Dirk C. Fleck

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Unsere Leitmedien und das älteste Gewerbe der Welt


Foto: Public Domain/Wikimedia

Auf der Plattform Swiss Propaganda Research ist gerade ein anonymer Bericht eines Top Level Journalisten erschienen. Mit trockenen Worten schildert er, welcher Arbeitsethos heute in den Redaktionen unserer vielgepriesenen  Qualitätsmedien herrscht:

Ich bin selbst schuldig, Teil des Systems zu sein oder zumindest das Spiel mitzumachen …

Die meisten seilen sich bevor sie 50 werden in die PR ab. Das Angebot von gutbezahlten PR-Jobs ist für erfahrene Journalisten gross. Der Spruch: «jetzt gehe ich dann in die PR, weil das was ich hier mache ist nicht viel anders, einfach schlechter bezahlt», ist nicht unüblich. Wer die Überzeugung hat, mit Journalismus etwas bewirken zu können, ist sehr jung, oder wird ausgelacht von der Mehrheit.

… Vordergründig herrscht in den Mainstreammedien kompletter Meinungspluralismus – abgesehen von Einzelfällen tun sich Journalisten kaum mit festen Überzeugungen hervor: Man ist für alles offen, suspekt ist, wer eine Haltung hat und konsequent aus dieser Haltung berichtet. Die Journalisten mit einer konsequenten Weltanschauung sind rar.

… Es ist nicht so, dass es vor 20 bis 30 Jahren auf den Redaktionsstuben keine Selbstzensur, Gleichschaltung, vorauseilenden Gehorsam und Tunnelblick gegeben hätte. Doch die Rahmenbedingungen in den heutigen „Redaktionsfabriken“ der Mainstream-Medien fördern geradezu den ideologielosen, opportunistischen, Klick-orientierten Journalismus, dem die wichtigen Fragen entgleiten.“

(Quelle: https://swprs.org/bericht-eines-journalisten/ )

Diese als „Geständnis“ betitelte Schilderung eines Leitmedien-Journalisten folgt geraume Zeit auf die legendäre Rede des New York Times-Chefredakteurs John Swinton. Bereits zu Zeiten, in denen die regierungsnahen Leitmedien noch über allen Verdacht erhaben waren und die von ihnen ausgegebenen Texte von fast jedermann/jederfrau täglich konsumiert und weitgehend unreflektiert internalisiert wurden, meinte Swinton:

 „Wenn ich mir erlaubte, meine ehrliche Meinung in einer der Papierausgaben erscheinen zu lassen, dann würde ich binnen 24 Stunden meine Beschäftigung verlieren. Das Geschäft der Journalisten ist, die Wahrheit zu zerstören, schlankweg zu lügen, die Wahrheit zu pervertieren, sie zu morden, zu Füßen des Mammons zu legen und sein Land und die menschliche Rasse zu verkaufen zum Zweck des täglichen Broterwerbs. … Wir sind Werkzeuge und Vasallen von reichen Männern hinter der Szene. Wir sind Marionetten. Sie ziehen die Strippen, und wir tanzen an den Strippen. Unsere Talente, unsere Möglichkeiten und unsere Leben stehen allesamt im Eigentum anderer Männer. Wir sind intellektuelle Prostituierte.“ (Quelle: Wikipedia)

Der Vergleich mit dem Gewerbe der Prostitution wird vielen Journalisten, die mit ihrer Berufswahl an sich angetreten sind, um der Wahrheit, Aufklärung und Humanität zu dienen (so denke ich naiver Mensch mir das zumindest), wohl sauer aufstoßen. Man mag darüber streiten, inwiefern zwischen den beiden Gewerben moralische Parallelen bestehen, auf rein monetär-existenzieller Ebene betrachtet, befinden sich Journalisten heute allerdings in der Tat in derselben Zwickmühle des Prekariats wie die Gewerbetreibenden in der Prostitution: Konnte man in guten alten Zeiten noch schnelles Geld machen, wenn man bereit war, seine menschliche Würde aufzugeben und sich unter den Hund zu bringen, so bekommt man fürs Beinebreitmachen heute mitunter gerade mal 15 Euro (Quelle: ZDF Reportage „Bordell Deutschland“), wovon mehr als die Hälfte an den Zuhälter und ans Etablissement gehen. Unterm Schnitt bleibt der Prostituierten also ein mieserer Stundensatz als einer Reinigungskraft, obwohl erstere laut Statistik ein größeres Gesundheits- und Todesrisiko eingeht als ein Soldat, der in den Krieg zieht. Etwas bessere Bezahlung gibt es allenfalls noch im Nobelescort-Service, allerdings ist die Ausschlachtungszeit dort sehr gering, ständig drängt billiges Frischfleisch aus dem Osten heran, während abgehangenes Fleisch von den Metzgern schnell ausrangiert wird.

Gleichermaßen konnte man in guten alten Zeiten als Bezahlschreiber bei den deutschen Leitmedien eine Menge Geld verdienen, wenn man bereit war, sein Herz gegenüber der herrschenden (transatlantisch-neoliberalen) Meinung breitzumachen und seinen Ethos an den Nagel zu hängen (siehe dazu Interview mit dem ehemaligen Welt-Journalisten Dirk C. Fleck bei KenFM«Wir leben in einem globalen Schweinesystem … Es gibt in Amerika 1.500 Zeitungen, 1.100 Magazine, 9.000 Radio­stationen und 1.500 TV-Anstalten. Die sind in sechs Händen konzentriert. Davon sind vier Rüstungs­unter­nehmen und zwei Energie­unter­nehmen. Jetzt wissen Sie Bescheid über „die freie Presse“.» Nun ist aber auch unter denen, die bisher den vollen Rückenwind des Mainstreams genossen haben, Saure-Gurken-Zeit angebrochen. Obwohl sie das mühsame Schwimmen gegen den Strom tunlichst vermeiden wollten, müssen sie nun in unwirscher Strömung um ihr Überleben paddeln. Denn nicht nur billiges Frischfleisch und junge Prekariats-Volontäre drängen in die Schreibstuben der ehemaligen Gutverdiener nach, auch die zunehmende Digitalisierung gräbt dem Nachrichtengewerbe das Wasser ab: Info-News werden von einer der drei Pressekonzerne AP, Reuters und AFP  wie vorgebackene Brötchen angeliefert und können per copy & paste übernommen werden (wie lediglich drei globale Nachrichtenagenturen als Zapfsäulen für die nationalen Massenmedien dienen, ist im SWPRP-Medienreport „Der Propaganda-Multiplikator“ nachzulesen).

Um die Tiefkühlbrötchen der Presseagenturen aufzubacken, braucht es allenfalls einen Kosmetiker, aber keinen Journalisten mehr, der wirklich in die Tiefe recherchiert und das macht, wozu er als Journalist eigentlich ausgebildet wurde. Demnächst braucht es sogar nicht einmal mehr den Kosmetiker – smarte Algorithmen übernehmen mitunter bereits das Schreiben kompletter Artikel. So ist es in mehreren US-Zeitungen bereits gang und gäbe, dass man dem Computer nur noch ein Sportergebnis füttert und der Blechkollege dichtet eine Story drumrum, die dann unredigiert abgedruckt wird. Auch auf Wikipedia werden schon seit längerem automatisierte Bots eingesetzt, die im Netz verfügbares Informationsmaterial durchforsten und daraus pro Tag bis zu 100.000 Artikel verfassen, die sogar für das skeptische Auge von Gwup-Nerds und der Sheldon Cooper-Community alle Anforderungen an Wissenschaftlichkeit und Sachzwänglichkeit erfüllen (siehe Spiegel).

Doch nicht nur dem niederschwelligen Boulevardjournalismus stehen wenig rosige Zukunftsaussichten ins Haus. Auch im Nobelescort-Bereich des Journalismus ist die Luft dünn geworden, allerortens wird gnadenlos rationalisiert. Wie aus der Redaktion ausgestiegene Journalisten berichten, sind die Zeiten, in denen man als gewöhnlicher Spiegel-Redakteur wirklich gut verdient hat, längst vorbei und hat auch die Porsche-Dichte in der Tiefgarage deutlich abgenommen. Allenfalls als Chef der Etablissements hat man noch leicht lachen und kann bei abendlichen Gala-Diners von Atlantikbrücke-Verein & Co. entspannt Champagner schlürfen und Schokotrüffeln schlemmen – und das Schulterklopfen der ganz Mächtigen genießen. Dass Putin und Russland in der deutschen Medienwelt die alternativlos Bösen bleiben, lässt man sich in der oberen Liga schon noch etwas kosten.

Für kleine Schreiberlinge und Nachwuchstalente sieht es jedoch traurig aus, denn sie sind in der postfaktischen Medienwelt jederzeit ersetzbar geworden. Niemandem wird es auffallen, wenn sie nicht mehr auf ihrem Arbeitsplatz Dienst verrichten, geschweige denn, ihnen eine Träne nachweinen. Wie der eingangs erwähnte Journalist im SWPRS-Bericht erzählt, herrscht in den Massenmedien mittlerweile Existenzangst und Endzeitstimmung:  „Nirgends war das Klima der Angst grösser und expliziter als beim grössten privaten Medienhaus der Schweiz. Die Angst vor der nächsten Sparrunde, Umstrukturierung, vor dem unerwarteten Seitenhieb in der Blattkritik.“ Die Existenzangst führe dazu, dass die Journalisten ihre eigenen Denkmuster nicht mehr hinterfragen und insbesondere einer „US-EU dominierten Sicht- und Erklärweise der Weltereignisse“ unterliegen.

Nichts ist in den Schreibstuben also mehr wie früher. Sogar wenn sich bedingungslos auf Blattlinie schreibende Journalistinnen wie die junge Leonie Feuerbach um Kopf und Kragen schreiben, indem sie mit allem ihnen zur Verfügung stehendem Krallen- und Beißwerkzeugeinsatz politisch nicht korrekte Friedensfestivals an den Pranger stellen (siehe heise) und mit aller gebotenen Härte gegen „Querfrontler“ wie Ken Jebsen, Xavier Naidoo oder Werner Altnickel vorgehen, ist nicht gewiss, ob die eifrigen GedankenpolizistInnen nicht schon übermorgen selbst wegrationalisiert werden. In Zeiten, in denen morgen nichts mehr so ist wie gestern, kann es schnell mal sein, dass sich Leonie Feuerbach als Kühlregalschlichterin beim Lidl widerfindet, obwohl sie doch gerade erst nach stolzer Gutsherren(frauen-)art das Horn zur Jagd geblasen hat und mit einem stattlichen Rudel an Labradoren im Gefolge über die urbanen Äcker des neoliberalen Fürstentums geritten ist.

Wer weiß, vielleicht wird die jagdlustige Dame, die unzähligen Hasen den kalten Angstschweiß aus dem Fell getrieben und ihnen dieses dann über die Ohren gezogen hat, unvermittelt von einem Burnout gestreift … oder die grüne Galle, die sie im Kampf gegen unbotmäßige Friedensaktivisten entwickelt hat, schießt ihr in die Nieren … – und schon kann Schluss sein mit der spitzen Schreibtischtäterschaft und dem Sold am Monatsersten. Wenn man heute nur für kurze Zeit einmal nicht mehr leistungsfähig ist, dann darf man erleben, wie das leistungsorientierte System, für das man zuvor mit aller Verve gekämpft hat, mit einem selbst umgeht. Auch wenn sie jetzt noch im ledergepolsterten Vorzimmer zum Chef sitzt und aus der erhöhten Sitzposition des SUV nach unten blickt, selbst ambitionierte Nachwuchskräfte wie Leonie Feuerbach, die alles gegeben haben, sind heute nicht davor gefeit, schon morgen ausrangiert und auf Hartz 4 gesetzt zu werden. Statt SUVs in der Tiefgarage dürfen sie dann versprengte Einkaufswägen an der Lidl-Kassa parken.

Dabei war der Traum vom kleinen Glück bereits so greifbar nahe: Nachdem die junge Leonie laut ihrer FAZ-Vita dem ehrwürdigen Leitmedium von 2014 bis 2016 als Volontärin gedient und nach dieser zweijährigen Bewährungsprobe schließlich am 1. April 2016 dasjenige Privileg erhalten hat, das für eine Studentin der Politikwissenschaften in heutiger Zeit seltener ist als ein vierblättriges Kleeblatt in einer Sandkiste: eine Festanstellung als Redakteurin. Nach dem Platzen der schillernden Seifenblase, auf die Oma besonders stolz war, wird die junge Leonie dann womöglich auch verdutzt feststellen dürfen, dass die nadelgestreiften Feudalherren, in deren Sold sie früher stand, an der Kassa keinen einzigen Cent Trinkgeld springen lassen, während Friedensaktivisten, denen sie in ihrem früheren Leben den medialen Garaus bereitet hat, sich als unerwartet großzügig erweisen, obwohl diese selbst ein karges Auskommen haben und in zerschlissener Kleidung unterwegs sind. Angesichts der herablassenden Art der nadelgestreifen Herren, mit denen sie früher auf Augenhöhe scherzte und die nun bei ihr einkaufen, wird die geharzte Leonie womöglich sogar an die leibhaftige Existenz von Reptiloiden zu glauben beginnen, obwohl sie solchen Verschwörungstheorien bisher immer sehr abhold war.

Wie sie in ihren FAZ-Artikeln unter Beweis gestellt hat, verstand es Leonie, Verschwörungstheorien mit fachmännischer Journalistenhand zu einem toxischen braunen Cocktail zu mixen, in den als Zutaten neben Chemtrails, den 9/11-Anschlägen, Reichsbürger-, Tiefenstaat- und Überwachungsphantasien, Aluhüten und sonstigem „kruden“ Kraut dann auch noch beiläufig die Namen derjenigen Personen eingestreut wurden, vor denen man als aufgeklärter fernsehender Spiegelbildbürger unbedingt auf der Hut sein sollte (siehe FAZ).

Wären da nicht diese verflixte Digitalisierung und der gnadenlose Ökonomisierungsdruck, die Chefetage hätte Leonie Feuerbach diese Cocktails bis zu ihrer Rente jede Woche aufs Neue weitermixen lassen, um sie dann wie Schrotladungen ins weite Feld des „manufacturing consent“ zu schleudern (siehe Rezension zu Noam Chomsky auf Nachdenkseiten: „Die Wachhunde der Machtelite“), obwohl die Leser solcher Ergüsse bereits überdrüssig sind und sich angewidert abwenden. Jedenfalls wird die neue Smart-App „Leonie 4.0“ das Mixen dieser Cocktails genauso gut beherrschen – und zwar im Bruchteil einer Sekunde und zu einem Bruchteil der betriebswirtschaftlichen Kosten, die momentan noch für Humanressourcen auflaufen. – Humanressourcen, die sich gerade selbst in die Obsoleszenz schreiben.

 

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Zum Thema Journalismus siehe auch:

Prof. Reiner Mausfeld: „Der leise Tod der öffentlichen Debatte“

Jens Wernicke bei KenFM: „Lügen die Medien?“

Nachrichtenspiegel: „Der Mensch am Schlachtfeld zwischen Lüge und Wahrheit – Teil 1: Im Griff der Würgeschlange“

Nachrichtenspiegel: „Der Mensch am Schlachtfeld zwischen Lüge und Wahrheit – Teil 2: Die Götterdämmerung der Lügenpresse“

G20 – ein sub zero Gipfel zum Lachen … oder zum Weinen

Nachdem Proteste gegen unsere wild zum Fortschritt entschlossenen Führungseliten zum NoGo erklärt und auf Hamburgs Hochhäusern sogar Scharfschützen in Position gebracht werden (siehe Nachrichtenspiegel), bleiben uns wieder einmal nur zwei Optionen: Lachen oder Weinen – je nach Temperament darf der Einzelne dieses oder jenes wählen …

Also, für diejenigen, die gerne lachen, Video Nr.1: Christoph & Lollo – „Diese Stadt gehört schon längst nicht mehr uns.“ (Dauer: 6 Minuten)

Für diejenigen, die nicht mehr lachen können, so wie Dirk C. Fleck, dem bei seinem Appell an die Mächtigen sichtlich bewegt fast die Stimme versagt, Video Nr.2: „Gegenrede zum G7 Gipfel 2015“ (Dauer: 2 Minuten)

Beide Videos sind schon etwas älter, aber heute wohl aktueller denn je.

(aus Dirk C. Flecks Rede: „Unsere Kinder wissen nicht mehr, was es bedeutet, über einen freien Geist zu verfügen. Es ist kein Wunder, dass sie die Erde nicht verteidigen, auf der sie leben. Sie leben gar nicht dort. Sie leben in der von euch geschaffenen Scheinwelt einer Unterhaltungsindustrie, nach Regeln und Gesetzen, die sie selber nicht gemacht haben  …“)

 

 

 

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