Montag, 2.7.2018. Eifel. Wäre es nicht mal schön, gäbe es eine Woche lang nur gute Nachrichten? Möglich wären die ja: „Deutschland stellt Diesel auf Wasserstoff um“ – wäre ja so eine Möglichkeit. Oder: „Deutschland entwirft voll autarke Ökodörfer – wie Holland“. Oder: „Deutschland baut Autobahnen wieder ab – Führer weint“. Klar – man kann eine Woche lang schöne Dinge schreiben – wenn man ein positives Verhältnis zur Lüge hat. Fühlt man sich der Wahrheit verpflichtet – oder hat die natürliche Neigung, ihr so nahe wie möglich kommen zu wollen – ist dies unmöglich, denn: der Zerfall, die Degeneration, die Verrohung der bundesdeutschen Gesellschaft schreitet inzwischen schon fast wöchentlich weiter voran. Im Krieg der Sozialen gegen die Asozialen, der Gestalter gegen die Räuber gewinnen gerade die Räuber auf breiter Front, während die Sozialen im günstigsten Fall nur noch gegeneinander kämpfen – falls sie nicht vor lauter Schockstarre nur noch auf dem Sofa liegen und heile-Welt-Filme schauen, weil sie überhaupt nicht mehr verarbeiten können, was dort draußen gerade vor sich geht.
Das ist ja auch schwer – und je älter einer ist, um so schwerer ist es, den Bogen von der SPD Willy Brandts – die damals von allen Intellektuellen des Landes unterstützt wurde – hin zur SPD eines Gerhard Schröder und der heutigen Muppet-Truppe zu spannen, die die Sozialdemokratie sicher unter 20 Prozent halten und als Kernwähler noch den Oberstudienrat für Deutsch und Sport aus Gelsenkirchen und den Autobauer aus Wolfsburg haben. Der Rest des Landes versteht überhaupt nicht mehr, warum man sich mit der Sozialdemokratie beschäftigen sollte, deren Top-Spieler ungefähr so aufgestellt sind wie die deutsche Nationalmannschaft, die jüngst gegen Korea gespielt hat. Wusste bislang gar nicht, dass Koreaner Fussball spielen – vielleicht war´s ja eine Schulmannschaft? Dabei bräuchte man eine linke Sammlungsbewegung – gerade jetzt. Aber die Armen – so las´ ich kürzlich – haben den Löwenanteil an den Nichtwählergruppen. Keiner interessiert sich für sie – darum interessieren sie sich auch für keinen.
Wir haben reichlich Arme in diesem Land. Natürlich darf man nicht darüber sprechen, sofort kommt jemand und rechnet einem vor, wie reich doch die Ärmsten sind im Vergleich zu den Menschen im Jemen, die nicht nur noch ärmer sind sondern täglich bombadiert werden. Danke wir als Gott dafür, dass noch keine Bomben auf uns fallen – nicht, dass „die“ sich das noch anders überlegen wenn wir zu laut klagen. Nun: Armut für uns heißt ja nur: arm an Geld. Unseren Armen fehlt aber viel mehr als nur Geld, ihnen fehlt der Respekt der Umwelt, die Solidarität, die Geselligkeit, das Erleben von Anstand und Höflichkeit – konkret betrachtet befinden die sich in Isolierhaft – einer verschärften Form von Arrest – denn: an gesellschaftlicher Geselligkeit können die nicht teilnehmen. Das betrifft die Arbeitslosen – und immer mehr Rentner. Und „Arbeitnehmer“ … kommen auch immer mehr in den Fokus der Mächte und Gewalten dieser Welt. Klar – oder dachte man etwa, man würde aus sozialen Gründen irgendwann mit der Menschenhatz aufhören?
Auf Facebook machen gerade die Sprüche eines Ingenieurs die Runde, der eine besondere Meinung zu seinen Mitmenschen hat:
„Jeder Arbeitnehmer ist nur ein Produktionsfaktor und ein Lohnstückzahl Kosten Faktor . Nicht mehr und nicht weniger“
Eine neue Form von: Kosten auf zwei Beinen. Doch es geht noch weiter:
„Das ist Realität das ewige Jammern im Jammertal der unselbständig Erwerbstätigen hält keiner mehr aus . Es ist das Wehklagen der Wertlosen .“
Wie dieser „Unternehmer“ heißt, was er macht, wo er wohnt: bedeutungslos für uns. Wichtig ist wahrzunehmen, dass man sich mit asozialsten Sprüchen inzwischen immer weiter an die Öffentlichkeit trauen kann – und immer mehr Gesinnungsgenossen findet. Noch wichtiger zu sehen ist: das ist auch die Sichtweise der Politik geworden – und die nächste Klasse rückt ins Visier der Asozialen: der unselbständig Erwerbstätige als neue Form des Untermenschenseins. Das ist der Grund, weshalb es Kindern, Arbeitslosen, Kranken und Alten immer schlechter geht in diesem Land, während die Asozialen von Jahr zu Jahr mehr Beute machen und sich so aufführen, als wären sie die Herren des Universums. Gab ja eine Zeit, da nannten sich diese Menschen wirklich so: Masters of the Universe. So zwischen 20 und 40 ist der Mensch für diese Aliens noch nützlich, weil er mehr produziert als er kostet, kostet er jedoch mehr als er produziert – dann kann er weg.
Ob sich wirklich jeder, der ausschließlich in Kostenfaktoren denkt, bewusst ist, welcher radikal inhumanen Denkströmung er dort das Wort redet? Ist jedem dieser Prediger der Effizienz wirklich klar, dass sie – ethisch gesehen – weit unter den Sklavenhaltern der Südstaaten der USA anzusiedeln sind, die die voller Verantwortung für das Überleben ihrer Sklaven übernahmen … auch im Alter?
Es wundert da nicht, dass die nächsten Ziele der Offensive abgesteckt werden. Die Richtung gibt diesmal die AfD vor, jene Partei, die mit dem Mythos groß geworden ist, dass sie „gegen die Eliten“ sind, gegen die alten Parteienfilzapparate, die die Republik wie ein Krebsgeschwür überziehen. Wer kritisch las, konnte schon sehr früh erkennen, was sich dort in der AfD sammelt – und jetzt kriegen es alle auf den Tisch serviert, auch die hunderttausenden Arbeitlosen, denen die Partei für einen kurzen Moment die Hoffnung auf Besserung verkauft hatte. Auf dem Bundesparteitag der AfD sprach sich nun einer der Parteivorsitzenden dafür aus, die gesetzliche Rente ganz abzuschaffen (siehe Deutschlandfunk) – schrittweise, versteht sich. Gut – gleichzeitig sprach er sich auch für eine stärkere Besteuerung des Luxuskonsums aus, denke also: die Armen werden weiter AfD wählen. Hoffnung stirbt ja bekanntermaßen zuletzt.
All diese Entwicklungen haben einen gemeinsamen Ursprung, der alle Länder – also: alle organisierten Solidargemeinschaften – zerschmettern wird: die Geschichte über die Notwendigkeit von „Wettbewerb“ zwischen den Nationen. Sicher haben Sie davon schon mal gehört: „Deutschland muss wettbewerbsfähiger werden“ … als wären wir ein Betrieb. Sind wir aber gar nicht. Wir sind eine Solidargemeinschaft – darum baut man überhaupt so etwas wie „Staat“. Begreift man Staat nur als „Betrieb“, so wird er automatisch asozial, vernichtet Lebensqualität der Bewohner rasend schnell im großen Stil – vollfinanziert aus den Beträgen jener Beitragszahler, die er eigentlich schützen sollte. Schon doppelt pervers, sowas.
Das „Staat“ „Wettbewerb“ im Zaum halten muss, ist lange bekannt. Ein Wunder, dass man darüber überhaupt noch diskutieren muss – oder wieder diskutieren muss. Aber wann erfahren wir noch mal groß was von dem geballten Einsatz des Kartellamtes, das Verzerrungen im Wettbewerb verhindern soll? Was ist das überhaupt für ein Wettbewerb in einem Markt, in dem es nur noch eine Hand voll Akteure gibt?
Ach ja: Markt. Es ist mal darauf hinzuweisen, dass „Markt“ eine sehr soziale Funktion hatte. Da gab es Bauer Heinz, der war super erfolgreich mit Kartoffeln, bei ihm wuchs aber kein Gemüse. Anders bei der Hilde: auf ihrem Hof sproß das Grünzeug nur so in Hülle und Fülle. Karl wiederum hatte karge Wiesen, auf denen nichts wuchs – aber Vieh konnte dort gut weiden. Treffen sich alle zusammen auf dem Markt, ist alles in Ordnung: es gibt Schnitzel mit Kartoffeln und Salat. Treten die in Wettbewerb … wird es kompliziert. Noch schwieriger wird es, wenn man dann einen Markt für Arbeitskraft einrichtet – denn die hat einfach nicht jeder. Klar also: hier muss der Staat als Organ der Vernunft regelnd eingreifen, sonst endet alles im Chaos … und das haben wir ja immer wieder, immer häufiger, immer intensiver. Wer hätte schon gedacht, dass die gesamte deutsche Autoindustrie (samt begeisterter Belegschaft) zu einem Betrug gigantischen Ausmaßes fähig ist … was dazu führt, dass deren Spitzen jetzt vom FBI gejagt werden? Wird viel zu selten thematisiert, was das für ein Kultur- und Vertrauensbruch ist – und dass wir dringend dazu aufgefordert sind, „Wirtschaft“ streng an die Kandare zu nehmen.
Doch „Wirtschaft“ – ist da schon längst weiter, greift zum Zwecke des Selbstschutzes (was erstmal gar nicht verwerflich ist) in den Bereich der Politik ein, schickt tausende von super bezahlten Lobbyisten ins Land, die jeden einzelnen Abgeordneten belagern bis klar ist: da gibt es keine Alternative. Ein Staat, der sich völlig dem Prinzip der Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, würde hier als Ausgleich für jeden Lobbyisten der Wirtschaft einen Lobbyisten aus dem Bereich der Arbeitslosen, der Rentner und der Niedriglöhner Zugang zum Bundestag gestatten müssen, damit Traumschiff Berlin wieder einmal Kontakt zum Bodenpersonal bekommt.
Wäre der Bundestag noch mit dem Boden verbunden, hätten wir uns viel ersparen können: Hartz IV zum Beispiel. Jetzt kommt es ja langsam heraus: Hartz IV war ein kompletter Misserfolg – mit Milliarden und Abermilliarden Euro Kosten, die natürlich mal wieder wir alle zahlen dürfen … neben den Kosten für die Bankenrettung. Lesen Sie das ruhig mal aufmerksam durch, was man heute so in Wirtschaftskreisen über Hartz IV denkt: es war ein Fehlschlag auf breiter Front, eine Reform wäre – aus jeder nur erdenklichen wirtschaftlichen Sicht – dringend erforderlich (siehe: Makronom). Doch traut sich noch jemand, das Thema anzufassen?
Nur wenige. Es herrscht ein anderer Zeitgeist in der Gegenwart, den ich gerne mal auf die Spitze treibe: nur effizient ausbeutbares Menschenfleisch hat ein Recht auf Überleben.
So formuliert, würden alle erschrecken – aber das zu leben, bereitet kaum einem Probleme. Darum rennen ja schon viele wie die Irren, als wären sie auf der Flucht vor einem Schlachter – und mehr und mehr werden in den Sog hineingezogen. Wer nicht rennen kann … oder sich ein viel ruhigeres, gemütlicheres Leben einrichten möchte … riskiert Bann, Ächtung und Vogelfreiheit.
„Es gibt kein Recht auf Faulheit“ tönte einst der Hartz-Gott Schröder, dabei ist dieses Recht grundgesetzlich verankert: die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel 1), jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und körperlicher Unversertheit (Artikel 2), niemand darf wegen seiner Weltanschauung benachteiligt werden (Artikel 3), die Freiheit des Glaubens und des Gewissens sind unantastbar (Artikel 4) … um nur ein paar Gesetze zu nennen. Käme jetzt jemand, der sagt: „Gott hat es mir auferlegt, den Genuss des Lebens, die ständige Steigerung der Qualität desselben als höchste Lebensziel zu setzen, um die Schönheit der Schöpfung zu würdigen“, so hätte er ein Recht auf Faulheit … bzw. ein Recht auf das, was Ausbeuter als „Faulheit“ diskreditieren wollen, was aber eigentlich nur „Leben“ ist.
Man stelle sich eine Gesellschaft vor, die Lebensqualität der Solidargemeinschaft als Zweck hat – anstatt den Zwangsdienst am vernichtenden Wettbewerb gegen andere Länder: wer (außer kranke Geister) würde da nicht leben wollen? Und man komme mir jetzt nicht mit Sprüchen wie „wer soll das denn alles bezahlen“! Alles, was der Mensch zum Leben braucht, liefert die Natur umsonst. Preise … kleben andere Geister darauf. Bald übrigens auch auf Wasser – das erfährt man jetzt so ganz nebenbei: ein neues Handelsabkommen mit Japan führt die Privatisierung (immer daran denken: das lateinische Verb dazu lautet übersetzt „rauben“) der Wasserversorgung auch in Deutschland ein: Wasser wird Ware (siehe Spiegel). Irgendwo das Geheimnis unserer gesamten Wirtschaftsordnung: der König schenkt Lehen an seine Ritter, die sich damit ein luxuriöses Leben leisten können, während der Rest schuften und knechten muss.
Ändert sich scheinbar niemals.
Und dafür, dass wir sprachlich alles schön präsentiert bekommen, optimal ausgefeilt, prachtvollst dargestellt sorgen 400 hoch bezahlte Mitarbeiter im sogenannten Bundespresseamt (siehe Heise), quasi die persönliche Propagandaabteilung der Kanzlerin. Das gegen diese Übermacht die (vergleichsweise) kleinen Redaktionen der großen Medien kaum noch ankommen, wundert nicht, die aber dann als „Lügenpresse“ zu bezeichnen, trifft die Falschen, ist aber recht einfach, während es überaus kompliziert wäre, den Einfluss sämtlicher anderer „Think Tanks“ auf den Zeitgeist herauszuarbeiten.
Das es noch schlimmer kommen kann, sieht man gerade in Österreich – jenem Land, das uns schon mal ein besonderes Gastgeschenk hinterlassen hat, jenen Mann, dem wir die Autobahnen und die betriebswirtschaftlich effizienteste Entsorgung von nutzlosen Kostenfaktoren bzw. „Minderleistern“ verdanken. Aktuell gibt es in diesem Land einen Maulkorberlass für alle Mitarbeiter des öffentlichen Rundfunks, die sich fortan auch privat nicht mehr kritisch über die Regierung äußern dürfen (siehe Süddeutsche Zeitung) – nur ein Aspekt vom Umbau Österreichs zu einer … nun, völlig neuen Art von Staat, der für viele das neue Vorbild für ganz Europa werden soll (siehe Süddeutsche).
Da regt sich ein Geist, der … lange als tot galt. Und während sich das Volk in einem symbolischen „Kampf gegen Rechts“ aufstellt, verliert es den Kampf gegen Ultrarechts (also: gegen die Großgrundbesitzer, um mal im 19.Jahrhundert zu bleiben) auf ganzer Linie, weil dieser Kampf von Oben nach Unten geführt wird: mit äußerster Präzision, exaktester Planung und listenreichen Tricks. Ganz neu in diesem Orchester: Wahrheitsverdrehung bei Facebook: hier wurde nun jemand für 30 Tage gesperrt, weil er in der Gruppe „Politik und Zeitgeschehen“ behauptete, es hätte nach dem zweiten Weltkrieg keine richtige Entnazifizierung gegeben.
Für diese Ansicht könnte ich viele Dokumente beibringen, doch „Wahrheit“ ist ab dem 1.Juni 2018: alle Nazis lösten sich am 8.5.1945 vollkommen in Luft auf, übrig blieb ein geschundenes Volk von lupenreinen Demokraten.
Die Rechnung für diese irre Sicht der Welt … wird noch sehr hoch ausfallen.