Bild: cc by Jacques Prilleau
Als ich vorgestern kurz vorm Schlafengehen ein um 00:02, also zwei Minuten nach Mitternacht veröffentlichtes Interview mit Ursula von der Leyen anklickte (siehe facebook/BILDpolitik), musste ich mir die Augen reiben um sicherzugehen, dass ich nicht schon (alp-)träume, sondern noch in der Alltagsrealität weile. In diesem Interview fordert eine fachmännisch geföhnte und geschminkte, aber offensichtlich vollkommen durchgeknallte CDU-Verteidigungsministerin, „Putin weh zu tun“ und verkündet, dass sie das auch „mit allen Mitteln, die angemessen sind“ durchziehen wolle.
Mein Gott, was bin ich froh, dass Horst Seehofer gerade noch rechtzeitig das neue Gefährder-Gesetz erlassen hat, mit dem Personen, von denen eine Gefahr für Sicherheit und Wohlergehen der Bevölkerung ausgeht, umgehend aus dem Verkehr gezogen und auf unbestimmte Zeit in Isolierungshaft gesteckt werden können. Da der Bundesanwalt bestimmt gerade dabei ist, eine einstweilige Verfügung zur Psychiatrisierung der bellizistischen Dame zu schreiben, kann ich nun also doch beruhigt schlafen gehen.
Welche Diagnose der Amtsarzt bei der Gefährderin stellen wird – im Raum stehen Verdacht auf Psychose mit akuter manischer Phase oder eine im ICD10-Kodex noch nicht erfasste, thinktankbedingte Borderline-Störung –, ist nun nebensächlich. Wichtig ist, dass die von allen guten Geistern verlassene Frau, die offensichtlich nicht mehr in der Lage ist, zwischen Videospielrealität und echtem Leben zu unterscheiden, unter Quarantäne gestellt und fachmännisch betreut wird. Wer einfach aus frivoler Willfährigkeit gegenüber ein paar moralisch verwahrlosten „verlässlichen Freunden“ (die keiner amtsärztlichen Diagnose mehr bedürfen, sondern die laut einer lesenswerten historischen Analyse von Peter Frey definitiv psychopathisch sind) unbedingt den atomar bestückten russischen Bären piesaken möchte, der sollte nicht frei herumlaufen und an einem bereits geöffneten Pulverfass herumzündeln dürfen. Habe ich Seehofers Gefährdergesetz bisher für paranoid gehalten, so muss ich mich rückwirkend bei ihm entschuldigen – sein Machwerk könnte uns nun in schicksalsschwerer Stunde allen das Leben retten.
Man muss sich das vor Augen halten: Die von der Leine gelassene Dame hat das oben zitierte Statement nicht etwa bei einem Cocktaildinner im Atlantikbrücke-Verein ausgesprochen, wo man für solche halsbrecherischen Töne umgehend das Schulterklopfen verschmitzt lächelnder Strippenzieher erhält (und in deren Konzernwelt man dann nicht nur sich selbst, sondern auch seine siebenköpfige Kinderschar auf Lebzeiten bestens versorgt weiß), sondern live in bewegten Bildern in einem unserer DIN-ISO-zertifizierten Leitmedien, von denen es nun millionenfach in alle Welt verbreitet wird. Von der Leyens stellvertretend für uns alle abgegebenes Statement – sie spricht von „WIR“, nicht von ihrem Individualstandpunkt – wurde also unzensuriert hinaus in den Äther geschickt … und vermengt sich dort jetzt mit den pechschwarzen, bereits kurz vorm Abregnen stehenden Wolken des „Lügenäthers, der heute so dicht ist wie zu Zeiten des kalten Krieges nicht mehr“ (Peter Sloterdijk).
Wenn aus der Doomsday Clock, die von einem renommierten Komitee an Nobelpreisträgern und Wissenschaftlern gerade auf zwei Minuten vor Mitternacht, d.h. dem symbolischen Weltuntergang vorgestellt wurde (siehe Spiegel), demnächst der Kuckucksvogel herausschnellt, dann könnte es womöglich zu spät sein, um sein letztes Gebet zu sprechen, so schnell könnten sich dann die Ereignisse überschlagen … auch wenn sich das in unserer pausbäckigen Wohlstandsgesellschaft unter dem sonoren „Brummen“ unseres Wirtschaftsmotors derzeit noch kaum jemand gedanklich vorzustellen vermag. In seinem Essay „Wenn die Fetzen fliegen“ hält der Journalist Dirk C. Fleck den transatlantischen Claqueuren von Bild, Spiegel & Co. diese mögliche Realität vor Augen, die sie gerade selbst herbeischreiben:
„Und dann liebe Kollegen, könnte tatsächlich etwas passieren, das Euer Zeitempfinden für den Bruchteil einer Sekunde bis in alle Ewigkeit auf den Kopf stellen wird: der atomare Alptraum. Josef Joffe könnte beim Putten zu einem Birdie fünfzig Meter weit über das gepflegte Grün in den nächsten Bunker geschleudert werden. An der Ericusspitze 1 würden die beim Mittagstisch sitzenden Spiegel-Redakteure, von den Scheiben ihres Glaspalastes geköpft, zuckend übereinander herfallen. Bild-Chefredakteur Julian Reichelt bestiege vielleicht gerade seinen Audi A8 in der Tiefgarage des Konzerns und findet sich plötzlich im Freien wieder, weil das Gebäude über ihm mitsamt seinem Büro auf magische Weise verschwunden ist. Andere Kollegen, die sich in den letzten Jahren die Finger wund geschrieben haben, um die Herzen der Menschen abzustumpfen, sehen ihre Kinder mit vor Schreck geweiteten Augen an sich vorbeifliegen, während ihnen selbst die Haut in Fetzen von den Knochen fällt. In der Elbphilharmonie hängt der Himmel voller Geigen und aus einem Flieger, der in zehn Kilometer über Hamburg hinweg Richtung Kopenhagen unterwegs ist, registrieren die Fluggäste erschrocken einen in rasender Geschwindigkeit aufsteigenden Pilz, der ihnen fast bis unter die Flügel reicht, während sich darunter die brennende Elbe ihren Weg durch ein gigantisches Trümmerfeld bahnt…
Hallo, Ihr Griegrümpfe, die Ihr uns zu Bewohnern eines anderen Planeten machen wollt. Eure wie unsere Zeit ist bald um, wenn Ihr so weiter macht wie bisher. Aber natürlich wollt Ihr so weiter machen. Na gut, dann hätte ich hier noch etwas für Euch: Der US-Oberst Leutnant Steven Gventer bestätigte die Dringlichkeit des NATO-Aufmarsches an der russischen Grenze. Wörtlich sagte er: „WIR SIND BEREIT, TÖDLICH ZU WERDEN!“ Wie findet Ihr das? Ist doch okay, oder?“
Wie ernst die Lage gerade ist, mag inmitten der Vorbereitungen zur neuen Staffel von Germany’s Next Topmodel und dem „Bachelor“ womöglich noch nicht zu jedermann durchgedrungen sein. Der Politologe Alexander Rahr gewährt uns auf der Münchner Sicherheitskonferenz MSC einen kleinen Einblick hinter die Kulissen. Es lohnt sich, den „Bachelor“ mal kurz abzuschalten und sich die wenigen Minuten Zeit zu nehmen für das, was der Mann zu berichten hat. Es kann einen als unbedarften Bürger durchaus fassungslos machen. Rahr meint, dass die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz „wohl die letzte Konferenz in Friedenszeiten“ gewesen sei und wir aufgrund einer halsbrecherischen Konfrontationspolitik gerade auf eine dramatische Konfliktspirale zurasen. Die Dialogbereitschaft auf diplomatischer Ebene sei nunmehr fast erschöpft, da die USA auf ihren Anspruch globaler Dominanz beharre und unter anderem in Syrien „ihren Sieg einfahren wolle“. Was ein solcher „Sieg“ aus US-amerikanischer Sicht bedeutet, veröffentlichte vor wenigen Wochen schon der Rubikon (siehe „Die geplante Zerschlagung Syriens“), wobei der Rubikon in der stolzen Landschaft der deutschen Medien das einzige Nachrichtenmagazin war, das die diplomatischen Protokolle von Al Akhbar zu veröffentlichen wagte – alle anderen „Qualitätsmedien“ guckten betreten zur Seite.
Die Rolle von Deutschland, das als führende Kraft Europas für den Weltfrieden eine entscheidende Bedeutung hätte, sieht der Politologe nach drei Merkel-Regierungsperioden nun in vollendeter Orientierungslosigkeit und Erosion angekommen: „Wir sind führungslos, konzeptlos, inhaltslos, und das macht mir Angst …“
In der Tat ist die Kriegsgefahr immer dann am größten, wenn eine Gesellschaft an einen Punkt der Inhaltslosigkeit und scheinbaren Ausweglosigkeit angekommen ist. – Wenn es bei einem selbst nicht mehr weitergeht bzw. wenn ein Entwicklungsschritt gefordert wäre (denn das Leben ginge immer, sogar gut weiter, wenn man sich der Entwicklungsnotwendigkeit seiner Zeit nicht verwehrt). Wenn man sich allerdings verbockt und auf die gewohnte (im 20. Jhdt.: technokratisch-kommerzialistisch-nihilistische) Tour weitermachen will, dann setzt eine fatale Dynamik ein, mit der man letztlich das eigene Zerbrechen herbeiführt. Es wird dann ein Sündenbock im Außen gesucht, auf den man eifrig alles Böse projiziert, nur damit man sich nicht die eigene Unfähigkeit und Entwicklungsversäumnisse vor Augen halten muss. Wie willkommen ist da also das Feindbild Putin: Unsere überwältigende Staatsverschuldung, die soziale und demografische Krise, die ruinöse Nullzinspolitik der EZB, marode Banken, eine zerbröckelnde EU, working poor, psychische Erschöpfung … und vor allem die abgründige Sinnlosigkeit und der moralische Bankrott, vor denen wir stehen – alles vergessen in Angesicht eines bösen russischen Bären, der „die Welt destabilisiert“ und der sich sogar mit den Friedenstauben verschworen hat (Beweis: siehe nachfolgendes Video):
Wie auch immer. Studiert man derzeit das Tagesgeschehen, dann kommt man leicht ins Grübeln, ob man aus dem Land, in dem angeblich alle gut und gerne leben, nicht etwa schleunigst auswandern sollte. Allerdings machen auch die wenigen noch als sicher geltenden Länder wie Neuseeland gerade ihre Schotten dicht vor westlichen Asylsuchenden (siehe neues-deutschland.de: „Milliardäre kämpfen um ihr Fluchtziel“). – Was mich eigentlich nicht wundert. Wenn ich in Neuseeland Regierungsverantwortung hätte, dann würde ich auch nicht riskieren, dass in ein gut funktionierendes Land womöglich derjenige Virus eingeschleppt wird, der im bisherigen Land der Dichter und Denker im Herzen Europas derzeit für Selbstzerfleischung sorgt.
Vielleicht wäre es aber auch Zeit, mit selbstbezogenen Gedanken über Auswandern und sonstigem Eskapismus einmal Schluss zu machen (wir wandern ja ohnehin bereits aus: jeden Abend, wenn wir die Glotze aufdrehen, sind wir abgetaucht) und stattdessen als demokratische mündige Bürger – also als Souverän – wieder die Regie in die Hand zu nehmen. Es wäre höchste Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und ein bisschen deeskalierend und friedensstiftend zu wirken, denn viel Zeit haben wir nicht mehr (lt. dem mit Nobelpreisträgern und hochkarätigen Wissenschaftlern besetzten Bulletin of the Atomic Scientists nur noch „zwei Minuten“).
Die gute Nachricht: Laut Meinungsumfragen will eine überwältigende Mehrheit der deutschen Bürger keinen Konflikt mit Russland, sondern plädiert für Annäherung und Freundschaft (Lt. FORSA/ntv-Umfrage vom 20.03.2018 sind 91% der Deutschen der Überzeugung, dass von Russland keine Gefahr ausgehe, 98% der 18-29jährigen Deutschen betrachten Russland vollkommen angstfrei und insgesamt 74% der Gesamtbevölkerung halten die derzeitigen Beziehungen zu Russland für zu schlecht / verbesserungsbedürftig). Wie der Einzelne dieses Anliegen artikuliert, mag individuell sein. Ein Beispiel kann uns z.B. die „Druschba“-Initiative sein (Druschba = russ. „Freundschaft“), die regelmäßig Friedensfahrten nach Russland unternimmt. Die Erfahrung zeigt: Lernen sich die Menschen in ungezwungener Atmosphäre bei Essen, Kultur und Folklore kennen, lösen sich die von unseren Leitmedien geschürten Feindbilder und Projektionen schnell in Luft auf – der Lügenäther verpufft dann genauso wie die Abgaswolke eines softwaremanipulierten VW-Motors unter einer frischen Windbrise.
Sind diese Wolken einmal kurz weggeblasen, dann realisieren wir auch sehr schnell, was wir als Menschen in Wirklichkeit sind: Teil einer großen Menschheitsfamilie, die nur gemeinsam eine Zukunft hat … und wir uns daher entgegen aller medialer Hetzkampagnen besser die Hände reichen sollten:
>> Unsere Freundschaft ist jetzt gefragt, wenn Russland in allen Lebensbereichen wie Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur an die Wand gedrängt, ja zermalmt werden soll. Um einen geplanten oder fahrlässig in Kauf genommenen militärischen Konflikt in unseren Köpfen zu legitimieren? Wir machen da nicht mit. Wir stellen gegen nationalistische und rassistische Hetze gegen Russen den praktischen, nur durch viele aktive Menschen erzielbaren Gedanken von „Frieden durch Völkerfreundschaft“. <<
(aus: https://druschba.info)
Foto: cc by Parkwaechter
„Da draußen sind Monster: GroKo – Diese Regierung ist der letzte Gruß einer untergehenden Zeit“ titelt der Freitag in seiner dieswöchigen Ausgabe.
Gestern wurden sie von Bundessteinadler Steinmeier also wieder vereidigt, die Monster. Gruppiert um die erosive Gravitationskraft eines alternativlosen schwarzen Lochs präsentieren sie sich den Kameras allen Umständen zum Trotz als Fleisch gewordenes „Wir schaffen das“ (siehe Foto). Während uns der abgesägte Außenminister Sigmar Gabriel auf der Münchner Sicherheitskonferenz „am Abgrund“ sieht (siehe nzz) und auch die Wissenschaftler und Nobelpreisträger des „Bulletin of the Atomic Scientists“ ihre Doomsday Clock gerade auf 2 Minuten vor Mitternacht gestellt haben (siehe Spiegel), so glauben die Ministranten der Rautenkönigin weiterhin unbeirrt an den Fortschritt von Technik und transatlantischer Demokratisierung – wild entschlossen, das zu tun, was Steinmeier als primäre Aufgabe der Regierung ansieht (Quelle: bilanz.ch) :
«Der Bundespräsident, vor allem die Mitglieder der Bundesregierung müssen Überzeugungsarbeit leisten, dass das transatlantische Fundament nicht infrage gestellt wird.»
Die Trabanten des schwarzen Lochs (siehe auch CDU-Gruppenfoto „Die Mitte“) werden sich nun also an ihr Werk machen und in immer enger werdenden Kreisbewegungen auf ihre gleichzeitig adipöse und nicht-existierende Mitte zusteuern, bis sie vollends im schwarzen Wurmloch verschwinden und vermutlich in den Omega 8-Quadranten jenseits unserer Milchstraße abgesaugt werden, wo sie dann weiterhin ihr Demokratie-Possenspiel betreiben können. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird dieses Spiel zwar womöglich nur halb so viel Spaß machen, aber was soll’s: Vielleicht bekommen sie ja auf einem Raumschiff der Borgs Asyl. Auf gleicher Wellenlänge mit diesen Feinden der Menschheit können Sie womöglich neue Coups schmieden, um technisch rückständige Zivilisationen in den Weiten des Weltalls mit den Segnungen der marktkonformen Demokratie zu beglücken.
Zurück aber von Raumschiff Enterprise zu unserem Gegenwartsdrama: Da ich während eines Skiurlaubs gerade Gelegenheit hatte, in österreichischen Tageszeitungen zu blättern, wurde ich Zeuge einer unheimlich-grotesken Melange: Der Angelobungstag „dieser verfluchten Merkel-Regierung“ (Florian Kirner/Rubikon) fiel zusammen mit dem 80. Gedenktag an den österreichischen Anschluss 1938. In den Tageszeitungen mischten sich daher Reportagen über die neue Merkel-Regierung mit opulenten Berichten und Bildercollagen über den Triumphzug des „Führers“ und seiner historischen Rede am Wiener Heldenplatz, in welcher er einer ihm mit Fähnchen zujubelnden Menschenmasse Fortschritt und Wohlstand versprach – und mit dieser Fortschrittsverheißung die dunkelste Epoche einleitete, die das Land jemals erlebt hat. Die Zeitungsseiten quollen über vor Bildern mit Militärgerät, Nazi-Kohorten und ihren Claqueuren von der gleichgeschalteten Reichspresse, unmittelbar daneben Kolumnen mit Bildern von Angela Merkel während ihrer Angelobungsfeierlichkeiten, mal die Raute ganz klassisch auf Gebärmutterhöhe gefaltet, mal auch beidhändig über Kopf in der Pose, wie man sie sonst nur von Fußballern beim Erhalt der Champions League-Trophäe kennt. Angesichts dieser grotesken Bildercollage während des Mittagstisches verzichtete ich jedenfalls auf die im Hotelmenü inbegriffene Sachertorte ebenso wie auf meinen Mittagsschlaf, sondern suchte stattdessen unter leichtem Drehschwindel den Gang an die frische Luft.
Trotz des milden Frühlingswetters und des Vogelgezwitschers, das mich draußen erwartete, fiel es mir nicht leicht, zu meiner gewohnten Leichtigkeit zurückzufinden. Bisher ungekannte Gedanken gingen mir durch den Kopf: Soll ich am sinkenden Schiff bleiben oder wäre es an der Zeit, es Gerard Depardieu gleichzutun und das Land zu verlassen, bevor es zu spät ist? – Moment mal, bin ich denn vollkommen bekloppt?: Aus einem Land wegziehen, in dem doch alle gut und gerne leben und mit dem gerade halb Afrika als neue Wahlheimat liebäugelt? Nun, nicht wenige Menschen in meinem Umkreis tun dies bereits oder treffen ernsthafte Vorbereitungen zum Auswandern. Was mich dabei bisher verblüffte: es sind ausnahmslos gut situierte und hochintelligente Menschen, die das wohlstandsverwöhnte Schlamerkelland verlassen, viele davon mit kleinen Kindern – ihre Gegenwart wird mir schmerzlich fehlen. Bis vor kurzem dachte ich, dass die von mir beobachteten Abwanderungsfälle wohl einer übertriebenen Furchtsamkeit entspringen und nicht repräsentativ sind. Wie ich in einem gestern veröffentlichten Report des Statistischen Bundesamts erfahren habe, sind dies allerdings ganz und gar keine Einzelfälle: Allein im Jahr 2016 verließen 281.000 Bundesbürger das Land, ein bisheriger Rekord (Quelle: welt.de). Interessant dabei ist, dass bereits seit 2005 ein negativer Wanderungssaldo verzeichnet wird – also exakt ab jenem Jahr, in dem Angela Merkel ihre Regentschaft antrat.
Angesichts solcher statistischer Daten versteht man eventuell auch, warum sich mittlerweile sogar der beharrliche CSU-Chef Horst Seehofer Merkels Politik der offenen Grenzen angeschlossen hat, obwohl er doch noch vor Kurzem beim politischen Aschermittwoch verlautet hat, dass er sich „bis zur letzten Patrone gegen eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ sträuben werde. Was ein Saldo ist, versteht Seehofer schließlich: Mit negativem Saldo macht man’s als Betriebswirt nicht mehr lange. Wenn bei stagnierender Geburtenrate weiterhin jährlich mehrere hunderttausend Leistungsträger – mit derzeit exponentiell steigender Tendenz – aus Deutschland abwandern, dann findet die derzeit im Dreischichtbetrieb florierende deutsche Rüstungsindustrie womöglich nicht mehr genügend willige Arbeitskräfte, um die Sprengsätze, Panzer, Drohnen und Raketen zu produzieren, die unserem Land einen satten Exportüberschuss bescheren. Wenn die in Deutschland verbleibenden jungen Menschen, allesamt im politisch korrekten Gender Madstream auf „Make love, not war“ domestiziert, womöglich keine Lust mehr haben, diese Drecksarbeit zu verrichten, dank deren in die Krisengebiete exportierten Produkten weltweit Häuser, Kinder und wehrlose Menschen zerfetzt werden? – Schreck lass nach, dann kommt unser solide „brummender“ Wirtschaftsmotor womöglich ins Stottern.
Oder wie ist es auch um die sonstigen ehrbaren Berufe in der gerade aufstrebenden Nanotechnologie-, Gentech-, Biotech- und Robotikindustrie bestellt, die viele Jugendliche bereits als „Bullshitjobs“ ansehen? Na da ist es doch wirklich ein genialer Schachzug, junge Menschen ins Land zu holen, die zu allem bereit sind und bestimmt keine ethischen Bedenken und Motivationsprobleme haben. – Deren Anwesenheit noch dazu den angenehmen Nebeneffekt mit sich bringt, dass sich die Bundesbürger untereinander hoffnungslos zerstreiten und dadurch politisch marginalisieren – so dass die marktkonformen Machtverhältnisse, in denen zumindest das obere 1 % der Gesellschaft gut und gerne lebt, niemals ernsthaft in Frage gestellt werden können.
Die entsprechenden Humanressourcen, die zur Verwertung der noch verbliebenen Umweltressourcen notwendig sind, stehen nun bereit. Laut der bereits erwähnten neuen Bundesstatistik wanderten im Jahr 2016 rund 1.720.000 und 2015 rund 2.016.000 Ausländer in die Bundesrepublik ein. Der starken Auswanderung von Deutschen steht also eine anhaltend hohe Zuwanderung von Ausländern gegenüber. In Westdeutschland inklusive Berlin stammen bereits 42 Prozent der neu geborenen Kinder aus einer Einwandererfamilie. Dass die armen Länder, die gerade um ihre jüngsten und leistungsfähigsten Menschen ausgeblutet werden, dadurch auch ihre eigene Zukunft und Kultur verlieren – egal, es geht um uns und unsere Wirtschaftsbilanz, WIR sind der Nabel der Welt … wenn WIR nicht gerade Fußball-Weltmeister oder Papst sind.
Es ist im Übrigen auch lohnenswert, das Stimmungsbild in den über 600 Leserkommentaren zum vorgenannten welt.de-Artikel zu sichten: Es sind laut eigenem Bekunden hauptsächlich Unternehmer und „Leistungsträger“, die sich hier zu Wort melden und die fast unisono ihren im Inland verbliebenen Landsleuten ihr Mitgefühl und Beileid ausdrücken.
Beileid? Beileid wozu? – Immerhin leben wir im Land, in dem sich die Tafeln vor abgelaufenem Essen biegen, doch so gut und gerne in einem nie gekanntem Wohlstand, der es möglich macht, selbst mit einfachst gestrickten Wahlkampfslogans unsere Stimme für ein „Weiter so!“ zu gewinnen. Wenn es also wahr ist, dass wirklich so viele Unternehmer und Leistungsträger unser Land verlassen – also Menschen, die den vielzitierten „brummenden Motor“ von innen kennen –, muss man dann daraus schließen, dass dieser brummende Motor womöglich eine Macke hat? Steht dieser Motor etwa kurz vorm Kolbenreiber, obwohl das hochglanzpolierte Gefährt, das er unter der Motorhaube antreibt, derzeit noch mit Höchstgeschwindigkeit am Highway über die Atlantikbrücke unterwegs ist?
Scheinbar ist der bereits eingangs erwähnte Gerard Depardieu nicht der einzige, der derzeit für Europa schwarz sieht und sich in Melancholie ergeht. In einem Interview mit dem Figaro spricht er davon, dass in seinem Land die Menschen und die Kultur „verloren gehen“ und er inzwischen Russland als seine neue Wahlheimat erkoren habe, da er „die Katastrophe nicht sehen“ wolle:
„… Wenn ich in Frankreich bin, bleibe ich hier zu Hause mit meinen Büchern: Ich möchte nicht rausgehen und das Desaster sehen. Wir haben Orwell bereits hinter uns und sind nun in Van Vogts ‚Space Wildlife‘ angekommen, wo niemand mehr etwas versteht. Das allgemeine Wahlrecht ist vorbei: Wir werden von Apple und Zuckerberg geführt.
… Deshalb nervt mich dieses Land, es ist zu sehen, dass die Franzosen so traurig sind wie der Tod. Sie wagen es nicht einmal mehr auf ihr Land zu schauen, da sie sich dafür schämen.“
Auch für den vom ihm geliebten Film empfindet Depardieu bloß noch Abscheu. Sehenswert findet er nur noch solche Produktionen, die „von der öffentlichen Kritik vernichtet“ würden.
Aber wir schweifen ab und vergraulen uns womöglich die Lust am strahlenden Fortschritt, der uns doch heute erwartet (siehe auch „Pig Business Monkey Events, Global Playboys und bezaubernde Jeannies – Auf dem Weg zur digitalen Transformation und zum Final Handshake“). Damit der zur Staatsreligion erhobene Fortschrittsglaube nicht kurz vor seinem Endsieg womöglich unerwartet zum Erliegen kommt, wurden in den letzten Wochen auch alle Register gezogen, um auf Biegen und Brechen und unter Ächzen und Stöhnen wiederum das zusammenzuschweißen, was nicht zusammen passt. Was hinter den Kulissen vor sich gegangen ist, um diese unsägliche Zwangsehe zu arrangieren, vor der nicht nur allen Schaulustigen, sondern auch den Brautsleuten selbst graut, hat der langjährige Leiter des ZDF-Parlamentsstudios Wolfgang Herles vor Kurzem ausgesprochen: „Das Chaos in der SPD ist zum Großteil Bundespräsident Steinmeier zu verdanken, der die Große Koalition erzwingen wollte“ (Quelle: focus).
Dem mittlerweile wieder in Würselen verschwundenen Martin Schulz war es dabei natürlich vollkommen klar, dass er sich und seine Partei vollkommen verheizt, wenn er wieder in die Arme der schwarzen Rautenkönigin geht. Um das zu erkennen, ist er als altgedienter EU-Berufspolitiker schlau genug – weshalb er ja nach der Wahl auch sofort in Opposition wollte … hätte nicht Bundespräsident Steinmeier interveniert und ihn in einem Vier-Augen Gespräch mit nicht in den Medien veröffentlichten, aber offensichtlich zwingenden Argumenten zum Fortsetzen des Projekts Merkel gezwungen. Indem Schulz sich und die ganze SPD-Mannschaft dazu als Opferstiere an den Schlachtaltar geführt hat, sind die zornigen Götter auf dem unantatstbaren Olymp der Atlantikbrücke nun hoffentlich befriedet und die transatlantisch-neoliberale Agenda kann in Europa ihrem Endsieg entgegenschreiten.
Aber wer weiß: Vielleicht taucht ja noch Perseus auf und schlägt der Hydra unerwartet das Schlangenhaupt ab.
So, nach all den demoralisierenden Regierungs-Gruppenfotos und dem schwer verdaulichen Gescholze und Gemerkel auf unserer marktkonform gewordenen Demokratiebühne möchte ich den Leserinnen und Lesern des Nachrichtenspiegel auch ein paar Sätze eines denkwürdigen Zeitgenossen mitgeben, der in unserer postmoderen Touchdisplay-Gesellschaft leider in Vergessenheit zu geraten droht – vermutlich aufgrund seiner nicht mehr ganz fortschrittskompatiblen Gesinnung. Immerhin hat er für diese Gedanken in analogen Zeiten noch den Literaturnobelpreis erhalten:
„Ich habe an vielen Dingen keine Freude und glaube an viele Dinge nicht, die der Stolz der heutigen Menschheit sind: Ich glaube nicht an die Technik, ich glaube nicht an die Idee des Fortschritts, ja nicht einmal an die Demokratie, ich glaube weder an die Herrlichkeit und Unübertrefflichkeit unserer Zeit, noch an irgendeinen ihrer hochbezahlten Führer, während ich vor dem, was man so ‚Natur‘ nennt, eine unbegrenzte Hochachtung habe.“ (Hermann Hesse)
Hermann Hesse (Foto: PD)
Vielleicht ermuntern uns diese Worte ja dazu, vom toten Pferd, auf dem wir gerade reiten, noch rechtzeitig abzusteigen … – bevor es uns digital wiehernd in den Grand Canyon befördert.