„I would prefer not to“ – dieser Satz aus Herman Melvilles Erzählung „Bartleby, der Schreiber“ ist weltberühmt geworden. Bartleby ist bei einem Anwalt an der Wall Street angestellt und arbeitet als Kopist, doch von einem Tag auf den anderen weigert er sich, die ihm zugedachten Arbeiten auszuführen. Was können wir von diesem passiven Protest lernen, ist er vielleicht sogar revolutionärer als manche Aktivität? Darüber sprechen Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt in der vierten Ausgabe von WfA-Literatur.
Herman Meville: Bartleby, der Schreiber. Eine Geschichte aus der Wall-Street, Insel.
Joris-Karl Huysmans: Monsieur Bougran in Pension, Friedenauer Presse.
David Graeber: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit, Klett-Cotta.
Freitag, 18.8.2018. Es ist Zeit für etwas Ehrlichkeit. Immerhin ist bald Bundestagswahl, die Kanäle und Pappwände sind wieder voller hohler Phrasen, leerer Versprechungen und irrer Sprüche. Es ist Zeit, eine kurze Bestandsaufnahme zu machen, wie es denn diesem „Deutschland“ wirklich geht. Im Prinzip hat unsere Bundeskanzlerin – kabarettreif – diese Bestandsaufnahme schon vorweggenommen: Deutschland geht es gut – und das ist ein Grund zur Freude, heißt die Parole – und jeder sei ein „Arschloch“, der dagegen angeht. Nun, Zeit, mal eine Gegenmeinung zu bilden: schwer in Zeiten, wo Widerstand gegen die Regierungsmeinung gleich umgehend zu absurden Verortungen im extremistischen Spektrum der politischen Landschaft führt: aktuell ist die gebräuchlichste Losung die Beschimpfung als „irgendwie rechts“ zu seien, sie hat – ohne Erklärung oder Erläuterung des Paradigmenwechsels – das klassische „irgendwie links“ ersetzt … außer bei G 20 Gipfeln.
Nun – was ist eigentlich dieses Deutschland? Nun kommen Sie mir nicht mit Deutschtümeleien, Historie von Großreichen oder germanischen Urseelen: Deutschland ist ein von den Bürgern selbst organisierter Verwaltungsbezirk – mehr nicht. Nicht mehr und nicht weniger national als Griechenland, Ungarn oder Luxemburg. Was wir gemeinsam haben ist die gemeinsame Sprache (und die auch nur ganz grob gemeinsam) – sonst nichts. Schön waren die Zeiten, als noch von der „Bundesrepublik“ gesprochen wurde, da war klar, was gemeint wurde – doch echte Rechte, über die nie jemand spricht weil sie Regierungsverantwortung tragen haben den Begriff Bundesrepublik langsam und schleichend zu dem nationalistischen Begriff Deutschland umgemodelt … ohne darüber nachzudenken, was der Begriff Deutschland früher mal bedeutet, als es noch Reiche gab – Reiche, die ich persönlich alle rundherum ablehne, daraus möchte ich keinen Hehl machen.
Wenn die Bundeskanzlerin euphorisch jubelt: „Deutschland geht es gut und das ist ein Grund zur Freude“ so habe ich gelegentlich den Eindruck „Deutschland“ besteht für sie nur aus ihr selbst und (vermutlich) jenen, die ihre Politik finanziell unterstützen und davon riesig profitieren: jene Politik, die die alte Bundesrepublik langsam aber nachhaltig in eine marktkonforme Demokratie verwandelt – eine Staatsform, in der der Begriff „Demokratie“ nur noch das von allen benutzte Feigenblatt ist, um eine brutale Diktatur einer ökonomischen und finanziellen Oligarchie zu decken, die schon längst ganz offen ihre Überlegenheit demonstriert: denken sie nur an „Dieselgate“ – die aufgedeckte Verschwörung der großen Automobilkonzerne zum Betrug an Bürgern, Staat und Umwelt. Spricht man da noch von einem ungeheuerlichen Ausmaß an krimineller Energie – wie es angemessen wäre? Fordert jemand 20 Jahre schweren Kerker bei Wasser und Brot für die sich gegen alle verschwörenden Millionäre? Wird überhaupt jemand verhaftet? Nein – es gibt ein kleines Gespräch, wo die Putschisten gegen Staat und Bürger der schwachen Regierung eine Software auf den Tisch schmeißen … oder das Versprechen für eine Software, mehr war es ja nicht … und alles ist wieder gut.
Warum eigentlich? Sind die so gut, dass sie über jede Kritik erhaben sind? Sind die so unverzichtbar, dass man sich eine Existenz ohne sie gar nicht mehr vorstellen kann? Diese betrügerischen Wichte sind noch nicht mal Inhaber ihrer Konzerne, die Eigentümer sind ganz woanders – auch in Ländern, in denen Menschenrechte einen Dreck wert sind. Ja – das ist so in der globalisierten Welt: wir stellen Infrastruktur, Bildung, Intelligenz, Arbeitskraft und Land zur Verfügung … und der Gewinn aus dieser konzertierten Aktion geht nach Katar, wo gerade tausende von Arbeitern dafür sterben, dass der Deutsche fein Fußball gucken kann. Einem Land (also: einer Verwaltungsgemeinschaft), das solche Machtkonstruktionen hilflos erdulden muss, geht es nicht gut: dem geht es schlecht, es hat seine Freiheit verloren. Mein Vorschlag dazu: alle Käufer der Mogelautos wird der volle Kaufpreis zurückerstattet – die Autos selbst dürfen sie als Wiedergutmachung behalten, die Konzerne werden komplett enteignet und als volkseigene Betriebe weitergeführt. Würde eh´ nicht lange dauern, denn nicht mehr lange, dann ist die deutsche Automobilindustrie komplett weg vom Fenster (siehe businessinsider):
„Ich fürchte, dass wir da schlecht aufgestellt sind. Das gilt gerade für die Automobilindustrie, die ja von besonderer Bedeutung ist für Deutschland — nicht nur, weil sehr viele Menschen bei BMW oder Volkswagen arbeiten, sondern auch, weil wir eine große Zulieferindustrie besitzen. Für beide Branchen gilt: Die sind null digitalisiert! Also wirklich: null. Ich empfinde es bereits als schlechtes Zeichen, dass ich als Deutscher ein amerikanisches Auto fahren muss. Weil es kein deutsches Elektroauto gibt, das den Namen verdient. Die deutschen Autohersteller haben es ja nicht mal hinbekommen, in ihrem eigenen Land eine Infrastruktur mit Ladestationen aufzubauen. Ein US-Startup, nämlich Tesla, muss in Deutschland eine solche Infrastruktur errichten — für mich ist das beschämend.“
Das ist die Meinung von Frank Thelen, Investor. Es lohnt sich, noch mehr von ihm zu lesen: man erfährt, dass die Ärzte und Banken ebenfalls vor großen Problemen stehen, die absolut ignoriert werden: Deutschlands Elite ist halt von „Nieten in Nadelstreifen“ zu „Gangstern in Nadelstreifen“ verkommen. Es ist heutzutage für den kleinen Mann ein Risiko, den menschengemachten Klimawandel in Frage zu stellen: niemand aber regt sich darüber auf, dass Minister und Leistungsträger regelmäßig mit den größten Dreckschleudern durchs Land duften.
Ach ja: das amerikanische Elektroauto! Die Firma Tesla bringt es auf den Markt – das macht ein Milliardär ganz allein. Ja: so geht Verantwortung, wenn man Macht hat. Jubeln ja auch alle über die Elektromobilität – und Autos, die ganz von allein fahren. Die brauchen überhaupt keine Fahrer mehr – oder Passagiere. Die rollen ganz von allein durch die Gegend, damit der Verkehr im Fluß bleibt. Über die Folgen der Elektromobilität macht sich öffentlich kein „Großer“ Gedanken – ein kleiner Teslaaktionär bringt das aber auf den Punkt (siehe Forum Golem)
„Tesla wird die Zukunft.
Hinter der Firma stecken nicht unbedingt nur Autos, sondern auch eine riesige Forschung im Bereich der Akku Technik. Riesige Akku Fabriken werden gebaut. Eine riesige Forschung und Entwicklung wird betrieben.
Die Zukunft wird aber trotz Einsparungen und Effizienz immer elektronischer und somit stromhungriger!
Was macht Deutschland und alle anderen naiven Idioten? Sie ziehen der Atomkraft den Stecker. Nota bene der Energiequelle mit den geringsten CO2 Ausstössen und einem sagenhaften Wirkungsgrad. Indem man die Atomkraft auf politischer Ebene als illegal erklärt, verhindert man aber auch die Forschung an der Kernfusion. Nebst der Schattenseite der Medaille gibt es aber auch eine glänzende Seite – sofern man denn auch bereit ist, die Medaille umzudrehen!
Deutschland zieht also den Stecker während Amerika die Zukunft baut.“
Ja: unsere Zukunft muss atomar werden. Die Atomlobby nutzt schon lange ihre Chance zum Wiedereintritt in das staatlich maximal subventionierte Riesengeschäft – und es gibt auch überraschende Zahlen für unsere Zukunft (siehe taz):
„Um einen merkbaren Unterschied bei den CO2-Emissionen zu machen, müssten nach einer Studie der US-Universität MIT weltweit mindestens 1.500 neue 1.000-Megawatt-Reaktoren gebaut werden: fast das Vierfache der momentanen Kapazität.“
Da droht Rendite in Billionenhöhe – und diese Zukunft ist alternativlos, erst recht, wenn wir unseren „Sondermüll auf vier Rädern“ (siehe Spiegel) in Zukunft mit Strom betreiben wollen – anstatt völlig neue Verkehrskonzepte zu entwickeln, von denen es schon genug gibt.
Werden Sie schon nervös? Ist schwierig, sich zwischen Klimakatastrophe und Atomwahn zu entscheiden, oder? Keine Sorge: Sie wird sowieso niemand fragen – Sie dürfen noch nicht mal mitreden. Wir sind von einer Gesellschaft, in der die offene politische Diskussion Grundbestandteil des demokratischen Gesellschaftsaufbaus war zu einer Gesellschaft geworden, in der „Alternativlosigkeit“ herrscht: ein Begriff, der den Meilenstein zum Obrigkeitsstaat bildete. Deshalb kann man heute auch gar nicht mehr gemeinsam an der Wahrheits- und Entscheidungsfindung arbeiten: Wahrheit wird quasi von oben angeordnet – der Bürger hat die freie Wahl, ihr freiwillig zu folgen oder gelöscht zu werden. Wir leben in einer Welt voller Parolengetöse, wo das ruhige, souveräne Abwägen überhaupt keine Rolle mehr spielt – obwohl doch genau das so wichtig wäre für eine echte funktionierende Demokratie.
Wir leben in einer durch und durch verlogenen Scheinwelt, in der sogar die ansonsten eher harmlosen Bestsellerlisten manipuliert werden: d.h. Konzerne bestimmen, was so aussehen soll, als ob es die Massen begeistert (siehe Tagesanzeiger):
„Dem Erfolg wird in den USA gerne nachgeholfen – zumindest in der Verlagsbranche. Spezialisierte Unternehmen unterstützen Verlage dabei, ihre Werke auf die Bestsellerliste der «New York Times» zu bringen. Dazu kaufen sie massenweise Bücher auf. Sie verstecken das aber, indem sie über Angestellte jeweils nur kleine Mengen auf einmal erstehen. Für den Dienst zahlt der Verlag eine Gebühr von rund 20 000 Dollar, wie das «Wall Street Journal» erfahren hat. Hinzu kommt eine Investition von rund 200 000 Dollar, um die Bücher aufzukaufen. Sie ist aber gut eingesetzt, weil bei Erfolg diese Posten locker wieder abgesetzt werden können.“
So erzeugt man Bestsellerautoren, so macht man Meinung, so gibt man vor, was „in“ zu seien hat. So einfach ist das – wenn man Geld hat. Kann mir kaum vorstellen, dass das bei dem kleinen Bruder der USA anders ist. Darf ich Ihnen noch was über unseren großen Bruder erzählen? Habe ich von dem Portal eines Börsenmaklers erfahren (siehe cashkurs):
„Wodurch zeichnet sich diese Sprache des Zwangs aus? Militarisierte Polizeikräfte. Überfallkommandos. Tarnkleidung. Schwarze Uniformen. Stark gepanzerte Einsatzfahrzeuge. Massenverhaftungen. Den Einsatz von Pfefferspray und Tränengas, sowie Schlagstöcken. Kevlar-Westen. Drohnen. Tod bringenden Waffen. Gummigeschossen, Wasserwerfern, Handgranaten. Verhaftung von Journalisten. Taktiken zur Massenkontrolle. Einschüchterungstaktiken. Und nackter Brutalität.“
Erinnert an … ja: den G 20 Gipfel in Hamburg. Da gibt es ja auch neue … unglaubliche … Entwicklungen (siehe ntv):
„Die Polizei hat bei der Hamburger Gewaltorgie beim G-20-Gipfel Gummimunition eingesetzt. Die Politik weiß nicht, wer geschossen hat und wer den Befehl dazu gab.“
Kaum zu glauben, oder? Wirklich:
„Die Pressestelle der Hamburger Polizei bestätigt lediglich, was bekannt ist, nämlich dass Gummimunition eingesetzt worden ist. Ansonsten hüllt sie sich in Schweigen. Auch zur Rechtmäßigkeit des Gebrauchs der Gummiteile wollte sie sich nicht äußern. Alle Einzelaspekte wie die Frage, wer den Befehl zur Verwendung der Geschosse gegeben habe, beträfen die „Polizeitaktik, zu der aus grundsätzlichen Erwägungen keine Angaben gemacht werden“, erklärt eine Sprecherin des Hamburger Präsidiums auf Anfrage von n-tv.de.“
Gummigeschosse sind … potentiell tödlich und haben das schon bewiesen (siehe Berliner Zeitung) – und unsere Exekutive weigert sich, darüber Rechenschaft abzulegen? Ich sehe neue Anwärter für den schweren Kerker, da sind unsere Gangstermanager nicht mehr so allein. Doch hier gilt wieder: „alles ist, wie es ist, alles ist alternativlos so, wie es ist – und das ist ein Grund zur Freude“. Hellau!
Gut – schauen wir mal nicht mehr so auf die Extremfälle, wer will auch schon genau wissen, wieso es in diesem Land Alltag ist, dass Betriebsratsvorsitzende von Privatdetektiven beschattet werden (siehe dgbrechtsschutz), dass der Bundestag selbst die Gemeinschaft der Steuer- und Beitragszahler betrügt, in dem er massenhaft Scheinselbständige beschäftigt (siehe Zeit) und in dem der Wunsch nach mehr Bildung (sprich: Studium) seitens arbeitsloser Menschen höchstrichterlich „sozialwidriges Verhalten“ ist, das nur „der Erhöhung des Sozialprestiges dient“ und mit Entzug aller lebensnotwendigen Güter bestraft werden kann (siehe Arbeitsagentur).
Ach ja. Sanktionen für Arbeitslose – da sind wir nicht so zimperlich wie bei den Auftragsbanditen der internationalen Finanzindustrie: da wird richtig durchgegriffen. Der Bundestag selbst hat da gerade einige Studien zu den Folgen von Sanktionen vorliegen, die zu denken geben sollten – aber keinerlei Effekt haben werden (siehe Bundestag), demnach tragen Jobcenter die Hauptverantwortung für Obdachlosigkeit (nicht nur durch Sanktionen, auch durch schlichte Schlamperei), für soziale Isolation der Sanktionierten, mangelnde Ernährung, erhebliche Belastungen des familiären Zusammenhaltes, steigende psychische Belastungen. Nur 4 von 26 Jobcentermitarbeitern halten härtere Sanktionen für sinnvoll … und doch werden sie wohl weiterhin durchgeführt werden.
So gehen wir mit jenen Menschen um, deren größte Schuld darin liegt, von kriminellen Leistungsträgern entlassen worden zu sein.
Deutschland geht es gut?
Selbst wenn Sie sich vom Jobcenter abmelden, um den Schikanen zu entgehen, werden Sie als jemand, der krankheits- oder altersbedingt die Grenze seiner renditefördernden Ausbeutbarkeit erreicht hat, weiter verfolgt
(siehe gegen-hartz):
„Eine Bürgerin aus Sachsen – Anhalt schrieb der Erwerbslosenhilfe Suhl. Da sie die keinen Weiterbewilligungsantrag auf ALG2 stellte, bekam die Betroffene keine Hartz IV Leistungen mehr. Der Grund war fortwährende Schikanen, die sie nicht mehr aushalten konnte. Nun hat sie mehrfach Post und Androhungen vom Jobcenter erhalten. Sie bekam die Aufforderung, die Nichtbeantragung zu begründen. Zudem solle sie nachweisen alles mittels Kontoauszügen und VM nachweisen.“
Irgendwann werden wir uns einmal sehr ärgern, dass wir nicht gemerkt haben, welche Art von Behörde sich da entfaltet. Und welcher Art von Wahnsinn unsere ganze Gesellschaft bestimmt (siehe Zeit):
„Die größten Arbeitssurrogate sind die, die eine Identifikation mit den Reichen und Mächtigen befördern. Es sind die Jobs der Unternehmensberater, der Fachanwälte für Gesellschaftsrecht, der Marketingspezialisten, der promovierten Finanzjongleure. Die Bullshitjobber sind die Hofnarren des Kapitalismus. Je sinnvoller hingegen eine Tätigkeit für die Gesellschaft ist, so Graebers paradoxe Beobachtung, desto schlechter wird sie bezahlt. Je überflüssiger der Job, desto üppiger das Gehalt. Die unten müssen sich mit weniger zufrieden geben, weil sie sich ja einer richtigen Tätigkeit erfreuen können.“
Deutschland geht es gut? Ganz kurz nur noch ein Blick auf den wirklichen Inhalt dieser Hochlohnjobs:
„Oder diese Tage im Büro, an denen die Uhr fast rückwärts ticken würde, schlüge man die Zeit nicht mit Minesweeper und Facebook tot. An denen man Arbeit heuchelt, indem man noch einmal und noch einmal den E-Mail-Eingang aktualisiert. Bullshitjob.“
Für Minesweeper wird man gut bezahlt. Das ist wichtig zur Disziplinierung der Unterschicht. Und für die Unterschicht selbst (also: auch für Sie, der Sie keine 120000 Euro im Jahr nach Hause bringen) … wird gerade neues geplant: längere Arbeitszeiten, kürzere Pausen: das ist die neue Welt der kommenden CDU/FDP-Regierung (siehe WDR).
Deutschland geht es gut?
Versuchen Sie mal, auf dem Land einen gut bezahlten Arbeitsplatz zu bekommen … oder in der Stadt eine bezahlbare Wohnung. Wo Mieten in 5 Jahren um 36 Prozent steigen, können nur noch die echten Hofnarren des Kapitalismus mithalten – alle Menschen mit gehaltvoller, wertsteigender Arbeit werden aus den Städten verdrängt (siehe WDR), werden so zu Pendlern – was allerdings niemand auf Regierungsebene interessiert, weil es nur Aufgabe des „kleinen Mannes“ ist, die Klimakatastrophe abzuwenden: ab 120000 Euro Einkommen im Jahr ist der Klimawandel für das Individuum offenbar nicht mehr existent – beweist ja auch die Zunahme der Spritfressermobile in dieser Gehaltsklasse.
Ein ehrliches Wort zu Deutschland – jenseits der Parolen der Bullshitjob-Uperclass? Bitte (siehe Süddeutsche):
„Das Ergebnis ist, dass Deutschland auseinanderzufallen droht: hier die prosperierenden Ballungsräume, die zunehmend mehr überhitzen, dort der Rest der Republik, in dem das Leben immer trauriger wird. Es läuft etwas gehörig falsch in diesem Land und auf dem Lande.“
Und Sie glauben immer noch, Deutschland gehe es gut? Das glauben noch nicht mal mehr die Trompeten der Bullshitwirtschaft selber (siehe FAZ):
„Lässt man die Merkel-Jahre Revue passieren, findet man mehrere große Entscheidungen ohne Plan und abrupte opportunistische Wenden – mit gravierenden Konsequenzen für die gesellschaftliche Stabilität und den Wohlstand in Deutschland.“
„Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“: so der Slogan der CDU. Sie werden bald merken – so wie Millionen andere – dass Sie nicht zu diesem „wir“ gehören. Sie … sind ja auch nicht Deutschland.
Deutschland ist nur noch der, der es sich leisten kann … und deshalb geht es dieser gleichsprachigen Lebensgemeinschaft schlecht wie nie.
Und dem wirklichen Deutschland? Der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft der deutschsprachigen Mitteleuropäer?
Geht es schlecht wie nie. Und das ist angesichts der realen Arbeitsleistung, die die Menschen dieses Landes (übrigens auch die Arbeitslosen, deren Job es ist, sich selbst und ihre Kinder mit Mickerbudget vor dem wirtschaftlichen Abgrund zu retten: eine Leistung, für die man eigentlich eine erstklassige betriebswirtschaftliche Ausbildung im Ressourcenmanagement braucht) eine Schande … aber trotzdem alternativlos, oder?
Donnerstag, 18.5.2017. Eifel. Na, Sie Mensch? Schön das es Sie gibt, oder? Ich jedenfalls – finde das Klasse. Ich mag Menschen. Die können schön musizieren, feine Gedanken denken, schöne Texte schreiben, unglaubliche Bilder malen, sich fantastische Geschichten ausdenken und wunderbar tanzen. Auch im Theater sind sie – früher jedenfalls – recht ansehnlich. Nebenbei haben sie die überragende Fähigkeit, sich zusammen zu schließen und kooperativ alle Widerstände aus dem Wege zu räumen. Ja, ich weiß: Ihnen erzählt man anderes. Ihnen erzählt man: „die Erde hat Mensch.“ Gibt ja Menschen, die fühlen sich unglaublich wohl dabei, sich selbst – und vor allem SIE als Krankheit zu definieren, weil eins klar ist: wir brauchen vier mal soviel Planeten wie jetzt, um überleben zu können (siehe z.B. Harald Lesch bei sozialeverantwortung). Das jedoch – lassen Sie sich da bitte nicht hinters Licht führen – liegt nicht am Faktor „Mensch“. Der kam hunderttausende von Jahren superklar mit der Umwelt, konnte singen, tanzen, Geschichten erzählen, Liebe machen, sich zu fernen Sternen träumen und kam mit vier Stunden Arbeit am Tag prima klar. Erst seit 200 Jahren läuft einiges völlig aus dem Ruder – „Wissenschaft und Technik“ kamen, der Naturwissenschaftler und der Ingenieur, sein eifriger Büttel – und schon war Schluss mit der Erde, die bald öde Wüste sein wird. Kann man ja jetzt schon ausrechnen: allein Deutschland wird in 700 Jahren voll zubetoniert sein. Wir haben dann weder Sauerstoff noch Wasser, aber Superautobahnen, auf denen automatische Autos ohne Insassen herrlich herumdüsen können. Sowas kann nur Menschen einfallen, die enorm einseitig begabt sind … und dazu menschlich noch schrecklich unreif (was noch sehr beschönigend formuliert ist).
Natürlich ist Wissenschaft und Technik nicht der allerrichtigste Begriff für diese desaströse, vernichtende Bewegung, die goldene Berge und ein paradiesisches Utopia versprach aber Betonwüste und modifiziertes Arbeitslager samt Massenmenschkäfighaltung brachte, wo man mehr als doppelt soviel arbeiten musste als ehedem. Wissenschaft kann auch wunderbar sein: ich denke nur an die, die jetzt auf die Idee kommen, parallele Welten zu erforschen, wo Zwerge, Elfen und Riesen hausen. Was wie ein Märchen klingt – und den Menschen seit hunderttausenden von Jahren bekannt ist – wird nun logisch bewiesen … mit verblüffenden Erkenntnissen (siehe Grenzwissenschaften):
„Wie Forscher um Gustavo Lucena Gómez und David Andriot vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik gegenüber dem „New Scientist“ erläuterten, basiert ihre Hypothese auf der Frage, warum die Gravitation so deutlich schwächer erscheint als die anderen physikalischen Grundkräfte im Universum. Eine Möglichkeit sehen die Wissenschaftler darin, dass „unsere“ Gravitation auch mit anderen, uns bislang nicht bekannten Dimensionen wechselwirkt.“
So gefällt uns Wissenschaft: immer hinter den nächsten Hügel schauen, immer zum Horizont eilen, wo Wunder lauern. Aber diese Wissenschaft haben wir ja auch nicht gemeint, diese undogmatische Wissenschaft nennt sich seit 3000 Jahren Philosophie und produziert auch so lange schon viel Glück und Zufriedenheit; Probleme bereiten eher die anderen, die sich Wissenschaft und Technik nennen aber nur finstere Lakaien einer vernichtenden, asozialen Wirtschaftsform sind.
Zu hart formuliert?
Folgen Sie mir bitte mal in die siebziger Jahre, wo ich „Wirtschaft“ auf der Höheren Handelsschule kennenlernte. Dort mussten wir im Fach Wirtschaft das „Magische Dreieck“ auswendig lernen: den Kernpunkt einer stabilen Volkswirtschaft. Er bestand aus drei Teilen: Preisniveaustabilität, Vollbeschäftigung, ausgeglichene Handelsbilanz. Ja – das waren noch Zeiten, wo man Inflation doof fand, weil die täglich den Wert des mühsam erworbenen Geldes vernichtete und so dass Vertrauen in das Geld an sich verspielte. Heute freuen sich alle über Inflation – außer die Fleißigen und Sparsamen – weil man mit ihrer Hilfe alle Schulden schnell und wunderbar tilgen kann – auch die Staatsschulden. Wir kurbeln diese Inflation ja gerade gewaltig an, in dem wir die EZB Billionen in die Märkte pumpen lassen – wertloses virtuelles Geld, dass den Wert jeder realen Münze täglich schmälert. Besser fand man … früher … wenn die Preise stabil bleiben, damit man als Privathaushalt Planungssicherheit für die Zukunft hatte … und sich auf diese seltsame Industrialisierung deshalb überhaupt erst einließ.
Vollbeschäftigung war ein weiteres Ziel. Niemand durfte bei dem Tausch Ackerland gegen Industriearbeitsplatz auf der Strecke bleiben, sonst wäre das ganze System in Gefahr geraten – und außerdem ginge die Gleichung nicht auf, wenn man zu viele untätige Menschen mitversorgen musste (aus diesem Grund war Kant gegen „stehende Heere“, die nur verbrauchten, aber nichts sinnvolles produzierten). Wenn alle ständig zum Wohle aller arbeiten würden, würde es allen stetig besser gehen – so die Devise. Und zu tun war ja wahrlich genug.
Ausgeglichene Außenhandelsbilanz: der dritte Stützpfeiler der gesunden Wirtschaft. Kaufen wir zuviel von außen, fehlt uns bald selbst das Geld, kaufen andere von uns zuviel, kriegen wir im Inland Probleme (weil da dann zuviel Geld herumschwebt und das Geld an sich dadurch entwertet). Wir kommen noch dazu, wie wir diesen Wert ruinieren.
In den fünfziger und sechziger Jahren ging es uns mit den drei Säulen des guten Wirtschaftens noch bestens, heute haben wir schon magische Neunecke (siehe Wirtschaftslehre.de), was vermuten läßt, dass alle endgültig den Überblick verloren haben. Lag vielleicht daran, dass das Dreieck zum Viereck wurde … stetiges Wachstum in einer endlichen Welt (also: Irrsinn von Beginn an) wurde mit eingefügt. Wären wir beim Dreieck geblieben … wäre uns vielleicht viel erspart geblieben.
Und was ist mit den drei Säulen des gesunden Wirtschaftens heute?
Versuchen Sie sie mal, im Internet zu finden: ich schätze, Sie werden lange suchen müssen (außer in Gablers Wirtschaftslexikon, da findet man diese alten Werte noch – siehe wirtschaftslexikon.gabler) „Rendite“ jedoch – ist in aller Munde, mit eigenen magischen Dreiecken, die mit der realen Wirtschaft nichts mehr zu tun haben. Schauen wir Deutschland an: wie schaut es aus mit der Beschäftigung? Wissenschaft und Technik bieten der Industrie ständig neue Maschinen an, die noch mehr Arbeitsplätze vernichten: ein aktiver Angriff auf die Volkswirtschaft (und die Vollbeschäftigung), den Politik billigend geschehen läßt. Und Preisstabilität? Der Feind aller, die Schulden haben – und das sind Staat, Industrie und Millionen Bürger … weshalb der Kampf gegen die Inflation nicht so begeistert geführt wird wie erwartet. Ausgeglichene Handelsbilanz? Beim Exportweltmeister? Wir sind stolz darauf, zu jenen zu gehören, die sich selbst auf Kosten anderer sanieren, für uns gibt es sogar einen Namen: „beggar thy neighbor„-Politik nennt man das … und es ist nicht sehr freundlich, füllt man sich doch die eigenen Taschen auf Kosten seiner Nachbarn … und auf Kosten seiner Mitarbeiter, die immer länger für immer weniger Geld arbeiten müssen, damit man selbst immer mehr günstige Autos ins Ausland verkaufen kann. Und auch übrigens auf Kosten der Zulieferbetriebe, die – in meinen Augen ganz zurecht – endlich mal die Notbremse gegen die skrupellose Politik des VW-Konzerns gezogen haben (siehe Spiegel), der extra den „Spitzenmann Lopez“ eingekauft hatte, um die Zulieferer in die Knie zu zwingen (siehe Zeit), damit die Rendite wieder stimmt.
Wo finden wir „Rendite“ eigentlich im magischen Dreieck?
Nirgends.
Geld schafft – so paradox sich das für unsere umdressierten Ohren anhören mag – keine Werte. Lassen Sie sich mal mit 2 Billionen Euro auf einer einsamen Insel absetzen, dann sehen Sie, welchen realen Wert die Scheinchen haben. Wenn Sie Glück haben und Feuer machen können, haben sie noch einen begrenzten Heizwert – mehr nicht. Haben Sie nur einen Laptop mit virtuellem Geld, sterben Sie noch schneller. Eine einfach Rechnung, eine einfach Wahrheit, eine einfach Botschaft: nur Arbeit schafft Werte, nur Arbeit macht reich. Arbeit – das ist aber auch: Gesang, Tanz und Geschichten erfinden.
Jetzt arbeiten sie ja sehr viel (jedenfalls in dem Sinne, was man heute so Arbeit nennt) – und die meisten Deutschen tun es Ihnen gleich (siehe Zeit):
„In der deutschen Wirtschaft wurde nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Anfang 2017 soviel gearbeitet, wie seit 25 Jahren nicht mehr. Nach vorläufigen Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) leisteten die rund 43,7 Millionen Erwerbstätigen demnach im ersten Quartal des Jahres zusammen rund 15,3 Milliarden Arbeitsstunden. Das waren 350,7 Stunden pro Kopf, 3,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Das sei der höchste Wert seit 1992, hieß es.“
Toll, oder?
Wo bleibt denn jetzt Ihr Reichtum?
Nun, was mich wundert: – so ein Quartal hat Maximal 60 Arbeitstage (12 Wochen a´fünf Tage) … die vielen Deutschen, die so fleißig arbeiten, scheinen kaum noch einen Acht-Stunden-Tag zu kennen. Außer Ihnen natürlich: für Sie ist die 50 Stunden-Woche Realität, mit der Sie auf 600 Arbeitsstunden pro Quartal kommen – ohne Lohnausgleich, versteht sich … das würde sich negativ auf den Export auswirken, wenn man für Ihre Arbeit auch noch angemessenen Lohn zahlen müsste. Und zudem sind Sie ja nur noch als Negativfaktor in der Wirtschaft definiert, als „Lohnkosten“ – die Arbeit macht sich für den modernen Manager von heute einfach wie von selbst: und für diese Einstellung wird er super bezahlt, jedes Jahr besser als das Jahr zuvor.
Und Sie?
Bekommen seit 37 Jahren immer weniger ´raus (siehe z.B. das-kapital), es sei denn, Sie gehören zu der Kaste „Chef“, die – genau genommen – überflüssig ist wie ein Kropf und im Detail betrachtet immer und überall enormen Schaden anrichtet (siehe z.B. Xing).
„Rendite“ zerstört die Preisstabilität, weil nur immer höhere Preise immer mehr Rendite garantieren, „Rendite“ zerstört die Vollbeschäftigung, weil Arbeitslosenheere (und eine entsprechende Asozialgesetzgebung) Lohndumping möglich machen, weshalb immer mehr Billionen in Maschinen investiert werden, um Sie als Kostenfaktor im Betrieb völlig zu eliminieren, „Rendite“ zerstört die Handelsbilanz, weil unser billigen Luxusprodukte (genau genommen: unsere Autos – der „Sondermüll auf vier Rädern“, unser Maschinen – Sondermüll ohne Räder und unsere chemischen Produkte – einfach von vornherein schon Sondermüll) im Ausland die heimischen Wirtschaften (und ihre Ökosphäre) nachhaltig zerstören.
Die deutsche „beggar thy neighbor“-Wirtschaft – die auch vor dem Nachbarn im Inland keinen Halt macht – ist ein zerstörerischer, degenerierter, parasitärer Pestilenzwurm, der weltweit Armut und Umweltzerstörung produziert, damit eine kleine Kaste von dekadenten Spinnern immer mehr Zahlenkolonnen auf dem Bildschirm hat: es wird schwierig, diesen Zustand als vollendete Idiotie zu beschreiben – aber nur, weil der deutschen Sprache hier einige Steigerungsformen zu „Idiotie“ fehlen.
Die ideale Grundlage für politische Arbeit, will man meinen: genau dafür hat man sie ja erfunden – um Spinnern Einhalt zu gebieten. Doch dagegen hat die Lumpenelite der Spinnereikonzerne (ja – stutzt man die Spinner nicht beizeiten zurecht, können sie große Konglomerate bilden, die schier übermenschlich und unbesiegbar wirken) eine sichere Methode entwickelt: wenn ich mich recht entsinne, war das der Ackermann (Deutsche Banditenbank), der sich sehr dafür einsetzte, die Diäten der Abgeordneten massiv zu erhöhen, damit die mit ihren Führern (den Managern … die man fein von den Unternehmern abgrenzen muss, die selbst eine Firma groß gemacht haben) „auf Augenhöhe“ entgegentreten können, um ihre Befehle (Entschuldigung: Empfehlungen) entgegen zu nehmen.
So passiert mit dem politischen Willen der Bevölkerung in einer Demokratie etwas ganz besonderes: schafft er es, sich bis nach Berlin durchzuboxen, trifft er dort auf … Reiche jeder politischen Richtung, die vor allem eines gemeinsam haben: den Reichtum. Merkt man, wenn man im Bundestag in der Kantine sitzt und beobachtet, wie kameradschaftlich die auf einmal alle miteinander umgehen und den im Prinzip absolut illegalen Fraktionszwang (der die gesetzlich vorgeschriebene Freiheit und Unabhängigkeit unserer Abgeordneten sofort bei Betreten des Bundestages eliminiert) begeistert und widerspruchslos über sich ergehen lassen. Ist ja auch cool: Verantwortung hat dann immer jemand anderes – irgendein Gespenst namens Fraktionsdisziplin.
Und wenn das Volk trotzdem aus der Reihe zu tanzen droht – wir jüngst in Frankreich – kommt die dicke Keule (siehe Focus):
„Gegenüber „Spiegel Online“ spricht der Frankreichkenner von einem „hochexplosiven Szenario“. Enderlein wörtlich: „Es wäre wahrscheinlich, dass die Finanzmärkte innerhalb von 48 Stunden oder wenigen Tagen den Euro zerstören würden.“
Grund genug, mit der Fremdenlegion die Finanzmärkte fest zu setzen, weil sie die Grundfesten der Demokratie vernichten wollen – aber wir wollen mal nicht ins Träumen geraten. Es reicht, zu wissen, wieviel Souveränität die europäischen Staaten in der Fantasiewelt der Renditewirtschaft noch haben.
Denken sie mal an das magische Dreieck: brauchte man da „Finanzwirtschaft“? Wenn die Firmen produzieren, die Arbeiter arbeiten und wir dem Ausland nicht schaden wollten … wir bräuchten noch nicht mal Banken. Zwar ist das Dreieck deshalb magisch, weil die Teilziele sich zum Teil selbst widersprechen und deshalb kaum vollständig zu realisieren sind – aber es bietet eine Orientierungsrahmen, in der Wirtschaft noch Wirtschaft ist – und nicht Massenproduzent von Massenarmut und – wesentlich seltener – Megareichtum. Ja – bleiben wir doch mal auf dem Boden der Tatsachen, wir, die wir so stolz sind auf unser Milliardäre und sie im kunterbunten Privatfernsehen vergöttern wir leibhaftige Götzen: Milliardär wird man nur dadurch, dass man einer Million Menschen je tausend Euro abluchst (oder die zuvor gesammelte Kohle von Opa erbt – wie knapp 60 Prozent der deutschen „Reichen“). Nicht so schwer, wie es sich anhört – wenn man nur genug Banken im Rücken hat, so wie z.B. Donald Trump – und wenn man den politischen Willen der Bevölkerung neutralisiert – durch Bullshitnews, Bullshitjobs und Bullshitshows.
Sind Sie nun verwirrt? Veränstigt gar? Nun – zumindest wissen Sie jetzt, warum die Deutschen im Jahr eine „ganze Badewanne voll alkoholischer Produkte“ zu sich nehmen (siehe Spiegel), anders wäre diese wirtschafts- und menschenfeindliche Lebenswelt nicht mehr zu ertragen, ohne das man selbst auch noch den Verstand und den Lebenswillen verliert.
Ich gebe zu bedenken: ich habe hier noch nicht mal Kernbereiche sozialistischer Kapitalismuskritik berührt, sondern nur mein altes Wissen aus der Höheren Handelsschule angewandt – kurz bevor wir mit dem magischen Zwölfeck konfrontiert werden, hinter dem nur noch eins steckt: ein gänzlich unmenschlicher, ökonomisch und ökologischer dekadenter Wahn, eine einzige willkürlich durch Reiche aller Parteien gesetzte „Ecke“ (das und wie die das können, entnehmen Sie bitte dem Aufsatz von Christoph Butterwege in der Huffingtonpost), die allein alles Handeln bestimmen soll: die Rendite. Für Leute ohne großes Kapital auf ewig unerschwinglich, während Leute mit Kapital selbst als Minderjährige fröhlich weiter Kapitalballungen schaffen dürfen ohne durch ihre reichen Kollegen im Parlament durch doofe Gesetze gegängelt zu werden (siehe Deutschlandfunk).
Gibt es nun keine Alternativen zum sicheren Untergang der renditeverseuchten, blinden, unter Bequemlichkeitsverblödung leidenden (hierzu: Focus) Idiotengesellschaft, die den Rest der Welt bald rasend schnell in den Suizid von Ökonomie und Ökosphäre treiben wird?
Nun – doch.
Jedenfalls – wenn man Gerald Hüther folgen möchte (siehe Utopia). Seine Antwort ist einfach: Besinnung auf die Würde des Menschen, die in Deutschland nicht umsonst unantastbar an der Spitze des Grundgesetzes steht (was zeigt, wie weit wir schon mal waren).
Würde?
„Bewusstsein des eigenen Wertes und dadurch bestimmte Haltung“ – so informiert uns der Interviewpartner des Herrn Hüther. Und die Folgen der Besinnung auf Würde? Immens:
„Hier geht es um einen Emanzipationsprozess von sich selbst als Mensch und von der Konsumgesellschaft. Denn wenn sich immer mehr Menschen die Frage stellen würden, wer sie sein möchten auf dieser Erde, gäbe es für die Konsumwirtschaft nicht mehr genug Konsumenten. Dann würden die Menschen erkennen, dass das Leben nicht darin besteht, sich irgendwelche Konsumbedürfnisse zu erfüllen. Das wäre ein Totalausfall für alle Werbestrategen.“
Aber wer braucht im magischen Dreieck schon beständig Konsum – oder Werbestrategen?
Und wenn Menschen wieder ihre Würde zurückerhalten … dann werden auch Sie merken, dass sie keine Krankheit (und erst recht kein Kostenfaktor) sind … sondern ganz wunderbare, zauberhafte, liebenswerte Lebewesen.
Wenn Menschen aber als Krankheit der Erde definiert werden, ist zugleich auch Schluss mit der Würde. Aber wer tut so etwas schon – außer „Naturwissenschaftler“ … jene Kaste, die in ihrem Wahn allein verantwortlich ist für den Technikterror durch Terrortechnik.
Bild: Parkwaechter 2017
In einer Studie stellte der US-Unternehmensberater Jeremy Rifkin 150 führenden Managern der internationalen Konzerne die Frage, ob die Welt, die sie gerade selbst durch ihre Arbeit mitgestalten, für ihre Enkel lebenswert sein werde. Die Frage wurde 150 mal – also ausnahmslos – schlichtweg verneint.
Gleichwohl hüten sich die Leistungsträger, dieses Bekenntnis in der Öffentlichkeit abzugeben – wäre ja auch schlecht fürs Geschäft und hätte wohl das umgehende Abserviertwerden der eigenen Person von der Showbühne zur Folge. Dabei ist das Glänzen im Scheinwerferlicht der Science-Avantgarde ja etwas ungemein Ekstatisches – dazu unten aber gleich mehr.
Wenn jedenfalls sogar die Vertreter des führenden Establishments innerlich nicht mehr an die Sinnhaftigkeit ihres eigenen Tuns glauben, dann darf sich auch der gemeine Bürger fragen: wohin führt dann eigentlich unsere Reise? Der Astrophysiker Prof. Harald Lesch macht uns darüber keine Illusionen: „Wir sind alle Astronauten auf dem Raumschiff Erde. Wenn wir weiter so Gas geben, dann fahren wir das Ding vor die Wand“ und fügt hinzu, dass wir mit dem naiven Glauben an neue Technologien gerade dabei sind, den letzten Rest dieses Planeten „zu verfahren, zu verbrennen, zu verleben …“ (siehe YouTube).
Man mag Analysen wie die von Lesch und anderen schon kaum noch lesen, die Zeugnis abgeben über ein nie dagewesenes Artensterben, Vergiftung unserer Ökosysteme, unglaubliche Verelendung von Menschen, eine weitgehend sinnentleerte und erschöpfte Gesellschaft … Hingegen auf den Leinwänden der Konzerne … – läuft ein ganz anderer Film. Denn ungeachtet aller Realität haben die von Lesch als „Mammonesen“ bezeichneten Ökonomen aktuell eine neue Schallplatte aufgelegt. Mit den Schlagwörtern „Industrie 4.0“ und „digitale Transformation der Gesellschaft“ wittern sie in ihren bluetoothverzahnten Mausoleen wieder Frischluft und sehen ein neues Ziel am Horizont, für das es sich zu kämpfen lohnt: Die totale Durchtechnisierung von Mensch und Lebensumwelt, deren Umwandlung zu einer hocheffizienten Technikmaschinerie, mit der der Mensch verschmelzen soll, um schon zu irdischen Lebzeiten in jenem Paradies anzukommen, das uns die Religionen der Menschheit erst im Jenseits anbieten können.
Mit ganzem Herz und bedingungsloser Hingabe sprechen perfekt manierliche Damen, die noch vor wenigen Jahren in einer (inzwischen digital gewordenen) Barbiepuppen-Kinderstube den Wert des Glanzes der Oberfläche internalisieren durften und nun mit großen Spielzeugen und gewaltigen Technologien hantieren dürfen, ihr Credo: „I’m so exited to bring digital transformation to life here…“ (siehe z.B. eine jüngste Microsoft-Technologiekonferenz im u.a. Video).
Über ihren Chef Ken schwärmt sie: „There ist so much energy around him…” und setzt hinzu: “It is so contagious!“ (“Das ist so ansteckend!“) – Der männliche Part der frisch gebackenen Head-of-Marketing-Lady, er heißt eigentlich nicht Ken, sondern Neil, ergänzt nonchalant und breit grinsend auf die Frage, wie es ihm inmitten des futuristischen Gewimmels als General Manager für Microsoft Health Worldwide so gehe:
„I’m havin fun – I’m busyiiii !
Im Video bekennt ein Fachwissenschaftler mit würdevollem Ernst und ganz ohne Scham, worum es sich für ihn dreht: „To get recognition by Microsoft is very, very exiting.“ Auch alle anderen Akteure drücken ihr bedingungsloses Bekenntnis zu Technik und zur digitalen Transformation unserer 4.0 Gesellschaft aus, gegen welche die „Stahler 80“-Zahnpastawerbung ziemlich blass aussieht (Erklärung für Post-Millenials: Strahler 80 war eine bekannte Zahnpasta der 80erJahre. Den mit dieser Pasta geputzen, gebleckten weißen Zähnen ist man in den Jahren vor der Milleniumswende in fast keinem Fernseh-Werbeblock entkommen).
Am Ende des Meetings gibt Microsoft-Abteilungsleiter Ken seinen Appell aus: „Just keep doing it: creating more and more benefit for our customers!“ – woraufhin sein Expertenheer frenetisch ausflippt. Ken hat also die Losung des alten Microsoft CEOs Steve Ballmer geflissentlich internalisiert, wo letzterer mit seinem Monkey Rap schon seinerzeit die Microsoft-Belegschaft in Redmont mantrenartig eingeschworen und zum monotonen Mitklatschen gebracht hat: „Developers, developers, developers … -Developpp !!!“
Dass damals noch gewisse Fragmente des Faktors Mensch mit im Spiel waren, sieht man an dem vielfach kritisierten Achselschweiß, den der Microsoft-Guru während seines fulminanten Auftritts in Massen absondert. So ein unappetitliches Transpirieren wird heute durch porenverschließende Hitech-Sprays mit Aluminiums-Nanopartikeln sicher verhindert und ein CEO kann sogar in Ausnahmezuständen bis kurz vorm Umfallen (so wie der kollabierende BMW-CEO auf der IAA-Messe) vollkommen souverän wirken.
Während globalisierungskritische Menschen mit philosophischer Ader angesichts des umwälzenden derzeitigen Weltgeschehens eher verstört bis hin zu schockiert sind, nach Atem ringen und kaum Worte finden, um das zu formulieren, was gerade wie ein großer Tsunami auf uns zukommt, so haben die wissenschaftlichen Experten, die im Epizentrum des kommenden Tsunamis stehen, nicht das geringste Problem mit dem astreinen Wahn-Sinn, sondern demonstrieren mit all ihrer zu Gebote stehenden Emotion und Überzeugungskraft, wie großartig und paradiesisch die von ihnen vorangetriebene neue Welt sein wird. Mit Wucht, bullig, humorvoll und ohne den geringsten Zweifel an ihrem Tun bringen die Silicon Valley CEOs ihre Mission und ihr Commitment stringent auf den Punkt. In einem der Microsoft-Vorträge erklärt etwa ein junger Gentechnik- Wissenschaftler dem anwesenden Publikum auf charmante Weise die Kunst der Genmanipulation im menschlichen und tierischen Körpern: Eingängig dargestellt mit lustigen Powerpoint-Cartoons, auf denen man sieht, wie eine Schere einfach mal ein bisschen Schnipp in den von der Naturweisheit über Jahrmillionen der Evolution angelegten Gensequenzketten des Menschen macht … höchste Zeit, dass führende Wissenschaftler eines globalen Technologieführer-Konzerns der Natur endlich mal auf die Sprünge helfen und ein paar Dinge zurechtrücken … das Paradies naht also… – so wie uns das auch der GWUP-Nerd und „Science Slam Champion“ Martin Moder auf seinem ProGentechnik-Blog GENau unermüdlich klarmachen möchte, sofern er nicht gerade damit beschäftigt ist, rückständigen Menschen den GWUP-Schmähpreis „Das Goldene Brett vorm Kopf“ zu verleihen oder alternative Denker zu diffamieren.
Aber wer immer noch Zweifel daran hat, dass man es in der Welt der Konzerne in himmlische Sphären bis oberhalb der Seraphim und Cherubim schaffen kann, der möge sich kurz nur einen der Höhepunkte der vorgenannten Technologiekonferenz angucken: eine Rede der IBM Chefin Ginni Rometty:
Beim diesem Videolink wollte ich nur auf die perfekte farbliche Komposition zwischen dem Galakleid der IBM-Grandin und dem Bühnenhintergrund hinweisen. Direkt hinter ihr ein Sonnensymbol, wie man es sonst nur von Gravuren in den Säulenhallen und Altaren der alten Pharaonen kannte. Niemand braucht sich die – im Grunde tödlich langweilige – einstündige Rede der bezaubernden Ginni anhören, deren Inhalt im Grunde auf nur drei Buchstaben beruht: I, B und M, genauer gesagt „I and IBM“ bzw. wie die beiden Einrichtungen wechselweise ihre Großartigkeit steigern. Sie sagt damit im Grunde nur auf eine etwas manierlichere Art genau das Gleiche, was Microsoft-Chef Steve Ballmer schon seinerzeit vor versammelter Arbeitsbienen-Mannschaft in seinem legendären Pig Rider-Ausraster bis zum Jupiter hinaufgebrüllt und damit die gesamte Götterwelt erschüttert hat: „I – LOVE – THIS – COMPANY – YEEEEAH …!“
Der Auftritt Ballmers in Strahler 80-Manier, untermalt mit plattem Happysound der 80er Jahre, erscheint heute vergleichsweise dilettantisch. Obwohl im Kern immer noch dasselbe, legen auf Industrie 4.0 gebürstete CEOs heutigen Zuschnitts eine ganz andere Performance hin. Während man bei Steve Ballmer im obigen Video die brachial nach oben sprudelnden mammonitischen Urgewalten noch relativ unverblümt zu Gesicht bekommt, so haben die smarten Konzernlenker von heute die alte menschliche Eigenheit, dass „der Mund übersprudelt, wovon das Herz voll ist“, längst abtrainiert und sich stattdessen ein bis in die letzte Mundwinkelfalte in perfektem Understatement geschultes Mimikspiel zugelegt, bei dem George Clooney in die Schule gehen könnte.
Wer sich von diesem Mimikspiel bzw. vom Glanz der Oberfläche täuschen lässt, der übersieht, dass selbige Urgewalten, wie sie bei Steve Ballmer kurzfristig einmal zum Vulkanausbruch bzw. ans Tageslicht gekommen sind, immer noch exakt die gleichen sind, wie sie heute die Konzernrealität beseelen bzw. entseelen. Besagte Urgewalten befinden sich heute eben in einem Kernreaktor im Keller bzw. im Bauch des Menschen, wo die radioaktive Strahlung der Kernbrennstäbe das im menschlichen Organismus zirkulierende Wasser bzw. Blut bis zur Weißglut erhitzt und damit die mächtigen Turbinenräder des Kommerzgenerators antreibt. Solcherart als „Schnelle Brüter“ auf zwei Beinen durch die Gegend stolzierenden Kraftwerken sieht man es äußerlich nicht an, welche Urgewalten sie innerlich antreiben. Bluetoothbestöpselt und in feinen grauen Zwirn von Hugo Boss gehüllt, die Visage glatt rasiert und mit Versace-Lotion geölt, fädeln die Global Playboys bei Tag und bei Nacht unermüdlich Deals und Golden Handshakes ein, vernetzen Länder oder melken Cash Cows. Normalsterblichen ist es da ebenso wie jungen Damen aus der Provinz schier unbeschreiblich, dass es Global Playboys, – pardon, Global Players natürlich – gibt, die in unserer Zeit der allgemeinen Erschöpfung und des Burnouts entgegen allem Mainstream „so much energy around them“ haben, dass es einen direkt elektrisiert und man fast andächtig in die Knie gehen muss.
Wer bremst, verliert, ist jedenfalls das fraglose Motto der auf Digitalisierung und „Industrie 4.0“ getrimmten Schnellen Brüter bzw. Global Players. Wer im Rennen auf dem Highway Richtung Grand Canyon gewinnt, darf schließlich zu den ersten gehören, die am Grunde des Grand Canyon ihr zerbröseltes Smartphone wieder aufsammeln und die Champagnerkorken knallen lassen werden (siehe Illustration von Steve Cutts: „The Final Handshake“).
Zurück aber zu IBMs Ginni. Im Konzern aufstrebende Nachwuchskräfte werden angesichts eines solch strahlenden Auftritts der bezaubernden Ginni wohl zweifellos attestieren, dass ihre CEO-Frontfrau „eine Wucht ist“ oder darüber schwärmen, dass „so much energy around her“ ist. Laut Forbes Magazine rangiert Ginni auf Rang 15 der Liste der mächtigsten Frauen der Welt. Wie man sieht, gibt es also in der über 7 Milliarden Seelen zählenden Menschheit scheinbar auch noch ein paar andere Bienenköniginnen – was der Beweis ist, dass an der sonnenbeschienenen Spitze der Pyramide nicht nur ein(e), sondern durchaus mehrere Leistungsträger(innen) Platz haben. In ihrer o.a. Rede drückt Ginni in nähmaschinenartig wiederholenden Rückstichschleifen aus, wie großartig sie es eben findet, es bei IBM bis ganz nach oben geschafft zu haben, sodass am Ende der Rede hoffentlich auch diejenigen, die es nicht bis dorthin nach oben schaffen, sondern IBMs massivem Abbau der immer überflüssiger werdenden Humanressourcen zum Opfer fallen (was im vorigen Jahr ca. 26 Prozent der Belegschaft und damit mehr als 100.000 Mitarbeiter betraf), verstehen, dass ihr Versagen nur daher rührt, dass sie eben nicht ganz so großartige Strahlefrauen, sondern im Hamsterrad nur Minderleister sind – so wie jene heimgekehrte Wiener Betriebswirtin, die ihren vermeintlichen Traumjob in der Apple-Konzernzentrale in Irland mit dem Leben in einer Hühnerbatterie vergleicht und das hochglanzpolierte Arbeitsumfeld als „furchtbar beklemmend und trostlos“ und sich dort „hilflos und entmenschlicht“ erlebt hat (Quelle: Interview in ZIB24 vom 20.03.2017, siehe auch welt.de).
Die implizite Botschaft der Business-Shows an die nachwachsende Generation der Human Resources lautet also: Legt euch mehr ins Zeug, trainiert euch mehr Barbie-Faktor an, übt vorm Badezimmerspiegel bessere emotionale Business-Statements, sammelt mehr Praktika-Erfahrung in den Kaderschmieden der Konzerne, macht Nachtschichten vor den Flachbildschirmen, lasst euch notfalls einen Chip ins Hirn einbauen, der euch mit ein paar Quadcore-Prozessoren und smarten Algorithmen auf die Sprünge hilft, gebt Einfach Alles für das Große Ziel, … dann dürft auch ihr zumindest ein paar Lenze lang bei der CyberNerd-Party zur digitalen Transformation unserer Gesellschaft mit dabei sein. Und wer besonders emsig in der Tretmühle des Kommerz läuft, der bekommt vielleicht sogar ein Ticket ins Elysium.
Durch GWUP-Edutainment restlos in die Zweidimensionalität des nihilistischen Szientismus plattgehämmert und zu fortschritts- und frackinggläubigen Teletubbie-Nerds erzogen, dürfen junge fleißige Arbeitsdrohnen auch heute wieder die Blütejahre ihres Lebens dafür opfern, um einer Pharaonin zu dienen, die gewaltige Pyramiden und Obelisken mit vergoldeter Spitze errichten ließ. Wobei die 30 Meter hohen und ca. 300 Tonnen schweren Obelisken, welche die Pharaonin Hatschepsut um ca. 1400 v. Chr. von einem Heer an tausenden fleißigen Ameisen aus den Granitsteinbrüchen von Assuan meißeln ließ, gegen die heute in Arbeit befindlichen 4.0-Obelisken vergleichsweise blass aussehen. Denn die 4.0-Obelisken werden über die gesamte Erdatmosphäre bis durchs Ozonloch hinaufragen und drahtlos mit allen Dingen vernetzt sein („Internet of things“). Und während die goldenen Spitzen der Hatschepsut-Obelisken nur tagsüber im Sonnenlicht weit ins Land strahlten, um die Arbeiter zu ihrer großen gemeinsamen Aufgabe zu motivieren, so werden die digitalen 4.0-Obelisken sogar in der Nacht auf unsere Köpfe einstrahlen.
Ach ja, ich vergaß Ginnis Gehalt zu erwähnen: im letzten Jahr waren das samt Boni 5,2 Millionen Dollar (Quelle: silicon.de), dh. die Dame bekommt pro Tag ein Salär von über fünfzehntausend Dollar. – Nur ein Klacks im Vergleich zu einer ganzen Milliarde, wie sie z.B. der Blackstone-CEO Stephen Schwarzman für ein Jahr Arbeit einstreift (Quelle: welt.de), ich weiß. Aber bei einer solchen Tagesgage würde, glaube ich, sogar manche graue Hartz 4-Maus augenblicklich zur hochglanzpolierten Strahlefrau mutieren, um vor versammeltem Publikum glückshormonüberschwappend einen auf „Strahler 80“ zu machen. Pardon, wir haben ja upgedatet – „Strahler 4.0“ natürlich. Ich bin einfach noch von gestern.
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Nachsatz:
In Assuan/Ägypten kann man heute noch den größten Obelisken besichtigen, an dem Menschen jemals gearbeitet haben – er wiegt über tausend Tonnen und ist 42 m lang (siehe Foto). Der gigantomanische Hinkelstein hat es allerdings nie aus der Horizontalen in die Vertikale geschafft. Nachdem er schon von allen Seiten frei gehauen war, bekam er plötzlich einen Riss und war somit unbrauchbar. Aller Schweiß, Blut und Tränen, die für das Opus Magnum aufgewendet wurden, waren auf einmal für die Katz‘.
(Warnung: Splattervideo -nichts für schwache Nerven!)
Video by Steve Cutts (siehe Galerie)
in memoriam Steve Geshwister
Sachbearbeiter Ottfried Meier stürzt während einer Flachbildschirmpause vom Dach des 100-stöckigen Büros.
Auf Höhe von Etage 50 schaut gerade sein Kollege aus dem Fenster
und frägt den kopfüber nach unten sausenden Meier:
„Hey, Meier – wie geht’s dir denn so?“
Meier (leicht die Stirn runzelnd): „Nun … so weit – so gut!“
Video (c) Steve Cutts
in memoriam Steve Geshwister
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„Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben
sondern viel Zeit, die wir nicht nutzen.“
Seneca (De brevitate vitae / „Über die Kürze des Lebens“)
Montag, 6.6.2016. Eifel. Es gilt wieder, einen Nachruf zu verfassen. Ob jemand gestorben ist? Das weiß ich nicht. Kann es auch nicht ausschließen. In meinen Augen jedoch: ja. Bleiben wir doch mal beim Thema: Tod. Eins der Tabuthemen unserer Gesellschaft, eins, zu dem ich keine Lust mehr habe, etwas zu schreiben: zu dicht sind im Jahre 2016 die Informationen über „Nahtodeserlebnisse“, zu übereinstimmend und mit hochkarätigen Zeugen besetzt, als dass ich noch Laune hätte, mir dieses „danach kommt ganz sicher nichts“ noch länger anzuhören – es wäre so, als würde man mir verkaufen wollen, dass die Erde eine Scheibe ist. Natürlich ist dies ein politisches Tabu: wer die Überzeugung hat, dass seine Seele ewig währt (und Verantwortung für ihre Taten übernehmen muss – wenn auch nur vor sich selbst, aber nach Maßstäben, die man selbst nicht setzt), kann schnell dazu führen, dass man seinen Leib auch mal für „Widerstand“ einsetzt anstatt dem üblichen „friss Steaks und Hummer, solange du noch kannst“ zu folgen.
Diese Überzeugungen sind so alt wie die Menschheit selbst (so gut wie wir das heute eben nur sagen können) und oft missbraucht für totale Herrschaftsausübung (wie so viele andere Anschauungen auch: wie viele Verbrechen werden allein gerade im Namen der „Freiheit“ durchgeführt – wodurch jedoch die Freiheit als solche nicht schlecht wird und Zwang nicht gut), es ist nur eine winzige Minderheit im Kosmos des Menschseins, die der aktuell modernen Religion des Nichts folgt – die gleiche Minderheit behauptet auch, dass wir – auf einem sehr, sehr jungen Planeten weit ab vom lichtvollen Zentrum der Galaxis lebend – die einzige mit Intelligenz begabte Art des Universums seien, ohne zu realisieren, dass eine Art, die ihren eigenen Planeten vergiftet, genug Atombomben hat, um ihn 200 Mal zu verwüsten und den ganzen Tag damit beschäftigt ist, sich selbst das Leben schwer zu machen, auf der Skala galaktischer Intelligenz weit unter dem Komodowaran steht – und deshalb nicht mit intergalaktischem Botschafteraustausch rechnen darf.
Obwohl die Fortexistenz von „Bewusstsein“ (aber nicht im Sinne des kleinlichen „Ich“ verstanden, das sich so gut auf Börsenoperationen, Steuervermeidung, Sanktionen und andere Angriffskriege versteht) in nahezu allen Kulturen vorhanden war – auch in den allerältesten, die noch mehr dem Instinkt als der Verführung folgten – mochten alle den Tod nicht sehr. Einerseits ist der Prozess des „Sterbens“ nicht angenehm: Millionen von Zellen schütten Botenstoffe aus, die den Geist betrüben – ihr Ende ist gewiss und sie erfüllen ihr Programm, den Geist zu warnen, dass Gefahr droht. Ihnen fehlt das Bewusstsein der Sterblichkeit, sie machen ihren normalen Job bis zum Ende und senden häßliche Impulse, wenn das Überleben in Gefahr ist. Es gibt aber noch mehr, was die Altvorderen stört – obwohl sie in dem Bewusstsein lebten, ewig zu sein – und in dem Bewusstsein, dass dort die „Ewigen Jagdgründe“ auf einen warten – erstmal, als Kur, zur Erhohlung.
Was sie noch störte: die Abwesenheit eines geliebten Menschen, mit dem man nicht mehr interagieren kann – es sei denn, gewitzte Schamanen durchbrechen die Mauer zwischen den Welten, um ein paar Worte auszutauschen (wovor oft gewarnt wurde … wegen „Nebenwirkungen“) … was aber für das Erleben einfach nicht dassselbe ist. Es ist der kleine Tod – den ich selbst jedesmal empfand, wenn ich zu meinen Geschäftsreisen aufbrach und die Kinderschar im Rückspiegel kleiner werden sah: das Jahrtausende alte Recht eines Vaters, seine Kinder groß werden zu sehen, wurde mir genommen, für ein paar Tage waren wieder eiskalte Gesellen meine Gefährten, anstatt meine eigenen Kinder. Da war Trauer – auch wenn ich wusste, dass sie noch lebten … aber es fand kein Austausch mehr statt, kein Miteinander.
Das gleiche gilt für Steve Geshwister, der jetzt von uns gegangen ist. Er hat – sozusagen – die „Hinschmeißfliege“ (siehe oben) gemacht. Ob er tot ist? Nun – Steve hies nicht wirklich Steve, er hieß Jürgen (da verrate ich nichts Neues, nur ein bischen lesen und schon hat man seinen echten Namen). Und für einen solchen Jürgen, geboren 1966, fand ich eine aktuelle Todesanzeige. Der ist aber zu alt für Steve. Hoffe ich. Jürgen lebt also vielleicht noch – auch wenn er selbst genau weiß, dass „leben“ nicht die Bezeichnung ist, die man dieser Existenzform geben würde. Genau das machte ihn ja aus: den klaren Blick hinter den Lügenphrasen, einem Blick, den er in Bilder fassen konnte, Bildern wie diesem hier:
Ja: immer noch aktuell. Die deutsche „Willkommenskultur“ läßt immer noch Menschen im Mittelmeer ertrinken – unter dem Zeichen der Flüchtlingsrettung. Gelebter Wahnsinn, unter dem ein gesunder Geist zerbrechen muss, weil großer Beifall für den Status Quo gefordert wird. „Wir helfen denen, die nicht ersaufen – und Geld genug für die Überfahrt hatten“. „Hungergames live“ – und niemanden störts – außer Steve.
Ja – Steve ist nun tot. Was Jürgen macht, weiß ich nicht. Vielleicht wieder in der Halbzeugfabrik arbeiten (siehe Nachrichtenspiegel). Er hat sich auf jeden Fall offiziell verabschiedet, wie immer in ganz feiner, liebevoller, vornehm zurückhaltender Sprache, die den feinen Geist auszeichnet, der sich selbst in aller Bescheidenheit nicht all zu sehr in den Vordergrund spielen möchte (siehe Nachrichtenspiegel):
„Oben schreibe ich von einem Auszug, doch das stimmt nicht ganz. Ich gehe einfach weg.
Eigentlich hatte ich geplant mein Konto bis zur Dispogrenze abzuräumen, bevor ich mich aus dem Staub mache. Da ist aber nichts mehr, weil mir der Kontostand immer egal war. Er ist mir egal und er wird mir egal sein. Probleme haben komischerweise immer die anderen damit. Der Vermieter zum Beispiel. Es ist die Sozialwohnungsbaugesellschaft der Stadt. Von mir aus könnte es auch irgendein Privatkapitalist sein. Es ist mir egal. Ich wende keine Lebenszeit mehr für das Verfassen einer ordentlichen Kündigung auf, es erscheint mir schlicht nicht sinnvoll. Ich verlasse einfach diesen Ort. Im Rucksack befinden sich eineinhalb Schachteln Kippen und zwölf Dosen Bier, mehr war finanziell nicht drin. Ich trage das gefälschte „England“-T-Shirt vom Vietnamesenmarkt, das vorgibt von Motörhead zu sein und dunkelbraune Cargo-Shorts, deren rechte Tasche ungewohnterweise keine Schlüssel ausbeulen, werde sie nicht brauchen. Der Sommer beginnt gerade, ich werde so schnell nicht erfrieren. Ich weiß nicht, wohin mich mein Weg führt, was mir widerfahren wird und trotzdem habe ich keine Angst. Alles was ich verlieren könnte, lasse ich zurück.
Ich überlege kurz, ob ich das Skizzenbuch und das Bündel Bleistifte, die ich bereitgelegt hatte, in den Rucksack packen soll, entscheide mich dagegen. Mir ist, wenn man es so ausdrücken möchte, die Sinnhaftigkeit bestimmter Arten menschlichen Tuns nicht mehr sehr geläufig. In einigen Augenblicken werde ich den Rechner herunterfahren, den Rucksack schultern, die knarzende Treppe heruntergehen und das Backsteinhaus, die Straße, das Viertel, die Stadt, verlassen.“
Ich selbst – hatte das viel zu spät gelesen. Bevor es darüber Gemecker gibt: ich lese ALLES. IMMER. Aber nicht alles immer sofort. Um eine Bekannte zu zitieren: „bei dem, was Du leisten musst, ist es ein Wunder, dass Du noch nicht in der Anstalt gelandet bist“. Ja: ich habe noch viele andere Baustellen als diese hier. Rechnungen, zum Beispiel. Kinder. Nachbarn. Krankheit, Ämter, Schulen. Bücher würde ich auch gerne weiterschreiben – das hat Spaß gemacht – aber ich kann nicht immer alles auf einmal machen. Und brauche viel mehr Ruhephasen als gesunde Menschen, habe trotz allem einen Textmengenausstoß, den man nur noch selten findet. Was soll ich auch machen – ich kann nichts anderes … mehr. So kam es, dass in all´ dem Trubel (zu dem auch die Obdachlosigkeit eines mir sehr nahe stehenden Menschen gehörte) Steves Abschied erst Tage später bemerkt werden konnte … und wie er es so erzäht – brilliant geschildert wie immer – wirkt es ja auch sehr unterhaltsam, man ist geneigt, die Botschaft dahinter zu überhören … wie ernst dieser Abschied war, merkt man erst viel später, wenn man feststellt, dass alle Kommunikationskanäle gelöscht worden sind. Kein „linophil“ mehr, kein Facebook – und Mails kommen als „Error“ zurück.
Steve Geshwister ist … erloschen, samt vieler unvergleichlicher Kunstwerke.
Mich persönlich hat das sehr überrascht – trotz der mahnenden Worte, die schon lange in seinen Schriften zu finden sind. Eine seiner letzten Arbeiten war: ein Logo für den Menschenschutzbund. Ja – eine ganz alte Baustelle von mir, ein Verein, der endlich Menschenrechte mit Tierrechten gleichstellt, dem Tierschutzverein einen Menschenschutzverein an die Seite stellt. Ich weiß nicht, ob ich es verwenden darf, tue es aber einfach mal ganz frech und schiebe die Gründung des Menschenschutzbundes gedanklich wieder etwas höher auf meine „to do“-Liste – notwendig wäre er schon, sinnvoll auch – in Zeiten, wo Arbeitslose von reichen Bundestagsabgeordneten als „fauler Krüppel“ bezeichnet werden (siehe Theeuropean), wo offen über die Deportation von Arbeitslosen gesprochen wird (siehe gegenHartz), wo die „Alternative für Deutschland“ nach ersten Wahlerfolgen zeigt, dass sie gar keine Alternative ist – außer, dass sie asoziale Politik der neoliberalen Altparteien (hier – brutal viel länger arbeiten für brutal noch weniger Rente – siehe N24) mit neuem Personal durchführen möchte … um nur ein paar „Schmankerl“ zu nennen:
Meine Antwort an Steve – der hier, wie so oft, sehr engagiert war – war leider nicht so schön: ich kann gerade nicht. Mir fehlt aktuell Zeit für alles. Ungern erinnere ich mich auch an meinen Vorschlag, seine Bilder mit meinen Texten zu versehen … steht auch auf der viel zu langen to do Liste, die ich jetzt wohl um ein paar Positionen streichen kann – wie die, zu überlegen, wie man den Verkauf seiner Bilder forcieren kann, denn: jetzt ist er – allen Pläne zum Trotz – völlig verschwunden. Tot – jedenfalls als Kommunikationspartner für Menschen. Vielleicht – ist er ja auch arbeiten. Ein paar Überlegungen dazu hatte er mal angestellt, hier in einem Kommentar (siehe Nachrichtenspiegel):
Bis noch vor wenigen Jahren konnte ich mit dem Begriff „innere Emigration“ nicht besonders viel anfangen. In der Auseinandersetzung mit Künstlerpersönlichkeiten, die jeweils in den Kriegsvorbereitungsjahren des ersten und zweiten Weltkriegs tätig waren, stieß ich auf diesen Ausdruck und konnte ihn für mich nicht so recht fassen. Mittlerweile weiß ich zumindest, wie sich das Bedürfnis nach eben jener inneren Emigration anfühlt.
Auch wenn von ihr besonders im Zusammenhang mit Künstlern gesprochen wird, ist sie möglicherweise ein Abwehrmechanismus größerer Bevölkerungsteile und wieder hochaktuell. Ich denke ernsthaft daran, mich auf mich selbst und meine kleine Miniwelt zurückziehen, acht bis zehn Stunden täglich zur besten Lebenszeit einem Markt anzubiedern, dessen Produkte mich einen Scheiß interessieren (und den ich sogar insgeheim verachte) und der Dinge harre, die da noch kommen mögen.
Ich fühle mich schlicht überfordert. Die Lüge hat das Ruder übernommen, machen wir uns nicht vor. Warum sollte ich dann nicht auch mitlügen? Ich hätte kein Problem damit, die einfältigen Arschgeigen anzulügen, die mithilfe der verlogenen Werbegrafik, die ich ihnen verkaufe, hoffen, auf noch dickere Hose machen zu können. Aber noch schaffe ich es nicht, mich selbst anzulügen. Große Teile der Medien- und Politiklandschaft schaffen das aber schon ganz hervorragend.
„Sich nicht selbst anzulügen“ – ist eine wichtige Voraussetzung dafür, in den „ewigen Jagdgründen“ keine großen Probleme mit sich selbst zu bekommen – ein Wissen, dass uralt ist … und als Gebot unserer ältesten Instinkte (die kann man auch „Gewissen“ nennen) jederzeit abrufbar. Untolerierbar für eine kapitalistische Leistungsgesellschaft, in der der Mensch diese innere Stimme zuerst töten muss, um eine Zeit lang erfolgreich das Geld andere Leute vermehren zu dürfen (was ziemlich idiotisch wirkt, wenn man es so formuliert).
Viele werden sich dies genau einreden: der Jürgen ist vernünftig geworden, er hat den Steve vom Markt genommen und macht wieder den Job des freien Werbezeichners, der sich gut anhört und die Seele auffrisst, so, wie wir unser aller Seele auffressen lassen im Dienste der Rendite unserer neuen Herren.
Ich sehe das nicht ganz so – denn ich sehe seine Entschlossenheit, sich nicht auffressen zu lassen, schon länger, kann sie gut nachempfinden, denn bevor mich der Segen der Krankheit ereilte (ja – ist das nicht eine kranke Welt, in der man für chronische Schmerzen dankbar sein muss, weil sie die Seele davor schützen, von „Bullshitjobs“ zerfressen zu werden, die ein sechsstelliges Jahresgehalt mit sich bringen – und den Tod der Seele vor Eintritt des Rentenalters garantieren), fühlte ich genauso. Lesen Sie es mal bitte in aller Ruhe durch: zum Beispiel den „Autostrich“ (siehe Nachrichtenspiegel), das Smaland-Syndrom (siehe Nachrichtenspiegel), das Gedicht über den Gaukler (siehe Nachrichtenspiegel) – hier findet man einen großen Geist, der sich nicht nur durch Bilder auszudrücken vermag, sondern auch die Kunst der Worte beherrscht, was man besonders in seinem Gedicht über „heilige Abende“ erfahren kann (siehe Nachrichtenspiegel), ein Gedicht, das von Christoph Holzhöfer vertont wurde.
Was ist – wenn „Steve“ nun wirklich mit zwölf Dosen Bier und anderthalb Schachteln Kippen in die weite Welt hinausgezogen ist? Er hat es so schön erzählt, so fein gesponnen, dass man die grausame Wahrheit dahinter einfach überhört: er ist obdachlos. Manche mögen das mutig finden – für mich hört sich das gefährlich an. Da draußen gibt es „Kälte“, der man nicht entkommen kann. Eine Weile vielleicht – dann droht – wenn man Glück hat – das Obdachlosenasyl. Was ist mit seiner Frau, seinem Traum von Familie? Schwer, so etwas unter der nächsten Brücke der A 8 zu leben. Wie weit kommt man eigentlich mit zwölf Dosen Bier? Einen Tag, denke ich. Vielleicht zwei. Dann sind auch die Kippen alle. Und dann … kommt auch langsam der Hunger. Schnell kann sich dann jede Abenteuerromantik in Luft auflösen.
Und doch kann es den Preis Wert sein.
Was fehlt noch an dem Nachruf? Die Wertschätzung seiner Arbeit. Ich mochte sie – so einfach ist das. Die Farben haben mich immer begeistert. Mehr braucht es nicht, um ein Künstler zu sein – Menschen, denen die Kunst gefällt. Einer reicht völlig – er hatte aber tausende. Das „Kritiker“ in erster Linie ein Abwehrreflex des Establishment sind, deren Aufgabe darin besteht, „Fremde“ von den für sie reservierten Schweinefleischtöpfen der Gesellschaft fern zu halten, dürfte Künstlern aller Fachrichtungen bekannt sein. Neu war für mich, dass „Künstler“ aktuell auf „Arbeitgeber“ abstoßend wirkt – das erfuhr ich von einem Berufsbegleiter des Arbeitsamtes, der meinen Kindern bei Bewerbungen hilft und dringend davon abriet, die aktuellen Tätigkeiten des Vaters in der Bewerbung zu erwähnen. „Lehrer“ – wurde da als besser kategorisiert, signalisiert auch einen festen Arbeitsvertrag – den ich gar nicht habe. Hätte nicht gedacht, dass ich als harmloser Blogger schon in die böse Kategorie falle.
An was erinnern wir uns als „Menschheit“ eigentlich wirklich, wenn wir an frühere Zeiten denken? Nun: Kriege. Das wird uns aber nur in der Schule beigebracht. Was überdauert aber ohne Hilfe der Staatsbeamten und Konzernbüttel?
Kunst.
Bildhauerei, Architektur, Gemälde, Lieder, Geschichten, Zeichnungen: noch heute lesen Menschen die Weisheiten der germanischen „Edda“ – während man die preisgekrönten Künstler des letzten Jahres schon nicht mehr kennt – es sei denn, ein Geldmächtiger hält ihre Botschaft auch dieses Jahr für nützlich.
Hier zermalmt der moderne Kapitalfaschismus die edelste Leistungskategorie der Menschheit, treibt sie unter die Brücke.
So wie Millionen andere auch – die einfach nur Lebenskünstler sind – oder sein müssen.
Wieso sich tausende seine Bilder angeschaut haben, aber zu wenig welche kauften, dass er in seiner bescheidenen Sozialwohnung hätte weiter existieren können, weiß ich nicht. Ich kann nur für mich sprechen – Investitionen in Kunst sind gerade in meinem Budget nicht abbildbar, hier nagen Essen, Kleidung und Strom an der Substanz … wie bei Millionen anderer auch.
Und wenn wir uns fragen, warum unsere gewaltigen Geschichtenerzähler aus Hollywood größtenteils auf uralte Geschichten zurückgreifen und schon ihre eigenen Filme von vorgestern wieder neu drehen, so haben wir hier eine Antwort: unser Goethe, unser Shakespeare, unser Beethoven, unser van Gogh, unser Schopenhauer und unser Dali – lebt von Hartz IV oder … wie Steve … auf der Straße. Dort kann man nur schwer Werke leisten, die von Dauer sind, der „soziale Tod“ ist nicht förderlich für die Kreativität.
Das gleiche gilt auch … für „Brotjobs“, die gerade jenen Geist fressen, zu dessen Entfaltung wir auf die Welt gekommen sind.
PS: eine aktuelle Übersetzung des Wortes „Grippel“ kann auch ich nicht liefern, habe mich deshalb – wie andere auch – für das naheligende lautähnliche Wort „Krüppel“ entschieden, weil es der Intention der Rede entspricht. Nur, falls es dazu Fragen gibt.