Transzendentes

Karfreitag: I’m a Loser, Baby. So why don’t you kill me?

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[Ich habe diesen Artikel gestern, Karfreitag, nicht fertigbekommen. So stelle ich ihn also am Karsamstag ein, demjenigen Tag, der laut Liturgie die „Höllenfahrt“ beschreibt. Passt aber genauso gut. Denn die Phase, in die wir gerade global einzumünden drohen, könnte man durchaus unter das gleiche Motto stellen.]  

In einer Zeit, in der die totale Manipulation möglich geworden und wir laut Gerard Depardieu „Orwell bereits hinter uns haben und nun in Van Vogts ‚Space wildlife‘ eingemündet sind, wo keiner mehr etwas versteht“, ist es ja beinahe müßig geworden, noch über Politik und Tagesgeschehen zu disputieren – sofern man es nicht darauf abgesehen hat, auch noch mit den letzten verbliebenen Freunden und Gleichgesinnten über Kreuz zu kommen. Nachdem man uns vertikal, horizontal und nun auch noch diagonal gespalten hat, ist kaum noch ein gemeinsamer Nenner zu finden. Die meisten sind mit ihrer Geduld am Ende, auch alternative Journalisten fordern mehr oder weniger offen das Verstummen oder gar die Psychatrisierung derjenigen, die manche Dinge anders sehen als sie selbst – was wiederum willkommenes Wasser auf den Mühlen derjenigen Instanzen ist, denen die Existenz von alternativen Medien und abweichendem Denken schon seit jeher ein Dorn im Auge war und die emsig an einer Refeudalisierung der öffentlichen Meinung arbeiten.

Gießen wir also nicht noch mehr Öl ins Feuer, sondern wenden wir uns zur Abwechslung vielleicht einmal in eine ganz andere Richtung, abseits des evidenzbasierten Gemetzels an  Zahlen, Daten und Fakten, die gerade viral gehen und unseren gesamten Globus in einen Panikmodus und Shutdown versetzt haben, auf den nun ein großer Kurzschluss mit möglicherweise langanhaltendem Blackout droht.

Als Maschinenbautechniker bin ich eigentlich nicht berufen, mich zu diesem Thema zu äußern, noch dazu in einer Zeit, in der eine vorgetragene Meinung nur dann gilt, wenn man auf einem jeweiligen Gebiet ausgewiesener Experte ist – zumindest solange es die richtige Meinung ist, die dem politisch-medialen Narrativ entspricht. Tut sie das nicht, dann kann man auch als Experte mit jahrzehntelanger Erfahrung umgehend eingestampft und aus den digitalen Annalen gelöscht werden.

Über was wollen wir also dann reden außer über das lichterloh brennende Haus, in dem wir gerade Tagesschau gucken und uns an der „Renaissance der Medien und der Politik“ erfreuen (so eine kürzlich vernommene Radio-Meldung) – also derjenigen meinungsbildenden Institutionen, die  wir vor Kurzem noch in die Tonne treten wollten? Welche Themen gibt es überhaupt noch, die nicht vermint sind? Wo man es sich nicht gleich mit mindestens 50% aller Anderen verscherzt und einen Shitstorm riskiert, wenn man seine ehrliche Meinung bekundet?

Nun, wie wäre es mit einem Gebiet, das keine Sau mehr interessiert … das aber bei näherer Betrachtung wesentlich mehr mit unserem heutigen Desaster zu tun hat als manche Hedgefonds und politische Machenschaften, die gerade in der Kritik der intellektuellen Vernunft stehen: Der Theologie. In einer Zeit, von der der italienische Publizist Giorgio Agamben in Hinblick auf Covid-19 meint, dass die Menschen „an nichts mehr glauben – außer an das nackte biologische Leben, das es um jeden Preis zu retten gilt“ (siehe NZZ), sollte es doch zumindest im Feld der Theologie möglich sein, dass man eine häretische These aufstellt, ohne sogleich einen Kopf kürzer zu sein.

Wie schon gesagt, bin ich auf diesem Gebiet nur Stümper. Mein Kollege, der Eifelphilosoph wäre da als studierter Theologe zweifellos berufener. Aber auch als schnöder Techniker stolpere ich zuweilen über manch unübersehbaren Knoten, der durch die Jahrhunderte hinweg für Kurzschlüsse gesorgt hat und den ich daher nicht einfach auf sich beruhen lassen kann. Da heute Karfreitag ist, packe ich die Gelegenheit also beim Schopf. Die Frage, die sich dabei aufwirft, mag zur Beurteilung derjenigen Kirche, die seit fast 2000 Jahren Kulturgeschichte geprägt hat, nicht ganz ohne Bedeutung sein- einer Kirche, die nach begründeter Einschätzung des Eifelphilosophen schon vor geraumer Zeit „die Seiten gewechselt“ hat und es lieber mit dem Mammon hält  als mit demjenigen der gesagt hat: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Eine Kirche, deren mondäne Fürsten den Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach vorgezogen haben und die mittlerweile in einem Sumpf an Missbrauchsfällen und Schandtaten versinkt.

Zum Anlass des Tages also nicht wie gewohnt die Worte irgendwelcher korrumpierter Politiker, sondern die Worte eines gerade den Leibestod sterbenden Gottes:

„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ – Diese klagenden Worte soll derjenige Mann, dessen Kreuzestod wir heute gedenken, mit seinen letzten Atemzügen gesprochen haben. Hat er das wirklich so gesagt? Wenn ja: Kann man dann seiner Lehre überhaupt noch folgen, wo er, der Blinde sehend gemacht und Tote auferweckt hat, zuletzt doch selbst von allen guten Geistern verlassen wurde und um Hilfe ruft? Hat er damit nicht selbst zugegeben, dass seine Lehre von Mitmenschlichkeit und kompromissloser Suche nach Wahrheit („Die Wahrheit wird euch befreien“), die uns in Zeiten des eskalierenden marktradikalen Neoliberalismus eigentlich nicht schaden könnte oder die wir vielleicht sogar brauchen könnten wie einen Feuerwehrschlauch in einem Flammeninferno, gescheitert ist? Und dass das tobende Volk Recht behalten hat, als es sich vor dem römischen Statthalter Pilatus lieber für einen richtigen Pragmatiker entschieden hat (den Mörder Barrabas) anstatt für einen utopischen Idealisten, dessen Reich „nicht von dieser Welt“ ist?

Seit damals haben wir nun Jahr für Jahr die Entscheidung des Volkes für den Barrabas erneuert. Bei jeder Wahl rufen wir erneut frenetisch zum Statthalter: „Wir wollen den Barrabas!“ Wir wollen gefuchste Gewinner, keine aufopferungsvollen Menschen. Wer sich für eine aufrichtige Sache opfern will, wird verachtet oder medial geschlachtet.

“I’m a loser, baby. So why don’t you kill me?” – Diese Headline des Songs von Beck hallte in den Köpfen meiner Generation jahrelang nach. Radiomoderatoren bezeichneten ihn schlicht weg als „genial“, wenn sie den Beck-Ohrwurm anmoderierten. In der Tat kam in diesem Satz so etwas wie eine Kurzformel der damals aufkommenden The-Winner-Takes-It-All / Geiz-ist-Geil – Mentalität zum Ausdruck, wie sie auf allen medialen Kanälen propagiert wurde. Bloß kein Opfer werden, sondern einer, der schlau ist, absahnt und seine Spaßmöglichkeiten maximiert. Mit dieser Attitüde hat man uns ins Rennen geschickt, nachdem wir vom Förderband des Bildungssystems gespuckt wurden: Selbst im Angesicht des Ökozids noch ein Mini-Clooney sein, der seinen Schnitt macht, während hinter ihm alles zusammenkracht und die Sintflut kommt. Inzwischen ist diese Mentalität State of the Art. Sich für etwas opfern, noch dazu für Werte, die man nicht sehen, greifen oder fressen kann? Ja, ey lol, mann, du verf.ckter Goethe! „Du Opfer“ ist nach Bericht des Psychologen Götz Eisenberg heute eines der schlimmsten Schimpfwörter auf Schulhöfen. Wer schwach bzw. Opfer ist, wird im besten Falle verachtet, oder auch gleich abgefackelt, so wie das Obdachlosen auf der Parkbank ergehen kann, wenn sie „zur falschen Zeit am falschen Ort waren“, so wie man das Kriminologen in letzter Zeit oft sagen hört, wenn sie der Presse eine Gewalttat erklären.

Doch kehren wir zu unserem Wort des Tages zurück: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ („Eli, Eli,lama sabachthani”)

George Lamsa, ein assyrischer Schriftsteller, der die Bibel aus dem Aramäischen, also der Muttersprache des historischen Jesus, ins Englische übersetzt hat, vertritt aufgrund einer etymologischen Analyse des aramäischen Wortes shbakthani die Überzeugung, dass das genannte Kreuzeswort „auf keinen Fall“ dasjenige bedeuten könne, was uns von der Kirche seit Jahrhunderten überliefert wird (George M. Lamsa – Die Evangelien in aramäischer Sicht, H.J. Maurer Verlag).

Es ist nicht leicht, Näheres über dieses Kreuzeswort zu erfahren. Wer über Kirchengeschichte zu recherchieren beginnt, muss schnell zur Kenntnis nehmen, dass die Inquisition im Mittelalter ganze Arbeit geleistet hat. Wo diese vom päpstlichen Stuhl ermächtigten Herren mit ihren Schergen aufgetaucht sind, wurden nämlich nicht nur Hexen und Ketzer verbrannt. Eines der Hauptaugenmerke der Inquisitionstruppe, so erfährt man in einer Doku des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, galt damals insbesondere der Vernichtung von alten überlieferten Schriften. In den Klöstern, wo die Inquisition auftauchte, wurden die Bibliotheken akribisch „gesäubert“ und sogar die Steinmauern abgeklopft, ob sich etwa irgendwo ein Hohlraum befindet, in dem verbotene „Ketzerschriften“ aufbewahrt wurden.

Wer also Näheres über den Hintergrund von Bibelzitaten wie dem Vorgenannten erfahren möchte, der muss sich in Ermangelung noch existierender Quellen in Bereiche wagen, die für den anständigen fernsehenden Tagesschaubürger auch heute noch tabu sind. Fündig wird man etwa bei den altertümlichen Überlieferungen, wie sie von Helena Blavatsky bei ihren Reisen um die Welt gesammelt wurden. Man kann von ihren eigenen esoterischen Schriften halten, was man will, fest steht jedenfalls, dass Blavatsky zu ihrer Zeit, als das für Frauen noch ein äußerst gefährliches Unterfangen war, die hintersten Winkel der Welt aufgesucht hat und z.B. in alten tibetischen Klöstern Zugang zu alten Schriften bekommen hat, die dort lange gehütet und vor der Welt geheim gehalten wurden. Sie hat diese Schriftrollen abgeschrieben oder auswendig gelernt. Unter den solcherart in den Westen gebrachten Texten befinden sich Überlieferungen, die in der Welt der Hochkulturen nicht nur beim Brand der Bibliothek von Alexandria verloren gingen, sondern im Laufe des Mittelaltes durch die kirchliche Inquisition systematisch vernichtet wurden.

Blavatsky zufolge wäre der Ausspruch „Eli, Eli, lama sabachtani“  ein im Tempelgeschehen aller Zeiten und Kulturen gebräuchlicher Sinnspruch, den jeder, der eine Initiation im sogenannten Tempelschlaf absolviert hat (bei dem ein todähnlicher Zustand herbeigeführt wurde, in welchem der Einzuweihende die Prinzipien des Weltendaseins erkennen sollte) von sich gibt, nachdem er diese Prozedur vollbracht hat und wieder aufwachte. Wörtlich bedeute er: „Mein Gott, mein Gott, wie hast Du mich erhöhet!“ oder „Wie hast Du mich verherrlicht“ – womit der Eingeweihte sein Staunen zum Ausdruck gebracht haben soll, über die Erkenntnis der großen Seinszusammenhänge, wie sie durchaus dem ähneln, was heute die moderne Quantenphysik konstatiert. Oder wie es der Physiker Hans-Peter Dürr populär formuliert: Dass „Materie nur geronnener Geist“ ist und der Ursprung aller Dinge, allen Lebens und allen Bewusstseins daher immer auf der geistigen Ebene zu finden sei und nicht umgekehrt. Gut möglich, dass unsere heutige Impotenz, Dinge grundlegend zum Besseren zu wenden, auf der Tatsache beruht, dass wir das Pferd eben geradewegs andersrum aufzäumen möchten: Ausgehend von alternativlosen „Fakten“, in denen wir nur leider trotz aller Reformen immerzu noch mehr versinken und geknebelt werden. Den Geist – gibt es heute laut herrschender Lehrmeinung nicht mehr. Die Materie droht nun vollends zu übernehmen. Kein Wunder eigentlich, dass wir uns zunehmend erdrückt fühlen.

Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit Geschichtsschreiber wie Plutarch oder Iamblichos über solche Tempelschlaf- Todesinitiationen berichten. Oder wie Pharaonen wie z.B. Thutmosis III. ihr Erleben schildern, man vermutet in den tiefen Schächten einer Pyramide:
(aus einer Übersetzung von Hieroglyphen:)

„Er öffnete mir die Türflügel des Geisteslands
und tat mir auf die Tore zum Lichtland.
Ich schwebte empor zum Himmel als Falke
und schaute sein geheimes Bild.
Ich erblickte die Verwandlungen des Horizontischen
auf seinen geheimen Wegen im Geistesland …“

Oder wie es auf Pyramidenspruch 222 – 209 zu lesen ist:

„Du steigst auf, indem du hinabsteigst,
in Dunkel gehüllt mit dem Niedergesunkenen / dem toten Leib
(…)
Du hast dich gewandelt
du bist hoch geworden
du bist Geist geworden.“

Und im Sinne dieses Hochwerdens / Geistwerdens sei auch das Kreuzeswort zu verstehen: „Mein Gott, mein Gott, wie hast Du mich erhöhet!“

Wobei es das Novum gewesen sei, dass solche Worte erstmals nicht in den lichtlosen Hallen einer Pyramide oder eines Tempels bei Anwesenheit einer kleinen Schar Priester gesprochen wurden, sondern vor aller Öffentlichkeit bzw. einer geifernden Menschenmasse.

Dieses „Eli, Eli, lama sabachtani“  in seiner ursprünglichen Bedeutung wurde im kirchlichen Evangelium allerdings gemäß einem hebräischen Psalm umgeändert auf „Eli, Eli, lama asabthani“  (אלי אלי למה עזבתני), was eben bis heute übersetzt wird mit „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“

Die genannte Verhunzung überlieferter Schriften ist nur eine von Vielen. In den wenigen authentischen Schriften, die diesbezüglich zur Verfügung stehen, finden sich Hinweise, dass es in den ersten ca. 200 Jahren nach dem Jahre Null eine intensive Entfaltung christlichen Kulturlebens gegeben haben soll, von dem aber nach der Einverleibung in die römische Staatsmacht und Begründung der römisch-katholischen Kirche nahezu alles vernichtet wurde, was bedeutsam war. Katharer, Templer, Waldenser, Albigenser etc., die versuchten, den überlieferten Quellentexten treu zu bleiben, wurden von dieser Kirche auf brutale Weise ausgerottet.

Warum die Päpste und Kirchenfürsten solchen Wert darauf gelegt haben, alles auszurotten, was auf ein Verständnis des Geistes hinweist? Nun, vielleicht deswegen, weil diese Dimension, wie man vorgenannten Schriften entnehmen kann, immer mit Kategorien wie Tugend, Charakterschulung und Moral zu tun hat, also mit Dingen, die nach Mühe riechen. Und warum soll man es als wohlbeleibter Fürst einer Institution, die mittlerweile in einem Sumpf aus Missbrauchsfällen, Völlerei und Korruption versinkt, auf die Taube auf dem Dach abgesehen haben, wo man doch den Spatz in der Hand haben kann?

Foto:Rosa-Maria Rinkl/CC BY-SA 3.0/Wikimedia 



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