal ein paar hundert Jahre die Exzesse des globalen Finanzfeudalismus ausbaden dürfen – auf Kosten des Steuerzahlers natürlich. Man merkt ja schon an der Co2-Steuer, wohin es geht: kein Geld der Welt macht Umwelt wieder heil – aber in der Religion des Kapitalismus können alle nur noch in Geld denken: wer Geld abgibt, darf auf Erlösung hoffen. Ist die dümmste Religion aller Zeiten (von Atheisten selbst nie als solche erkannt), aber alle huldigen ihr, geisseln sich selbst, um ins Himmelreich zu kommen.
Ach – vielleicht werden es auch doch tausend Jahre, die wir warten müssen, bis die menschlichen Kräfte wieder die Oberhand gewinnen.
PS: „Demokratische Sozialismus“ … würde man im Übrigen im Dialog mit den Reichen zusammen einführen. Leistung darf sich ja lohnen. Ausbeutung nicht, Kriminalität ebenso wenig, Gier erst recht nicht. Also genau das Gegenteil von heute.