Donnerstag, 26.3.2015. Eifel. Schrecklich, was da geschehen ist, nicht wahr. Es sterben Menschen. Deutsche Menschen. Echte, deutsche Menschen. Wie ich dem Kommentar von Sascha Lobo im Spiegel entnommen habe, dürfen wir hier zu Recht trauern, weil die deutschen Toten so nahe sind … so nahe, wie das Ehepaar, dass Hartz IV bezog und in seiner Wohnung jämmerlich verreckte, weil das Notstromaggregat nach der Stromabschaltung nicht korrekt lief. Gestorben durch Gas – eine deutsche Spezialität. Sie sind nicht die einzigen, die im Zuge des Hartz IV-Bezuges von ihrem Notstromaggregat vergast wurden (siehe Gegen-Hartz: „Wenn Hartz IV zum Tode führt“). Ja – auch Kinder wurden da schon zum Gas-Opfer. Deutsche Kinder – trotzdem simulierte kaum jemand Betroffenheit, die Kanzlerin schwieg, niemand flog im Hubschrauber an die Unglücksstelle, kein Trauersturm bewegte das Internet.
Ich bin nicht so erschrocken, im Gegenteil: ich freue mich, dass bislang so wenig geschehen ist. Freue mich und wundere mich. 2000 Stinger-Abschussgeräte hatte die US-Regierung den Taliban als Ersatz für die britische „Blowpipe“ gegeben: tragbare Luftabwehrraketen, die russischen Pendants SA-7 Grail wurden schon gegen Zivilmaschinen eingesetzt. Ja, sicher, ich weiß: die reichen nur 3000 Meter hoch, die Zivilmaschinen fliegen 9000 Meter hoch … aber wenn man 6000 Meter Berg unter sich hat? Ginge doch, oder?
Das waren jedenfalls meine ersten Gedanken. Die Unmengen an Terrorwaffen, die die USA, die Sowjetunion und Großbritannien in der Welt verstreut hatten, müssen ja irgendwann mal zum Einsatz kommen, zumal dank außerordentlich intelligenter Außenpolitik die ehemaligen Verbündeten jetzt erbitterte Feinde sind.
Natürlich war ich wütend. Ich bin Vater von sieben Kindern, die von deutschen Lehrern ebenfalls zu allen möglichen Luftreisen verschleppt werden, weil der deutsche Lehrer ja mit dem Wandertag im Hürtgenwald nicht mehr glücklich wird: ohne Stichwort Bahamas sind da doch kaum noch realistische Verhandlungen möglich – scheißegal, ob Fliegen die Umwelt zerstört oder nicht. Ich bin überhaupt kein Freund der Fliegerei – und halte sie auch nicht für sicher. Über 1 000 000 Kilometer bin ich in meinem Leben mit dem Auto gefahren, lebensgefährliche Situationen? Null. Zweimal im Monat bin ich geflogen, lebensgefährliche Situationen? ZWEI. Einmal ein Beinaheabsturz in Salzburg … und eine Beinahekatastrophe nahe Johannisburg. Fliegen ist nicht sicher – und niemand soll mir erzählen, dass 24 Jahre alte Flugzeuge besser sind als 24 Jahre alte Autos: Materialermüdung macht doch vor dem Status nicht halt. Und richtig Gewinn macht man mit uralten Möhren. Jede Landung … JEDE Landung ist nichts anderes als ein kontrollierter Absturz … beichtete mir mal ein MiG-Pilot. Manchmal gerät der Absturz dann halt außer Kontrolle … ganz sicher gerät er irgendwann mal außer Kontrolle, man weiß nur nie genau, wann.
Nun denn – wie heute gemeldet wird, sieht es augenblicklich so aus, als ob der Pilot die Maschine absichtlich zu Bruch geflogen hat. 13000 Selbstmörder haben wir im Jahr in Deutschland (wir schauen da aber nicht so genau hin, weil es den heile-Welt-Mythos der Kanzlerin und der deutschen Medien zerstören könnte) – offenbar wollte einer von denen mal nicht allein gehen. Viele gehen wegen Hartz IV, zwei Fälle davon kenne ich näher: die Angst vor der kompletten Selbstaufgabe, der vollständigen Kontrolle durch Fremde und dem teilweisen Entzug normaler Menschenrechte sitzt tief.
Reden wir aber nicht über die Hartz-Toten … ich höre schon jetzt den Vorwurf, ich würde die armen Opfer des Absturzes politisch instrumentalisieren wollen. Trauert man nicht normkonform, setzt man sich schnell gehässigster Kritik aus, dass wollen wir heute mal lassen: Gehässigkeit ist auch eine Form des Todes – jedenfalls des Todes von Menschlichkeit.
Ja, Wut war da. Wut auf die ganze ignorante „Wir-fliegen-die-ganze-Welt-zu-Tode“-Kultur jener Konsumzombies, denen man erfolgreich verkauft hat, dass es gut tut, drei mal im Jahr dem Ausländer zu zeigen, wie überlegen doch der Deutsche ist – so überlegen, dass er ungestraft durch fremde Länder trampeln kann, als würden sie ihm gehören. Scheinbar kann der Deutsche nicht anders als durch fremde Länder zu trampeln … seien wir froh, dass er gelernt hat, dies unbewaffnet zu tun.
Wut auf die Sprüche, die reflexhaft sofort kamen: „Fliegen ist sicher!“. 150 Leichen … wenn man überhaupt noch Teile von ihnen findet … aber „Fliegen ist sicher“. Merkt keiner, wie makaber das ist? Fliegen ist eben nicht sicher: 150 Tote sprechen da doch eine Sprache, die deutlich genug ist, oder geht es noch deutlicher?
Ständig neue Statistiken beweisen uns immer mehr, wie unglaublich sicher fliegen doch ist … weil hier ein gigantischer Wirtschaftszweig um seine Existenz ringt. Ein Pilot hat mir mal erzählt, dass die Studien nicht ganz korrekt sind, man müsste außer den Kilometerzahlen auch die Benutzungshäufigkeit in die Berechnungen einfügen … das war direkt nach dem Beinahe-Absturz in Salzburg, der Mann saß neben mir. Nach dem Erlebnis habe ich ihm sofort geglaubt, ja: ich hätte da noch eine andere Berechnungsgrundlage – man sollte die Toten noch besonders herausstreichen, die aus nicht notwendigen Gründen im Flugzeug saßen und mit jenen abgleichen, die nicht fliegen, wenn es nicht notwendig ist: Sie werden staunen, was da für Zahlen herauskommen.
3,5 Milliarden Fluggäste erwartet man für 2015 (siehe Welt). Wie viele davon sind wirklich unverzichtbar? Ich schätze mal: kein einziger. Auto fahren ist nicht ganz so unverzichtbar … wir haben also eine Quote von 100% sinnlosen Toten bei Flugzeugunglücken … bei Autos ist die absolute Zahl der Toten zwar höher … die prozentuale Zahl der verzichtbaren Toten aber deutlich niedriger. Ach – es gibt Menschen, die müssen wirklich fliegen? Geschäftsleute, zum Beispiel? Sie sprechen hier mit einem ehemaligen: ich kann Ihnen sagen – ich habe nicht einen Flug absolviert (von einigen hundert) der wirklich unverzichtbar gewesen wäre. Wir haben nicht mehr das Jahr 1915: moderne Kommunikationselektronik erlaubt die vollständige Streichung jeglicher Geschäftsreisen … wenn es nicht nebenei darum ginge, dem öden Büroalltag zu entkommen – der Hauptgrund für Geschäftsreisen.
Man merkt immer noch keine Trauer bei mir?
Nein, die gibt es auch nicht.
Im Gegensatz zur absoluten Mehrheit meiner Mitmenschen weiß ich, dass ich sterben kann und ganz sicher sterben werde. Das ist mir absolut gewiss. Könnte jetzt schon sein – der „plötzliche Herztod“ ist eine häufige Todesursache mit weitgehend unbekannter Ursache. Da gibt es dann noch eine Dosis Tastensalat auf dem Bildschirm … und dann geht die Reise weiter. Oder auch nicht – aber eine Alternative dazu gibt es nicht. Wozu also trauern … obwohl ich mit einigen Opfern im vierten Grad verbunden bin (ja: ich kenne jemanden, der jemanden kennt, der mit Opfern befreundet war, wie ich heute erfuhr). Es ist aber nicht meine Einstellung zum Tod, die meine Trauer im Zaum hält … es ist einfach die Sintflut von Leichen, die sich täglich über meinen Bildschirm ergießt, die mich hat abstumpfen lassen.
Nehmen Sie mal nur den „Krieg gegen den Terror“. Eine Million Tote in zehn Jahren. Das macht PRO TAG fast DOPPEL SOVIEL wie bei dem Absturz der German-Wings-Maschine. ALLES vermeidbare Tote. Alle ermordet – jedenfalls im Sprachgebrauch zivilisierter Menschen, Barbaren sprechen da anders, sie reden dann von „Krieg“ – einem Zustand, in dem Morden von heute auf morgen erste Bürgerpflicht wird … ein Wahn sondergleichen.
Für mich sind das nicht nur Zahlen, für mich sind das Menschenleben. Genauso viel Wert wie Schüler aus Haltern. Viele von ihnen deutlich jünger, noch mehr von ihnen deutlich weniger priviligiert, und nahezu alle hatten gar keine andere Wahl: die traf der Pilot der Morddrohne für sie. Tot durch Mord finde ich halt noch schlimmer als Tod durch vermeidbaren Unfall. Und was bedeuten schon die eine Million Toten im Krieg gegen den Terror, wo doch jedes Jahr weltweit mehr an Autounfällen sterben … und noch mehr an Behandlungsfehler durch Ärzte – wobei ich einfach mal unterstelle, dass Ärzte im Ausland prozentual soviel Menschen umbringen wie in Deutschland, wo sie es auf eine Strecke von 19000 jährlich bringen (siehe Manager-Magazin).
Merken Sie, warum ich die Trauergesänge, die Beileidsbekundungen, die Betroffenheitsaufführungen in Medien und Politik für Heuchelei halte? Die beiden Berufsgruppen sind sich des vermeidbaren Massensterbens um uns herum voll bewusst … und sollen wirklich durch 150 Tote aus der Bahn geworfen worden sein? Wir haben 10 000 Selbstmorde im Jahr … darunter viele Kinder – gerade nach Zeugnisvergabe ein bekanntes Phänomen. Was tun wir dagegen? Vielleicht mal die nichtssagenden Zeugnisse abschaffen? Aber nicht mit dem deutschen Lehrer, er braucht seine Noten wie seine Hausaufgaben und seine Fernreisen. Keine einzige Träne wird suizidalen Jugendlichen nachgeweint … dabei sind wir modernen Materialisten die einzige Kultur, die suizidale Kinder hervorbringt, d.h.: da könnte man was tun.
Tut man aber nicht.
Ich nehme nicht einem Politiker seine Trauer ab – eben so wenig auch nur einem Journalisten. Die waten täglich durch Blutströme – aber wenn es opportun ist, hat man auf einmal Gefühl? Da wird seit Monaten – aktuell gerade wieder deutlicher – über Krieg gesprochen … Krieg mit Russland … man macht Drohgebärden, verlegt Streitkräfte, malt Horrorbilder in übelster Kriegspropaganda an die Wand, die den Feind ganz nach alter Manier als Ungeheuer darstellt, der womöglich auch kleinen Kindern ihren Teddybär klaut – aber ein kleiner Unfall mit Todesfolge treibt die alle vor lauter Betroffenheit zum Unfallort? Jene Politiker, die sich gerade anschicken, mit dem Leben von Millionen junger Menschen Krieg zu spielen, bzw. die Entgleisung der politischen Lage in diese Richtung billigend in Kauf nehmen anstatt wie in den letzten Jahrzehnten hochwertige diplomatische Arbeit zu leisten, um den Frieden zu sichern und die Völkerverständigung voran zu treiben?
Ebenso nimmt man eiskalt und gefühlslos billigend die Toten durch die letzte „Sozialreform“ in Kauf … und wie ich heute hörte, plant man eine Kürzung der Grundsicherung für Rentner. Hoffentlich war das ein Gerücht … doch leider zeigt die Erfahrung, dass solche Horrormeldungen in Deutschland seit einigen Jahren die Tendenz haben, wieder wahr zu werden. Da werden sich wieder Leute selbst vergasen, um nicht erfrieren zu müssen. Stört das irgendeinen der kalten Entscheider?
Und die Presse, die die ganze Entwicklung wohlwollend begleitet … auch die aktuellen Forderungen nach brutaler Enteignung der Rentner, um an ihren Wohnraum zu kommen? Darf man sie wirklich Lügenpresse nennen, obwohl sie so rührig betroffen ganze Regale voller Beileidsbekundungen produziert, um zu demonstrieren, wie empathisch, sozial, mitfühlend man auf einmal geworden ist … und eigentlich im Prinzip immer schon war?
„Kollektive Fassungslosigkeit“ ordnet der Spiegel heute für den großdeutschen Sprachraum an (siehe Spiegel): so soll man Empfinden, weil ein Siebenundzwanzigjähriger aus der schönen Gemeinde Montabaur sich einen sehr eindrucksvollen Suizid gegönnt hat.
Und wenn es doch eine Stinger war, eine Grail, eine Blowpipe?
Würden wir nie erfahren: 3,5 Milliarden Kunden wollen abkassiert werden – dafür gegen alle über Leichen. Alle. Die großen Fluglinien weigern sich seit Jahren, ihre Maschinen gegen diese Gefahr mit Gegenmaßnahmen auszustatten … weil es ihnen zu teuer ist. Lieber riskiert man Tote. Und heuchelt Betroffenheit, wenn die Katastrophe eintritt: aber dann mit voller Breitseite, aus allen Rohren und in allen Tonlagen: das spart Geld, sieht super aus und bringt coole Publicity.
Wissen Sie, welche Nachricht mich in den letzten Tagen fassungslos gemacht hat? Wieviele Tote mich erschrocken haben?
Das kann ich Ihnen sagen: Milliarden von Toten waren es – im Jahre 1983.
Wissen Sie nicht, nicht wahr?
1983 war es der Mut eines einzigen Russen, der den weltweiten thermonuklearen Krieg verhindert hat – eines Krieges, der schon unaufhaltsam ablief. Die Nato hatte in diesem Jahr einen Atomkrieg simuliert (siehe Übung „Able Archer“), ein Computerfehler meldete irrtümlich den Abschuss einer Reihe von US-Langstreckenraketen … doch Stanislaw Petrow, verhinderte, dass der Gegenschlag ausgelöst wurde. Hätte er anders entschieden … hätte heute niemand mehr Gelegenheit zum Trauern.
Wir arbeiten auch wieder konkret auf solche Zustände hin – wie der Spiegel am 8. 2.2015 berichtete (siehe Spiegel):
„Die Ukraine-Krise hat die Nato und Russland in den Kalten Krieg zurückgeworfen. Die Zusammenarbeit bei der nuklearen Sicherheit wurde eingestellt, ein „Rotes Telefon“ gibt es nicht mehr. Experten halten das für extrem gefährlich.“
Sowas – macht mich gerade betroffen. Ich frage mich: wenn ich schon 1983 nichts über den Atomkrieg erfahren habe, der fast über mich hereingebrochen wäre … was erfahre ich aus Gründen der „staatlichen Sicherheit“ dann heute nicht? Und was wissen Journalisten alles, worüber sie nicht schreiben?
Das da streng selektiert wird, habe ich nach einigen Gesprächen mit Journalisten im letzten Jahr deutlich erleben müssen: veröffentlich wird nur, was ins Bild passt. Passt der aktuelle Gesprächspartner nicht ins Bild, dann sucht man so lange, bis man seine Gurkentruppe zusammenhat: irgendwer wird sich da schon finden, der die vorgefertigte Meinung über Putin, Russland oder Hartz IV unterschreiben kann.
Mein Wunsch nach dem heutigen Tage?
Meidet Flieger. Erweist den Toten Respekt, lasst es die letzten Toten sein – und stellt den weltweiten Flugverkehr ein. Zeigt, dass die Betroffenheit echt ist. Die Fliegerei ist von Vorgestern, kein Mensch braucht sie ernsthaft wirklich. Die Umwelt – und die Anlieger von Flughäfen – werden Euch dankbar sein … ebenfalls viele tausend Menschen der Zukunft, die noch nicht dran waren mit ihrem Absturz.
Kümmert Euch um die jungen Menschen, die freiwillig aus dem Leben scheiden: nichts zeigt deutlicher, wie erbärmlich und wahrhaft wertlos unsere Kultur ist, als junge Menschen, die sich freiwillig das Leben nehmen.
Und misstraut Regierung und Medien, die gerade den Tod der Menschen missbrauchen, um sich selbst toll ins Rampenlicht zu stellen. Sie berichten nichts über den atomaren Holocaust – obwohl er täglich ins Programm gehört, nichts über Stinger, Grail und Blowpipe oder über die politischen Intrigen, die solche Geräte weltweit verteilen, wenig darüber, wie einer der größten Waffenexporteure der Welt tagtäglich massenhaft Todesmaschinen ins Ausland verkauft … oder wie unsinnig und gefährlich die ganze Fliegerei eigentlich wirklich ist.
Wissen Sie, was der Focus 2007 meldete? Ich zitiere mal (siehe Focus):
„Rund zwei Milliarden Menschen fliegen pro Jahr weltweit. Allein in der Bundesrepublik waren es 2006 154 Millionen. Tendenz stark steigend. Und das hat Folgen für das Klima. Dem Bericht der internationalen Klimaforscher von 1999 zufolge betrug der Anteil des Flugverkehrs am vom Menschen verursachten Treibhauseffekt 1992 etwa 3,5 Prozent. Aktuelle Schätzungen gehen sogar von einem Anteil von rund neun Prozent aus.“
2015 sind es 3,5 Milliarden. Alles überflüssige Lustreisen … die manchmal ganz übel ausgehen. Können wir damit jetzt endlich aufhören? Oder brauchen wir wirklich 2030 soviel Flugreisende, wie der Planet Bewohner hat, nur damit die Erde demnächst auch ganz sicher wie der Mars aussieht?