Alle Jahre wieder … münden wir nicht nur in den Oktoberfesttaumel ein (siehe taz-Kommentar schon vor 20 Jahren), sondern auch in die Kasseler Documenta, der laut Wikipedia „weltweit bedeutendsten Reihe von Ausstellungen für zeitgenössische Kunst“. Unser geschätzter Außendienst-Korrespondent aus der Kulturredaktion des Nachrichtenspiegel, Jacques Prilleau, hat sich unvoreingenommen an den Tatort begeben, ganz ohne Schweißerbrille und Lederschurz. Auch die Pimmelfilterbrille hat er daheimgelassen – was ihm dann fast auch zum Verhängnis geworden ist …
(Text + Fotos cc by Jacques Prilleau:)
Kurioserweise scheint die Bezeichnung, die mir E. Feinthaler zudachte, auch haargenau auf Adam Szymczyk, den Kurator oder gar für die Documanta 14 selbst zuzutreffen:
Möchtegernhebamme der Bedeutungsschwangerschaft
Was nehme ich von der 14. Veranstaltung aus der „bedeutendsten Reihe von Ausstellungen für zeitgenössische Kunst“ (Wikipedia) mit? Erstmal einen leichten Muskelkater von den morgendlichen, erfrischenden Läufen durch Kirchditmold und Harleshausen.
Und sonst? Einerseits zuviel Kleinteiligkeit im wörtlichen Sinn. Als gehetzter Unterschicht-Sklave des neoliberalen Privatkapitalismus westlich-evangelikaler Prägung hat man doch gar nicht die Zeit eine Installation über die Analyse ihrer vielen Elemente, die da Texte, Zeichnungen, Fotografien, Projektionen, Sound und herumstehende Gegenstände oder Mischformen des genannten vereint, zu erfassen.
Fülle andrerseits. Satt bin ich geworden. So satt und vollgefressen von Kunst, dass es einem unterschichtigen neoliberalen Wirtschaftssubjekt wie der Besuch bei einer amerikanischen Franchise-Burger-Auftauerei vorkommt. Erst ist man gierig, bestellt viel zuviel, weil man glaubt, nicht genug zu bekommen und dann ist man zwar pappsatt, aber nicht zufrieden. Das wars? Welche Nährstoffe waren das nochmal? Mal auf der Packung schauen: Fett und Zucker. Fett und Filz wären mir lieber gewesen. Aber in der abgesperrten Abteilung der neuen Galerie mit meinem geliebten Beuys-Werk „The Pack“ war das Licht aus.
Ja, das mag alter Scheiß sein. Aber Idee und Konzept des Parthenon der verbotenen Bücher, das ikonografische, zentrale Monumentalwerk auf dem Friedrichsplatz, hat auch schon 30 Jahre auf dem Buckel. Alter Scheiß und eine zu große Beteiligung von Werken bereits toter Künstler. DAS sind also die zeitgenössischen Ausdrücke von sozial, politisch, moralisch, ökonomisch, und ökologisch aus dem Ruder laufenden Lebenswelten?
Man kann ja mal vorsichtig annehmen, dass sich die Verhältnisse mittlerweile in einem Stadium befinden, in dem es Kunst per se unmöglich geworden ist, charakteristische Aspekte dieser Menschen- und Machtsysteme zu erkennen, zu verarbeiten und zu artikulieren. Vielleicht ist sie ja schlicht nicht mehr das richtige Mittel. Das Vermögen Verhältnisse zu ändern, sollte man ihr übrigens nie leichtfertig zutrauen.
Ja möglicherweise ist die zeitgenössische Kunst, was Gesellschaftskritik angeht, einfach momentan tot. Obristen, Kolonialherren und Nazis, die in Kassel thematisch mitbehandelt werden, sind es jedenfalls. Prächtig lebt dagegen ein wiedererstarkter Feudalismus, der im Gewand von Konzernen und hochexplosiven Kapitalkonzentrationen daherkommt. Davon habe ich aber nichts gesehen. Ein Hinweisschild sah ich kurz nach der Autobahnabfahrt. „Bomardier, Henschel, Rheinmetall“ stand dort. Ich bin davon ausgegangen, dass ich diese Namen vielleicht in irgendeinem Zusammenhang wiedersehen werde. Aber zeitgenössische Rosse und Reiter tauchten nur in einem Kunstwerk auf: „A War Machine“ von Sergio Zevallo
([Bild 1], [Bild2], [Bild 3], [Bild 4] , [Bild 5] aus: http://artviewer.org/documenta-14-neue-galerie/)
Dem Documenta-Motto „Von Athen lernen“ gilt es hinterherzufragen, ob man von Athen – stellvertretend für Griechenland – etwas lernen kann. Ich meine, es hat sich in der Gängelung durch das ganz große Geld eingerichtet, angepasst, ja unterworfen. Zumindest spielt es das große Spiel noch mit.
Möglicherweise tut man der Kunst mit der Forderung irgendeiner Wirkung unrecht und erwartet von ihr eine Erklärungen, die selbst die (Gesellschafts-)Wissenschaften nicht liefern können, eine Art Erlösung, die nicht mehr geschieht, weil ein Gott tot sein soll oder Absolution für unser Agieren im Menschensystem, das irgendwo auf der Welt Tod und Leid verursacht nur weil wir leben wie wir leben. Und – Trara! – zielgenau käme man nun zur Schuldfrage, die uns aber eigentlich noch nie weitergebracht hat.
Hat mich die Documenta 14 weitergebracht? Muss sie das überhaupt? Keine Ahnung, aber eine Reise lohnt immer.
Ach, da fällt mir noch was ein. Beim sonntagmorgendlichen Lauf durch die bürgerlichen Außenbezirke Kassels begegnete ich einem frisch überfahrenen Igel, der mitten auf der Straße liegend, noch aus den Eingeweiden dampfend, von einer Krähe verspeist wurde. DAS war ein Kunstwerk, das für mich den neoliberalen Privatkapitalismus ziemlich eindringlich darstellte.
First,
i give light.
Then,
i drive right.