Dienstag. 6.6.2023. Eifel. Es gab mal eine Zeit, da hatte ich die Hoffnung, dass der offizielle „Journalismus“ – also: die Professionellen – sich wirklich um alle interessanten Themen kümmern würde, wenn man sie nur darauf aufmerksam macht. Die Zeit ist lange vorbei. Heute berichten sogenannte „Journalisten“ lieber darüber, wer alles Nazi ist, machen die Meinungspolizei für die Reichen und Mächtigen oder die Gratiswerbeabteilung für Pfizer, wenn sie nicht gerade bahnbrechende Artikel über den neu eröffneten Baumarkt in der Nachbargemeinde schreiben – oder die neue Blume in Nachbars Garten. So hatte ich sehr gehofft, dass ich mal mehr erfahre über den Bohemian Grove, jenen seltsamen Club der Reichen und Mächtigen, der in den USA sein Unwesen treibt – doch: weit gefehlt. Ein Artikel bei Neopresse über den Grove (die gibt es so nicht mehr, sind mal verkauft worden an einen Investor, der da jetzt seine Finanzpropaganda macht) hatte weit über 100 000 Leser – und doch kam es nicht zu einer Aufarbeitung der Problematik durch die Bezahlmedien … was mich wunderte, immerhin wusste man ja einiges über den Grove – vor allem über die bizarren Kulte die dort stattfinden.
Wie war ich eigentlich auf den Grove gekommen? Nun – es gab ein Buch (Alfred Schütze, Das Rätsel des Bösen) auf das ich gestoßen war, als ich als junger Student nach den Ursachen für die unglaubliche Barbarei der Nazizeit suchte, für die es meiner Meinung nach im Rahmen der Wissenschaft nur halbherzige Erklärungen gab – vor allem im Bereich der deutschen Wissenschaft, die oft sprachlos vor dem Grauen im eigenen Land stand. Ich hatte dieses Buch nicht verstanden, auch Jahre später noch wusste ich nicht so Recht, was der Autor mir sagen wollte, erst viele Jahre später – beim dritten Mal – verstand ich seine Schlussfolgerungen. Eine interessante Perspektive, die zu gewissen spannenden Momenten der Erkenntnistheorie passte, die zu erläutern hier zu weit führen würde. Schütze postulierte auch, dass „das Böse“ – für ihn eine „Geisteskraft“ (was wir hier mal neutral stehen lassen wollen – das Weltbild der Anthroposophie muss man dafür nicht teilen) – einen Tempel auf Erden errichten wollte: das wäre das nächste Ziel. Nun gut: das war mal was Handfestes, also machte ich mich auf die Suche nach Orten, die so einen Tempel darstellen könnten: immerhin war das Buch älter (meine Ausgabe war von 1969) – da sollte das Böse doch mal zur Tat geschritten sein.
Neben vielen spannenden Orten, einigen satanischen Zirkeln (alles oberflächlicher Mumpitz – neben manch nur rein antikirchlichen eher naturreligiösen Ausprägungen), einer grausamen Pädophilieszene (deren geistigen Background ich derzeit noch nicht vollends nachvollziehen kann, einiges – vor allem persönliche Gespräche mit Therapeuten – deutet auf einen dunklen religiös verbrämten Kult hin, der die an sich schon gruselige Pädophilie als oberflächliches Aushängeschild benutzt) fand ich einen, der besonders finster wirkte: den Bohemian Grove.
Der Grove hat eine interessante Geschichte: es waren Künstler, Journalisten, Autoren die ihn anfangs schufen – als Bohemian Club, ganz vorne mit dabei: Ambrose Bierce, ein Journalist und Autor – manche hielten ihn einen Menschenfeind, anderen galt er als sehr hilfsbereit und liebenswürdig – der in den Wirren der mexikanischen Revolution von Pancho Villa 1914 spurlos verschwand. Später jedoch entdeckten die Mächtigen der USA diesen Ort für sich – einen Ort, der nur Männern vorbehalten war … und es – trotz aller Theorie der Gleichberechtigung in den USA – bis heute blieb. W.Domhoff schrieb 1975 ein Buch über die Orte der Mächtigen, in dem der Grove eine zentrale Rolle spielte: „Bohemian Grove und andere Rückzugsorte: Eine Studie zum Zusammenhalt der herrschenden Klasse“ (Übersetzung laut Google). Das sich die herrschende Klasse zusammenrottet, sich jedes Jahr für zwei Wochen trifft, dort Gespräche führt, deren Inhalte für immer geheim bleiben, darf schon nervös machen – allerdings scheint das unsere Baumarktjournalisten nicht zu interessieren. Sie suchen eh lieber dort Nazis, wo man garantiert keine findet: das ist auch sicherer: man möchte ja nicht auch spurlos verschwinden. Echte Nazis – nun ja: sind lebensgefährlich. Dann lieber Menschen diffamieren, die nur der Konzernpropaganda nicht sofort kritiklos verfallen, Menschen, die das Recht auf die Unversehrtheit ihres eigenen Körpers in Anspruch nehmen, bei wissenschaftlichen Debatten auch mal alternative Meinungen zulassen: das ist weniger gefährlich, die sind in der Regel komplett unorganisiert, im Prinzip unpolitisch und vor allem neigen die nicht zu Mord und Totschlag – was echte Nazis nun mal auszeichnet.
Selber stellen sich die Grover als durchaus harmlos dar (siehe Bohemian Club, Übersetzung laut Google):
„Der Bohemian Club ist ein privater Verein, dessen Mitglieder aus Herren bestehen sollen, die beruflich mit Literatur, Kunst, Musik oder Theater zu tun haben, sowie aus Herren, die aufgrund ihrer bewiesenen Liebe oder Wertschätzung für diese Objekte, ihres Temperaments, ihres Intellekts, und ihr Engagement bei der Teilnahme an Clubaktivitäten machen sie zu würdigen Begleitern in der künstlerischen Gemeinschaft.“
Ein exklusiver Club. Die Wartezeit für die Aufnahme beträgt 15 bis 20 Jahre. Zu den dauerhaften Mitgliedern gehören: Henry Kissinger, Alan Greenspan, Richard Nixon, George Bush Senior, George Bush Junior und Arnold Schwarzenegger (siehe Wikipedia) – mag jeder selbst entscheiden, welchen künstlerischen Aktivitäten die genannten Herren nachgehen. Kriegskunst gilt wohl auch. Herbert Hoover und Ronald Reagan gehören in die Liste – Präsidenten der USA sind dort gern gesehen (siehe BBC).
1982 widmete der Spiegel dem Grove mal seine Aufmerksamkeit: damals noch kritisches Nachrichtenmagazin anstatt Meinungspolizei. Lauschen wir mal, wie er beschreibt, was man dort erwarten kann (siehe Spiegel):
Unter riesigen Mammutbäumen, nahe einem kleinen See, steht eine rund zehn Meter hohe, moosüberwachsene Eulenskulptur. Davor sind Holzkloben zu einem Scheiterhaufen aufgeschichtet. In lange rote Gewänder gekleidete Männer tragen eine Figur herbei, bringen sie zum Scheiterhaufen und entzünden ihn unter Sang und Klang. Eine Band spielt das Lied »Heiße Zeiten in der alten Stadt«
Wir erfahren nebenbei, dass noch mehr US-Präsidenten dort waren: Coolidge, Eisenhower, Ford. Und dieses Lied? Lauschen wir ihm ebenfalls (siehe lyrics.com):
„Und du bekommst eine Hasenpfote, um die Hoodoos fernzuhalten. Wenn Sie hören, dass die Predigt begonnen hat, Beuge dich tief, um deine Sünde zu vertreiben. Wenn du Religion bekommst, wirst du schreien und singen wollen, Heute Abend wird es in der Altstadt heiß hergehen!“
Hasenpfoten, die die Unglücksbringer fern halten sollen, Scheiterhaufen, lange rote Gewänder, alles vor einer großen Eulenfigur – würde ich diese Hobbys bei einem Bewerbungsgespräch benennen: ich denke, meine Chancen stünden nicht mehr so gut. Und unpolitisch sind die auch nicht (siehe Spiegel):
„Hier traf in den 30er Jahren der Atomphysiker Ernest Lawrence beim Geschirrspülen auf den Finanzier William Crocker und erhielt 75 000 Dollar für seine Forschungen, die grundlegende Voraussetzungen zum Bau der Atombombe schufen.
Im Bohemian Grove kamen Ronald Reagan und Richard Nixon 1967 überein, Nixon den Vortritt für die Bewerbung ums Präsidentenamt zu überlassen. Und voriges Jahr kündigte Caspar Weinberger hier an, daß sich die USA nunmehr auf zweieinhalb statt auf eineinhalb Kriege vorbereiten müßten.“
Das auch die Schwergewichte der Wirtschaftselite hier regelmäßig zusammentreffen – sicher nur Zufall. Und auch wenn alles an Verschwörungen einer gesellschaftlichen Elite gemahnt, die dort Geschlossenheit praktizieren, dürfen wir darüber keine Theorien bilden – auch wenn der Spiegel sowas 1982 noch andeuten durfte. Heute würden die Baumarktjournalisten ihn dafür sicher eindeutig als „Rechts“ einstufen.
2008 widmete die Frankfurter Rundschau dem Grove noch einen Artikel und bestätigen nochmal die Rituale (siehe FR):
„Von einer Holztribüne aus verfolgen die gut 2000 Mitglieder des Clubs ein Ritual, bei dem vor einer 15 Meter großen Eulenstatue aus Stein mit Roben und Kapuzen als Hohepriester verkleidete Personen eine Menschenpuppe auf einem Altar verbrennen.“
In dem Film „Dark serets: inside the Bohemian Grove (aktuell kaum noch auf you tube zu finden abgesehen von einer Version mit kroatischen Untertiteln, aber käuflich zu erwerben) kann man sich selbst ein Bild machen von den Inszenierungen der US-Elite – und sich selber fragen, wie man wohl drauf sein muss, um daran Freude zu haben. Ich finde simulierte Menschenopfer nicht schön – auch wenn sie die Elite von Sorgen erlösen. Ebenfalls dort zu sehen: die Menschenpuppe scheint recht klein zu sein – ein Kind. Das die Bildzeitung mögliche Kinderopfer ins Gespräch bringt, sei hier nur am Rande erwähnt.
Was uns mehr interessiert: wie passt das eigentlich zusammen?
Nun – schauen wir nochmal in den Spiegelartikel: es waren „hauptsächlich Frauen aufs Korn genommen„. Die 2000 mächtigsten Männer der USA … treffen sich einmal im Jahr für zwei Wochen, um sich über Frauen lustig zu machen … trotz ihrer übervollen Terminkalender? Bei einer Aufnahmeprozedur, die „selbst dem KGB alle Ehre machen würde“? (beide Zitate aus Spiegel, a.a.O.).
Nun – machen wir es wie der Professor in dem Hollywood-Schinken „Sakrileg“ – konzentrieren wir uns auf die Symbolik. Wir finden dort eine religiöse Gestalt, die mit einer Eule assoziiert ist (siehe artedea): Lillith. Ihre Geschichte ist vielfältig erzählt (zum Beispiel bei den Töchtern der Lillith), kurz gesagt: sie war die erste Frau Adams, wollte sich ihm aber nicht unterordnen. Dann kam Eva – über die sich die Grover jetzt lustig machen. Lillith wurde aus dem Garten Eden verbannt, gilt unter anderem als Mutter der Dämonen – und mag keine Kinder. Und keine Menschen – sind ja alles Kinder ihrer Nachfolgerin Eva.
Wir wollen nicht so weit ausschweifen und vergessen kurz, dass Künstler – nach alten Vorstellungen – ebenfalls die Nähe eines „Daimon“ genießen (siehe Myzel.net) „Mythographisch gesprochen fungiert der geniale Künstler als Medium einer höheren Macht und Idee, von der er besessen ist. Der Genius oder Dämon fährt in den Künstler und inkarniert in seinem Körper, um vergleichbar einem Avatar“. Aber wir dürfen festhalten, dass jene Menschen, die Menschen – in erster Linie Frauen – ausbeuten, einengen, erniedrigen, entwürdigen, in Massen in den Tod schicken dort eine geistige Heimat finden können, die ihnen sehr zuspricht. Sie verleiht ihnen – als Diener Lilliths, der reinen, wahren, ersten Frau – eine gewisse Exklusivität, aber vor allem: eine Ausrede für all´ ihre Taten. Sowas brauchten selbst die Nationalsozialisten, die sich für ihre Massenmorde auch schöne Geschichten zurecht legten.
Nochmal was aus dem Lied, dass die Grover jedes Jahr hören? Bitte schön (siehe Lyrics):
„In dieser guten, guten alten Stadt wird es Mädchen für jeden geben, Da sind Miss Gonzola Davis und Miss Gondoola Brown, Da ist Miss Henrietta Caesar, und sie ist ganz in Rot gekleidet; Ich umarme und küsse sie einfach und dann sagte sie zu mir; „Bitte, oh bitte, oh, lass mich nicht fallen, Du gehörst mir und ich liebe dich am meisten! Du bist mein Mann, ich werde überhaupt keinen Mann haben, Heute Abend wird es in der Altstadt heiß hergehen!“
Was das mit Lillith zu tun hat? Nun – das ist einfach erklärt (siehe Standard):
„Jenen Aspekt der offensiven, ungezügelten weiblichen Sexualität, die als antizivilisatorische Bedrohung geschildert wird, finden wir bei dem späteren jüdischen Lilith-Mythos in gesteigerter Form.“
Wäre ich so ein Professor für Symbolik – ich würde sagen, dass da in den Wäldern Kaliforniens eine an sich schon unheilige Elite einen dunklen Kult zelebriert, der im Kern frauenfeindlich ist (im weiteren Sinne auch kinderfeindlich – und menschenfeindlich wie ihr Gründer Ambrose Bierce), sich aber gut dafür eignet, die eigenen scheusslichen Verbrechen gegen Natur, Umwelt und Mensch schön zu reden – und als Nebenwirkungen eines guten Kultes klein zu deuten.
Aber ich bin ja kein Professor für Symbolik, nur ein kleiner Feld-Wald- und Wiesenphilosoph, der sich wünschen würde, dass investigative Journalisten das Phänomen mal gründlicher durchleuchten, damit ich weiß, was da eigentlich los ist – und ob dort jener Tempel des Bösen lokalisiert werden kann, von dem Alfred Schütze schrieb. Ich denke nur: diese Journalisten schon schon lange ausgestorben, ersetzt durch den Baumarkt- und Schrebergartenjournalisten, der auch gerne über die örtliche Blasmusik schreibt.
Oder irre ich da?
(PS: ich gehe nicht davon aus, dass dort Menschenopfer dargebracht werden. Nein, wirklich nicht. Aber die Symbolik rechtfertigt in meinen Augen den reißerischen Titel. Bringt vielleicht ja auch mal einen … antizivilisatorischen … Grover zum Nachdenken)