Foto: Crocodilus acutus/Tomás Castelazo/CC BY SA 3.0
Man ist sprachlos, kopfschüttelnd, weiß nicht, ob man schallend loslachen oder verzagen soll ob der Chuzpe, die einem ins Gesicht schlägt – Martin Chu[l]zpe („In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nie eintreten“) hat es also entgegen aller Beteuerungen wieder getan und sich ins transatlantische Bett mit derjenigen alternativlosen Kanzlerin gelegt, vor deren tödlicher Umarmung ihm eigentlich graut.
Zuletzt verlautbarten unsere Leitmedien noch, dass es der Punkt „internationale Verlässlichkeit“ wäre, über den CDU und SPD bei ihren Koalitionsverhandlungen noch in Kontroverse stünden. „Internationale Verlässlichkeit“ – was für eine nette Verklausulierung der Frage, ob man Merkels „verlässlichen Freunden“ von jenseits der Atlantikbrücke weiterhin bedingungslosen Kadavergehorsam leisten soll, obwohl der schwarze Schlund des Grand Canyon, auf den wir am Gleis dieser verlässlichen Freunde zufahren, bereits in Sichtweite ist und die Passagiere des Zuges schon panisch zu schreien beginnen.
Nachdem SPD-Außenminister Sigmar Gabriel unlängst eine Abkehr von der desaströsen – und mittlerweile offenkundig Europa-feindlichen – US-Politik gefordert hatte (siehe Tagesspiegel), war kurz Feuer auf der Atlantikbrücke. Dieses wurde jedoch sogleich wieder gelöscht, indem führende Außenpolitik-Experten mit der Veröffentlichung eines „transatlantischen Manifests“ konterten, in dem uns die „Gefährlichkeit jeder Abkehr von dieser transatlantischen Bindung“ vor Augen geführt wird. Die im transatlantischen Manifest vorgebrachten Argumente für eine weitere Anbindung an die US-Interessen sind in der Tat erdrückend (Quelle: trotzdem-amerika.de):
„Eine Abkoppelung von den USA würde eine der wichtigsten politisch-kulturellen Errungenschaften der vergangenen 70 Jahre in Frage stellen: Deutschlands Westbindung.
(…) Der Westen ist auch heute ohne die USA weder ideell noch als politisches Subjekt existent. Er ist und bleibt der Ankerpunkt des liberalen Universalismus und der offenen Ordnung der Welt.
(…) An der NATO festzuhalten, ist zugleich eine Möglichkeit, die USA in multilaterale Sicherheitspolitik einzubinden … Das gilt auch für die Frage der „nuklearen Teilhabe“, also der Beteiligung des nicht atomar bewaffneten Deutschlands an der nuklearen Abschreckung der Vereinigten Staaten.
(…) Noch besser wäre es, die Bundesrepublik würde ein weiteres Prozent des Bruttoinlandsprodukt aufwenden und damit auch mehr für Entwicklungszusammenarbeit, internationale Polizeieinsätze, Uno-Missionen, Konfliktpräventionen und Diplomatie ausgeben.“
Dass nicht nur Michail Gorbatschow, sondern auch viele westlichen Militärexperten zu bedenken geben, dass wir die nächsten Jahre nicht überleben werden, wenn die von der NATO für notwendig befundene „Abschreckung“ an der russischen Grenze weiter voranschreitet – wen bekümmert’s im Land, in dem wir gut und gerne leben?
Stop, ich weiß, es reicht. – Um nicht weiter Übelkeit zu erregen, zur Abwechslung also etwas Erheiterndes: Der Postillon berichtet, was der ausschlaggebende Grund für die hauchdünne 54%-Mehrheit am SPD-Parteikonvent Ende Jänner war: Angst vor Andrea Nahles, die mit einer nichtigen, aber umso lautstärkeren Rede alle GroKo-Skeptiker niedergebrüllt hat:
„Ich wollte definitiv gegen eine Fortführung der Großen Koalition stimmen“, erklärt etwa ein Delegierter aus dem Ruhrgebiet, der aus Angst vor Andrea Nahles anonym bleiben will. „Aber dann kam diese Furie aufs Podest und schrie mich sieben Minuten lang an. Keine Ahnung, was sie da brüllte, aber mir war klar, wenn ich jetzt nicht tu, was sie will, dann war’s das.“ Er stimmte anschließend für eine Fortführung der Großen Koalition. „Ja, das war feige. Aber ich habe Frau und Kinder. Die brauchen mich.“
Kurz bevor Nahles am SPD-Konvent allen Widerstand gegen Merkel 4.0 weggebrüllt hat, konnte zumindest auch der SPD-Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert das Redepodest betreten und vor der GroKo warnen. Während der junge Kevin von vielen als Nachwuchshoffnung gehandelt wird, winkt der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier ab: „Wenn man Kevin Kühnert in eine Zeitmaschine setzen würde und nach 40 Jahren die Tür öffnet, würde einem Martin Schulz entgegenkommen“ (Quelle: Deutschlandfunk). Heinzlmaier spricht von einer „post 68er-Kultur“, die sich nicht mehr über die Rebellion definiere, sondern über das geschickte Sich-Durchlavieren bis an die Spitze der Hierarchie: „Das heißt, dieses Rebellentum ist nur ein vordergründiges, ästhetisches, aber man ist gut integriert und ist konform, konformistisch.“
Also auch unter den Jusos keine Hoffnung in Sicht? Dabei wurde der junge Kevin sogar von unseren sonst immer kritischen Leitmedien für seine Umgangsformen und seine Vernünftigkeit ausdrücklich gelobt. – Und in der Tat, vergleicht man das Gedankengut Kevins mit dem von politischen Revolutionären der 68er wie Rudi Dutschke oder Joseph Beuys, dann muss man dem jungen Kevin zweifellos attestieren, dass er mehr Vernünftigkeit an den Tag legt. Eine sachzwängliche Vernunft, die uns zwar bereits an den Rand des Abgrunds gebracht hat, aber die heute das fraglose Maß aller Dinge ist. Eine systemische Vernunft, die laut dem Philosophen Patrick Zimmerschied zwar orientierungslos Amok läuft (siehe Rubikon), aber der man Lobesworte streuen muss, wo immer man ihr begegnet.
Denn wehe, jemand spricht Worte, die diese Vernunft hinterfragen: Sofort hagelt es in hochmittelalterlicher Manier empörte Vorwürfe der Ketzerei bis hin zur Forderung nach Exkommunikation und Deportation von denjenigen, die sich der herrschenden Lehre und ihren glänzenden Zukunftsaussichten widersetzen (siehe auch Prof. Mausfeld: „Der leise Tod der öffentlichen Debatte“). Exekutiv tätig bei der neuen Hexenjagd: Die Vertreter unserer sogenannten Wissenschaft, deren aufgeklärte Institution sich bei näherer Betrachtung in Wirklichkeit auch nur als zutiefst kirchlich organisiertes System mit eigener Inquisitionshierarchie, roten Linien und entsprechenden Denkverboten entpuppt (siehe auch Noam Chomsky: „Die Wachhunde der Machtelite“)
Der Jurist Wolfgang Bittner spricht in diesem Zusammenhang von einer Politik der Lüge, Ablenkung und Gewalt und warnt, dass bei Fortsetzung einer solchen Politik schon demnächst die Lichter ausgehen könnten (siehe sein aktuelles Essay „Inquisition, Kriegshetze und Dekadenz“):
„Denunziation und Intrigen haben Konjunktur, Blockwartmentalität und Hexenjagd. Es wird gehetzt und gespalten, bis in die Parteien hinein. Offensichtlich gibt es Organisationen – von wem auch immer begründet und gesponsert –, die auf Rufmord und Unterwanderung spezialisiert sind, weltweit.
(…) Es ist unglaublich! Unfassbar! Zu registrieren ist eine fortschreitende zielgerichtete Entwicklung der Verrohung, Verdummung und Gewaltanwendung unter der Dominanz der USA. Viele nehmen das als selbstverständlich hin oder wenden sich ab ins Private. Die Jugend kennt nichts anderes, aber die Älteren wissen, dass es in den siebziger und achtziger Jahren in Deutschland und zahlreichen anderen Staaten besser war, demokratischer, friedlicher, menschenfreundlicher. Jetzt stehen Raketen, Panzer, Kampflugzeuge und zigtausend Soldaten einsatzbereit an den Grenzen zu Russland.
Wer gegen diese Aggressionspolitik und die damit einhergehenden Hetze aufsteht, wird als Antiamerikaner, Russenfreund, Antisemit oder Verschwörungstheoretiker diffamiert. Aber den weitaus überwiegenden Teil der Bevölkerung interessiert das nicht. Der Fokus wird auf Belanglosigkeiten gelenkt, Politiker beschäftigen sich mit Ämtergeschacher und Albernheiten. Tralala geht weiter. Wie lange noch? Wahrscheinlich bis irgendwann in absehbarer Zeit das Licht ausgeht. Wenn sich nicht grundlegend etwas ändert. Informationen und Vorschläge dazu bieten seit Längerem die alternativen Medien, die immer mehr Enttäuschte, Desillusionierte und an der menschenverachtenden Politik Verzweifelnde erreichen. Sie könnten die Mehrheit werden, das ist die Hoffnung!“
Trotz des Pro-GroKo-Votums am SPD-Parteikonvent ist das letzte Wort allerdings noch nicht gesprochen. Sollten die 450.000 einfachen Mitglieder an der SPD-Basis die Angst vor Nahles – und der transatlantischen Autorität – abschütteln und sich mehrheitlich gegen den Koalitionsvertrag aussprechen, dann platzt die GroKo doch noch.
Fast 25.000 neue Mitglieder sind alleine in den letzten Wochen unter dem Motto «Tritt ein, sag nein» in die SPD eingetreten, um die Große Depression in letzter Minute doch noch zu verhindern (siehe tagesanzeiger). Helfer der SPD-Landesverbände mussten Sonderschichten einlegen, um die Masse an neuen Mitgliedsanträgen bearbeiten zu können.
Allerdings hat der merklophile Flügel der SPD bereits mehrere Abwehrtorpedos losgeschickt, um den Widerstand gegen die GroKo zu versenken: Beim Bundesverfassungsgericht wurden gleich fünf Eilanträge eingebracht, um das Votum zu untersagen. Zwei dieser Torpedos wurden mittlerweile entschärft bzw. vom Gericht abgelehnt, drei weitere sind jedoch noch auf hoher See auf Kurs.
Begründet werden die Anträge damit, dass ein basisdemokratisches Mitgliedervotum die Grundsätze der repräsentativen Demokratie unterlaufen und die Freiheit der Abgeordneten, die Kanzlerin zu wählen gefährden würde (sic!) – Wer also bisher ruhig Blut bewahrt hat, der darf sich diese Chuzpe einmal auf der Zunge zergehen lassen: Man geniert sich nicht mehr, vor aller Öffentlichkeit ein demokratiesicherndes Instrumentarium des Rechtsstaats – den Bundesverfassungsgerichtshof – zu instrumentalisieren, um den demokratischen Willen auszuschalten. Die Katze beißt sich also in den Schwanz … und das GroKo frisst dann die Katze – außer: der rettende Kasper taucht auf und zieht dem Kroko eins über die Rübe … und das Vieh muss zurück ins Körbchen.
Wie die Geschichte enden wird – liegt also wieder einmal an uns selbst.