Montag, 17.2.2014. Eifel. Reden wir mal über Faschismus. Kann einer erklären, was das ist? Ja – ungefähr 1000 Faschismustheorien streiten hier über die Deutungshoheit. Mal steht der Glaube an einen gottähnlichen Führer im Mittelpunkt, mal die absolute Einheit von Wirtschaft und Politik, mal mystisch-irrationale pseudoreligiöse Kulte, mal ein psychischer Massendefekt. Je nach Änderung der Perspektive kann man aus jeder x-beliebigen Gesellschaft eine faschistoide Gesellschaft machen – auch aus der bundesdeutschen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Die Deutschen sind nun immer ein interessantes Volk, wenn es um Faschismus geht: immerhin gehören wir zu den wenigen Völkern, wo er die Staatsmacht erobern konnte – was letztlich 50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Kein Wunder, dass man hier aufmerksamer nach faschistoiden Züge schaut oder auf sie reagiert als in vergleichbaren Kulturen. Z
Verdächtig ist zum Beispiel die wachsende Einheit von Wirtschaft und Politik, die für Bundestagsabgeordnete dazu geführt hat, dass sie zu den reichsten Menschen dieses Landes gehören … und jetzt noch 10% oben drauf bekommen, um auch in Zukunft auf die unantastbare Freiheit ihres Mandates zugunsten der Fraktionsdisziplin – ganz gegen den Geist der Verfassung – zu verzichten. Andererseits bekommen sie dafür die Chance, nahtlos im Anschluss an das fürstliche Mandat füstliche Posten in der Wirtschaft zu bekommen … auch ohne jede Ausbildung oder Berufserfahrung.
Die entscheidende Frage ist nun nicht: kann man auf Teufel komm ´raus den Deutschen wieder einmal Faschismus andichten, sondern die Frage, wann es wieder wie viele Tote gibt. Hören wir dazu ein paar Worte aus dem Artikel über Faschismustheorie bei Wikipedia:
Es besteht ein ausgeprägtes Denken in den sich ausschließenden Kategorien Freund/Feind, Wir/die anderen, Höherwertig/Minderwertig, besonders mit dem Blick auf das Innere der Gesellschaft. Der innere Feind spielt dabei mindestens eine ebenso bedeutende Rolle wie der äußere Feind. Er wird als „Volksschädling“, Bedrohung für das eigene „Blut“ etc ausgemacht. Dazu dient vor allem die eigene Fiktion vom “Juden“, “Semiten“, „Zionisten“ und der anderen „Rasse“. Von ihnen gelte es, den „Volkskörper“ zu reinigen.
Ja – das Reden von „Zionisten“ gehört auch dazu.
Ein Reinigungsprogramm für den Volkskörper durchlaufen wir gerade mit größter Intensität: der Parasit, der Sozialschmarotzer, der faule Drecksack wird mit der größten Behörde in Deutschland gejagt: 123000 Mitarbeiter verfolgen ihn bis in sein Haus, durchsuchen seine Räume, seine Konten, kontrollieren die Anzahl seiner Zahnbürsten und können ihn jederzeit von jeglicher Versorgung abschneiden, damit er die Wirkung von Hunger und Kälte am eigenen Leib erfahren kann … manchmal auch bis zum Eintritt des Todes.
Hört sich schon schlimm an, wenn man es so formuliert, oder? Würden wir das von einem anderen Land hören, wir wären voller Spott und Häme, doch die bundesdeutsche Leistungsgesellschaft mit ihrem ausgesprochenem Hass gegen „Minderleister“ (was eigentlich nur Menschen mit wenig Geld bezeichnet und keinerlei Bezug zur Art und Weise des Gelderwerbs hat: auch Zuhälter, Drogenbarone und Anlagebetrüger werden mit größtem Respekt behandelt – wenn der Kontostand stimmt) denkt sich nichts dabei: immerhin sind wir eine Leistungsgemeinschaft, ein einziger Volkskörper, der zusammenhält um die Weltmeisterschaft im Export zu erlangen. Wir sehen das halt alles nur sportlich – nicht politisch.
Bleiben wir bei dieser von Wikipedia angeregten Diskussion, stellen wir wirklich mal den „Herrenmenschen“ in den Mittelpunkt unserer Betrachtung – den Herrenmenschen, der sein Land sauber halten will. Wir haben ja keinen Herrenmenschen, oder? Das würde ungemein beruhigen, wenn es denn so wäre.
Oder ist unsere Kultur so voller Herrenmenschen, so voller Bäume, dass wir den Wald nicht sehen?
Ich denke da zum Beispiel an … Günter Jauch und „Wer wird Millionär“. Wo andere eine harmlose Show sehen, sehe ich pseudoreligiöse Kulte. Hohepriester Jauch verteilt die Gunst des „Goldenen Kalbs“, um das das Volk in völliger Abkehr seiner christlichen und demokratischen Grundwerte in wahnhaftem Rausche begeistert herumtanzt. Man muss nur eins können: völlig unnützes Sachwissen in richtiger Reihenfolge herunterbeten können – das Paradies für den Oberlehrer des deutschen Gymnasiums … das auch prompt auf diese Herausforderung reagiert. Harald Martenstein erwähnt dies in der Zeit – in einer Kolumne, wo es über die wundersame angestiegene Bedeutung der Schulnote für „sonstige Mitarbeit“ geht:
Man erzieht die Leute zu Dauerlaberern, zu Nervensägen und Ichdarstellern, die sollen alle ins Dschungelcamp.
Wir können zwar kein Mathe – aber wir können so lange darüber reden, bis jeder die Aufgabe vergessen hat.
Natürlich fällt das den Menschen nicht auf. Jauch bestätigt die Relevanz der Inhalte des Unterrichtes, in dem er den Menschen für die richtige Wiedergabe prinzipiell völlig unnützer Informationen eine Million Euro schenkt … eine von tausend Millionen zurückgibt, die zuvor von der Wirtschaft durch Arbeitsplatzabbau und Leiharbeit erbeutet wurden: genau dort wird der Gewinn generiert, der dann – über Werbegelder – „großzügig“ via Jauch zurückgegeben wird. Die deutsche Schule sollte Jauch eine Ehrenmedaille verleihen: ihr Vernichtungsfeldzug gegen Wissen, Kompetenz, Selbstbewusstsein und Kreativität erhält durch ihn einen tieferen Sinn.
Und natürlich ist da die Fähigkeit zur „sonstigen Mitarbeit“ wichtiger als … die Fähigkeit, Mathematik effektiv zu beherrschen.
Wir wollten aber über Faschismus reden … und über Herrenmenschen. Sind wir nicht weit vom Thema abgekommen?
Nein – wir sind mittendrin – mittendrin, ohne es zu merken. Wir haben schon längst unsere Herrenmenschen: wir nennen sie „Promis“ – und ganz Deutschland huldigt ihnen. Nur ihr Leben ist wertvoll, nur ihr Leben ist sinnvoll, nur ihr Leben ist erwähnenswert … und zwar jeden Tag. Während Arbeitslose unbemerkt verhungern, sich still das Leben nehmen, um nicht in die Hartz-Falle zu geraten, aus der es kein Entkommen gibt, wird jeder kleine Ski-Unfall der Promis sogar von ehemaligen Nachrichtenmagazinen wie dem Spiegel breitflächig in Szene gesetzt … die ganze Nation bangt um die Gesundheit des Herrenmenschen, während Millionen andere elendig im staatlich verordneten Elend dahinvegetieren – vor und hinter den Schreibtischen.
Nehmen wir allein den heutigen Tag bei Spiegel-online: was glänzt einem da entgegen? Ein freudiger Jauch hat eine ergebnislose Talkshow hinter sich gebracht, die Dschungelcampmitglieder treffen sich bei Frauke Ludowig zur Nachbesprechung, wobei das Onlinemagazin viele Fotografien zur Nachbearbeitung der Nachbearbeitung einstellt und kommentiert.
Ja – das Dschungelcamp. Da lag Harald Martenstein leider falsch: ins Dschungelcamp kommt nicht jeder. Da kommen nur Menschen hinein, die sich angemaßt haben, Promis zu sein … aber keine waren. Die müssen dort Würmer schlucken und in Käfern baden (oder war es umgekehrt?), die werden im römischen Zirkus öffentlich zur Schau gestellt und – mangels Löwen – den Maden zum Fraß vorgeworfen, damit das auch jeder sehen kann, was einem geschieht, der zu hoch hinaus will.
Für uns Minderbürger ist anderes vorgesehen: wir – bzw. unsere Kinder – dürfen uns bei DSDS blamieren …. bzw. uns von ausgesuchten Herrenmenschen wie dem Herrn Bohlen auf unseren niederen Stand verweisen lassen. Für die Sieger werden ein paar Singels produziert, bevor man sie ins Prostituiertenmilleu abschiebt wie es den Teilnehmerinnen der „Wild Girls“ als Endstation ihrer TV-Karriere von einem Kommentator prophezeit wurde.
Nochmal zur Erinnerung:
Es besteht ein ausgeprägtes Denken in den sich ausschließenden Kategorien Freund/Feind, Wir/die anderen, Höherwertig/Minderwertig, besonders mit dem Blick auf das Innere der Gesellschaft.
„Wir“, „Freund“, „höherwertig“ – das ist der Promi. Er darf die Minderbürger vorführen – mit einem Auftritt, für den man früher einfach was aufs Maul bekommen hätte … auf die Art wehren sich Menschen gelegentlich, wenn ihre unantastbare Würde absichtlich öffentlich in den Schmutz getreten wird und sie sich nicht anders zu helfen wissen. Für ihn gelten auch andere Gesetze. Er darf Drogen nehmen, Steuern hinterziehen, seine Frau/seinen Mann öffentlich betrügen, jedes Jahr eine jüngere/einen jüngeren Partner heiraten, mit geliehendem Reichtum protzen … für ihn ist alles egal. Er steht über dem Gesetz – er IST das Gesetz.
Warum machen da alle mit?
Der Glaube an ein „Herrenmenschentum“ wird zur stärksten Triebfeder sowohl der Bindung der nationalsozialistischen Massen an den „Führer“ als auch zur psychologischen Grundlage der eigenen freiwilligen Einreihung in die Gefolgschaft. Daneben wirkt aber entscheidend eine intensive Identifizierung mit dem Führer, die die eigene Unterwerfung als geführtes Massenmitglied verschleiert. Jeder Nationalsozialist fühlt sich in seiner psychischen Abhängigkeit als „kleiner Hitler“.
Aus: Massenpsychologie des Faschismus, Willhelm Reich, gefunden bei antisemitismus.net.
Fühlt sich jeder RTL-Schauer nun als kleiner Führer … als „kleiner Promi“? Sicher dann, wenn er hämisch über die Dschungelcamp-Foltereien lacht, die die aussortieren Promis über sich ergehen lassen müssen.
Müssen wir uns aber jetzt Sorgen machen, dass es wieder 50 Millionen Tote gibt?
Schauen wir auf die marxistische Faschimustheorie, bevor wir die Frage beantworten (wieder Wikipedia).
Marxistische Theoretiker (so in Deutschland zuerst Clara Zetkin, 1923) bezeichneten Faschismus als eine terroristische Herrschaftsform des Kapitals.
Schon mal überlegt, wie ein Promi im Deutschland des 21. Jahrhunderts zum Promi wird? Der Millionen verschenkende Günter Jauch ist ein Studienabbrecher – und ein Zögling deutsche Jornalistenschulen, in denen das Kapital jahrelang hunderte von Bewerbern für diesen an sich „freien“ Beruf observiert, um jene kleine, auserlesene Hand voll nützlicher Individuen herauszufiltern, die ihm große Dienste leistet. Der Promi wird von der Wirtschaft ernannt, notfalls gezielt mit großem Werbeaufwand gezüchtet.
Währenddessen wird der Untermensch in vielen Formaten vorgeführt, um ihm seine Minderwertigkeit vor Augen zu führen: ob nun die Supernanny die Erziehung übernimmt, dem Bauer eine Frau oder dem Sohn eine Freundin gesucht wird – der „kleine Mann“ wird täglich als grenzdebiler, vereinsamter, in seiner Unfähigkeit allenfalls lächerlicher Sonderling dargestellt, der den Geissens dieser Welt .. den wahren, von Gott Mammon auserwählten Edelmenschen … nicht das Wassser reichen kann.
Unsere gebildete Umwelt weiß schon längst, was sich dort abspielt. Hören wir mal ein paar Worte zu dem „Bachelor“, einer RTL-Kuppelshow (wieder Wikipedia):
Bereits die erste Staffel von Der Bachelor wurde heftig kritisiert. So schrieb der Journalist Oliver Fuchs in der Süddeutschen Zeitung vom 2. Januar 2004, die Sendung wäre „menschenverachtend“ und „die verkommenste TV-Sendung seit Menschengedenken“. Die Kandidatinnen bezeichnete er als „ultra-devot“ und „großteils mäuschenhaft“.Die Politikerin Sabine Bätzing erklärte: „Das Frauenbild, das dem Publikum vermittelt wird, ist erschreckend und erinnert mich an den arabischen Kamelhandel.“ Udo Jürgens wurde mit den Worten zitiert: „Ich empfinde es als billig und nuttig, wenn 25 Frauen um einen Mann buhlen.“
Deutliche Worte.
Sie ändern nichts, weil hinter dem werbefinanzierten Sender RTL das „Kapital“ steht, das große Geld, das Kunden und Steuerzahlern in immer größerem Umfang aus der Tasche gezogen wird.
Und sie ändern nichts, weil sich jeder kleine Hitler vor dem Fernsehbildschirm in den Momenten, wo andere sich vor seinen Augen erniedrigen, prostituieren und selbst vergewaltigen sich selbst wie der größte Führer aller Zeiten fühlt … während er im Alltag nichts weiter ist als der unterworfene Massenmensch.
Kein Wunder, dass diese kleinen Führer immer mehr Zeit vor dem Fernseher und immer weniger Zeit in der Realität verbringen.
Am Ende unserer kleinen, gedanklichen Reise durch die bundesdeutsche Realität des 21. Jahrhundert wartet noch eine Frage auf uns: haben wir nun Faschismus – und kriegen wir wieder Millionen Tote?
Nun – wie schon zu Anfang erwähnt, ist die Frage nach „Faschismus“ immer einer Frage der Definition, eine Frage danach, ob man nach dem Hakenkreuz auf der Armbinde oder nach dem Hakenkreuz im Herzen schaut.
Die Frage nach den Toten läßt sich leichter beantworten. Erstmal haben wir sie schon – dank „Sozialreform“.
Und die Frage, wann eine Kultur, die ständige neue Rekorde an menschenverachtenden und verkommenen Sendeformaten produziert, ihren Hass gegen die „anderen“, die „minderwertigen“, die „inneren Feinde der Gesellschaft“ offen auslebt, kann sich jeder mal selbst beantworten.
Auf den Bildschirmen tut sie es schon jetzt.
Welchen Stellenwert diese Unkultur inzwischen hat, sieht man daran, dass der Spiegel nahezu täglich über Sendeformate von RTL schreibt … RTL aber nicht über die Nachrichten des Spiegel berichtet.
Und wer das nun alles für Spinnerei und Unfug hält, der soll mir bitte erklären, was ein Günter Jauch (der privat ein außerordentlich netter und integrer Mensch zu sein scheint) in den „geheimen Machtzirkeln der Manager“ (siehe Manager Magazin) zu suchen hat, wieso es in einer aufgeklärten Demokratie derartige Geheimbünde überhaupt geben kann … und was die mit unserem Land noch so vorhaben.