Nicht wenige verzweifeln gerade. Alle Karten liegen doch bereits am Tisch und es könnte schon längst wieder aufwärts gehen, aber unser Sinkflug geht weiter. Ein geschätzter Kollege hat gerade die Frage aufgeworfen, ob Proteste von den Herrschenden nicht geradewegs als Anlass genommen werden, um ihre Pläne des nackten Wahnsinns umso vehementer umzusetzen. Sie können dabei ja mit dem Finger auf Personen zeigen, die im Vergleich zur milliardenschweren und daher bis zur Perfektion professionalisierten medial-politischen Hochleistungsmaschinerie wie linkische Dilettanten wirken. Und wo der fortschrittsfreudige Bürger nicht den Karottensaft wählt, den ihm diese Dilettanten (von ital. dilettante = Liebhaber) aus ihrer Handpresse reichen, sondern lieber die DIN-ISO zertifizierte Cola, serviert von gazellenbeinigen, wenn auch nur digitalen Stewardessen.
Auch diejenigen unter dem Fußvolk, die keine Dilettanten wären, sondern die das Zeug zur Resistance hätten, hat man unter der Knute. Die Konsens- bzw. Dissens-Manufakturen können beim derzeitigen Monopoly beruhigt auf den Faktor „intellektuelle Eitelkeit“ setzen. Denn unsere intellektuelle Avantgarde folgt einer schwer zu widerlegenden Logik: Wenn der „blöde“ Janich, Icke oder Jebsen vor etwas warnt, na dann bin ich Oberleuchter erst mal dafür und suche gute & gerne Gründe, warum die heranrückende Ausschlachtung, Totalüberwachung und Verkrüppelung der Menschheit vielleicht was Gutes ist.
Dazu nur c&p ein bereits in den Sanddünen des Web verwehter Gedanke von vorgestern:
Ein Umschwung wäre eigentlich gar nicht einmal so schwer zu bewerkstelligen.Wir alle spüren die Sackgasse, in die wir geraten sind. Was den Umschwung blockiert, ist etwas, womit wir nicht gerechnet hätten: die intellektuelle Eitelkeit derjenigen, die sich derzeit als Meinungsführer und Influenzer betätigen. Diese verhalten sich inzwischen wie Marketingprofis in der neoliberalen Wirtschaft: „Aha, Meinung X wird als schon Y, z.B. Ken Jebsen abgedeckt. Also versuche ich den Markt mit irgendeiner anderen schrägen Meinung zu bedienen, wo ich dann von derjenigen Masse Follower abgreifen kann, denen das gut zu Munde steht und in ihren Ängsten und ihrer Trägheit bestätigt“ – und kann mir dabei noch besonders schlau und individualistisch vorkommen. Diskreditiere den anderen sogar noch als „bedenklich“ oder gar als „Spinner“.
Mit der derzeit herrschenden intellektuellen Eitelkeit und Selbstverliebtheit, die vielen ansonsten klugen Köpfen offensichtlich über alles geht, sabotieren wir uns gerade selbst. Dabei sollten uns die Alarmglocken, die gerade alle läuten, eigentlich nahelegen, gegen die Dinge, die uns zu überrollen drohen, an einem Strang ziehen. Aber die eigene Großartigkeit mit Alleinstellungsmerkmal geht bei den meisten Sofa-Intellektuellen dann doch vor. Und um Argumente, um das Abgründige, das vor uns steht, zu etwas Gutem & Gernen zu erklären, sind sie nicht verlegen.
Viele sind ja derzeit enttäuscht und wütend über ihre Mitbürger, die offensichtlich jeden medial propagierten Wahnsinn mitmachen. Es ist aber imho weniger ein Versagen der Bürger, was wir derzeit erleben. Von den Bürgern wollen die meisten schon einen Wandel. Sie haben es in den letzten Jahren nur versäumt, sich vom Einfluss der Medien und der herrschenden politisch-konzernwirtschaftlichen Meinung frei zu machen. Jetzt kann man sie daher am Nasenring im Kreis führen. Denn die Infusionsnadel steckt noch in ihren Venen.
Dabei bräuchte es eigentlich nur eine relativ kleine Anzahl an kritischen Intellektuellen an den richtigen Stellen, die das Lügen- und Manipulationskonstrukt, das uns nun – nicht mehr nur im metaphorischen Sinne – zu ersticken droht, zerlegen. Die Bürger würden sich in Scharen die Nadeln wieder aus den Venen reißen und die Bullshitinfusion stoppen. Die Intellektuellen versagen jedoch derzeit im Verein mit Promis, Künstlern und Kabarettisten nahezu komplett.
Es wäre hierbei schon schlimm, wenn diese Personen einfach nur schwiegen. Sie eröffnen jedoch sogar das Feuer auf die hinteren Reihen und fallen denjenigen in den Rücken, die es wagen, dem Wahnsinn die Stirn zu bieten.
Der Untergang, der uns nun droht, ist nach meiner Überzeugung weniger Lieschen Müller und Oma Irma geschuldet, die auf Berliner Litfasssäulen den Mittelfinger hebt und Angst vor Maskenverweigerern bzw. um den Rest ihres fernsehenden Lebens hat. Man könnte seine Wut allzuleicht auf solche armen manipulierten Mitbürger verschwenden. Der Feind bzw. der eigentliche Verrat sitzt jedoch ganz woanders. Nicht nur dort, aber durchaus auch bei denen, die das Zeug und den Horizont hätten, um den zur Normalität erklärten Wahnsinn zu entlarven, die aber stattdessen lieber den Rückenwind dieses Wahnsinns genießen.
Das intellektuelle Waterloo, das wir derzeit erleben, hat dennoch sein Gutes, auch wenn es uns ganz nahe an den Abgrund bringt. Vielleicht war es sogar unvermeidbar, um uns als Einzelne zum Aufwachen zu bringen. Denn wir realisieren nun: Wir können uns nicht mehr auf andere, scheinbar klügere Köpfe verlassen, die die Dinge für uns regeln werden. Von dort, wo wir es bisher erwartet haben, kommt nichts mehr. Jeder muss jetzt notgedrungen selbst denken und die Regie ergreifen. Zu diesem individuellen Aufrichten des Rückgrats des kleinen Mannes und der kleinen Frau wäre es vermutlich niemals gekommen, wenn die gewohnten Autoritäten und Institutionen nicht komplett weggebrochen wären. Insofern erleben wir gerade eine historische Zäsur. Und das kann inmitten allen Niedergangs auch durchaus hoffnungsvoll stimmen.
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